2 | Schuldgefühle
„Erinnerungen sind deshalb so wichtig, weil einem manchmal nichts anderes mehr bleibt.“
OLIVIA
»Ms. Kane? Kann ich Sie kurz allein sprechen?«
Die rauchige Stimme hallt durch den Flur, ehe seine große Statur in meinem Blickfeld erscheint. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen und ein ernster Ausdruck ist in seinem Gesicht zu sehen. Sofort springe ich auf, was Katie zusammenzucken lässt.
»Natürlich. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Mit seiner Hand deutet er mir an ihm zu folgen und meine Beine bewegen sich augenblicklich. Mein Blick fällt auf den Boden, während ich hinter ihm hergehe.
»Wir müssen leider die Wohnung über Nacht weiter durchsuchen und einige Spuren nehmen, die uns hoffentlich mehr sagen können.«
Mein Kopf schießt nach oben und ich blicke in die ozeanblauen Augen, die mich so sehr verunsichern.
Was? Nein!
»Wieso? Ich kann Ihnen den Namen sagen, der das verursacht hat.«
Sofort bleibt er stehen und zieht eine Augenbraue in die Höhe. »Sie wissen, wer das war? Haben Sie ihn gesehen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, ich habe nichts gesehen. Aber er hat mir gedroht, dass er einbrechen wird, wenn ich ihm nicht eine Halskette aushändige.«
Woher er davon wusste? Ich weiß es nicht. Seit einem Jahr liegt sie bereits in dieser Kiste zusammen mit anderen Sachen, die ich nicht mehr angesehen habe. Sobald der Deckel drauf war, habe ich mich nicht mehr getraut den Karton zu öffnen.
»Was für eine Halskette? Und wissen Sie, ob er sie mitgenommen hat?«
»Das war ein Geschenk«, fange ich zögerlich an. Ich will nicht mehr darüber preisgeben als nötig. »Und nein, er hat sie nicht gefunden.«
Detective Paulsen runzelt die Stirn, während er mich mit einem durchdringendem Blick ansieht. Ein Blick, der mir das Gefühl gibt, tief in meine Seele schauen zu können. Kurz schüttle ich mich und versuche den Schauer loszuwerden, der meinen ganzen Körper befallen hat.
Langsam reicht er mir seinen Notizblock und den Stift. »Wir sind da, um Ihnen zu helfen. Also bitte ich Sie, mir alles zu erzählen. Fangen Sie doch damit an und schreiben Sie mir den Namen und die Telefonnummer von Ihrem Verdächtigen auf.«
Seine Stimme hat einen beruhigenden Ton angenommen. Irgendwie fühlt es sich fast tröstlich an.
»Klar. Kann ich auch gleich eine Anzeige erstatten?«
»Die können wir morgen machen, nachdem Sie sich ausgeruht haben. Hier haben Sie meine Karte. Rufen Sie mich an, sobald Sie sich besser fühlen.«
Vorsichtig nehme ich das Stück Papier in die Hand und versuche ihn dabei nicht zu berühren, ehe ich sie in die hintere Tasche meiner Jeans verstaue.
»Haben Sie eine Bleibe für die Nacht?«, erkundigt er sich bei mir. Seine Arme vor seiner Brust verschränkt, während er ruhig auf eine Antwort wartet.
Konzentriert kritzle ich alle Informationen auf den Notizblock, ehe ich ihn Detective Paulsen überreiche und nicke. »Ja, danke. Kann ich kurz in die Wohnung und mir einige Klamotten in die Tasche packen?«
Er kratzt sich leicht am Kinn. »Tut mir leid, aber ich würde lieber nichts anfassen, ehe die Spurensicherung mit allem durch ist.«
Resigniert schließe ich meine Augen und nicke wiederholt. »Okay, verstehe. Brauchen Sie sonst was oder kann ich gehen?«
»Nein, alles andere kann bis morgen warten. Erholen Sie sich Ms. Kane und rufen Sie mich an. Wenn alles gut läuft, dürfen Sie morgen wieder in ihre Wohnung.«
Ich schenke ihm ein kurzes Lächeln, das hoffentlich genau das ausdrückt, was ich fühle. »Geht klar. Und nochmals danke, Detective. Ich weiß das alles zu schätzen.«
Abrupt drehe ich mich um. Mit zügigen Schritten gehe ich zu Katie zurück, die sich wieder auf der Treppenfliese hat fallen lassen.
»Was dagegen, wenn ich bei dir übernachte?«
Ich möchte ungern jemanden anrufen und ihm die Situation erklären. Es reicht bereits, dass es Katie weiß.
»Natürlich, Liv. Du musst mich doch nicht fragen. Du weißt, dass du bei mir immer herzlich willkommen bist.«
»Danke, Katie«, erwidere ich.
°°○°°
Eingekuschelt im Bett starre ich auf die Decke und lasse den Tag nochmals Revue passieren. Ich gehe nochmals jedes Detail durch. Versuche zu verstehen, wie es dermaßen eskalieren konnte. Das größte Übel ist, dass mich nicht der Einbruch an sich erschreckt hat, sondern etwas ganz anderes. Woher wusste Sean von dieser Halskette? Ich habe niemanden davon erzählt und mir war nicht klar, dass sie einen solchen Wert besitzt. Für mich hat dieses Schmuckstück eine ganz andere Bedeutung. Eine, die weit über das materielle hinausgeht.
Tief seufze ich auf, als meine Gedanken weiter schweifen. Blaue Augen, die mich unwillkürlich an Detective Levi erinnern. Ich habe es mir nicht erlaubt ihn mir genau anzusehen, aber diese verdammte Stimme. Der Klang hat etwas in mir ausgelöst, dass ich mir nicht erklären kann. Kurz denke ich mir, ob er sich bewusst war, was es in mir ausgelöst hat. Entschieden schüttle ich den Kopf. Er war professionell und hat nur seine Arbeit erledigt.
Ich sollte mir diese Gedanken aus dem Kopf schlagen. Außerdem was bringt es mir, wenn ich dem Leben abgeschworen habe? Ich bin nicht fähig jemanden zu lieben. Nicht nach allem, was passiert ist. Ich sollte mich von ihm fernhalten, auch wenn sich etwas tief in meinem Inneren an ihn klammern möchte.
Mit diesen Gedanken falle ich in einen unruhigen Schlaf. Der Abgrund holt mich ein und zeigt mir wiederholt, wie kaputt ich bin.
°°○°°
Müde krallen sich meine Finger um die Tasse Kaffee, während Katie in der Küche umher wuselt und für uns das Frühstück zubereitet. Dunkle Ringe zieren meine Augen und zeigen, wie beschissen meine Nacht war. Ich hätte mir denken können, das der Alptraum dieses Mal noch schlimmer wird als sonst. Immerhin haben die gestrigen Ereignisse einige Erinnerungen ausgelöst, an die ich nicht denken will.
Der Duft nach Speck, Eier und Käse dringt in meine Nase und lassen meinen Magen knurren. Mir wird bewusst, dass ich seit gestern Morgen nichts mehr gegessen habe.
»Das riecht köstlich, Katie.«
Meine beste Freundin winkt mit der Hand ab. »Das ist das Mindeste, was ich nach allem tun kann.«
Die Schuldgefühle kann ich in ihrem Gesicht ablesen. Auch wenn ich ihr gestern vergeben habe, bedrückt sie das Ganze mehr als ich dachte. Langsam stehe ich auf und schlinge meine Arme um sie, sobald ich hinter ihr stehe.
»Hör auf dir die Schuld dafür zu geben, Kat. Du hattest gute Absichten und du konntest nicht wissen, dass dieser Idiot ein durchgeknalltes Arschloch ist.«
Meine Wortwahl lässt sie leicht schmunzeln. Sanft legt sie ihre Hand auf die meine und drückt sie leicht. »Es ist nur so, dass nach allem du das nicht verdient hast. Ich sehe doch, wie beschissen es dir geht, Liv. Und anstatt dir zu helfen, mache ich es nur noch schlimmer.«
Kurz versteift sich mein Körper, ehe ich versuche meine Muskeln wieder zu lockern. Wir sprechen selten über diesen Tag. Nicht, weil sie nicht für mich da sein möchte. Es liegt eher an mir, da ich alles ignoriere und es einfach nur vergessen möchte.
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich rufe heute Detective Paulsen ab und dann hoffe ich, dass sich alles klären wird. Und niemand gibt dir die Schuld dafür. Sean ist dafür verantwortlich, nicht du.«
Auf den anderen Teil gehe ich nicht ein.
Meine Mundwinkel zucken leicht nach oben, ehe ich einen Schritt nach hinten gehe und eine Augenbraue hochziehe.
»Lass uns frühstücken, bevor das Omelett anbrennt. Ich habe einen Bärenhunger und brauche Energie, bevor ich den Anruf tätige.«
Leise flucht sie vor sich hin und nimmt die Pfanne vom Herd, ehe sie leise auflacht.
»Du meinst den sexy Detective? Mir sind fast die Augen herausgefallen, als er plötzlich vor uns stand.«
Und auch auf diese Worte gehe ich nicht ein. Ich will sie nicht wissen lassen, dass Levi Paulsen etwas in mir ausgelöst hat, das mir Angst macht.
Verdammt große Angst.
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