6 - Fehlendes Vertrauen
Benebelt öffnete Ruby die Augen und sah sich um. Sie lag ganz normal in ihrem Bett, als wäre nichts passiert. Hatte sie das alles nur geträumt?
Aber warum, um alles in der Welt, sollte sie träumen, dass Thyfen jemanden umbringt und sie danach angreift?
Ihr trockener Hals kratzte und sie sah sich nach einem Glas Wasser um. Zu ihrer Enttäuschung gab es in dem großen Raum weder Trinken noch Essen. Vielleicht sollte sie sich auf den Weg in die Küche machen und sich etwas besorgen. Doch bevor sie die Möglichkeit hatte aufzustehen, klopfte es an der Tür.
Thyfen kam gemütlich ins Zimmer spaziert. Er trug ein Tablet mit einem Glas Wasser, Brot und verschiedenen Früchten. Alles was sich Ruby in diesem Moment gewünscht hatte.
"Ah, sehr gut. Du bist wach", sagte er mit einem erleichterten Seufzer, "ich habe dir Frühstück gebracht."
Er legte das Tablet am Ende des Bettes ab und setzte sich auf die Bettkante. Ruby hielt sich auf Abstand und sah ihn verwirrt an. Von dem gestrigen Thyfen - der mit dem kalten, leeren Blick - fehlte jede Spur. Hatte sie es vielleicht wirklich nur geträumt?
Sie schluckte und bemerkte diesmal nicht nur die Trockenheit ihres Halses, sondern auch einen brennenden Schmerz, der definitiv nicht dazugehörte. Nein, es war garantiert kein Traum gewesen.
Thyfen bemerkte ihre Stille und begann deshalb mit einer Entschuldigung.
"Da is' es gestern echt mit mir durchgegangen. Tut mir leid."
Ruby sah ihn nur ungläubig an.
"Du hast jemanden umgebracht und mich..."
Ihre Worte wurden durch einen schlimmen Hustenanfall unterbrochen.
Thyfen seufzte und sein Körper sackte leicht zusammen.
"Ich erwarte nich' von dir, dass du sofort verstehst warum ich mich so verhalten habe. Ich weiß, dass ich vieles falsch mache. Aber du hast keine Ahnung wie es is', hier in der Wüste aufzuwachsen..."
Der Lord starrte ins Nichts während er erzählte, als würden ihn seine Erinnerungen irgendwo gefangen halten.
"Vor mir, war mein Vater der Lord dieser Stadt. Er war stark, ein wahrlich mächtiger Mann. Ich könnte nur davon träumen mir so einen Namen zu machen.
Aber das sahen nich' alle so. Manche wollten diese Macht für sich... Als ich noch ein Kind war, hab' ich mich öfters aus dem Anwesen geschlichen. Doch an einem dieser Tage, als ich nich' da war, wurden meine Eltern ermordet. Nur ich blieb übrig."
Ruby hielt entsetzt ihren Atem an.
"Nach diesem Tag hab' ich versucht in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, der Verantwortung als Lord gerecht zu werden. Es war schwer, aber ich war nich' allein. Mein bester Freund stand mir jahrelang zur Seite. Egal was, er hat mich immer unterstützt. Wir haben es sogar geschafft den Mörder meiner Eltern zu finden..."
Seine Stimme versiegte und so delikat das Thema auch war, Ruby musste nachhaken.
"Habt ihr ihn umgebracht?" fragte sie nervös.
Er schüttelte den Kopf und Ruby wusste nicht was sie denken sollte. Was wäre denn schlimmer als der Tod?
Doch Thyfens Gesichtsausdruck verdüsterte sich und plötzlich bekam sie das Gefühl, als stecke da mehr dahinter.
"Was dann?"
Thyfens Blick leerte sich und er drehte seinen Kopf zu ihr. Seine Stimme war eisig, noch kälter als gestern, doch Ruby wusste, dass dies nicht ihr galt.
"Er hat mich verraten."
Rubys Augen weiteten sich. Verraten? Wie das? Und warum?
Die Nixe wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.
"An diesem Tag hab' ich verstanden, dass ich niemandem außer mir selbst trauen kann."
Ruby schüttelte leicht den Kopf.
"Ich kann mir nich' vorstellen wie schlimm das alles für dich gewesen sein muss, aber dein Leben lang einsam zu sein ist nich' besser."
Und da wusste sie genau wovon sie sprach. Egal wie trist und aussichtslos das Leben schien, wenn man jemanden an seiner Seite hatte, den man liebte, konnte man alles überstehen.
"Das hab' ich gemerkt", meinte er mit einem Seufzen, "trotzdem is' es nich' ganz einfach für mich jemandem zu vertrauen."
Das konnte Ruby wiederum auch verstehen. Sie hatte Thyfen ihr Geheimnis ja auch nich' anvertraut und obwohl er ihr gerade sein Herz ausgeschüttet hatte, zögerte sie immer noch. Tief in ihrem Herzen spürte sie, dass sie es ihm nicht erzählen durfte. Niemals.
"Das Gefühl solltest du kennen", fügte er dann noch hinzu und Ruby sah ihn überrascht an.
Sein Gesichtsausdruck wurde etwas weicher und er gab ihr ein kleines Lächeln.
"Schließlich gibt es auch etwas, dass du mir seit unserer ersten Begegnung verschweigst."
Voll ins Schwarze. Ruby nickte und sah stur auf ihre Hände, die sich in ihrem Schoß ineinander verknoteten.
Mit einem Finger an ihrem Kinn, hob er ihren Kopf an, damit sie ihm wieder in seine haselnussbraunen Augen sah.
"Warum erzählst du mir nich' einfach, was es is'?"
Doch Ruby presste nur ihre Lippen fest aufeinander und schüttelte den Kopf.
Thyfens Augen verdunkelt sich wieder ein Stück, doch das falsche Lächeln, das sein Gesicht schmückte, blieb bestehen.
"Keine Sorge", meinte er und stand auf, "Irgendwann wirst du das schon."
Er nahm das unangetastete Tablet hoch und lief Richtung Tür.
"So oder so..."
Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür von außen ab.
————
Ruby hatte keine andere Wahl, als den ganzen Tag in ihrem Zimmer zu verbringen. Ohne Wasser und ohne Nahrung.
Die junge Nixe war völlig erschöpft. Ihr Magen hatte schon vor Stunden aufgegeben sich zu beschweren, doch ihr Hals machte ihr zu schaffen. Nicht nur hatte sie Durst, nein, im Laufe des Tages haben sich die Druckstellen von Thyfens Fingern sichtbar gemacht. Allein das Atmen tat nun weh.
Später würde der Lord wiederkommen, um nach ihr zu sehen. Doch sie wusste nun — Mitleid und Erbarmen konnte sie von ihm nicht erwarten.
————
Heey! 👋
Erstmal will ich euch allen herzlichst Danken. Ruby ist mittlerweile mit Abstand die beliebteste meiner Geschichten und ich bin einfach unglaublich glücklich, dass sie bei euch so gut ankommt. 😍
Zu der Geschichte:
Das nächste Kapitel wird etwas anders sein. Nämlich aus der Perspektive eines (noch) Fremden...
Hmmm... Wer könnte das wohl sein? 🤔
Ist auch schon fast fertig, also dürft ihr euch diese Woche auf zwei Kapitel freuen. 😁
Bisous ❤️
MarSuu
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