6. Understand
Ich stieg in die Bahn ein und suchte mir einen Platz. Es war nicht sehr viel los, weshalb ich mich dazu entschloss mich in einen freien 4er Sitz zu setzen.
Die Fahrt könnte ziemlich lang werden und so hätte ich zumindest die Möglichkeit, meine Füße auf dem Sitz gegenüber abzulegen.
Wie immer, wenn mir lange Fahrten bevor standen, kramte ich meine Kopfhörer aus meinem Rucksack, den ich im Eifer des Gefechtes schnell gepackt hatte und steckte sie mir in die Ohren.
Ich verband sie mit meinem Handy und spielte eine alte Playlist ab.
In letzter Zeit hörte ich ziemlich oft alte Musik, die mich an meine frühe Kindheit erinnert.
An die langen Autofahrten meiner Mutter und mir. An die Sommer auf dem Campingplatz meiner Oma. An wunderbare, mittlerweile zerbrochene Freundschaften.
An das Gefühl Kind zu sein, ohne Verpflichtungen und Sorgen, was Einmal werden wird. Ohne darüber nachzudenken, wie viel Leid es auf der Welt gibt, was in unserem Land schief läuft, wie mein eigenes Leben aus dem Ruder läuft.
Und dann die Schule.
Jeder hat sie von Zeit zu Zeit gehasst und jetzt, nachdem ich Jahrelang gearbeitet habe, um ein scheinbar so wertvolles Stück Papier in der Hand zu halten, scheint mir alles nur viel komplizierter und schwerer.
Natürlich hatte man während der Schule immer etwas zu tun, aber wenn man es nun von der anderen Seite sieht, ist das nicht ein Mal etwas Schlechtes.
Die letzten Wochen saß ich größtenteils Zuhause, habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was aus mir werden soll und andauernd das Haus geputzt.
Ein Ziel zu haben ist unglaublich wichtig, denn hat man Mal keines, fällt man schnell in eine Sinnlosigkeit. Und in genau dieser Sinnlosigkeit befinde ich mich gerade.
Naja, eigentlich befinde ich mich in einem Zug, der mich zu meiner Tante bringt. Aber ebenso in einer Sinnlosigkeit.
Zugegeben, es gibt weitaus Schlimmeres, weshalb man schlecht gelaunt sein kann, ich weiß auch selbst nicht genau wieso mich das Alles so runter zieht. Aber ich kann einfach nicht gut mit Veränderungen umgehen, vorallem nicht, wenn ich nicht weiß wo sie mich hinführen werden.
Das ist jetzt dieser eine entscheidende Schritt zum Erwachsenwerden.
Bisher war es mir in die Wiege gelegt in die Schule zu gehen, bis zu meinem Abschluss, das wurde von mir erwartet, also tat ich es. Und jetzt bin ich plötzlich in der Position selbst zu bestimmen, wie mein Leben weitergehen soll.
Ich will keine Veränderungen und ich will noch nicht erwachsen werden.
Eine Hand, die vor meinem Gesicht rum fuchtelte, riss mich aus meinen Gedanken. Ich nahm die Kopfhörer raus und sah dem Jungen in meinem Alter ins Gesicht.
"Ist hier noch frei?" fragte er und zeigte auf den Sitz mir gegenüber, auf dem bis gerade meine Füße lagen.
Ist das sein Ernst? Der komplette Zug ist fast leer und dann möchte er sich allen Ernstes direkt vor mich setzen?
Am Liebsten hätte ich ihm genau das gesagt, doch beim zweiten Nachdenken erschien es mir zu unhöflich und er kann schließlich auch nichts für meine schlechte Laune.
"Natürlich." antwortete ich deshalb entspannt und nahm meine Beine von seinem Platz.
Kann mir das mal bitte Jemand erklären? Ich glaube kaum, dass er sich zu mir setzen wollte um zu flirten.
Ich meine.. mit mir? Wohl kaum.
"Ich bin Shawn." sagte er schließlich und hielt mir seine Hand entgegen. Obwohl ich mir gerade wieder meine Kopfhörer in die Ohren stecken wollte, ließ ich es sein und schüttelte seine Hand.
"Bella." antwortete ich lediglich.
"Schön"
"Ja, italienisch für schön." ich lachte kurz ironisch auf, weil dieser Name absolut nicht zu mir passt. Bella ist ein süßes Mädchen, mit langen Zöpfen und rosa Lipgloss. Zumindest in meinem Kopf.
"Du kannst italienisch?" fragte er interessiert und ich begann daran zu zweifeln, heute nochmal Musik hören zu können.
Aber vielleicht würde die Fahrt dann schneller vorbei gehen. Und Shawn scheint wirklich nett zu sein.
"Ja, durch die Schule." antwortete ich und steckte nebenbei meine Kopfhörer in meine Jackentasche, was ihn zum Grinsen brachte. Was stimmt mit dem nicht?
"Du gehst noch zur Schule?"
Na super, jetzt hatten wir dieses Gespräch schon wieder.
"Nein, seit einigen Wochen bin ich fertig. Und du?" fragte ich höflicherweise nach.
"Nein, schon eine Weile nicht mehr. Was machst du dann also jetzt, wenn du nichtmehr zur Schule gehst?" fragte er und ich verdrehte genervt die Augen.
Ich war schon kurz davor, meine Kopfhörer wieder in meine Ohren zu stecken, als sich Shawn etwas nach vorne lehnte und mir damit die Chance gab genauer in seine Augen zu sehen.
"Tut mir leid, ich wollte dich nicht wütend machen." sagte er und ich versuchte seinem Blick auszuweichen. Immerhin geht ihn das Alles überhaupt nichts an.
"Warum macht dich das Thema so sauer?" fragte er und lehnte sich wieder zurück.
"Na weil.. ich nicht weiß, in welche Richtung mein Leben gehen soll. Ich hab keine Ahnung was ich will, wie ich mir meine Zukunft vorstelle, was mir gefällt, was überhaupt nicht in Frage kommt, ich weiß nicht mal wirklich wer ich bin." platzte es nun aus mir heraus und ich könnte mich Ohrfeigen, einem Fremden gerade meine komplette Seele offenbart zu haben.
"Okay." antwortete er schlicht, was mich ehrlich gesagt noch wütender macht.
"Okay? Du hast keine Ahnung. Es ist alles Andere als okay.
Wieso kann denn Jeder eine Vorstellung von seinem Leben haben, außer ich?
Ich meine, irgendwie habe ich eine Vorstellung, aber all meine Träume sind komplett unrealistisch und ich habe das Gefühl dazu gezwungen zu sein, einen 0815 Job zu machen. Aber das passt nicht zu mir, verstehst du? Ich will so viel mehr.
Nenn mich größenwahnsinnig, aber ein einfaches Leben reicht mir nicht. Ich kann nicht jeden Tag aufwachen und von vornerein wissen, wie der Tag endet. Ich brauche Abwechslung und Überraschungen, ich will für meine Träume arbeiten und hinterher stolz auf meine Leistungen sein. Aber das kann ich nicht." erklärte ich voller Elan und bemerkte währenddessen gar nicht, wie viel ich ihm gerade von mir preisgegeben hatte.
"Okay, beruhig dich erst Mal. Jeder fühlt sich Mal verloren. Das ist keine Schande. Genauso wenig wie es eine Schande ist, nicht sofort zu wissen, wie man weitermachen möchte. Wichtig ist nur, irgendwie weiter zu machen. Und ich meine.. seit wann ist es unmöglich für seine Träume zu kämpfen?" seine Stimme klang unglaublich sanft.
"Ich hasse es, das zu sagen aber ich hab einfach Angst. Einerseits davor, zu versagen wenn ich meinen Träumen folge, andererseits eines Tages aufzuwachen und zu realisieren, dass ich ein Leben lebe, das ich so nie führen wollte.
Bisher schien mir Alles so logisch und sinnvoll. Und jetzt ist plötzlich Alles anders."
Ich fuhr mir angestrengt durch die Haare und Shawn lehnte sich wieder näher zu mir.
"Hör zu, es kommt ein Tag, da wacht man auf und plötzlich steht deine Welt Kopf. Alles ist anders und irgendwie muss man versuchen damit klar zu kommen. Denn Veränderungen bedeuten Erwachsen werden." erklärte er.
Nun lehnte ich mich auch zu ihm nach vorne.
"Aber ich habe Angst davor."
"Wieso? Du darfst das nicht negativ sehen. Es ist einfach eine Tatsache. Auch wenn sich gerade alles verrückt und sinnlos anfühlt, wird ein Tag kommen an dem du verstehst, was der Grund für Alles ist.
Es ist nichts, was du aufhalten kannst oder was immer leicht sein wird. Du musst nur dran bleiben, denn du wirst daran wachsen.
Nicht nur Alles um dich herum verändert sich, sondern auch du veränderst dich. Das bedeutet Leben. Es gibt nur eine Sache, die du mir versprechen musst, bleib du selbst." erklärte er und ich machte mir mittlerweile ernsthafte Gedanken, ob ich es hier mit einem Poeten zu tun hatte, oder ob er diese Sprüche irgendwo geklaut hatte.
Denn er schien mir so unglaublich weise, wie es für sein Alter unmöglich sein konnte.
"Und wie soll ich das tun, wenn ich nicht mal weiß, wer ich bin?" fragte ich ironisch lachend.
"Ich frage mich das auch oft. Und ob ich mich verändere. Aber man selbst zu sein, ist gar keine große Sache. Es ist nur schwer zu erklären. Aber das muss man gar nicht. Niemand erwartet, dass du sagst, wer du bist. Du musst es nur zeigen."
Ich atmete tief aus. Shawn's Hand legte sich auf meine und unsere Blicke verschmelzten miteinander.
"Ich muss hier raus." sagte er plötzlich und ich sah erschrocken nach oben. Eigentlich schade, ich hätte ihn gern besser kennen gelernt.
"Hier." er gab mir einen Zettel, auf dem seine Nummer stand und ich begann zu grinsen wie eine Verrückte.
Der Zug hielt und Shawn stand auf, um zur Tür zu laufen.
"Veränderungen sind nicht schlecht, das waren sie nie. Aber am Ende des Tages bist du die selbe Person, Bella. Und wo dein Herz ist, das ändert sich nicht."
Er zwinkerte mir zu und verließ den Zug.
Hab ich geträumt? Oder ist das wirklich passiert?
Eines ist sicher, meine Stimmung hat sich absolut verändert. Und es war keine schlechte Veränderung.
+++
Wie sich viele vielleicht denken können, ist auch dieses Kapitel ziemlich privat, weil es viel thematisiert, womit ich momentan auch am strugglen bin :D Hoffe es hat euch gefallen :3
Oh man, ich bin heute um 8 aufgestanden, war bei 2 Ärzten, dann sind meine Mum und ich in die nächst größere Stadt zum Shoppen gefahren und jetzt bin ich wieder zuhause.. ich bin soooo fertig.
ABER - Die Gewinnspielüberraschung ist komplett <3<3
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