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Jimin PoV
Mein Herz pochte so stark gegen meine Rippen, wie die Türe, die krachend hinter mir ins Schloss fiel. Es war still in diesem Haus und doch wusste ich, dass meine Eltern da waren. Einen kurzen Moment überlegte ich meine Schuhe auszuziehen, doch ich ließ sie lieber an, falls ich flüchten musste.
In mir herrschte eine so krasse Anspannung, so etwas hatte ich sehr selten verspürt. Jede kleine Bewegung, die ich machte, jagte mir einen Schauer über meinen Rücken, weil sie vielleicht dann auf mich aufmerksam wurden, obwohl sie das dank der Haustüre wahrscheinlich eh schon waren und ich das eigentlich wolte.
Es war wahnsinnig schwer, meine Tränen zurückzuhalten, als ich ganz langsam in unseren großen Wohnbereich trat und mein Blick gleich in die Küche glitt und plötzlich alle Erinnerungen wieder zurückkamen, wie das alles überhaupt angefangen hatte. Genau da hatten Yoongi und ich uns geküsst, ich war so glücklich gewesen und dann waren meine Eltern dazwischen geplatzt.
"Jimin."
Wie schon vor ein paar Wochen riss mich mein eigener Name aus den Gedanken und mein Blick schoss nach rechts, wo unsere Couch und Fernseher standen.
Meine Eltern, die ich seit vielen Wochen nicht mehr gesehen hatte und die ich eigentlich so so sehr vermisst hatte, standen dort und augenblicklich wurden meine Augen wässrig, als meine Mutter ihre Arme ausbreitete.
Meine Schultasche ließ ich auf den Boden fallen und langsam kam ich meinen Eltern entgegen. Alles wirkte pötzlich so vertraut und gewohnt und dennoch wollte ich nicht wieder so krass verletzt werden und streckte ebenfalls ganz vorsichtig meine Arme aus.
Meine Mutter zog mich in eine sanfte Umarmung und ab diesem Zeitpunkt merkte ich erst, dass sie ebenfalls weinte. Mein Herz schöpfte Hoffnung und ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Selbst wenn sie mich immer noch hassen sollten, hatte ich diese Art von Geborgenheit sehr vermisst und es tat so gut von seinen Eltern wieder umarmt zu werden.
Als schließlich sich auch noch mein Vater der Umarmung anschloss, weinten wir alle drei und auch wenn sie noch nichts gesagt hatten, außer meinen Namen, wurde ich zumindest nicht angeschrien oder schlimmeres.
Es dauerte lange, bis wir diese lange, tränengefüllte, aber stumme Umarmung lösten. Wie Yoongi vor ein paar Minuten wischte meine Mutter sanft mit ihrem Daumen die Tränen von meiner Wange und lächelte mir ebenfalls mit den Wangen voller Tränen zu.
"Wir können es gar nicht in Worte fassen, wie sehr es uns leid tut, dich so behandelt zu haben", kam es schließlich über die Lippen meines Vaters und meine Gefühle schwirrten noch viel schlimmer in meinem Körper herum, als davor schon.
Hieß das, dass sie mich nicht mehr hassten oder ekelhaft fanden ?
Nachdem diese Worte die Lippen meines Vaters verlassen hatten, fing meine Mutter wieder an zu weinen und zog mich erneut in ihre Arme und dann langsam auf die Couch, wo wir alle Platz nahmen.
Es war mir gerade nicht möglich zu sprechen, doch ich das musste ich auch noch nicht.
"Ich kann nicht glauben, dass wir dich, unseren Sohn, so schlimm behandelt haben", schluchzte meine Mutter in meinen Armen und ich streichelte ihr leicht über ihren Rücken. Ich sollte es vielleicht nicht so schnell tun, doch ich hatte meinen Eltern schon verziehen. Auch wenn ich nicht den Grund ihres Verhaltens kannte und die ganze Situation mich sehr schwer verletzt hatte, waren es dennoch immer meine Eltern und sie waren nie schlechte Eltern gewesen. Ich hatte sie so sehr vermisst.
"Darf ich dir erklären, warum wir so reagiert haben ?", fragte mich meine Mutter, nachdem sie sich beruhigt hatte, und ich nickte ihr zu.
Ich hatte immer angenommen, dass sie es einfach nur ekelhaft fanden, doch anscheinend steckte sogar eine Geschichte dahinter.
Meine Mutter wischte sich die Tränen aus den Augen und von der Wange und bevor sie zu erzählen begann, suchte sie nach der Hand meines Vaters und drückte diese fest. Mit einem tiefen Atemzug fing sie nun an zu erzählen.
"Sowohl dein Vater, als auch ich...ich vielleicht ein bisschen mehr haben harte Sachen in der Vergangenheit durchgemacht, von denen wir dir nie etwas erzählt haben, aber dieses Mal müssen wir es."
Meine Mutter nahm eine kurze Atempause und ich wurde mit jeder Sekunde nervöser, denn sie sah aus, als wäre sie kurz davor in Tränen auszbrechen.
"Ich möchte jetzt nicht ewig darum herumrreden, deshalb sage ich es jetzt einfach. Ich selbst war früher in einer Beziehung mit dem gleichen Geschlecht und es ist nicht unbedingt so gut ausgegangen."
In diesem Moment klappte mir die Kinnlade nach unten und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ich hatte mit vielen gerechnet, doch nicht damit. Meine Mutter hatte nie irgendwelche Anzeichen dafür gegeben, dass sie in irgendeiner Weise auf das gleiche Geschlecht stand.
"Ich weiß, dass die Geschichte, die ich dir gleich erzählen werden auf keinen Fall eine Entschuldigung für unser und vor allem mein Verhalten ist, aber vielleicht hiflt sie dir dabei ein bisschen zu verstehen, warum dass alles so gekommen ist."
Es fiel ihr sichtlich schwer sich mir zu öffnen und mir diesen sehr persönlichen Teil ihres Lebens zu erzählen, doch nach ein paar Sekunden Schweigen, holte sie tief Luft und begann dann zu erzählen : "Ich war damals in deinem Alter, war verwirrt über meine eigenen Gefühle und wurde in der Schule dafür geärgert. Das war alles andere als leicht und irgendwann war da dieses Mädchen."
Augenblicklich schien sich ein trauriger Ausdruck über ihre Augen zu legen und ich sah an, wie schwer es meiner Mutter fiel so darüber zu reden und mir zu erklären, wie das alles ihre Gedankenweise beeinflusst hatte.
"Sie hat mir zuerst sehr viel geholfen mit dem ganzen Thema. Ich hatte zum ersten Mal eine wirkliche Freundin gefunden, die genauso wenig mit ihren Gefühlen für das selbe Geschlecht klargekommen ist, wie ich. Wir haben uns beide immer näher an das ganze herangetraut und sind sogar irgendwann ein Paar geworden. Mir war ich immer schon klar, dass ich nicht nur auf Mädchen stand, aber in dieser Zeit hatte sich herausgestellt, dass ich ganz sicher zumindest ein bisschen auch auf Mädchen stehe. Wir haben uns so unheimlich gut verstanden, und ich habe alles mit ihr erlebt, was in dieser Zeit so bedeutend ist. Der erste Kuss, die erste Liebe, das erste Date. Ich hatte zum ersten Mal wirklich die Liebe durch die erfahren. Doch auch das Mobbing wurde in dieser Zeit immer schlimmer, gerade für mich. Sie war immer schon beliebter und ganz am Anfang dieser Beziehung ging das Mobbing sogar zurück, weil sie mich oft in Schutz nahm, doch irgendwann ließen sich die anderen dadurch nicht mehr aufhalten. Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, war ich dumm und naiv, dass ich nicht früher gesehen habe, dass sie sich mir gegenüber verändert hatte, doch ich war verliebt, sehr sehr stark sogar."
Ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen und ich war ganz starr geworden und hatte keine Ahnung, wie ich auf die vielen neuen Informationen reagieren sollte. Nach einem tiefen Atemzug und einem weiteren sanften Händedruck von meinem Vater, erzählte sie weiter.
"Mit der Zeit fing sie an immer distanzierter zu werden und auch nicht mehr mich zu verteidigen, wenn ich mal wieder heftigst beschimpft wurde. Aber ich dachte immer noch, dass sie ebenso fühlte für mich, wie ich für sie. Das war eine schlimme Zeit für mich, weil ich meine Beziehung, aber auch gleichzeitig meine einzige Freundin und Verbündete langsam aber sicher verlor. Es wurde immer schlimmer, so sehr, dass sie mich plötzlich aus dem Nichts ignoriert hatte. Ich hatte keine Ahnung, was ich falsch gemacht hatte und irgendwann habe ich den Mut gefasst und sie zur Rede gestellt."
Wieder kam eine kleine Pause, doch ich sagte nichts, sondern ließ sie ihre Gedanken ordnen, bis sie weitersprach.
"Wie vorhin schon gesagt, war sie schon immer beliebter als ich, aber irgendwann hat das ganze auch bei ihr angefangen. Bei unserem großen Gespräch hat sie mir nicht sehr sanft erzählt, dass sie zuerst versucht hat bei mir zu bleiben, doch ihre Liebe zu ihrer eigenen Beliebtheit war stärker als ihre Liebe zu mir."
Der Raum war vollkommen still und man hörte nichts außer das Ticken unserer Uhr über dem Sofa.
"Danach machte sie sozusagen Schluss mit mir und ignorierte mich vollkommen. Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen und ich habe angefangen sie zu hassen. Sie und den ganzen Teil von mir selbst, der mich daran erinnerte. Ich bin nie ganz darüber hinweggekommen, dass mir so sehr das Herz gebrochen wurde und irgendwann hat sich dieser Hass auf alle übertragen, die etwas für das selbe Geschlecht fühlen und ich weiß, dass das total blöd ist und dass man meine Gefühle und Erfahrungen nicht auf alle Menschen übertragen kann, doch diese Zeit hat Wunden hinterlassen, die wieder aufgerissen sind, als wir dich in der Küche mit einem anderen Jungen gesehen haben."
Nun wurden meine Augen doch wässrig und ich fing an mich schuldig zu fühlen, dass meine Mutter durch meine Taten wieder an diese schlimme Zeit in ihrem Leben erinnert wurde.
"Ich möchte aber, dass du weißt, dass diese Wunden nicht aufgerissen wurden, weil du so bist, Jimin. Ich hatte einfach so sehr Angst, dass dir dasselbe passiert wie mir und in diesem Moment war einfach alles zu viel. Ich und dein Vater fühlen uns sehr sehr schlecht, was alles passiert ist und das wir dich nicht früher kontaktiert haben, aber... ich, vor allem ich habe Zeit gebraucht um meine Gedanken zu ordnen und mich nach einer Lösung umzusehen, die mir helfen wird mit all dem umzugehen. Eigentlich wollte ich dich sofort von diesem Jungen wegzerren, doch dein Vater meinte, dass er anständig wirkt und wir das alles zuerst einmal ruhen lassen sollten."
Es tobten so viele Gefühle in meinem Magen, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich reagieren sollte. Sollte ich wütend sein ? Traurig ? Erleichtert ? Ich hatte keine Ahnung.
Ich wusste nicht wieso, doch irgendwie wurde ich mit jeder Sekunde, die verstrich, immer nervöser, denn es fiel meiner Mutter sichtlich schwer, die nächsten Worte über ihre Lippen zu bringen.
"Ich...ich geh jetzt regelmäßig in eine Selbsthilfegruppe mit Menschen, die etwas ähnliches durchgemacht haben und es tut mir wirklich gut. Es tut mir so leid Jimin, für alles, was wir dir angetan haben."
Ich zögerte keine Sekunde, sondern stürzte auf meine Eltern zu und zog sie in eine riesige Umarmung. Meine Eltern hatten noch nie wirklich viel von Therapie oder Hilfe von außen gehalten, deshalb fand ich diesen Schritt von meiner Mutter so unheimlich mutig und stark.
"Ich bin so stolz auf dich", murmelte ich und es dauerte nicht lange, da lagen wir uns alle weinend in den Armen. Ewig lange blieben wir in dieser Haltung und als wir uns irgendwann langsam wieder lösten, war ich vollkommen aufgelöst. Zu viele Emotionen tobten in meinem Körper und ich wusste gar nicht wohin damit.
"Es ist alles gut", brachte ich nur über meine Lippen und mein Vater drückte meine Hand, ganz fest und sicher.
"Wir haben dich lieb, Jimin."
"Ich hab euch auch lieb", schluchzte ich und meine Mutter wischte mir meine Tränen aus dem Gesicht.
Eine unglaubliche Erleichterung füllte meinen Körper, die mich plötzlich ganz leicht fühlen ließ, doch gleichzeitig eine Aufgeregtheit, die meinen Magen mit Schmetterlingen füllte. Das Ganze hieß doch eigentlich, dass ich mit Yoongi zusammen sein durfte und meine Eltern mich wieder bei sich aufnahmen, oder ?
"Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es uns leidtut. Ich habe so viel gelernt, allein schon in der kurzen Zeit und wir würden uns so sehr freuen, wenn du wieder zurück zu uns ziehst und wenn wir deinen Freund kennenlernen dürfen."
Auch wenn die ganzen Sachen davor diese Aussage schon angedeutet hatte, klappte mir ein bisschen die Kinnlade auf und so viele Glücksgefühle durchströmten meinen Körper.
Ich hätte damit niemals gerechnet, als ich heute morgen in die Schule gegangen war, dass dieser Tag so verlaufen würde. Eher hatte ich damit gerechnet von meinen Eltern verstoßen zu werden, doch nicht damit, dass sie nun sogar Yoongi kennenlernen wollten, der, wie mir gerade einfiel, wahrscheinlich immer noch draußen in der Kälte saß.
"Yoongi sitzt draußen, wenn ihr ihn kennenlernen wollt, soll ich ihn reinholen ?", meinte ich und merkte schon, wie ich wieder aufgeregt wurde.
Meine Eltern warfen sich einen kurzen, lächelnden Blick zu, dann nickten sie und meine Mutter wischte sich schnell die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie mir strahlend zulächelte.
"Wir würden uns unfassbar freuen, Jimin."
Mein Herz rastete aus, als ich meine Eltern erneut in eine feste Umarmung schloss und dann mit einem Lächeln zur Tür sprintete und sie aufriss. Yoongi, der tatsächlich immer noch dort saß, fuhr herum und sah mich mehr als nur fragend an.
Und ganz langsam breitete sich ein unheimlich breites Lächeln auf meinem Gesicht aus.
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Das war das 75. Kapitel !
Vielen vielen Dank fürs Lesen und für die Votes und tollen Kommentare ! <3
Mir tut es mega leid, dass es so lange gedauert hat, bis dieses Kapitel raus kam, aber ich hoffe es hat euch gefallen <3
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