Kapitel 15
Ich räusperte mich. Er ließ meine Handfläche los. Sein Blick wanderte noch einmal kurz zu meinem Auge und seine Miene wurde finster.
"Musst du noch etwas auf dem Markt erledigen?", fragte ich und versuchte ihn mit meiner Frage abzulenken.
"Ich war gerade auf dem Weg zu jemanden. Möchtest du mitkommen?"
Ich nickte, glücklich, dass er nicht weiter auf meine Verletzung einging. Wir gingen zusammen los.
"Warum hast du dem Jungen Geld gegeben?"
Zafers Frage klang nicht wertend, sondern ehrlich interessiert.
"Ich bin ihm schon einmal begegnet. Er scheint es nicht so gut zu haben. Ich glaube er muss stehlen, um zu überleben. Ich wollte ihm einfach helfen."
Zafer nickte.
"So wie ihm geht es vielen Kindern. Sie haben keine gute Zukunftsaussicht, leben auf der Straße und schlagen sich durch."
Er verstummte und ich fragte mich unwillkürlich, ob das auch seine Geschichte war. Hatte er als Straßenkind gelebt, bis Harun ihn gefunden und aufgenommen hat?
"Wohin gehen wir?", fragte ich.
"Nicht sehr weit", antwortete Zafer, "wir sind gleich da."
Tatsächlich verließen wir die belebte Innenstadt und kamen ins ärmere Viertel. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich waren mehr als deutlich. Einige Kinder hockten am Straßenrand und sahen uns misstrauisch an. Zafer blieb vor einem relativ gut erhaltenen Haus stehen. Die Tür war offen und er trat einfach ein. Ich folgte ihm vorsichtig. Der Flur den wir betraten, war hell und offen. Türen, die verschlossen waren, führten in angrenzende Räume. Eine breite Treppe führte nach oben. Zafer ging an den verschlossenen Türen und der Treppe vorbei und trat stattdessen durch eine offene Tür am Ende des Flurs nach draußen. Ich folgte ihm. Ein staubiger Hinterhof empfing uns. Einzelne Pflanzen kämpften sich durch den harten Boden und ließen den Hof nicht mehr ganz so trostlos erscheinen. Aber der Blick wurde eindeutig von den großen Baum in der Mitte angezogen, in dessen Schatten Kinder saßen. Als sie Zafer bemerkten, sprangen sie auf und rannten zu ihm. Er ging in die Hocke und umarmte jeden der zu ihm kam. Sie redeten auf ihn ein und versuchten ihm alle gleichzeitig etwas zu erzählen. Es war rührend und kam so unerwartet, dass ich nur verdattert da stand. Ein kleines Mädchen traute sich nur zögerlich heran.
"Ruhig", rief Zafer lachend als die Menge immer lauter wurde.
"Ich möchte doch erstmal unseren Neuzugang kennenlernen."
Er wandte sich zu dem Mädchen und reichte ihr die Hand.
"Hallo mein Name ist Zafer und wer bist du?"
Ganz vorsichtig legte sie ihre Hand in seine und flüsterte einen Namen.
"Freut mich dich kennenzulernen, Nahila", antwortete Zafer.
Sie schien noch etwas zu ihm zu sagen und er nickte. Er drehte sich zu mir um.
"Das ist Mira, sie ist eine Freundin von mir."
Auf einmal stand ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
"Hallo"
Ich lächelte und winkte in die Runde.
"Wo kommst du her?", fragte ein Mädchen.
Ihr neugieriger Blick lag auf mir.
"Hat dich Zafer auch gefunden?", fragte ein Junge.
"Äh ja, so könnte man sagen", erwiderte ich.
"Okay genug Unterricht geschwänzt", unterbrach Zafer die Kinder bevor sie mir noch mehr Fragen stellen konnten.
Er stand auf und ging zu einer Frau, die ich erst jetzt bemerkte. Sie hatte am Rand gewartet. Jetzt begrüßte sie Zafer freundlich. Auch Zafer schien sie gut zu kennen. Ich ging langsam näher. Zafer drehte sich zu mir um.
"Mira, das ist Yasmina. Yasmina, das ist Mira."
Ich reichte Yasmina die Hand.
"Freut mich."
Kühl betrachtete sie mich und nahm dann für einen kurzen Moment meine Hand. Sie erwiderte nichts und wandte sie sich sofort wieder Zafer zu.
"Die Kinder kommen nicht mehr so oft. Das ist ein Problem. Sie sehen keinen Grund zum Unterricht zu erscheinen."
Ich fühlte mich etwas unwohl, weil ich nicht wusste, wovon sie sprach und sie mich auch bewusst ignorierte. Zafer nickte ernst.
"Ich weiß Yasmina, aber wir können sie zu nichts zwingen."
Über diese Antwort sah Yasmina nicht sehr glücklich aus. Aber sie nickte nur und wandte sich dann wieder den Kindern zu. Mit einem Ruf brachte sie die Kinder dazu sich wieder um sie zu versammeln. Kleine Schiefertafeln wurden vom Boden aufgenommen und die Kinder begannen mit einem Stück Kreide zu schreiben. Ich drehte mich zu Zafer um. Dieser sah nachdenklich die Kinder an.
"Das sind Straßenkinder", stellte ich fest, "und ihr unterrichtet sie freiwillig."
Zafer sah mich an und nickte.
"Komm mit."
Er ging voran und ich folgte ihm ins Haus.
"War das deine Idee?", fragte ich ihn.
"Nicht direkt, Harun hat mich auf die Idee gebracht. Zusammen mit anderen freiwilligen Helfern haben wir das Haus renoviert. Die meisten Kinder habe ich persönlich überredet ab und zu herzukommen."
"Woher kennst du Yasmina?", fragte ich dann.
Ein Lächeln schlich sich auf Zafers Gesicht.
"Ich war öfters auf gesellschaftlichen Empfängen oder Veranstaltungen. Ich brauchte Menschen, die bereit waren Kinder zu unterrichten und auch die Zeit dazu hatten. Also habe ich die Frauen und Töchter der Adligeren gefragt."
"Weil sie gebildet sind und Zeit haben", schlussfolgerte ich.
Zafer nickte und führte mich in einen Raum. Er war gemütlich eingerichtet. Zafer setzte sich an einen Tisch und ich setzte mich ihm gegenüber.
"Tatsächlich haben viele Frauen nur darauf gewartet der Langeweile zu entkommen. Yasmina war eine der ersten, die zugesagt haben."
Ich spürte einen leichten Stich der Eifersucht. Yasmina war in einer ähnlichen Situation wie ich gewesen. Nur war sie freier gewesen in ihrer Entscheidung etwas zu verändern.
"Was meinte sie damit, dass weniger Kinder kommen?", fragte ich.
Zafers Blick verfinsterte sich.
"Auch wenn es den Kindern auf lange Sicht helfen würde, lesen und schreiben zu können, lohnt es sich kurzfristig nicht für sie. Sie sehen keinen Sinn darin herzukommen, weil es ihnen nicht die Bäuche füllt."
Er schwieg und ich ebenfalls.
"Warum stellt ihr ihnen nicht etwas zu essen in Aussicht, wenn sie herkommen. Würde das vielleicht etwas ändern?"
Zafer schüttelte den Kopf.
"Woher sollen wir das Geld nehmen so viel Essen zu kaufen? Harun hat schon den ganzen Umbau des Hauses bezahlt. Ich will ihn nicht bitten noch mehr zu bezahlen."
Mir schoss das Blut in die Wangen. Daran hatte ich nicht gedacht. Ich bekam ja immer alles umsonst. Verlegen griff ich nach meiner Tasche und erfühlte die Geldbeutel. Mir kam eine Idee. Ich zog einen heraus und stellte ihn vor Zafer. Er hob eine Augenbraue.
"Was ist das?"
"Eine Spende für dich und die Kinder."
Er schüttelte nur den Kopf und beugte sich näher zu mir. Gleichzeitig schob er den Beutel zurück.
"Bist du verrückt dein ganzes Geld zu verschenken?"
"Es ist ja nicht alles", erwiderte ich und biss mir gleich darauf auf die Zunge.
Zafers Blick verfinsterte sich.
"Was soll das heißen?"
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