XX; [komoru ~ Ryoyus Sommer]
Ein Ball knallte leicht an seine Schulter.
Ryoyu hob den Kopf und sah um sich, als würde er den Übeltäter dafür finden wollen, doch streckte er lediglich seinen Nacken, da er nun schon seit einer guten halben Stunde in dieser gebückten Haltung verweilte.
An die Wand gelehnt.
Die Füße verschränkt.
Eine Zettelwirtschaft vor sich.
Bunte Stifte, in Neonmarker- und Finelinerform, hatten sich um ihn verteilt, als würden sie ihn umzingeln. Ein Bleistift hatte auf seinem Ohr Platz gefunden und einen pastelgrünen Kugelschreiber balancierte er auf seinem Daumennagel.
Alles Schreibequipment, das er sich gestern gekauft hatte.
Seine Nase verfolgte einen Plan, den sein Kopf seit gut einer Woche ausgeheckt hatte.
Schwachstellen gab es laut ihm keine.
Er war sich sicher, dass er aufgehen wird.
Schnell kitzelte er noch ein paar Schriftzeichen und strich die, die durch den Aufprall des Balles verwackelt waren durch.
Immer wieder lugte er auf sein Smartphone, welches ihm die nötigen Informationen beschaffte.
Zumindest, bis er wieder zuhause war. Dort lag noch einiges an Material, welches ihm behilflich sein sollte.
Die eine Person, die er hier im nirgendwo fragen zu diesem Thema konnte, mit der wollte er nicht reden.
Und Kento war eine Niete in dem Thema, auch wenn er schon verheiratet und dies Teil zu seinem Glück gewesen war.
Beziehungsweise sprach Ryoyu kaum ein Wort mehr mit Junshiro. Nur das Notwendigste.
Er hat Taku und seinen großen Bruder zufällig im Zimmer diskutieren hören. Takeuchi scheint Ryoyu zu verteidigen und hat Junshiro belehrt, er könne den jüngeren nicht dafür büßen lassen, dass er schlecht drauf war.
Auch wenn Ryoyu Taku dankbar dafür war, wusste er, dass sich dies nicht viel bringen wird.
Bei Yuka, so konnte er sich zurückerinnern, war Junshiro nicht darauf gebrannt, ihnen Freund bis ins kleinste Detail zu inspizieren. Eher war es Tatsuro gewesen, dem es wohl eher nach einem Kollegen zum Videospiele spielen verlangt hat.
Als erneut der Ball an seinen Oberarm knallte, diesmal mit etwas mehr Stärke, schnaubte er und versuchte Ruhe zu bewahren.
Er hob den Kopf und legte den Stift zur Seite. Der Bleistift war durch die Wucht klimpernd zu Boden gefallen und leichtes Lachen zweier Personen hat sich im Raum verteilt.
Ryoyu schmunzelte gezwungen und rieb sich kurz ein Auge unter der Brille.
"Jetzt leg' mal deine Strebersachen weg und spiel' mit uns", gab Keiichi von sich und drehte den Volleyball lässig auf seinem Finger.
Naoki und Daiki waren gerade dabei das Netz fürs bevorstehende Spiel aufzubauen und schrien sich dabei manchmal an. Alles doch nur aus Spaß, wie Ryoyu wusste, da Nakamura bereits in Lachen ausbrach, als Ito ihm rief, nicht so zu ziehen. Er würde doch nicht eine Kuh vor dem Weglaufen halten müssen.
Kobayashi legte seinen Stapel Zettel zur Seite und streifte auch seine Stifte auf einen Haufen.
Sein Smartphone wurde, mit den Kopfhörern darumgewickelt, als Krönung auf den Stapel gelegt.
"Was machst du da eigentlich", fragte Keiichi erneut und kam etwas näher an Ryoyu heran, der Ball unter den Arm geklemmt.
Er drehte den Kopf leicht um lesen zu können, was Ryoyu in kleinsten Schriftzeichen gekritzelt hatte.
"Du lernst Deutsch?!", rief Sato hervor, sodass es durch den Raum hallte, jedoch vom liebkosenden Geschrei Daokis verschluckt wurde. "Ich hab' das in der Schule schon gehasst."
Ryoyu dehnte sich leicht, um seinen Körper wieder warm zu bekommen.
"Mhm", gab er knapp von sich und streckte beide Hände in die Luft. Er wirkte desinteressiert, wollte aber einfach nur nicht darüber reden. Er hatte nichts gegen Keiichi, er durfte gerne fragen.
Ihm war einfach gerade nicht danach, zu reden. Er wollte spielen, wenn man ihn schon aus seiner Konzentration gerissen hat.
"Und jetzt lässt du die Kuh laufen oder was?!", schallte das Lachen von Daiki durch die Halle.
"Das bringt sich auch nichts mehr, wenn du sie im Regen stehen gelassen hast."
Ryoyu verharrte.
Auf Zehenspitzen stehend und die Oberarme dehnend.
Sein Kopf drehte sich langsam zu der Person, die vorerst noch neben Keiichi gestanden war und diese Worte von sich gegeben hat.
Ryoyu wusste nicht, ob er nun jetzt einfach seinen Mund halten sollte und so tun, als hätte er es nicht gehört.
Doch als wäre eine Wand niedergebrochen, gingen seine Emotionen mit ihm durch und er steuerte auf Masamitsu zu.
In dessen Gesicht war zu erkennen, dass er nicht wusste wie ihm geschah.
Ryoyu packte ihn am Kragen des schwarzen T-Shirts. Die Augen bohrten sich in die der etwas kleineren Person.
Nur Keiichi bekam die Situation mit, während Daiki und Naoki über Kühe und idiotische Vergleiche diskutierten.
Doch alles verschwamm rund um Ryoyu.
Als wäre er in einer Wolke gefangen, hörte er sein Herz pochen und seinen Atem. Seine Worte hallten in seinem Kopf an der Decke ab und warteten nur darauf, ausgesprochen zu werden.
Und auch wenn Masamitsu in leichter Panik ausbrach, Keiichi angewurzelt vor Überraschung war, war Ryoyu immer noch von seiner innerlichen Wut getrieben, die gegen den falschen gerichtet war.
"Du hast keine Ahnung wie kompli..."
Aus seiner Angst heraus konnte sich Masamitsu fangen; eine kleine Lücke finden in der er sich wehrte.
Man hörte den Ball aus Keiichis Hand aufkommen und das Netz zu Boden rascheln, als Naoki das Spektakel im Augenwinkel mitverfolgt und losgelassen hat.
Die Faust von Masamitsu, Karatejuniormeister, war auf die Nase von Ryoyu gewandert; dieser von der Wucht erfasst und seine Brille auf den Boden geschleudert.
Er taumelte ein paar Schritte zurück und sank auf den Boden.
Vor seinen Augen tropfte das Blut auf den Holzboden der Turnhalle und er hielt seine Hände unter seine Nase, als würde er das rote Wasser damit auffangen wollen.
Er bekam kaum Luft mehr.
Die Tränen übermannten ihn.
Naoki sprang von der Sprossenleiter und rannte auf Ryoyu zu.
Sein Kopf schnellte im Sekundentakt zwischen Keiichi und Masamitsu hin und her, als würden sie ihm eine Erklärung schuldig sein.
Nakamura legte eine Hand an den Rücken von Kobayashi, der nach Luft hechelte.
Sein Brustkorb hob sich erschreckend schnell.
"Jetzt holt mal jemanden!", schrie Naoki die beiden Jungspunde im Team an, die vor Schreck zusammenzucken und danach zum Ausgang rannten.
Naoki sah den beiden noch kurz nach, bückte sich danach, um Ryoyu in seiner gekrümmten Haltung vielleicht in die Augen sehen zu können.
"I-I-Ich...", versuchte Kobayashi hervorzubekommen, doch Naoki sah bereits, dass er keine Luft bekam.
"Tief durchatmen", zeigte er das Gesprochene vor und Ryoyu gab Laute von sich, als hätte er Angst davor, zu atmen. Wie ein kleines Kind, das Angst vor einen Spritze hat.
Daiki kam angelaufen, war er doch auf der anderen Seite der Turnhalle gewesen und in seinen Augen war zu sehen, wie er mehrere Möglichkeiten in seinem Kopf durchging, Ryoyu zu helfen.
"Meine Hände...", hauchte Kobayashi hervor und starrte immer noch auf seine Hände, die bereits blutbeschmiert waren. "...sie kribbeln."
"Ab auf den Rücken mit ihm", befahl Ito und riss die Beine von Ryoyu aus seiner angewinkelten Form. Doch als er nur leicht in die Rückenlage kam, begann Ryoyu mit den Händen zu rudern und stützte sich protestierend auf.
"N-N-Nein, ich...", brach er in einem Hustenreiz aus. Auch wenn Ryoyu immer noch in seiner Wolke schwebte, bekam er von Minute zu Minute mehr mit, als würde sie um ihn herum verpuffen.
"Du musst aber deine Zehen bewegen", motivierte ihn Daiki und drückte unterstützend seine Waden, damit das Blut wieder zurück in seinen Kopf wandern konnte, der mit den kribbelnden Fingern zeigte, dass er zu wenig hatte.
Ryoyu wirkte nachdenklich, als hätte er Daiki überhört; hat er auch. Sein Kopf begann immer mehr den Sinn hinter Masamitsus Worten zu verstehen, wenn er wollte oder nicht.
Seine Wolke war zur Gänze verpufft und er knallte auf den Boden der Tatsachen. Er konnte sich nicht erklären, ob er bereits seit einer Woche auf dieser Wolke schwebte.
Vielleicht war sein Plan doch zum Scheitern verurteilt.
Vielleicht war es schon zu spät, weil er Mona im Regen stehen gelassen hat.
Ryoyu begann zu schluchzen und hob den Kopf zu Naoki. Dieser wandte seinen Blick von den roten Handabdrücken auf dem Holz ab.
"Hat Masamitsu Recht?", hauchte er leise hervor und spürte die Schweißperlen auf seiner Stirn.
Naoki musste sich erneut von seinem starren Blick reißen, der die rote Nase und das Kinn, sowie die verschmierten Lippen beinhaltete.
"Was hat er denn gesagt?"
Es klang so, als würde Naoki auf ein kleines Kind einreden, doch wie Ryoyu hier saß, zerstreut und niedergeschlagen, wortwörtlich, war es berechtigt.
"Dass es sich nichts mehr bringt, an Mona zu glauben?"
Ryoyu brach in stärkerem Schluchzen los und senkte den Kopf. Er wollte nicht, dass andere sein Versagen sehen. Andererseits gingen seine Nerven mit ihm durch.
Naoki sah zu Daiki, der selbst nichts von diesem Thema mitbekommen hat. Sie beide konnten nicht beurteilen, was sie nicht miterlebt haben.
Gerade als Nakamura ansetzen wollte, Masamitsu als labernden Idioten ohne Hirn darzustellen, ergriff Ryoyu das Wort. Seine letzten Worte.
"Kann ich dann nicht an dem Blut ersticken, dass aus meiner Nase fließt?", hauchte er leise, "Ich wäre so dankbar dafür."
Auch wenn er vorhin Angst gehabt hatte, dass dies passiert, scheint es nun seine liebste Geste zu sein, ihn zu befreien aus einer scheinbar aussichtslosen Situation, die für ihn einfach gewesen war; in seiner Wolke.
Es war das erste und letzte Mal, dass jemand Ryoyu so ausrasten gesehen hat.
Es war das letzte Mal, dass Ryoyu gesprochen hat. Zu jedem im Team, ob schuldig oder nicht.
Und Junshiro, dem sah er nicht mehr in Augen.
So beschloss er es mit sich selbst, als Yukiya und Hideharu in die Turnhalle gelaufen kamen.
Ryoyu rappelte sich auf, als würde er bereit für die nächste Runde des Kampfes sein.
Er wirkte wie ausgewechselt.
Seine Atmung hatte sich beruhigt, seine Augen schimmerten finster und willenstark.
Ryoyu schlürfte an dem Trainer und seinem Mannschaftskollegen vorbei, als wäre nichts gewesen, in Richtung Waschraum. Er hinterließ eine Spur aus kleinen roten Tröpfchen.
Die vier Personen im Raum bestanden nur mehr aus bleichen Gesichter.
Ryoyu stützte seine Hände am Waschbeckenrand ab. Es sah in der Turnhalle und in seinem Gesicht aus, als hätte ein Massaker stattgefunden.
Er drehte den Wasserhahn auf und verschleierte dadurch die Gespräche aus der Halle, die er leicht durch die Tür mitbekommen hat. Sein Gesicht kam näher dem Spiegel heran und betrachtete seine Nase, aus der immer noch etwas Blut floss. Sie scheint jedoch nicht verbogen zu sein.
Er wusch seine beiden Hände im kalten Wasser und formte danach eine kleine Schale, um sich das Wasser über das Gesicht laufen zu lassen. Seine Shirt wurde dadurch durchnässt, doch wird er danach sowieso auf sein Zimmer gehen und kaum Volleyball mitspielen.
Nach einem tiefen Atemzug zog er sich ein Papierhandtuch aus dem Spender und wischte sich das restliche Blut weg. Auch das Waschbecken wurde wieder in den ursprünglichen Zustand gebracht. Ein paar der Handtücher nahm er noch mit, um die Turnhalle auch noch zu säubern.
Doch Naoki kam ihm zuvor, als hinter Ryoyu die Tür aufgerissen wurde und wenige Sekunden darauf die Handtücher aus seinen Händen entwendet waren.
"Ich mach' das schon", hauchte er und hastete davon.
Als die Tür wieder ins Schloss fiel, lehnte Ryoyu sich mit verschränkten Armen gegen das Waschbecken.
Hat Masamitsu Recht?
Es war nun zwei Wochen her. Seitdem hat Mona nichts mehr von ihr hören lassen.
Sein Magen zog sich krampfhaft zusammen und er klammerte seine Hände an seine Oberarme.
Er wird noch weniger Aufschluss finden, als für Mona selbst, als die Wochen zuvor.
Es war eine schier aussichtslose Situation.
Ryoyu ließ seine Arme wieder sinken, als Naoki zurück kam. Er sah Nakamura nur an und wartete darauf, bis er etwas sagen würde.
"Der Trainer hat gesagt, du sollst auf dein Zimmer gehen, wenn du willst."
Ryoyu nickte, verbeugte sich dankend und steuerte die Tür an, ohne auch nur jemanden anzusehen.
Als er die Halle verließ, sprang ihm sofort Masamitsu ins Sichtfeld. Sein rechtes Augenlid zuckte nervös und seine rechte Hand hatte sich fast um seinen T-Shirt Saum gewickelt.
"Es tut mir leid, Ryoyu. Ich wollte das nicht. Ich..."
Kobayashi legte eine Hand auf die Schulter von Ito und brachte ihn damit zum Verstummen. Er schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem kurzen Lächeln. Doch ohne ein weiteres Wort, ließ er Masamitsu hinter sich.
Zwar fühlte sich Ryoyu wie vor eine Wand gefahren, doch musste er auch diesen steinigen Weg betrachten.
Das Leben war keine Roseblüte, es hatte auch Dornen wie der dazugehörende Stil, sonst könnten die Blüten nicht so schön erstrahlen.
Es gab immer eine Schattenseite und die hat Ryoyu, in seiner Wolke, nicht bemerkt.
Er konnte so viel Deutsch lernen, wie er wollte, wenn Ryoyu Mona egal war, half dies nichts.
Doch so, wie er sie in seinem Kopf hatte, glaubte er nicht daran, dass sie ihn als gleichgültig ansah.
Langsam bekam er Kopfschmerzen.
Er drückte die Tür zum Flur des Hauses auf, in dem sie ihre Unterkunft bezogen und wanderte gleich zur Treppe. Seine Nase pochte und in seinem Hinterkopf machte sich der Gedanke breit, vielleicht doch einen Arzt aufzusuchen.
Doch dieser Gedanke wurde verworfen, als er durch die erste Tür rechts im ersten Stockwerk sein Zimmer betrat.
Kento war nachhause geflogen und für die Saison nicht mehr mit von der Partie war. So musste Ryoyu das Zimmer jetzt mit Naoki teilen, dieser war statt Sakuyama als Ersatz eingesprungen.
Und als er nun auf den Schreibtisch sah, dieser zugepflastert mit zwei Kameras, Objektiven und Essen, griff er nach einem Gegenstand, den er an die Wand vor ihm donnerte.
Lautlos, ohne Worte.
Während er innerlich bebte, als wurde ein Vulkanausbruch stattfinden.
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