Kapitel 1 - Tausend
"Aaaah, hör auf, Mama!", quietschte ich lachend und wand mich auf meinem Bett, während Mama mich kitzelte.
"Ach, soll ich aufhören?", fragte sie ebenfalls lachend und kitzelte mich am Hals.
"Jaa, bitte!", kicherte ich.
Sie folgte meiner Bitte und hielt lächelnd inne. Ihre indigoblauen, funkelnden Augen strahlten eine unfassbar große Menge Liebe aus, auch auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Mamas lange kohlenschwarze Haare hingen in mein kleines Gesicht und kitzelten meine Nase.
Dieser kleine Moment des Glücks und der Freude endete abrupt, als mein Vater die Tür aufriss und rief:
"Khadaja, schnell - wir brauchen dich!"
Der Atem meines Vaters ging schnell und unregelmäßig, seine schwarzen Augen löcherten die meiner Mutter, während ihm sein dunkelbraunes, strubbeliges Haar in die Stirn fiel.
Mama reagierte sofort und lief gefolgt von Papa hastig aus dem Haus. Neugierig stand ich von meinem dürftigen, aus Leinen und einem Kissen bestehenden Bett auf und tapste auf dem kalten Boden zur Tür.
Sie war nicht geschlossen, deshalb konnte ich den Geschehnissen draußen gut durch den schmalen Spalt folgen. Einige Meter von der Tür entfernt lag ein Mann auf dem Boden, mein Onkel Muhammad. Etwas rotes, dickflüssiges sammelte sich an seinem Gewand und tropfte auf das grüne Gras. Er stöhnte schmerzerfüllt auf und verzog sein Gesicht.
Mein Herzschlag verschnellerte sich, Angst breitete sich in mir aus. Am liebsten wäre ich hinausgerannt, hätte meinem Onkel gefragt, was er hatte, doch die Angst lähmte mich.
Mama hockte sich neben ihn auf den Boden und drückte auf seine Brust; er schrie auf. Ich wollte ihr sagen, sie sollte aufhören, aber statt eines Schreis entfuhr lediglich ein Krächzen meiner Kehle. Vater tat es Mutter nach und drückte meinem Onkel mit beiden Händen auf die Brust, wieder stöhnte er, nun aber noch lauter.
Was taten sie da? Tränen traten in meine Augen und kullerten nach und nach meine Wangen herunter. Ich sah, dass auch meine Mutter zu weinen begann, Onkel Muhammad war ihr Bruder.
Mit zitternden Händen berührte ich das Holz der Tür und machte sie langsam etwas auf, bevor ich jedoch das Haus verlassen konnte, traf ein Pfeil meine Mama.
"Mama!!!", kreischte ich.
Der Pfeil steckte in ihrem Rücken. Ganz langsam fiel sie nach vorne und landete im Gras. Ihre Augen waren weit aufgerissen und blickten in meine Richtung. Vater sprang auf und rannte auf einen Mann zu, doch ich konnte nur auf Mama achten. Wie in Trance trat ich ins Grüne und lief zu Mama. Bei ihr angekommen ließ ich mich auf den Boden fallen und nahm ihr Gesicht in meine kleinen, zarten Hände.
"Mama, steh auf!", sagte ich.
Sie regte sich nicht, nicht einmal ein Blinzeln erkannte ich.
Ich begann zu schluchzen und rief:
"Mama - Mama, steh jetzt auf!"
Immer mehr Tränen liefen meine Wangen herunter und verschleierten mir die Sicht.
"Mama!", ich rüttelte an ihren Schultern.
Meine Stimme wurde von der gewaltigen Flut meiner Tränen erstickt; ich konnte kaum atmen.
"Mama.", flüsterte ich erneut, bevor ich neben meiner Mutter zusammensackte und mich wie ein Embryo auf ihre Brust legte.
Schweißgebadet schreckte ich aus dem Schlaf, die Augen weit aufgerissen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, noch nicht einmal die Tränen versiegten, immer noch tropften sie auf meine Decke, auf der sich schon ein großer dunkler Fleck gebildet hatte.
Mit zitternden Gliedern setzte ich mich auf und holte tief Luft. Ich versuchte mich zu beruhigen und trocknete meine Tränen. Der Tod meiner Eltern und meines Onkels war schon knapp acht Jahre her, aber ich träumte immernoch davon.
Ich konnte fast spüren, wie mich der Mann, der meine Familie ermordet hatte, an den Haaren auf die Beine zog und mich vorbei an dem Körper meines leblosen Vaters führte. Erbarmungslos.
Er brachte mich hierher, dort wo er seine Sklaven hielt. An diesem Ort lebten noch weitere Mädchen und Jungen in meinem Alter. Wir werden hier an diesem grauenvollen Ort gehalten, um auf Sklavenmärkten verkauft zu werden.
Meine Freundin Ayet wurde vor drei Monaten mitgenommen; sie war gerade achtzehn geworden und die einzige, mit der ich lachen konnte. Seitdem hatte ich sie nie mehr gesehen.
Ich schaute mich um und entdeckte die vielen schlafenden Mädchen und Jungen, die im ganzen Raum verstreut lagen, auch wenn es kein besonders großer Raum für die Anzahl an Menschen war, vielleicht dreizehn Quadratmeter.
Gefühlte Stunden saß ich aufrecht auf meinem Schlafplatz und starrte ins Leere, bis ich irgendwann übermüdet einschlief.
"Steh auf!"
Langsam öffnete ich meine Augen, nachdem mein Herz mir dank des Schreis in die Hose gerutscht war.
Selbstverständlich sprang ich nicht sofort auf, weshalb ich aber einen ziemlich kräftigen Tritt in den Rücken kassierte. Ein Zischen entfuhr mir bevor ich mich krümmte. Dieses Schwein machte das fast täglich, wahrscheinlich nur aus Spaß.
Wütend setzte ich mich auf, zupfte den roten Lumpen zurecht, der mir bis zu den Schienbeinen ging und stand auf. Kaum war ich auf den Beinen, riss der Typ namens Adil mich am Oberarm hoch und verfrachtete mich durch eine hölzerne Tür nach draußen. Die Tür befand sich direkt in unserem Schlafraum, mehr Räume gab es nicht. Wir standen auf einem kargen Stück Land, ungefähr zwei Kilometer entfernt konnte man die Stadt Dammam erkennen. Ihre vielen Häuser standen stolz auf der Erde und die Sonne über uns ließ ihre Farben erstrahlen.
Es war ein wunderschöner Anblick. Neben mir standen noch mehr Sklaven; viele der Gesichter waren mir bekannt, jedoch nicht so, dass ich mit ihnen hätte sprechen wollen. Ich fragte mich, warum wir hinausgebracht wurden. Ich hatte eine böse Vorahnung, betete aber, dass diese sich nicht bestätigte...
Nach ein paar Minuten des Wartens, worauf auch immer, hing ich immernoch an Adil, jedoch liefen wir jetzt los, wohin auch immer. Schon nach drei Minuten bildete sich ein Schweißfilm auf meiner Haut. Die Sonne drohte uns niederzubrennen, jedenfalls kam es mir so vor. Als ich mir gerade durch mein Haar strich, übersah ich einen Stein und stolperte über ihn. Glücklicherweise nicht auf das Gesicht, jedoch schürfte ich mir meine Knie und Hände auf. Ein stechender Schmerz ging von meinen Knien aus.
Adil spottete lachend:
"Nicht mal laufen kannst du. - Steh auf oder soll ich dich tragen?!"
Er zog mich am Arm auf die Beine und riss mir den Arm fast ab. Immer noch lachend lief er weiter und schleifte mich mit. Am liebsten hätte ich ihm eine oder auch zwanzig Backpfeifen gegeben. Aber naja, ob das so schlau wäre... Gegen diesen Koloss hätte ich nie und nimmer eine Chance! Seine Rückenmuskeln ähnelten den eines Bären, aber sein Aussehen wirkt auch nicht gerade einladend: graue, kalte Augen, ein markantes männliches Gesicht mit einer Narbe neben dem linken Auge und pechschwarzes, sehr kurzes Haar. Zehn Stunden (eigentlich zehn Minuten) darauf standen wir vor den Toren der Stadt Dammam. Riesige Schnörkel schmückten den obersten Teil, während der Rest aus massivem Eisen bestand. Grob wurden wir durch die Tore in die Stadt gebracht. Es wimmelte von Menschen in allen Altersklassen und hunderte von Stände standen auf den Straßen; einige boten Schmuck an, andere Teppiche und wiederum andere Stände boten Kleidung an.
Wir liefen nicht sehr weit, schon kamen wir an einem Podest an. Es war nicht sehr hoch, war aber trotz dessen ziemlich auffällig. Darauf befanden sich einige Männer und neben ihnen karg gekleidete, junge Menschen, vermutlich ebenfalls Sklaven. Vor dem Podest hatte sich eine Menschenmenge gebildet, die sich die Sklaven anschauten und für sie Geld boten.
"750 Dirham!", rief eine in schwarze Gewänder gekleidete Frau, man konnte nur ihr Gesicht erkennen.
Ein Junge, kaum jünger als ich, wurde das Podest hinuntergeschliffen und seiner neuen Herrin übergeben. Nun wurden wir auf das Podest geschubst, mein Herzschlag verschnellerte sich. Die Menschen wollten uns mit ihren Augen auffressen, so gierig schauten sie. Der Händler Roudin, der Mann, dem wir bis zu unserem Verkauf gehörten, trat mit einem kleinen, ängstlichen Mädchen vor. Es hatte himmelblaue Augen und lange, hellbraune Haare. Sie trug ein beiges, knielanges Kleid, welches an einigen Stellen geflickt wurde.
Das Mädchen zappelte und versuchte sich loszureißen, doch Roudin ließ sich nicht beirren und begann:
"Zu Beginn haben wir ein tüchtiges, gehorsames Kind; fünf Jahre alt. Ein sehr schönes Mädchen, das ihnen bestimmt eine Hilfe sein wird. - 600 Dirham?"
"Hier!", machte sich eine Frau mittleren Alters bemerkbar.
"700 Dirham.", bat ein älterer Herr in dunkelblauen Gewand. Sein Blick war auf das kleine Mädchen gerichtet, wie der einer Hyäne auf ein Kalb. Ich hoffte inständig, dass dieser das Kind nicht bekommt.
Der Händler wartete noch kurz und fragte:
"Keine weiteren Gebote? Gut - Verkauft!"
Schelmisch grinsend trat der Mann näher an das Podest und wartete auf das Mädchen, welches nun noch mehr zappelte und zu entfliehen versuchte. Es wurde ihm in die Hand gedrückt; alle schauten zu, wie er das arme, wehrlose Mädchen mitnahm.
"Nein!", sagte ich halblaut und versuchte mich an Adil vorbeizudrängeln, dieser hielt mich aber fest wie ein Schraubstock.
Wie konnte man sowas nur geschehen lassen?!
Die Auktion ging weiter; immer mehr Mädchen und Jungen wurden wie Vieh verkauft. Irgendwann hörte ich auf, den Verkäufen zu folgen und schaute stumm auf den Boden, welcher aus Holz bestand. Auf einmal schob mich Adil nach vorne; ich versuchte gar nicht erst, mich loszureißen. Es kam mir wie ein unnötiger Kraftaufwand vor, schließlich hatte ich nicht die geringste Chance zu fliehen.
"Nun haben wir ein schönes, junges Mädchen im Angebot. Sie ist für alles zu gebrauchen und eine gute Köchin. - Beginnen wir mit 700 Dirham."
Der Sklavenhändler packte mich grob am Arm und zog mich nach vorne, damit die Menschen mich gut betrachten konnten, jedoch sah ich fast ausschließlich Männer in der Runde. Furcht fand sich in mir ein; in Gedanken betete ich darum, dass eine Frau mich kaufte. Schnell gab es einen Interessenten.
"Hier!", ein älterer Herr in einem braunen Gewand hob die Hand.
In seinem Gesicht lag ein sanfter Ausdruck, tatsächlich wirkte er auf gewisse Weise nett.
"Ich biete 800 Dirham.", ein junger Mann in einem roten, mit silbernen Mustern verzierten Gewand trat einen Schritt vor. Überheblich schielte er um sich und reckte seinen Hals.
"1000 Dirham!"
Hinter ein paar Menschen erkannte man eine Hand; der Mann schlängelte sich durch die Menge nach vorn und hielt nah am Podest inne. Seine rabenschwarzen Haare waren von einigen grauen Strähnen durchzogen, während die Falten in seinem Gesicht hart wirkten und seinen emotionslosen Gesichtsausdruck unterstrichen. Sein schwarzes Gewand wurde durch goldene Akzente aufgehellt. Nach Geld trachtend fragte Roudin, dessen Hände mich wie ein Schraubstock fixierten, ob noch jemand bereit sei, mehr zu bieten, doch zu seinem Leid geschah dies nicht. Mein Herz pochte immer schneller; Adrenalin wurde durch meinen Körper gepumpt, bereit loszurennen.
"Verkauft!", rief er.
Blitzartig schossen alle möglichen Gedanken durch meinen Kopf; ich musste entkommen, aber wie?
Plötzlich wurde mir von hinten ein Sack über den Kopf gestülpt, worauf ich hochgehoben und weggebracht wurde.
"Lasst mich los!", kreischte ich verzweifelt immer und immer wieder. Ich wurde weggetragen, zu meinem Herrn.
Egal wie viel ich strampelte und um mich schlug, mein Entkommen erreichte ich nicht...
Nach unendlichen Schlägen meinerseits stoppte ich; kraftlos sackte ich zusammen und nach kurzer Zeit hielt mein Herr an. Ich wurde auf dem Boden abgesetzt, der Sack rutschte etwas hinunter, sodass ich meine Umgebung erkennen konnte. Ich befand mich in einer Küche; eine Feuerstelle befand sich direkt neben mir, mit dem Rücken zu mir stand mein neuer Herr.
"Mach was zu essen.", forderte er forsch, " Hier findest du alles, was du brauchst. Meine Tochter Elayna wird dir alles zeigen."
Ohne ein weiteres Wort verschwand er die Treppe hinauf.
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