Kapitel 11| Neuanfang wagen?
Die Woche war schnell vorbei und ich hatte wenig Zeit gehabt für Freizeit. Heute war Freitag und ich freute mich auf den sonnigen Nachmittag auf der Dachterrasse mit Ella.
Doch vorher musste ich noch ein paar Dinge erledigen.
Ich schultere meinen Rucksack und war auf direktem Weg in den It-Raum. Heute wollte ich ein paar Programmierungen ausprobieren, die mir schon länger im Kopf schwirrten.
Als ich die Tür zum Computerraum öffnete, wehte mir der bekannte Geruch von Staub und Energy-Drinks entgegen. Manche Studenten saßen bis spätabends hier und probierten sich aus oder unterhielten sich über die neuesten Kniffe und Tricks.
Zwischendurch fand man auch den ein oder anderen Mediendesignstudenten hier, wie mich, wobei ich die Kombination aus programmieren und designen so faszinierend fand.
Und ein paar Überflieger kreierten hier neue Apps und Spiele.
Einmal in der Woche gab es wie ein Briefing, an dem jeder in dieser AG teilnehmen konnte. Es war keine Pflicht, aber wenn man irgendwo feststeckte, konnten einem andere eine Lösung zeigen oder generell helfen.
Ich wählte einen Tisch nahe der Fenster, stöpselte meinen Laptop ans Netzwerk und setzte mir meine großen Kopfhörer auf.
Auch wenn ich komplett digitalisiert war, ging nichts über das gute alte Papier und einen Stift. Denn während des Programmierens, schrieb ich mir gerne die ein oder andere Notiz, um meinen Weg nicht zu vergessen.
Ella schrieb mir eine kurze Nachricht, das sie schon heute über das Wochenende nach Hause musste. Da war der schöne Nachmittag mit meiner besten Freundin dahin, aber was sollte es. Dann hatte ich auch mal wieder ein wenig Zeit nur für mich.
Ich war in meiner Ecke heute fast alleine und verlor mich in meiner Playlist.
Leise summte ich die Melodien mit und vertiefte mich in meine Arbeit.
"Are you someone that I can give my heart to?
Or just the poison that I'm drawn to?
It can be hard to tell the difference late at night
Play fair, is that a compass in your nature?
Or are you tricky?
'Cause I've been there
And baby, I don't need to learn my lesson twice"
Dua Lipa schallte durch meine Ohren.
Irgendwann nährte sich mit jemand und ich sah hoch, bevor mich Timothy antippen konnte.
Hinter ihm stand Anderson.
„Der hat dich gesucht. Kennst du den?"
Wir wurden hier in unserer Welt nicht gerne gestört, deswegen war seine direkte Frage und der genervte Unterton auch normal.
„Danke Timothy, ich kenne Nickolas."
Timothy warf Nick einen letzten missbilligenden Blick zu, bevor er uns zurückließ.
„Mit dem ist wohl nicht zu scherzen."
Nick nahm sich einen der leeren Stühle und setzte sich falsch herum darauf.
"Schöne Stimme hast du!"
Meine Reaktion blieb aus.
Ich war bereits wieder auf meine Arbeit konzentriert und sah nur kurz über meinen Bildschirm zu Timothy, der schon wieder neben Kat saß. Durch seine schmale Figur mit dem dunkelblonden Locken und der dicken Brille sah er eigentlich immer sehr friedlich aus, aber das täuschte.
Timothy und Kat konnten richtig sauer werden, wenn man sie beim Programmieren ihrer neuen App störte.
Ich ließ meine Finger über die Tastatur schweben und meine Pupillen folgten den Zeichen auf meinem Bildschirm.
„Was machst du da?"
Fragte Nickolas interessiert.
„Was willst du Anderson?"
Ich schrieb einfach weiter und sah ihn noch nicht mal an.
„Ich habe dir mehrmals die Woche geschrieben und dich gefragt, wann wir uns wieder treffen und wie es weiter geht, aber du antwortest einfach nicht."
„Ich war beschäftigt Anderson."
Das war keine Lüge. Ich hatte wirklich viel zu tun und nach der intensiven Party wollte ich einfach meine Ruhe vor Nick haben.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er seine breiten Arme über die Stuhllehne kreuzte.
„Das sehe ich...Aber wir sollten doch wissen wie es weiter geht. Dein Bruder hat mir geschrieben, ob wir schon Ideen für sein Junggesellenfest haben und das ich sicherheitshalber ein Auge darauf werfen soll.
„Du schreibst mit meinem Bruder?"
Jetzt drehte ich meinen Kopf doch zu Nick und er grinste mich stolz an. Ich entließ ein genervtes Stöhnen und beendete meine Arbeit vorerst.
„Sollen wir jetzt darüber reden, was wir bei dem Abschied deines Bruders machen und wie es mit Faye weiter geht? Wir haben uns ja ganz nett unterhalten aber ich glaube, das war mehr deinetwegen als meinetwegen. Denn bis jetzt schenkt sie mir immer noch nicht wirklich Beachtung."
„Heute ist mein Abend mit Ella."
Nickolas Lächeln verschwand mehr und minder, bis es weg war und er sah mich ernst an.
„Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst und das alles nur tust, weil du einen Vorteil an dem Abkommen hast aber ich würde mich wirklich freuen, wenn wir Freunde sein könnten und nochmal von vorne anfangen. Egal, was dich an mich so geärgert hat, es tut mir leid."
Ich legte meinen Kopf leicht schief. Er war sich wirklich nicht bewusst, was er mit mir gemacht hatte. Warum es so geschmerzt hatte, das er mich achtlos versetzt hatte. Vielleicht war mein Groll gegen ihn nach all der Zeit wirklich nicht mehr begründet. Und ich bin viel stärker aus dieser ganzen Geschichte heraus gekommen. Wer weiß wie viele Männer mich sonst noch verarscht hätten?
"Das ist mein Extrawunsch, den ich noch offen habe."
Schob er hinterher.
"Du willst ihn dafür opfern?"
Erwiderte ich.
Er zuckte verlegen mit den Schultern.
"Mir ist das wichtig!"
Es schien ihm ehrlich daran gelegen zu sein, das wir uns verstanden und das nicht nur wegen Kandy.
Und wenn ich ehrlich war, würde das unser Miteinander um einiges leichter machen.
Ich musste mich bis jetzt immer zwingen ihn vor anderen zu mögen und das natürlich zu zeigen.
Langsam löste er seine gekreuzten Arme und hielt mir seine offene Hand hin.
„Hi, ich bin Nickolas Anderson, aber bitte nenn mich doch Nick, das habe ich lieber."
Zögerlich hob ich auch meine Hand und legte sie in seine warme große.
„Venus, aber viel lieber Vee."
„Oder Smiley?!"
Seine Mundwinkel zuckten verdächtig.
„In Ordnung, dann nenne ich dich weiter Nickolas. Passt sowieso besser."
Kurzzeitig verschwand das Lächeln, bis es breiter zurückkam.
„Wie du willst Süße. Aus deinem schönen frechen Mund höre ich meinen ganzen Vornamen liebend gerne."
Ich nahm meine Hand wieder zurück.
„Wenn das hier funktionieren soll und du es mir Faye ernst meinst, musst du wirklich aufhören mit mir zu flirten."
„Ohhh Smiley, du verdirbst einem aber auch jeden Spaß."
Ich verdrehte kurz die Augen aber lächelte dabei leicht. Mit einem Handgriff hatte ich den Laptop heruntergefahren und vom Netzwerk getrennt. Jetzt packte ich ihn zusammen mit den Notizen ein, die sich Nick neugierig ansah.
„Bist du sowas wie eine Hackerin? Muss ich mir da Sorgen machen?"
„Ich eher nicht. Vielleicht könnte ich kleine Schäden anrichten, ein paar hundert Dollar von deinem Konto klauen oder ähnliches. Aber vor wem du dich wirklich in Acht nehmen solltest ist deine Favorisierten. Gerüchte sagen, das sie eine Cyberqueen ist und im Darknet sehr bekannt."
„Ach, das ist sicher nur dummes Gerede!"
Ich schulterte meinen Rucksack und sah ihm in die hellen Augen.
„Vielleicht hast du recht."
„Solange du harmlos bist, ist alles gut."
„Wer hat was von harmlos gesagt?"
Schmunzelte ich und zwängte mich an ihm vorbei.
Nickolas Augen wurden weit, als er zu mir aufschloss und neben mir her aus dem IT-Raum lief.
„Ich kann, wenn ich möchte, ein Foto von dir aus Sozialmedia so verändern, das es aussieht, als würdest du nackt und drei Uhr nachts auf dem Schreibtisch des Unidirektors tanzen.
„Niemals!"
Wetterte er dagegen.
„Es wäre so realistisch, das es niemand infrage stellen würde."
Schob ich beiläufig hinterher.
„Du verascht mich?"
Ich began plötzlich herzhaft zu lachen, weil ich den Nickolas Anderson so schockiert hatte.
Er entspannte sich langsam aber sein Gesichtsausdruck war so lustig gewesen, dass es eine ganze Zeit dauerte, bis ich mich wieder beruhigte.
Es war ein echtes Lachen gewesen, so eines, was ich nur noch selten benutzte und ich musste mir sogar noch Lachtränen wegwischen.
„Freut mich das ich dich mit meiner Angst um mein Ego und meinen Ruf so amüsiere."
„Keine Sorge, ich werde das nie machen. Selbst wenn ich dich hasse."
„Hast du mich etwas vorher nicht gehasst? Wie bist du zu jemanden, den du wirklich nicht ausstehen kannst?"
Ich zuckte nur mit den Schultern und Nickolas begleitete mich bis nach draußen.
„Hast du morgen Nachmittag Zeit?"
Ich blinzelte ihm entgegen, als wir kurz stoppten. Ella war gar nicht da. Ja, heute war normalerweise unser Mädelsabend aber sie musste nach Hause wegen einer Familiensache. Ich hatte diese Ausrede nur als Vorwand genutzt, um weitere Fragereihen von Nick zu unterbinden. Doch er würde eh nie aufgeben und ich hatte ihm meine Hand darauf, gegeben nochmal von vorne anzufangen.
Also musste ich jetzt auch zu meinem Wort stehen.
„Du kannst auch jetzt mit zu mir kommen. Ella ist gar nicht da."
„Venus Amaryllis Parupolous, hast du mich etwas einfach angelogen?"
Ein kurzer Schauer lief mir über den Rücken, als er mich bei meinem vollen Namen nannte und mich dabei so intensiv musterte. Er hatte nur einen Scherz gemacht, reiß dich zusammen Venus.
Ich sagte nichts weiter, bis es anfing komisch zu werden.
"Hast du vielleicht auch Hunger?"
War das erst Beste, was mir einfiel.
"Ja sehr! Können wir nochmal etwas von dem griechischen Essen vom letzten Mal holen?"
Fragte er hoffnungsvoll und ich musste lächeln. Es hatte ihm wohl richtig gut geschmeckt.
"Gerne. Wollen wir uns in einer Stunde bei mir treffen? Dann hole ich vorher das Essen..."
Doch Nick schüttelte direkt seinen Kopf und zog die Schultern an.
"Ich komme mit. Ich habe nichts mehr vor und ich helfe dir gerne."
"Okay gut, mit dem Bus sind es nur drei Haltestellen, ich gebe dir die Adresse und dann treffen wir uns da."
"Oder du fährst einfach mit mir mit!"
Ich zog die Unterlippe zwischen meine Zähne ein und ließ anschließend einen schnalzenden Laut mit meiner Zunge.
"Keine Chance Nickolas."
Er lachte auf.
"Wieso?"
"Weil man jemanden voll und ganz vertrauen muss, um mit ihm auf ein Motorrad zu steigen. Du kannst uns in nur einem Augenblick, mit einer falschen Entscheidung umbringen."
"Das ist ein wenig krass, Smiley."
"Ich meine es ernst. Ich fahre nicht mit dir mit. Außerdem ist das doch auch wieder nur so eine Masche um Frauen für dich zu begeistern."
Er hob amüsiert eine Augenbraue und trat was näher.
"Aber wir sind doch nur Freunde Smiley und ich flirte daher nicht mehr mit dir. Wieso sollte ich dann mein Motorrad dafür nutzen?"
Jetzt war ich es mal wieder die keine passende Antwort bereit hatte.
"Komm schon. Ich fahre auch ganz langsam."
"Na gut!"
Ich kreuzte meine Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an, nachdem sich ein Grinsen auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte.
"Aber ich fahre!"
Ich streckte meine Hand aus und sein Gesicht fiel augenblicklich in sich zusammen.
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