XI | 4.
Der Becher kippelte gefährlich, als Jonathan mit einer abrupten Bewegung dagegenstieß. Orphelia konnte gerade noch verhindern, dass sich das Wasser über die Vitaminpillen ergoss. Dann fiel der Löffel auf den Boden. Jonathans linke Wange war mit Brei überzogen.
Schon als Orphelia den Raum betreten hatte, hatte sie bemerkt, dass etwas anders war. Der Junge schien unruhig und aufgewühlt auf eine Weise, die sie so nicht von ihm kannte. Sie glaubte sogar, ihn kurz zittern gesehen zu haben.
„Stimmt etwas nicht, Jonathan?", fragte sie. Wie gewohnt bekam sie keine Antwort, doch diesmal sah er sie nicht einmal an. Sein Blick war starr auf die Wand gerichtet. Wieder kurzes Zittern. Brei tropfte von seinem Gesicht.
Orphelia wollte mit dem Ärmel ihres Kittels über sein Kinn wischen, doch sie hielt sich zurück. Sie würde ihn ja doch baden müssen. Ein paar Mal tippte Orphelia auf ihr Armband, dann klickte die Tür und sie stand auf. „Wir machen dich jetzt sauber, in Ordnung? Na, was hältst du davon?"
Einige Minuten später hatte sie eine Metallwanne in den Raum gebracht und mit warmem Wasser gefüllt. Orphelia hob Jonathan von seinem Stuhl, kniete sich mit ihm auf den Boden und zog ihm vorsichtig das weiße Nachthemd über den Kopf. „Das wird dir gefallen, das Wasser ist ganz warm", sagte sie, tauchte eine Hand in die Wanne und strich ihm die Haare aus der Stirn. „Siehst du? Setzt du dich einmal für mich hier rein?"
Als das Wasser sein Gesicht benetzte, riss Jonathan die Augen auf. Sofort begann Orphelia beruhigend über seine dürren Arme zu streichen und leise auf ihn einzureden. Ganz langsam ließ seine Anspannung nach. Sie fing an, ihn behutsam in Richtung Wanne zu lenken, doch als er mitbekam, was sie vorhatte, krampfte und zitterte er und sackte auf dem Boden zusammen.
Das Wimmern, das er dabei von sich gab, erinnerte Orphelia auf schreckliche Weise an das letzte Treffen mit Dr. Evans. Augenblicklich breitete sich in ihr die gleiche Unruhe aus, die sie an diesem Tag beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte und wieder war sie sich unsicher, wie sie mit diesem Gefühl umgehen sollte.
Kurzer Hand griff Orphelia nach Jonathans kleinem Körper und drückte ihn gegen sich. Sein Atem war stockend und Orphelia glaubte, ihn etwas murmeln zu hören. „Alles ist gut, Jonathan. Wir haben Zeit. Dir geht es gleich besser und dann können wir ganz in Ruhe baden", flüsterte sie.
„Nein", murmelte Jonathan lauter und schüttelte den Kopf, „Nein, nein, Lia... nicht ins Wasser... Blau..." Er wurde hektischer, wollte sich von ihr lösen und begann zu strampeln. Sofort drückte Orphelia ihn stärker an sich. „Hey, hey", sagte sie und strich ihm über den Kopf, „Dann baden wir nicht. Alles ist gut. Alles ist gut, Jonathan." Kurz war es Still.
„Alles ist rot, Lia", nuschelte er dann, „An der Wand ist Rot. Wie Blut..."
Das Wimmern verwandelte sich in ein leises Weinen und Orphelias Herz erzitterte. Eine Träne lief ihre Wange hinunter.
„Nicht wie Blut, Jonathan. Wie Bonbons. Es ist rot wie Bonbons."
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