Kapitel 2 - Willkommen
Wie auf glühenden Kohlen hüpfte ich aus dem Leinensack und trat gegen ihn, als wäre er für mein Leid verantwortlich. Tatsächlich waren nur Roudin und seine unwürdige Gesellschaft für all dies verantwortlich. Schritte, welche sich in meine Richtung bewegten, rissen mich aus meinen Gedanken. Ich schaute auf und erkannte ein Mädchen, das etwas jünger als ich zu sein schien.
"As-Salamu-Alaikum (Friede sei mit dir), mein Name ist Elayna. Wer bist du?", sprach sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
"Wa'Alaikum As-Salam (Friede sei auch mit dir). Ich heiße Rukaya.", antwortete ich kurzangebunden.
Ihr herzförmiges Gesicht war von dunkelbraunen, kurzen Locken umgeben, die ihr wild ins Gesicht fielen. Die Augen hatten dieselbe Farbe wie die ihres Vaters, jedoch wirkten sie keinesfalls kalt. Sie hatten einen besonderen, warmen Schimmer.
"Das ist ein schöner Name. - Komm, ich zeige dir alles!"
Ohne die geringste Vorwarnung nahm Elayna mein Handgelenk und zog mich vorbei an dem Tisch in einen angrenzenden Raum. Sie rannte schon fast, sodass ihr hellblaues, langes Kleid, welches sie über eine weiße, lockere Hose gezogen hatte, flatterte. Elayna schien mir sehr kontaktfreudig und nett.
"Das ist unser Wohnzimmer.", erklärte Elayna.
An den Wänden des Zimmers lagen Sitzmöglichkeiten, die mit roten Decken überzogen waren. In der Mitte stand auf einem Teppich mit orientalischem Muster ein Glastisch, den goldene Ranken verzierten. Ich hatte kaum Luft geholt, schon huschte sie aus dem Zimmer und zog mich mit; diesmal die Treppe hinauf. Wir hielten in einem langen Flur, der zu vielen Zimmern führte.
"Elayna!", schallte es aus einem der Zimmer.
Genervt verdrehte die Gerufene ihre Augen und wies mich an:
" Warte kurz, ich komme gleich wieder."
Blitzschnell verschwand sie in dem ersten Zimmer rechts. Neugierig lief ich weiter und öffnete ungeniert die erste Tür, die meinen Weg kreuzte. Abrupt prallte ich gegen jemanden und landete mit dem Hintern auf dem Boden. Gereizt schaute ich nach oben; dort stand ein Junge oder besser gesagt junger Mann. Aggressiv funkelten seine topasfarbenen Augen mich an.
"Pass doch auf!"
Wütend lief er an mir vorbei die Treppe hinunter. Ebenfalls sauer richtete ich mich auf und strich mein Kleid zurecht. Er benahm sich so, als wäre ich absichtlich gegen ihn gelaufen.
"Idiot.", fluchte ich leise.
Schon kam Elayna aus dem Zimmer und lief auf mich zu.
"Lass uns wieder nach unten gehen; Vater möchte, dass ich dir dabei helfe, Essen zu zubereiten.", sagte sie und ging hinunter. Stumm folgte ich hier in die Küche und sah zu, wie sie einen großen Sack neben der Tür hervorzog.
"Hier haben wir Reis. - Du weißt doch, wie man kocht, oder?"
"Ja.", antwortete ich.
Eine ältere Frau namens Leyla hatte uns Sklavinnen Kochen beigebracht; Roudin wollte unseren Wert auf dem Sklavenmarkt erhöhen.
Grübelnd trat ich näher und nahm den Topf, den Elayna mir reichte, um ihn mit Reis zu füllen. Bis jetzt schien dieser Ort nicht allzu schlimm zu sein; vielleicht hatte ich Glück. Während ich den Reis zum Kochen brachte, bereitete Elayna eine Soße mit roter Paprika zu. Nach 20 Minuten erschien der Mann, welcher mich gekauft hatte und begutachtete das Essen, das ich mit gesenktem Blick auf den Tisch stellte. Schnell wich ich einige Schritte zurück. Wer wusste schon, was der Mann alles im Sinn hatte...
Wie Dolche musterten mich seine kalten, leblosen Augen und bedeuteten mir, dass mit dem Besitzer dieser Augen nicht zu spaßen war. Er saß still am Tisch und schaute geradeaus. Anfangs verstand ich nicht, dann aber gab Elayna mir einen leichten Schubs; er wollte, dass ich ihm das Essen auf den Teller gebe. In letzter Sekunde verkniff ich mir ein Schnaufen und biss die Zähne zusammen. Mit Hilfe eines großen Löffels erfüllte ich, wenn auch etwas widerwillig, den Wunsch meines Herrn. Als fürchtete er, ich hätte Gift ins Essen getan, führte er fast in Zeitlupe den Reis zu seinem Mund. Erst als mein sogenannter Herr fertig war und die Treppe hinauf verschwand, packte auch Elayna uns großzügig Reis auf zwei Teller und bedeutete mir mit einer Handbewegung, dass ich mich zu ihr setzten sollte. Mein Magenknurren ließ mich nicht lange überlegen, hungrig begann ich mir den Bauch vollzuschlagen. Bei Roudin bekamen wir nur hartes Brot und Wasser, an besonderen Anlässen bekamen wir, wenn wir Glück hatten etwas Reis oder ähnliches. Dagegen war dies wie ein Festschmaus für mich. Nachdem wir unseren Hunger gestillt hatten, räumten wir die Küche auf. Während ich die Teller wusch, fragte ich Elayna, wer der Junge von vorhin war.
"Du meinst Talib? Das ist mein älterer Bruder.", beantwortete sie meine Frage und verzog keine Miene.
Talib. So hieß er also.
"Elayna, gib mir was zu essen!", forderte eine männliche Stimme.
Die Tür knallte zu und schon trat Talib in die Küche. Den konnte ich jetzt noch gebrauchen. Genervt verdrehte ich die Augen und widmete mich dem Tisch, welchen ich mit einem Lappen wischte.
Wie vom Blitz getroffen zuckte Elayna zusammen und holte schnell die Töpfe mit dem Reis und der Soße. Stumm platzierte sie diese auf dem Tisch und brachte Talib noch einen Teller und Besteck. Sie wirkte vollkommen eingeschüchtert, ganz anders als vor einer Minute. Das nahm ich als kein besonders gutes Zeichen und hielt meinen Blick gesenkt.
Als ich mich umdrehte, um den Lappen wegzulegen, sprach Talib mich an:
"Wer bist du?"
"Rukaya", teilte ich ihm mit, ohne mich umzudrehen, und fügte noch "eine Sklavin" hinzu.
"Eine Sklavin?", er lachte leise, " - Nun gut, dann gib mir mein Essen."
Ich wirbelte herum und sah ihn mit zusammengekniffenen Augenbrauen an.
Er setzte sich vor mich und schaute schief grinsend zurück. Mit zusammengekniffenen Lippen füllte ich seinen Teller und stellte mich neben Elayna, die noch immer den Boden betrachtete. Stumm starrte ich in die Luft und wartete, dass dieser Idiot endlich den Raum verließ, damit ich mit Elayna reden konnte.
"Warum warst du so eingeschüchtert vor deinem Bruder?", sprach ich meinen Gedanken laut aus, als Talib die Treppe hinauf gegangen war.
Überrascht drehte sie sich zu mir um und zog dabei ihre Augenbrauen etwas zusammen.
"Äh - was meinst du?"
Das konnte doch nicht ihr Ernst sein, oder?
"Schlägt er dich?", fragte ich sie mit gedämpfter Stimme und versuchte Augenkontakt aufzubauen.
Ihre Augen weiteten sich überrascht von meinen Worten. Elayna schwieg. Trotz dessen verstand ich dies als "Ja". Selbstverständlich war dies keine Seltenheit, viele Frauen wurden regelmäßig von ihren Männern oder auch Brüdern und Vätern geschlagen. Frauen mussten gehorchen, taten sie das nicht, wurden sie bestraft. Sie waren nicht mehr als ein Besitz, der bei einer Heirat weitergegeben wird. Sie existierten nur, um Kinder zu gebären und den Haushalt zu führen. Wenn ich länger darüber nachdachte, machte mich diese Tatsache oder besser gesagt diese Überzeugung, dass Frauen nichts wert waren, traurig. Schließlich gäbe es noch nicht einmal Männer ohne uns; wir Frauen sind es, die ihnen das Leben schenken. Wir tragen sie neun Monate lang unter unserem Herzen, um sie schließlich auszutragen.
Elaynas Stimme riss mich aus meinen Gedanken:
"Rukaya, es ist Zeit für das Mittagsgebet."
Wieder in der Realität angekommen nickte ich Elayna zu.
"Komm mit - ich gebe dir ein Kopftuch von mir.", sagte sie und lächelte mich an.
Ebenfalls lächelnd folgte ich ihr in die obere Etage und sah zu, wie sie das zweite Zimmer von rechts betrat. Augenscheinlich ihr Zimmer. Mit einer einladenden Handbewegung bat sie mich herein. Elayna öffnete die Tür eines Schrankes aus Eichenholz und kramte zwei Kopftücher heraus: ein rotes und ein dunkelgrünes. Sie drückte mir das grüne mit einem "Bitte" in die Hand. Als Sklavin war es mir nicht gestattet, ein Kopftuch zu tragen, beim Beten jedoch wurde eine Ausnahme gemacht. Sie steckte ihren Kopf erneut in den Schrank und legte mir ein langes, schwarzes Gewand in die Arme; ich drehte mich um und zog es an. Mit geübten Handgriffen band ich das Kopftuch und befestigte es mithilfe einer Stecknadel. Ich schaute zu Elayna, die ihr Kopftuch ebenfalls trug und ihren Gebetsteppich vor sich legte und ihn konzentriert nach Osten ausrichtete.
Ich tat es ihr nach und hielt meine Hände an die Brust:
"Allahu Akbar"
"As-Salamu-Alaikum Wa Rahmatullah", endete ich und schloss meine Augen.
Bitte gib mir Kraft, hilf mir, dieser Familie zu dienen und vergib mir meine Fehler. Schütze auch Ayet und hilf ihr.
"Allahu Akbar", sagte ich, richtete mich auf und formte eine Schale mit meinen Händen.
Zu guter letzt sprach ich jeweils 33 mal "Alhamdulilah" (Alles Lob gebührt Gott), " Subhan'Allah" (Gott ist herrlich) und "Allahu Akbar" (Gott ist am größten).
In Gedanken versunken faltete ich den orange-weißen Gebetsteppich mit den goldenen Ornamenten zusammen und legte ihn zusammen mit dem Kopftuch auf Elaynas. Wie mein Leben wohl aussähe, wenn meine Eltern noch lebten? Das glockenhelle, melodische Lachen meiner Mutter klang in meinen Ohren, worauf sich Tränen in meinen Augen sammelten.
"Rukaya?"
Augenblicklich schreckte ich auf und traf Elaynas besorgten Blick.
Schnell blinzelte ich die salzigen Tränen weg und erhob meine Stimme:
"Ich komme schon!"
Ich bemühte mich um ein kleines Lächeln, jedoch sah ich noch immer das Misstrauen, welches sich in ihrem Gesicht widerspiegelte. Sie muss meine Tränen gesehen haben, auch wenn ich mich bemüht hatte, sie zu unterdrücken. Netterweise fragte Elayna kein weiteres mal und ging in den Flur, wo sie stehen blieb. Den Kloß in meinem Hals schluckte ich mühsam herunter und folgte ihr stumm.
"Gehen wir in den Garten?", fragte sie an mich gerichtet.
Ich musste ein Lachen unterdrücken und lächelte stattdessen belustigt. Elayna fragte mich nach meinem Wunsch - eine Sklavin?
"Du brauchst mich nicht zu fragen; ich bin doch nur eine einfache Sklavin. Ich bin nichts anderes als ein Gegenstand oder Vieh, das man auf dem Markt verkauft. Du sagst, wo es hingeht.", erklärte ich monoton.
Elayna schüttelte den Kopf.
"Du bist doch kein Gegenstand, du bist ein Mensch - genauso wie ich. Was ist falsch daran, dich nach deiner Meinung zu fragen? Schließlich hast du ebenfalls Gefühle und Bedürfnisse."
Verwirrt und Überrascht zugleich zog ich meine Augenbrauen zusammen. Etwas derartiges hatte ich noch nie aus dem Mund eines freien Menschen gehört.
"Das denkt nicht jeder.", kommentierte ich nach kurzer Stille und wand meinen Blick ab.
Zögerlich ergriff Elayna meine Hand und drückte sie kurz, worauf ich aufschaute. Sie schenkte mir ein warmes Lächeln, das zugleich Bedauern ausdrückte und lief die Treppe hinunter.
Wie von selbst wanderte meine Hand zu meinem Hals und umschloss den feinen, goldenen Anhänger. Er gehörte meiner Mutter, als Kind legte ich mir die Goldkette immer an, wenn Mutter gerade nicht hinschaute. Ich fand sie einfach wunderschön. An dem Tag, an dem meine Eltern starben, hatte Mutter mich dabei erwischt. Ich fürchtete, sie würde sauer werden, jedoch lachte sie nur und sagte, ich könne die Kette haben. Sie erklärte mir, dass sie mich vor dem bösen Blick schützen würde, denn auf dem Anhänger war die Ayat Ul Kursi eingraviert. Vorsorglich legte ich die Kette wieder unter mein Kleid. Glücklicherweise war es mir gelungen, sie vor Roudin versteckt zu halten.
Gerade als ich Elayna nach unten folgen wollte, spürte ich plötzlich einen warmen, regelmäßigen Atem an meinem Nacken. Ich konnte mich vor Schreck keinen Millimeter bewegen und riss die Augen auf.
"Rukaya", hauchte eine tiefe Stimme schon fast höhnisch direkt hinter mir.
Ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper und die feinen Haare an meinem Nacken stellten sich auf. Mein Kopf schnellte gefährlich schnell herum, weshalb ich fast gegen Talib knallte, der mehr als nur zu nah vor mir stand und mich schelmisch anlächelte. Mir war es nicht möglich zu deuten was, aber irgendetwas blitzte in seinen Augen auf. Gerade als ich mich zurückziehen wollte, packte er mich an den Schultern und presste mich blitzschnell gegen die Wand. Ein leiser Schrei entfuhr meiner Kehle, der aber durch seine Hand erstickt wurde, die er mit einem leisen "pssst" auf meinen Mund drückte. Mein Herz drohte meine Brust zu sprengen, während Adrenalin meinen Körper flutete. Er nahm seine kalte, raue Hand von meinem Mund und legte sie an meine Wange, weshalb ich meinen Kopf wegdrehte und versuchte ihn wegzustoßen - vergeblich.
"Lass mich los!", befahl ich nun wütend.
Wie konnte er es wagen, mich auf diese Weise zu berühren?!
Talib lachte auf und fixierte mich wie ein Schraubstock an der kalten, kahlen Wand. Langsam näherte er sich meinem Gesicht und presste schließlich seine Lippen auf die meinen. Meine Augen weiteten sich, bis sie drohten, herauszufallen; es fühlte sich an, als wollte er mich ersticken. Mit aller Kraft versuchte ich, mich zu wehren und biss ihm so fest ich konnte in die Unterlippe. Sofort ließ er von mir ab und leckte über das Blut, welches sich an seiner Lippe gesammelt hatte. Aggressiv schlug er mich mit meinem Hinterkopf gegen die Wand. Mir wurde schwarz vor Augen, ich schrie vor Schmerz auf und schloss meine Augen. Hätte er mich nicht festgehalten, wäre ich schon längst zu Boden gesunken. Ein stechender Schmerz ging von meinem Hinterkopf aus und verursachte ein starkes Brennen. Talib umfasste mein Kinn grob und kam erneut näher. Ich ließ meine Augen geschlossen und verzog das Gesicht. Eine der mühsam zurückgehaltenen Tränen floss meine Wange herunter.
"Und, hast du genug?", wisperte er.
Ich reagierte nicht und betete, dass ich gleich in meinem Bett aufwachen würde, doch leider, war diese Situation kein Traum.
Auf einmal riss er die Tür hinter mir auf und schob mich in sein Zimmer.
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