3. Kapitel
Ich vergaß alles um mich herum, mein Gehirn schien sich ausgeschaltet zu haben. Mein einziger Gedanke war, dass Tilo mich wahnsinnig machte beim Küssen und das wir uns noch draußen auf dem Balkon befanden.
Die Decke, die Tilo mir mit nach draußen gebracht hatte, rutschte von meinen Schultern und blieb unten um meine Füße gewickelt liegen, als er mit seiner Hand sanft unter mein Top fuhr. An den Stellen, an denen er mich berührte, breitete sich eine Gänsehaut aus.
Ich lächelte in den Kuss hinein und fuhr mit meiner Zunge über seine Lippe. Ein kehliger Laut von ihm drang an meine Ohren, was mich noch mehr grinsen ließ.
Kraftvoll packte Tilo meine Oberschenkel und hob mich hoch. Ich schlang meine Beine um seinen Körper und ließ es zu, dass er mich auf unseren Tisch setzte, der auf dem Balkon stand.
Mit den Beinen zog ich ihn noch näher an mich heran und legte meine Hände auf seine angespannten Schultern. Bevor ich mich jedoch nach hinten beugen und ihn mit mir ziehen konnte, unterbrach er unseren Kuss und ich sah ihn enttäuscht an. Schwer atmend stütze Tilo sich seitlich von mir auf dem Tisch auf und sah mir in die Augen.
Ich musste mich zusammenreißen, um ihm nicht direkt wieder um den Hals zu fallen, weil mein Körper in diesem Moment genau das wollte. Also erwiderte ich seinen Blick leicht fragend und versuchte dabei, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.
"Drinnen wäre es glaube ich ein bisschen wärmer..." Bedeutsam schaute er auf meine nackten Arme, die von einer Gänsehaut überzogen waren. Dass daran allerdings nicht nur die Kälte schuld war, verschwieg ich lieber und nickte stattdessen.
Seufzend hob Tilo die Decke auf und warf sie sich über die Schulter, dann hob er mich schwungvoll hoch. Erschrocken schrie ich auf und krallte mich in sein Oberteil.
"Pssst, die Nachbarn wollen doch noch schlafen", tadelte er mich grinsend und trug mich zurück in unsere, eindeutig wärmere, Wohnung. Erst auf dem Bett ließ er mich los und ich kuschelte mich unter die Bettdecke. Nachdem Tilo die Balkontür geschlossen hatte, krabbelte er zu mir ins Bett.
Ich drehte mich auf die Seite und sah ihn einige Minuten lang einfach nur an. Er wirkte durcheinander, aber schien sich wieder einigermaßen gefangen zu haben. Klar, der Schock saß noch tief, aber er schien genauso wie ich langsam wieder in der Lage zu sein, einen klaren Gedanken fassen zu können und nicht Hals über Kopf irgendwas unternehmen zu wollen, was im Endeffekt eh nicht helfen würde.
Ich kroch schließlich zu ihm herüber und machte es mir auf ihm gemütlich. Unsere Lust, wild herumzuknutschen, war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war.
Während er in einem gleichmäßigen Rhythmus über meinen Rücken strich, fielen mir langsam die Augen zu. Es machte keinen Sinn mehr, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Selbst Tilos Atem war gleichmäßiger geworden und seine Hand auf meinem Rücken lag still auf einer Stelle. Ich schloss meine Augen und genoss es, so nah bei ihm zu liegen.
───•✣•───
Die Türklingel riss mich aus unzusammenhängenden Träumen und ich saß senkrecht im Bett. Stöhnend drehte Tilo sich um und machte den Wecker aus. Dann zog er sich das Kissen über den Kopf.
Ich saß einfach nur da und sah ihm dabei zu, wie er wütend auf den Wecker einhämmerte, während es weiter an der Tür klingelte. Insgeheim fragte ich mich, wer so früh am Morgen bei uns klingelte.
"Das ist an der Tür", informierte ich Tilo, bevor er den armen, unschuldigen Wecker noch gegen die Wand schmeißen konnte. Brummend zog er sich das Kissen vom Kopf und warf es in meine Richtung.
"Hättest du mir das nicht früher sagen können?"
"Hey!", beschwerte ich mich und schmiss das Kissen zu ihm zurück. Tilos Haare standen ihm zu Berge und er hatte Augenringe.
Meine eigenen Haare ähnelten eher einem bewohnten Vogelnest, weswegen ich zu dem Ergebnis kam, dass er in einer besseren Verfassung war als ich und deswegen auch derjenige sein sollte, der die Tür öffnete.
Als es weiter klingelte, schwang sich Tilo seufzend aus dem Bett und schlurfte zu der Haustür. Das nächste was ich hörte war ein erstauntes "Oh."
Das machte mich neugierig und ich folgte ihm in den Flur. Dort blieb ich wie angewurzelt stehen.
In unserem Flur standen tatsächlich zwei Polizisten. Sie musterten uns kurz und sahen sich dann an.
"Ich habe dir doch gesagt, dass wir wahrscheinlich zu früh kommen", meinte der mit den braunen Haaren und dem etwas grimmigen Gesichtsausdruck trocken zu dem anderen.
Der andere, schwarzhaarige schnaubte auf und wandte sich uns zu.
Sie stellten Tilo und mir abwechselnd Fragen zu Mias Verschwinden, bemerkten aber schnell, dass wir ihnen keine sonderlich hilfreichen Informationen geben konnten, da wir sie selber seit einigen Tagen nicht gesehen hatten.
Nachdem wir ihnen noch mitteilten, an welchen Orten in der Stadt sich Mia in ihrer Freizeit gerne aufhielt, drückte der braunhaarige Polizist Tilo eine Karte mit seiner Telefonnummer in die Hand.
"Falls mal irgendwas sein sollte..." Tilo runzelte verwirrt die Stirn, da er durch seinen Vater jederzeit die Polizei kontaktieren konnte, legte die Karte aber zu seinem Handy.
Dann bedankten sich die Polizisten noch und verschwanden wieder, um die Suche nach Mia fortzusetzen.
Mit keinem Wort hatten sie erwähnt, dass es sich nachweislich um eine Entführung handelte. Aber an ihren konzentrierten und angestrengten Gesichtern konnte man ablesen, dass genau das ihre Vermutung war.
Tilo fuhr sich einmal durch die Haare und sah sich ratlos in unserer Wohnung um. Der Besuch der Polizei hatte ihm noch deutlicher gezeigt, in welcher Gefahr sich seine kleine Schwester befinden musste. Er war handlungsunfähig, aber alles in ihm schrie danach, Mia zu helfen. Sie war ihm immer wichtig gewesen und nun war sie einfach verschwunden, als hätte sie nie existiert.
In mir breitete sich ein schlechtes Gewissen aus. Vielleicht hätten wir gestern doch mit dem Auto losfahren sollen und sie suchen. Einfach nur, um jetzt nicht unter den Vorwürfen, nichts getan zu haben, begraben zu werden.
Traurig presste Tilo seine Lippen zusammen und sah zu mir herüber. Trotz der Tränen, die in seinen Augen schimmerten, schlich sich ein zaghaftes Lächeln auf seine Lippen, als er mich betrachtete.
"Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich bin dafür, dass wir unsere Haare ein bisschen richten und dann irgendwohin zum Frühstücken fahren." Postwendend fuhr ich mir durch meine Haare, aber Tilo nahm leicht grinsend meine Hände in seine und drückte mir einen kurzen Kuss auf die Stirn. Dann zog er mich entschlossen hinter sich her ins Badezimmer.
Mit einer Haarbürste nahm ich den Kampf gegen meine Haare auf, während Tilo es schaffte, seine eigenen provisorisch mit ein bisschen Gel zu richten. Mir fiel ein, dass Zähne putzen auch keine schlechte Idee wäre. Tilo folgte meinem Beispiel und als wir beide auch richtig angezogen waren, verließen wir mit gemischten Gefühlen unsere Wohnung.
Tilo hatte sich seinen Autoschlüssel eingesteckt und wir liefen die lange Treppe nach unten. Auf dem Weg trafen wir niemanden und Tilo warf einen Blick in unseren Briefkasten, während ich die Tür öffnete.
Schreiend knallte ich sie wieder zu und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Tilo fuhr vor Schreck zusammen und ließ unsere Schlüssel fallen. Er sah mich aus weit aufgerissenen Augen an.
"Da...Da ist...Wer hat denn die Presse hierhergeschickt?" Nur langsam dämmerte mir, dass Mias Verschwinden nicht unbemerkt an der Presse vorbei gehen würde, schließlich wurde die ganze Mordserie an jungen Mädchen seit Wochen in jedem Käseblatt und Tageszeitung breitgetreten. Aber warum standen sie jetzt bei uns vor der Tür? Und was wollten sie von uns?
Ich bekam Panik, wenn ich an die recht vielen, mit Kameras und Aufnahmegeräten bewaffneten, Journalisten dachte, die vor der Tür nur darauf warteten, dass wir herauskamen und sie uns mit ihren Fragen bombardieren konnten.
Tilo sah jetzt fest entschlossen aus, nahm seinen Autoschlüssel in die eine Hand und meine Hand hielt er mit seiner anderen fest.
"Ignoriere sie", wies er mich an und öffnete die Tür.
Ich gab mir wirklich Mühe auf ihn zu hören, während er sich mit gesenktem Kopf einen Weg durch die Menge bahnte und mich dicht hinter sich herzog. Ich lief so nah auf, dass ich ihm mehrmals in die Hacken lief und mit der Nase in seinem Rücken bremste. Ein paar Kameras klickten und die Blitze erhellten die Umgebung für kurze Augenblicke.
"Seit wann wird die 9-jährige Mia genau vermisst?"
"Kennen Sie den Entführer?"
"Hat der Entführer auch schon Kontakt zu Ihnen aufgenommen, wie zu den anderen Angehörigen der entführten und getöteten Mädchen?"
"Was werden Sie jetzt tun?"
"Wie fühlen Sie sich?"
Tausende Fragen prasselten auf uns herein, aber ich presste meine Lippen zusammen, um nicht ausversehen irgendwem eine Antwort zu geben. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir Tilos Auto und ich flüchtete durch die geöffnete Beifahrertür, die er mir aufhielt. Schnell schloss ich die Tür und er ging um das Auto herum, nahm hinter dem Steuer Platz und fuhr schwungvoll los.
Erst als er an der nächsten Kreuzung abgebogen war, entspannte ich mich und ließ mich in den Sitz sinken.
Tilo wirkte jedoch wieder sehr angespannt. War es wegen der Presse? Weil so viel Wind um diese Sache gemacht wurde, dass selbst wir schon aufgesucht wurden?
Oder war es wegen der Fragen der Journalisten?
Ich ging die Fragen im Kopf noch einmal durch und schnappte entsetzt nach Luft, als mir die Bedeutung einer der Fragen richtig bewusst wurde.
"Hat der Entführer auch schon Kontakt zu Ihnen aufgenommen, wie zu den anderen Angehörigen der entführten und getöteten Mädchen?"
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