11 Jade Arena Tag 2 Neue Gefahren
Nach ungefähr der Hälfte der Nacht habe ich Stephen geweckt und mich selbst schlafen gelegt. Als ich jetzt wieder erwache, geht gerade die Sonne auf. Steph sieht, dass ich wach bin und beginnt sofort in unseren Rucksäcken etwas Essbares für ein kleines Frühstück zusammen zu suchen. Gerade als Stephen mir einige Kräcker reicht, hören wir über uns ein leises Klingeln. Mein Blick schießt nach oben und ich sehe den silbernen Fallschirm auf uns zu kommen. Mom! Ich hätte nicht gedacht, dass sie uns so bald schon etwas schicken kann. Ich fange den überraschend großen Behälter aus der Luft und öffne ihn sofort. Ich finde etwa ein Dutzend Wurfsterne für Stephen, welche ich ihm sofort grinsend weiterreiche und einen Dolch, dessen Klinge etwa so lang wie meine Hand ist und einen hellgrünen Stein im Griff eingearbeitet hat. Außer den Waffen liegt noch ein kleiner Zettel in dem Behälter.
Jemma und Toby suchen euch, sind aber noch nicht im Wald angekommen. Sie haben auch das Blutbad nicht vollkommen unversehrt überlebt, trotzdem jagen sie schon Tribute. Haltet euch vom Sand fern und geht Richtung Berge.
R
Ich lese rasch den Text, dann stecke ich die Notiz in meinen Rucksack. Obwohl nur mit einem einzigen Buchstaben unterschrieben wurde, weiß ich genau, dass die Notiz von Mom kommt. Und wenn sie sagt, dass wir uns vom Wüstengelände fernhalten sollen, dann gibt es dort Fallen, die wir auf keinen Fall auslösen dürfen. Ich befestige den Dolch an meinem Gürtel, dann nehme ich die Kräcker, die Stephen mir immer noch hinhält und esse sie auf. Danach trinke ich noch einige Schlucke Wasser und schon klettern wir wieder von unserem Baum. Ich bin als Erste unten und versuche mich zu erinnern in welcher Richtung die Berge liegen. „Wo waren noch mal die Berge?", frage ich schließlich Stephen, da ich mir nicht ganz sicher bin. Er überlegt eine Weile und deutet dann in eine Richtung, in der ich genau wie in allen anderen nur noch mehr Bäume sehe. „Dort. Ich habe mir die Richtungen gemerkt. Willst du zu den Bergen? Sind wir dort nicht leicht zu entdecken?", will er wissen, doch ich zucke nur die Achseln. „Kann sein. Doch wir wissen beide, dass wir nicht ewig hier im Wald bleiben können und die Berge sind unsere beste Option. Ich vertraue der Wüste nicht.", erkläre ich und lasse dabei Moms Notiz aus dem Spiel. Ich will nicht, dass Mom Ärger bekommt, weil sie uns Informationen gibt. Stephen nickt zustimmend und so machen wir uns auf in die Richtung, in welcher er die Berge vermutet. Einige Zeit gehen wir in vollkommener Stille, was mich dazu bewegt, den Bogen von meiner Schulter zu nehmen und einen Pfeil an die Sehne zu legen. Wenn im Wald die Tiere verstummen, ist das nie ein gutes Zeichen. Plötzlich höre ich ein Flattern, wie von großen Flügeln und ich spanne mich weiter an. Dann ertönt ein Schrei, wie von einem Raubvogel, dicht gefolgt von einem menschlichen Schrei, einem Mädchen. Ich drehe mich zu Stephen um und versuche die Panik zu unterdrücken, die in mir aufsteigen will. „Lauf!", rufe ich, in der Hoffnung, dass wir ihnen so entkommen können. Eine Kanone knallt, nahe, viel zu nahe. Sofort renne ich los, zwinge meine Beine sich so schnell zu bewegen, wie es mir möglich ist und rase durch den Wald. Doch die Flügelschläge werden nicht leiser, ganz im Gegenteil. Sie kommen immer näher. Der nächste Schrei ertönt, wieder der Vogel und diesmal ist er direkt über uns. „Sie haben uns gefunden!", schreie ich zu Stephen und hebe meinen Bogen, als ich meinen Blick Richtung Himmel schweifen lasse. Dort sind sie, vier große Adler mit messerscharfen Krallen. Sie kreisen über uns, vier Paar blutrote Augen fixieren jede unserer Bewegungen. Ich verlangsame mein Tempo, denn ich weiß, wir können ihnen nicht entkommen. Stattdessen feuere ich einen Pfeil auf einen der vier und er fällt zu Boden. Dafür setzen seine Freunde jetzt zum Sturzflug an. Ich nehme meinen neuen Dolch in die Hand und lege gleichzeitig einen neuen Pfeil mit den freien zwei Fingern an und lasse ihn los, er schnellt auf den nächsten Adler zu. Auch er geht zu Boden. Von den letzten beiden steuert einer auf mich und einer auf Stephen zu. Stephen schaltet seinen mit einem Wurfstern aus, meiner jedoch ist schon zu nahe für einen Pfeil. Ich lasse den Bogen fallen und mache mich bereit, ihm meinen Dolch in den Körper zu rammen. Es gefällt mir nicht, ihn so nahe an mich ran zu lassen, doch ich habe keine Wahl. Als er knapp über meinem Kopf ist, weiche ich blitzschnell aus und als er etwa auf Höhe meiner Hüfte ist, lasse ich meinen Dolch hinabsausen. Er trifft den Vogel genau im Herzen. Doch jetzt ist ein Riss in meiner Jacke und meine Seite brennt darunter leicht. Doch ich ignoriere es und versichere mich, dass es Stephen gut geht. „Alles okay?", frage ich, immer noch erschrocken. Stephen dreht sich sofort zu mir, zuvor hat er den Himmel nach weiteren Adlern abgesucht. Dann nickt er mir zu, ehe er mir dieselbe Frage stellt. „Er hat nur meine Jacke erwischt, sonst nichts.", erkläre ich und hebe meinen Bogen auf, wodurch sich das Brennen sofort unangenehm verstärkt. Doch es ist noch immer schwach genug, dass ich es ignorieren kann. Ich schultere meinen Bogen wieder, als eine erneute Kanone erklingt. Automatisch wandert mein Blick zurück zu meinem besten Freund, versichert sich, dass er noch da ist und Steph tut dasselbe. Der Tag ist noch nicht einmal halb vorbei und schon sind zwei weitere Tribute tot. Das macht insgesamt schon 13. Die Hälfte ist tot. Um diesen Gedanken zu verbannen, drehe ich mich um und gehe wortlos weiter. Ich weiß, dass Stephen mir folgt. Eine Weile wandern wir durch den immer gleichen Wald, ehe ich bemerke, dass bei jedem meiner Schritte, meine Beine schwerer werden und sich das Brennen in meiner Seite verschlimmert. Ich beginne zu schwitzen, vor Anstrengung den Schmerz nicht zu zeigen und als ich einen Blick nach unten riskiere, sehe ich, dass sich mein weißes Top mit Blut vollgesogen hat, an der Stelle, wo es zerrissen ist. Ich will Stephen nicht beunruhigen, ich schaffe das schon. So schlimm kann es nicht sein, sonst wäre ich schon tot. Doch nach einigen weiteren Schritten beginnt meine Sicht zu verschwimmen und ich stolpere. „Jade? Ist alles okay?", fragt Stephen besorgt. Ich nicke nur und gehe weiter. Wenige Schritte später stolpere ich erneut und diesmal kann ich nicht verhindern, dass ich falle. Als Stephen mich auffängt, schreie ich auf, denn plötzlich schießt ein brennender Schmerz von meiner Seite durch meinen gesamten Körper. Ganz kurz wird alles schwarz und als ich Stephen wieder sehe, zittern meine Hände. „Jade?", höre ich Stephens Stimme, die Panik darin klar hörbar. „Ich habe mich geirrt. Ich glaube, der Adler hat doch mehr erwischt als nur die Jacke.", gebe ich keuchend zu, ich atme flacher, da so der Schmerz etwas erträglicher ist. Stephen reagiert nicht, er zieht nur mein Oberteil etwas nach oben, um sich die Wunde anzusehen. Ich schließe meine Augen, denn ich will nicht hinsehen, doch ich öffne sie wieder, als Steph scharf die Luft einzieht. „Das...ich weiß nicht, ob ich das wieder hinkriege. Es ist ein tiefer Kratzer. So viel Blut.", murmelt er und nachdem er tief durchgeatmet hat, durchwühlt er hastig seinen Rucksack nach der Medizintasche. Dann zieht er Verbandzeug heraus und beginnt, die Wunde abzudecken. Ich beiße die Zähne zusammen, fest entschlossen nicht zu schreien. Was immer Stephen da macht, der Schmerz wird dadurch nur noch schlimmer. Ich weiß, dass er versucht, vorsichtig zu sein, doch ich kann in seinem Blick erkennen, dass es nicht gut aussieht. Für einen kurzen Moment fühle ich dieselbe Kälte in mir aufsteigen, die ich schon während des Einzeltrainings gespürt habe, doch diesmal kämpfe ich dagegen an, auch wenn der Schmerz nachlässt. Ich habe Angst vor dieser Kälte. Angst davor, was sie bedeuten könnte. Ich muss sie abwehren. Stephen ist fertig mit der Versorgung meiner Wunde und betrachtet sein Werk mit zweifelndem Blick. Dann beschließt er anscheinend, dass er sein Bestes getan hat und sieht mir endlich wieder in die Augen. „Wir können nicht hierbleiben. Kannst du gehen?", fragt er. „Ich kann es versuchen.", erkläre ich und lasse mir von ihm aufhelfen. Doch kaum stehe ich, geben meine Beine unter mir nach, der Schmerz strahlt inzwischen in meinen gesamten Körper. Ehe ich wieder fallen kann, hebt Stephen mich kurzentschlossen hoch und trägt mich auf seinen Armen. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter, ich weiß, er wird mich nicht fallen lassen. Meine Augenlider werden immer schwerer, doch ich zwinge sie offen zu bleiben, denn ich weiß nicht, ob ich wieder aufwachen würde. Der stetige Schmerz bei jedem von Stephens Schritten schafft es jedoch, mich wach zu halten und so kann ich eine Weile gegen die drohende Müdigkeit kämpfen. „Jade! Nicht einschlafen.", ruft Steph viel zu nahe an meinem Ohr und ich reiße erschrocken die Augen auf. Ich habe gar nicht bemerkt, wie sie zugefallen sind. Schließlich entdeckt Stephen einen breiten Baumstamm, dessen unteres Ende von Büschen abgeschirmt wird und lässt mich am Fuß des Baumes runter. Ich lehne Kopf und Rücken an die raue Rinde und sehe zu meinem besten Freund auf. Ich will ihn beruhigen, diesen angstvollen Ausdruck aus seinem Gesicht vertreiben, doch ich weiß nicht wie. Denn seine Ängste sind berechtigt. Ich weiß, dass dieser Kratzer schlimm ist. Diese Adler haben ja bereits eine Tributin getötet. Warum sollte ich also nicht die Nächste sein. Wenn Mom an meiner Stelle hier wäre, dann wäre diese Wunde innerhalb weniger Minuten verheilt. Doch ich habe diese Fähigkeit nicht geerbt. Oder sie nur nicht aktiviert. Aber ich weiß nicht, wie ich sie aktivieren könnte. Mit einem letzten Blick auf mein Gesicht dreht sich Stephen um und durchsucht seine Medikamentetasche nach irgendetwas, dass er zuvor übersehen hat, etwas, dass mir helfen kann, mich retten kann. Doch er wird nichts finden. Plötzlich ohne Vorwarnung ertönt ein weiteres Mal die Kanone und Stephen fährt erschrocken zu mir herum. „Das war nicht meine Kanone. Ich bin noch nicht tot.", murmle ich leise. Stephen sieht mich erleichtert an, doch bald verwandelt sich der Ausdruck in seinen Augen in Verzweiflung. „Aber ich kann nichts tun, um dich zu retten.", ruft er und ich zucke zusammen. Mir ist inzwischen eiskalt, so als würde mit dem Blut auch all die Wärme aus meinem Körper fließen. Meine Hände zittern immer noch. Kälte. Plötzlich kommt mir eine Idee. „Aber ich vielleicht.", erkläre ich und versuche die Angst zu bekämpfen, die in mir hochsteigt. Doch ich muss es versuchen. „Wie denn?", will Stephen verwirrt wissen, doch ich schüttle nur den Kopf und ergreife seine Hand, ehe ich mich krampfhaft daran festklammere. „Bleib...bleib einfach hier und lass nicht los.", flüstere ich, dann schließe ich die Augen...und lasse die Kälte herein. Sofort weicht die Anspannung aus meinem Körper, mein Gesicht, welches ich vor Schmerz verzogen hatte, entspannt sich, die Schmerzen werden gedämpft. „Jade?", fragt Stephen zögerlich. „Noch nicht.", antworte ich, die Kälte ist auch in meiner Stimme zu hören und tief in meinem Inneren bin ich erschrocken, doch die Kälte ist immer noch überall in meinem Körper und der Schmerz lässt weiter nach, als wehre ich mich nicht, sondern lasse mich fallen. Meine Hände hören auf zu zittern. Und ich weiß auf einmal mit seltsamer Klarheit, dass wenn ich meine Augen jetzt öffne, sie rot wären. Ich habe ihn gefunden. Den Schlüssel zu Moms Erbe in mir. Doch der Preis ist hoch, denn die Kälte nimmt alles außer meiner Wut mit sich. Ich fühle nur die Kälte und meine Wut auf alle, die meiner Familie wehtun wollen. Die Schmerzen sind nun vollkommen verschwunden und ich weiß, dass die Wunde verheilt ist. Ich fühle es. Doch ich kann nicht mehr aus der Kälte auftauchen. Sie hat sich in mir festgesetzt. Da spüre ich wie Stephen meine Hand drückt. Stephen braucht mich. Ich kann ihn nicht alleine lassen. Und mit äußerster Anstrengung dränge ich die Kälte wieder zurück, verschließe sie tief in mir, damit sie mir nichts anhaben kann. Als ich schließlich sicher bin, dass ich sie besiegt habe, öffne ich blinzelnd die Augen. In Stephens glitzern Tränen, als er mich anstarrt. „Jade?", sagt er mit leiser Stimme. Ich lächle ihn beruhigend an. „Jetzt ist alles in Ordnung. Ich habe es in Ordnung gebracht.", verspreche ich und umarme ihn. Er drückt mich an sich. „Ich dachte, ich hätte dich verloren.", wispert er. „Hast du aber nicht. Hast du nicht.", murmle ich und umarme ihn kurz fest, dann schiebe ich ihn weg. „Müssen wir weiter oder bleiben wir hier für die Nacht?", wechsle ich schnell das Thema, auch um Stephen von meiner beinahe Begegnung mit dem Tod abzulenken. Er blinzelt irritiert, dann fängt er sich wieder. Er wirft einen Blick auf die untergehende Sonne, dann wendet er sich wieder mir zu. „Ich denke, wir sollten hier bleiben. Die Büsche werden uns tarnen und morgen gehen wir dann weiter.", verkündet er und ich stimme ihm zu. Dann teilen wir wieder unser Essen auf, dieses Mal mehr, da wir ja kein Mittagessen hatten. Dann lehne ich mich wieder an den Baumstamm, meine Beine stecken bereits im Schlafsack und starre nach oben in die rot orange gefärbten Wolken, welche langsam verblassen. Ich warte auf die Hymne, will wissen welchen drei Tributen die heutigen Kanonen gegolten haben. Schon bald habe ich meine Antwort. Als erstes wird das Gesicht des Jungen aus Distrikt 4 eingeblendet, dann das Mädchen aus Distrikt 10 und das Mädchen aus Distrikt 11. Jemma und Toby haben es wieder geschafft. Langsam weicht die Hoffnung, dass die beiden sterben, ehe sie uns finden. Doch ganz werde ich sie noch nicht aufgeben. Schließlich schließe ich erschöpft die Augen, die Anstrengung, gegen die Kälte und die Schmerzen zu kämpfen fordert ihren Tribut. Und so gleite ich in einen unruhigen Schlaf, in welchem mir mein eigenes Gesicht mit roten Augen verschlagen entgegen lächelt.
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