Chapter 4
"Hab dich nicht so." Das Wasser geht ihm bis zu den Hüften und präsentiert somit seinen makellosen Oberkörper. Ich schüttle vehement den Kopf.
"Es ist Frühling. In England. Es sind maximal 20 Grad!" Ich deute anklagend auf den Himmel, der es heute allerdings gut mit uns meint, denn es ist keine Wolke zu sehen.
"Es sind 18 Grad." Er zwinkert und ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Dieser Schuft.
"Das ist einer der schönsten Tage dieses Jahr und jetzt komm schon." Er watet aus dem glitzernden blauen Wasser und ich presse mich noch ein Stück näher an Violet, meine Stute. "Len." Seine Stimme fährt mir durch Mark und Bein und ich wende schnell den Blick ab. Seit über zehn Jahren hat mich niemand mehr so genannt.
"Ist alles okay?" Ich nicke nur und er kommt mir noch näher. Ich weiche zurück, aber Violet bleibt stehen und ich kann ihm nicht weiter entkommen.
"Komm her." Einladend streckt er seine Arme nach mir aus. Ich sehe, kleine Wassertropfen, die auf seiner Haut wandern und der Impuls, sie weg zu wischen, trifft mich vollkommen unvorbereitet.
Mein Blick bleibt an seiner Badehose hängen und verfinstert sich. "Wieso hast du überhaupt eine mitgenommen, ohne mir Bescheid zu sagen?", zicke ich und fühle mich sofort besser. Das ist sicheres Terrain.
Er schnalzt missbilligend mit der Zunge und stöhnt genervt auf. "Da ist nichts, was ich nicht schon gesehen habe", brummt er, während er mir den Rücken zudreht und zurück ins Wasser stampft. Ich schnappe empört nach Luft und werfe ihm böse Blicke hinter her. Hoffentlich spürt er das!
Der See ist nicht allzu groß, auf einer Seite ist Wald, so dass man kaum ans Wasser kommt. Aber links von uns befindet sich ein schmaler Streifen Sand. Ich stehe neben den Pferden, die genüsslich das saftigen Gras mampfen, auf einem kleinen Fleck Wiese. Und so langsam löse ich mich aus meiner Schockstarre. Wollte er echt, dass ich ihn berühre?
Das Wasser funkelt und das gleißend helle Licht der untergehenden Sonne spiegelt sich darin. Bis auf wenige Ausnahmen verlief der Ausritt bis jetzt in einvernehmlichen Schweigen.
Man sollte nicht denken, dass das möglich ist, aber Mason schreitet fast schon majestätisch durch das Wasser. Seine breiten Rückenmuskeln spannen sich an und gedanklich fahre ich die Struktur jedes einzelnen Muskeln nach. So ein Mist!
Ich lasse mich auf den Boden plumpsen und die Sonne in mein Gesicht scheinen. Meine Nase kitzelt und ich schließe genießerisch die Augen.
Augenblicklich vermisse ich die Wärme als eine Wolke vor die Sonne zieht. Mit gerunzelter Stirn öffne ich die Augen und erblicke den wahren Übeltäter sofort. Jedenfalls seine Knie. Ich schaue zu ihm hoch und er betrachtet mich nachdenklich.
Dann schlingt er seine Arme plötzlich um mich und eine Sekunde später, legt er mich auf seine Schulter. Wie ein Sack Kartoffeln! Ich zapple mit den Beinen und trommle wild auf seinem Rücken herum, aber das scheint ihn nur noch mehr an zu spornen. Mein Kreischen nimmt hysterische Ausmaßen an und er geht, ohne meine Gegenwehr auch nur zu bemerken, mit großen Schritten in den See.
Schlagartig höre ich auf meine Kräfte unnötig zu verschwenden, statt dessen klammere ich mich so gut wie es geht an seine Hüfte. Er lacht schallend und lässt sich einfach zur Seite kippen. Ich lande zur Hälfte auf ihm und bevor ich weiß, wie mir geschieht, tauche ich unter. Das Wasser ist überall, es dringt in meine Nase und den Mund ein.
Zwei kräftige Arme ziehen mich wieder hoch und ich stehe reglos da und versuche wieder zu Atem zu kommen. Mason sieht mich besorgt an. "Was war das denn?"
"Was meinst du?", frage ich, während ich das Wasser, dass mir bis zur Brust geht nervös scanne. Gleichzeitig streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht.
"Du hast dich nicht bewegt."
"Das ist doch Blödsinn." Ist es nicht.
"Eleonore."
"Mason", hauche ich kraftlos und sinke in seine Arme, die er noch immer um mich geschlungen hat. Sie sind einfach zu verlockend. "Ich habe Angst vor Wasser." Meine Stimme bebt und ich halte den Blick beschämt gesenkt.
"Seit wann das denn?" Seine Stimme klingt ernst und aufrichtig besorgt, aber ich habe kein Interesse daran, ihm meine Lebensgeschichte zu erzählen.
"Können wir zurück reiten?", antworte ich stattdessen und löse mich vorsichtig aus seinen Armen. Das war eine halbe Umarmung mehr, als das, was du die letzten Jahre von irgendwem bekommen hast.
Mit zitternden Beinen und kleinen Schritten nähere ich mich dem Ufer. Ich spüre Masons bohrenden Blick in meinem Rücken, aber ich drehe mich nicht um. Wahrscheinlich fragt er sich, was mit dem kleinen lebhaften und in Wasser vernarrten Mädchen von damals passiert ist.
"Es tut mir leid, okay. Ich wusste es nicht, ich hätte aufgehört, wenn du es mir gesagt hättest." Er sieht ehrlich bedrückt aus. Normalerweise bräuchte ich nach so einem Zwischenfall die nächsten Stunden, um mich wieder zu beruhigen. Aber in meinem Kopf geistert eine Idee und diese nimmt langsam Form an.
Es gibt nur einen Haken. Er muss dafür ein wirklich schlechtes Gewissen haben. Und dafür muss ich ihm etwas erzählen, was ich noch nie jemanden erzählt habe. Dabei ist er derjenige, der es erst recht nicht wissen soll. Ich steige auf meine Stute und sie schlägt den Rückweg von ganz alleine ein.
Ich warte bis Mason zu mir aufholt. Triefend nass und immer noch nur in seiner Badehose. Bevor meine Augen sich verselbstständigen, beginne ich zu erzählen. "An dem Tag, wo wir abreisen wollten, warst du nicht an unserem vereinbarten Treffpunkt." Er sieht mich einen Moment ratlos an, scheint dann aber zu verstehen, dass ich von dem Sommer von vor zehn Jahren rede. "Ich war so wütend und enttäuscht. Ich habe mir Snoopy geschnappt und bin mit ihr hier her gekommen." Seine Augen sind aufgerissen und sein Kehlkopf hüpft unruhig.
"Ich bin mit ihr ins Wasser geritten, wie wir es öfter gemacht haben. Aber sie hat sich erschrocken. Ich bin runter gefallen, mit dem Kopf nach unten ins Wasser eingetaucht und auf dem Boden aufgeschlagen. Ich konnte mich nur mit allerletzter Kraft ans Ufer schleppen. Meine Mutter hat mich ein paar Stunden später gefunden und war fuchsteufelswild. Sie dachte, ich hätte mich einfach hier versteckt."
Seine dunklen Brauen sind zusammen gezogen und er fährt sich angespannt durch sein immer noch feuchtes Haar. Violet taucht ihre Nase ins Gras um zu fressen und ich drücke die Schenkel an ihren Bauch. Augenblicklich trabt sie an und ich drehe mich zu dem verdatterten Mason um. "Wer zuerst da ist", rufe ich, während ich angaloppiere und meinen Blick nach vorne richte.
Alles ist besser, als sich dem mitleidigen Blick von anderen zu stellen.
"Ausgeschlossen." Er funkelt mich wütend an und baut sich breitbeinig im Eingang des Stalls auf.
"Wieso denn nicht?", frage ich ebenso zornig und gehe mutig zwei Schritte auf ihn zu.
"Ich muss es dir wohl noch zehn Mal erklären. Er lässt sich nicht reiten. Er buckelt und bockt und er hasst Menschen!"
"Sag mal, was verstehst DU daran eigentlich nicht? Ich bin schon mit ihm ausgeritten und es hat alles geklappt", brülle ich jetzt zurück. Wie kann eine Person so nervig sein?
"Das war wahrscheinlich ein anderes Pferd." Da ist sie wieder, die Arroganz und die Überheblichkeit in seiner Stimme, die ich so verabscheue.
"Nein, es war Doc", protestiere ich weiter. "Woher willst du wissen, dass man ihn nicht reiten kann? Hat er dich abgeworfen oder was?" Bei den Worten funkeln meine Augen amüsiert, doch er presst seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und nickt zähneknirschend. Das nenne ich mal ins Schwarze getroffen.
"Nicht nur mich. Auch alle anderen, die auf ihm saßen", nimmt er seine Reitkünste und seinen Stolz in Schutz.
"Außer mir!", halte ich weiter gegen und spüre dabei ganz deutlich, dass ich ihn langsam aber sicher zur Weißglut treibe. "Weißt du was? Lass es mich dir doch einfach zeigen!"
Und ohne dass er reagieren kann, öffne ich die Boxentür von Doc und schließe sie hinter mir. Das große Tier schaut mich aufmerksam an und lässt mich keine Sekunde aus seinen großen, wachsamen Augen.
"Hey, mein Schöner." Sanft streiche ich über seinen Hals und er schnaubt leise.
"Len?" Mason steht vor der Box und betrachtet uns mit großen Augen. Ich sehe, wie Doc nervös mit den Augen spielt und bitte Mason, sich ein paar Schritte zu entfernen. Er steht da mit dieser 'Ich habe es dir doch gesagt Miene', aber ich lasse mich davon nicht beirren.
"Komm, mein Schöner." Ich lege ihm das Halfter um und führe ihn raus.
Seine starken Muskeln vibrieren vor Anspannung, während wir über den großen Außenplatz galoppieren. Masons Anwesenheit habe ich schon lange ausgeblendet. Es gibt nur noch Doc und mich. Wir nehmen ein paar kleinere Hindernisse mit und ich spüre, wie er immer schneller wird.
Ich fühle, wie viel Spaß er daran hat, endlich mal richtig laufen zu können. Man könnte diesem aufgeblasenen Schnösel ja mal einen kleinen Schrecken einjagen. Als Rache für vorhin...
Ich steuere Doc auf den niedrigen Zaun zu und er setzt zum Sprung an. Hinter dem Platz beginnt direkt die große Wiese, die in den Wald führt und über die jagen wir jetzt.
Es gibt kein schöneres Gefühl. Nichts fühlt sich so sehr nach Freiheit an, als im schnellen Galopp über eine Wiese zu reiten.
"Wartest du auf jemand Bestimmtes?", necke ich ihn, als wir wieder beim Stall ankomme. Dabei ist es zwecklos mein belustigtes Lächeln zu verbergen. Er schnaubt nur abfällig.
"Dir hätte sonst was passieren können." Vorwurfsvoll runzelt er die Stirn, während ich mich frage, warum ihn das überhaupt juckt. Sein Stolz muss echt angeschlagen sein.
"Ist es nicht." Ich zucke mit den Schultern und schiebe mich an ihm vorbei. Der Tag ist ganz schön lang geworden und es ist nicht so einfach gewesen, wie ich gedacht habe, Doc zum langsamer werden zu überreden. Mit anderen Worten er ist komplett durchgegangen. Aber die Blöße werde ich mir vor ihm ganz sicher nicht geben.
Die Fahrt nach Hause kommt mir viel länger vor als sonst und meine Glieder werden von Minute zu Minute immer schwerer. Ich versuche die Augen offen zu halten und trotte im Schneckentempo die Treppen zu unserem Appartement hoch.
Es ist nach zehn, also erwarte ich nicht, meine Mutter anzutreffen und tatsächlich, ausnahmsweise, habe ich Glück. Sie schläft. Ich lasse das Abschminken weg, putze mir die Zähne und ziehe meine Schlafsachen an. Dann falle ich ins Bett und schlafe sofort ein.
***
Am nächsten Tag schmerzt jeder verdammte Schritt. Alles tut weh. Meine Beine brennen und sogar mein armer Rücken ist von diesem oberfiesen Muskelkaterangriff nicht verschont geblieben. Von meinem Hintern will ich gar nicht erst anfangen.
Ich öffne die Tür zu meinem Büro und starre sehnsüchtig auf die Tasse in meiner Hand. Dampfender, schwarzer Kaffee bewirkt einfach Wunder. Und genau das brauche ich jetzt. Kaffee und meine Ruhe.
"Len, du gehst so komisch. Geht es dir nicht gut?" Mason. In meinem Büro. Genauer gesagt, auf meinem Schreibtisch. Er lehnt sich lässig gegen ihn, verschränkt seine Arme vor der Brust und grinst fröhlich. Das Schicksal muss mich hassen.
"Arroganter Kotzbrocken", brumme ich vor mich hin und hoffe, dass er es hört.
"Also Süße, wenn es dir wieder besser geht." Er deutet auf meine Beine und sein Grinsen wird noch breiter. Seine perfekten, weißen Zähne glänzen unnatürlich. Niemand sollte so schöne Zähne haben. Es wäre viel einfacher, ihn raus zu schmeißen, wenn sie gelb wären, oder noch besser schwarz! Ja, das würde ihm Recht geschehen. "Dann würde ich gerne mit dir Tennis spielen", beendet er seinen Satz und reißt mich aus der geistigen Verschönerung seines Gesichts.
"Bitte was?", entfährt es mir und meine Miene verfinstert sich. "Warum?"
"Mir ist hier ziemlich langweilig und du... machst es hier irgendwie erträglicher."
Ich nicke, als würde ich verstehen, was er damit meint. Tue ich nicht. War das ein Kompliment? Bin ich eine Notlösung? Niemand weiß es. Und dabei wird immer gesagt, Frauen seien kompliziert.
"Der Vergangenheit wegen, weißt du? Du hast so ungern verloren und ich möchte wieder diesen super aggressiv- enttäuschten Blick sehen, den du mir dann immer zugeworfen hast. Eine Stunde lang hast du es ausgehalten, mich zu ignorieren. Meinst du, das schaffst du heute immer noch?"
"Erstens, ich habe seit zehn Jahren nicht gespielt. Zweitens wäre es wahrscheinlich trotzdem kein Problem für mich, dich zu schlagen und drittens warst du das eingeschnappte Mädchen!"
Er grinst nur. "Süße, du kannst dir einreden, was immer du willst. Wir beide wissen, wie es wirklich gelaufen ist."
"Ja, wissen wir", bekräftige ich meinen Standpunkt. Ich bin nicht bereit, klein bei zu geben. Weder jetzt noch irgendwann!
"Morgen zehn Uhr?" Seine vollen Lippen verziehen sich zu einer schmalen Linie und sein Blick wird plötzlich ernst. Ich verstehe. Kann er haben.
Meine Miene wird neutral und ich strecke ihm auffordernd die Hand entgegen. "Morgen zehn Uhr."
Wir bleiben beide in unseren Rollen, während wir einen kräftigen Händedruck austauschen. Dann wendet Mason sich mit einem höflichen Nicken ab und sobald er den Rücken zu mir gedreht hat, grinse ich und erhebe meinen rechten Mittelfinger in seine Richtung. Ich höre ihn lachen und schüttle nur meinen Kopf. Wir sind komisch.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro