XLII;
Mona öffnete ihre Augen.
Zwei Gegenstände rieben aneinander, als würde jemand etwas an Schleifpapier reiben. Und wie sehr sie auch wollte, konnte sie ihren Kopf nicht drehen.
Langsam tastete sich ihre Hand bis zum Hals entlang, an dem sie eine kalte Halskrause spürte, die ihren Kopf dazu zwang, in eine Richtung zu starren. An die hellgraue Decke.
Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre sie gegen eine Betonwand mit der Stirn voraus gekracht und ihre Gedanken um das vorher waren etwas verschwommen.
Nachdem ihre Mutter aufgelegt hat, war sie bewusstlos geworden.
Eine Tür öffnete und schloss sich hörbar. Mona versuchte ihre Augen zu drehen, doch fielen ihre Lider wieder zu. Die Narkose beherrschte noch ihren Körper.
Wieder dieses Schleifpapier. Kinderlachen.
Kinderschreien? Ich verstehe nicht ganz, warum ist es so weit entfernt?
'Daijoubu da yo. Daijoubu da yo. Beruhige dich.'
Mona hörte diese Stimme in ihren Ohren und ein Gefühl von Gelassenheit erfüllt ihr Herz. Sie horchte genauer hin, um noch jeden kleinen Laut dieser Stimme zu hören, auch wenn sich etwas dagegen sträubte.
Sie ließ es einfach zu, als sie in Träume katapultiert wurde, so gefühlt echt und lebendig.
Dieses kleine Etwas hatte die Hände an ein T-Shirt geklammert. Dicke Tränen tropften über die Wangen; der Kopf bereits hochrot. Der hellblaue Strampler war auf der Brust mit Schokolade und Karotten befleckt.
'Ist ja halb so schlimm', wippte derjenige auf und ab, um das Baby damit vielleicht zur Ruhe zu bringen. Er wirkte keinesfalls überfordert mit der Situation und scheint gelassen damit fertigzuwerden, während er nebenbei versuchte, selbst zu essen. 'Ich wollte dich nicht erschrecken, hm?'
Ein kleiner Kuss wanderte auf die Wange des Babys, welches fürs Schluchzen kurz Inne hielt. Er begann ein leichtes Lächeln aufzusetzen und stopfte sich weiter Müsli in den Mund. Das Baby wurde langsam leise.
Leicht entsetzt starrte es ihn an und drückte mit dem Finger in seine volle Wange. Es scheint nach dem Schock noch etwas zu essen zu wollen. Schnell hatte es eine kleine Biskotte zwischen den Händen und knabberte fröhlich darauf herum.
Und mit diesem Lächeln verschwamm alles um Mona herum.
Schweißgebadet wurde sie wach. Noch etwas in Trance, drückte sie sich auf und versuchte ihre Umgebung zu mustern. Sie war immer noch da, im Krankenhauszimmer mit der hellgrauen Decke.
Ihre Unterarme zitterten bebend. Heiße Tränen strömten über ihre Wangen. Nun erkannte sie ein Kleinkind, das auf dem Boden mit einem Rutschauto seine Kreise zog. Das Reiben der Plastikräder auf dem Boden, unter denen immer wieder kleine Kieselsteine kamen, hörte sich an wie Schleifpapier.
Es war nicht Ryoyu.
Es war alles nur Einbildung.
Ein wirrer Traum. Nur das ist es.
Nach einem leichten Seufzer ließ sie sich wieder zurücksinken. Ihre Unterarme schmerzten und das Krankenzimmer begann sich leicht zu drehen. Sie konnte sich selbst nicht anlügen, dass sie sich leicht aufregte. Ihr Herz klopfte bis zum Anschlag und sie fühlte eine Wärme, die sich in ihr ausbreitete.
Nach mehreren Minuten kam ein Arzt ins Zimmer und fragte sie nach ihrem Zustand. Er erzählte ihr von der OP. Vom einem unglücklich verdrehten Wirbel, den sie richten mussten.
Sie nahm diese Nachricht so gefasst, als würde es sie selbst nicht betreffen. Sogar in der Miene des Arztes konnte sie erkennen, dass er leicht erschrocken war.
Alles, wonach es ihr verlangte, war Ryoyu eine Ohrfeige zu geben. Sie wollte wissen, weswegen er sie so behandelt hat und weswegen er, mehr als ein halbes Jahr später, erneut kam, um sie zu sehen.
Warum kam er jetzt erst? Jetzt, wo ich doch alles wieder im Griff hatte. Warum?
Eine Entschuldigung. Die fehlte immer noch. Doch seine Absicht, so schätzte sie, konnte es nicht gewesen sein. Normalerweise begannen solche Gespräche mit es tut mir leid.
Wie kann er auch, du Idiot.
Mona wurde jetzt erst bewusst, dass Ryoyu gar keine Chance gehabt hatte, sich jemals zu entschuldigen, ohne unzählige Kilometer hinter sich zu bringen. Nachdem sie aus Frust ihr Smartphone im Inn versenkt hat, war sie unter der gleichen Nummer nicht mehr erreichbar; damals aus guten Grund.
Vielleicht hätte ich mich melden sollen?
Doch wie konnte sie, wenn die zerrissene Autogrammkarte auch die Gründe des Inns verschluckt haben.
Vielleicht sollte ich alles so belassen wie es ist.
Der Schulabschluss würde bestimmt leichter fallen, wenn dies alles so blieb, wie es war. Doch das Auftauchen von ihm hat alleine schon alles auf den Kopf gestellt. Doch nochmal zu erfahren, wie es war im Messerregen stehen gelassen zu werden, auf das konnte Mona herzlich verzichten.
Doch alleine der Gedanke, alles so zu belassen, war leichter gedacht als umgesetzt. Während Mona so alleine die Tage im Krankenhaus verbrachte, ab und zu Besuch von Verwandten und Familie bekam, verfiel sie Hals über Kopf ihren Gedanken.
Ihre Entlassung kam näher.
Als sie zuhause war, alleine in ihrem Zimmer, quälten sie die Gedanken, wie im Krankenhaus. Sie wollte etwas tun, doch eine Stimme in ihr, riet ihr davon ab, nicht überstürzt zu handeln.
Außerdem wäre es langsam an der Zeit, mit dem Projekt zu beginnen.
Bei den Ammanns war Mona keine Zeit geblieben, damit anzufangen und jetzt, Mitte September sollte sie langsam beginnen, zu planen.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und zog einen großen Block näher. Sie hatte bereits ein paar Skizzen, doch von drei unterschiedlichen Locations, wo das Spiel sich befinden könnte. Sie hat sich für die Idee von Linus entschieden, sich die Hardware zu besorgen und nur an der Software des eigentlichen Spiels zu tüfteln.
So kam sie auf ein mittelalterliches, postapokalyptisches oder Comic-inspiriertes Abenteuer.
Doch wie sehr sie ihren Kopf anstrengte, sie brachte bei den drei Vorschlägen keine Geschichte dazu, die sie durchprogrammieren konnte. Auch bunte Post-Its, die sie an ihrer Kleiderschranktür befestigte, füllten sich nicht.
Sie wollte etwas kurzes, jedoch sollte dies nicht das Erlebnis des Spielers beeinträchtigen. Sie wird sich dennoch mit Pixelgrafiken atemberaubende Szenen schaffen. Jedoch ohne eine Story dahinter, sah es mit dem pixeln ziemlich schwierig aus.
Mona kratzte sich am Hinterkopf. Ihr Oberstübchen war zu voll von anderen Dingen, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren konnte. Sie hatte es befürchtet.
Sie begann ihren Schülerkalender hervorzuholen, durchblätterte die Seiten und überfolg Termine, die mit dem Projekt zutun haben. Sie wollte sich selbst eine Deadline setzen, damit sie, sollte etwas ordentlich schiefgehen, immer noch genügend Zeit hatte.
"15. November?", grübelte sie, da der Abgabetermin erst im Jänner war, schien dieses Ziel etwas zu hoch gesteckt. Mit einem selbst zustimmenden Nicken, machte sie einen Stern neben das Datum und legte den Kalender zur Seite.
Ich glaube es wäre das beste, wenn du abschließt. Bring alles zurück, dann hast du nichts mehr an dir, dass dich erinnern kann.
Sie klopfte mit dem Stift auf dem Papier herum und ließ sich die Worte von Yana durch den Kopf gehen. Sie sollte nicht nur alles zurückbringen, sie wollte endlich eine Antwort auf all ihre Fragen, die sie immer noch nicht in Ruhe lassen und, wenn er es sich verdient hat, die lang ersehnte Ohrfeige verteilen.
Sie hob den Kopf und betrachtete durch das Fenster den Hibiskus im Garten, wie er schon fast alle Blüten verloren hat, während Gedanken ihren Kopf erfüllten mit Ideen, bei denen sie mit dem Kritzeln nicht mehr nachkam und sich in der Arbeit verlor, dass ihre selbstgesteckte Deadline, näher erreichbar schien, als selbst erwartet.
Mona arbeitete, Tag und Nacht und vergaß nebenbei auf ihr Leben. Und zugleich erschaff sie für sie eine maßgeschneiderte Therapie, wie sie mit Ryoyu umgehen konnte.
Sie streckte so viel Herz und Arbeit in dieses Projekt, dass selbst die Lehrer ihr den weisen Rat gaben, mit dem Gas etwas zurückzufahren, doch sie hörte nicht. Für Mona war es kein normales Abschlussprojekt mehr. Vielmehr war es eine Aufgabe, die ihrem Leben wieder einen Sinn gab.
Und als sie voller Stolz auf den Kalender sah, der letzte Punkt abgehakt auf ihrer Liste, der zu erledigenden Arbeiten, bemerkte sie, dass sie eine Woche im Vorsprung war.
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