~𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟞: 𝕋𝕙𝕠𝕣𝕟𝕤𝕓𝕦𝕣𝕪~
Etwa 4 Wochen zuvor...
„Elouise! Lass uns heim gehen!", schrie ihre Mutter ihr hinterher. „Ich bin kein kleines Kind mehr!" Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief Richtung Fluss. Sie fühlte sich wohl im Regen. Obwohl es wie aus Eimern schüttete, genoss Elouise jede Sekunde. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt wie jetzt. Keine Verpflichtungen, keine Aufgaben, keine Verantwortung. Vorher hatte sie kaum etwas allein unternehmen können, denn immer musste sie auf ihre kleinen Geschwister aufpassen, oder ihrer Mutter helfen, die knapp bei Kasse war. Viel zu früh hatte Elouise ihre Kindheit aufgegeben, um für das Überleben ihrer Familie zu sorgen.
Heute jedoch nicht. Als sie das Ufer erreichte, schaute sie sich um. Ihre Mutter hatte sie dem Anschein nach nicht verfolgt und das war ihr sogar recht. Jetzt würde sie endlich mal das tun können, was sie wollte und nicht das, was ihre Mutter verlangte. Elouise schloss ihre Augen und konzentrierte sich auf das Plätschern des Regens. Ihre Kleider waren schon völlig durchnässt, doch das störte sie nicht. In Thornsbury hatte es seit dem Verschwinden dieses Mädchens, Talia oder so ähnlich, andauernd geregnet. Während sie so dastand, löste sich langsam die Last von ihren Schultern, welche sie die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte. Aber erneut ertönte die aufgebrachte Stimme ihrer Mutter. Sie hatte sich geirrt. Ihre Mutter würde immer kommen. Wieso? Wieso kann sie mich nicht einmal in Ruhe lassen? Wieso kann ich nicht mal etwas für mich entscheiden? Reflexartig rannte sie los. Immer dem Fluss entlang, über Äste und Steine. Oft rutschte sie aus, doch sie konnte sich immer wieder auffangen. Sie wollte noch nicht nach Hause.
Elouise hatten kein bestimmtes Ziel. Sie wusste ja nicht einmal, wo sie überhaupt war. Im Moment wollte sie nur weg: von ihrem Leben und den ganzen Verpflichtungen, die sie hatte. Nichts war ihr lieber: als die Natur. An einer Blumenwiese machte sie Halt. Ihr Sommerkleid klebte an ihrer zarten Haut. Sie stellte sich vor, wie es wohl wäre ohne den Regen. Die Düfte, der warme Wind und die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Sie lief über die Wiese und sprang durch Pfützen wie ein kleines Kind. Lachend drehte sie sich im Kreis. Wenn mein Sommerkleid nicht an mir kleben würde, hätte es sicherlich super ausgesehen. Doch auch das war ihr egal. Alles, was zählte, war das hier und jetzt.
In einer kleinen Distanz sah sie eine gelbe Rose. Diese Blumenart war eine ihrer Lieblingssorten. Elouise ging näher an sie heran und betrachtete sie genau. Die Rose strahlte fast wie die Sonne, die sich schon seit Wochen nicht mehr hatte blicken lassen. Sie selbst hatte noch nie so eine schöne Rose gesehen. Während sie die Blume bewundernd betrachtete, holte ihre Mutter auf. „Komm jetzt endlich!" Erschrocken zuckte Elouise zusammen. Sie ist mir wirklich gefolgt. Fluchend stand sie auf und gehorchte, doch die Rose nahm sie mit. Elouise hatte die Idee, sie zu züchten. Sie verstand zwar nicht viel von der Gärtnerei, aber so schwer konnte das ja nicht sein. Als ihre Mutter ihre Vorträge über ihr schlechtes Benehmen hielt und wie undankbar Elouise doch sei, nahm sie das kaum wahr. Immer wieder dachte sie zurück an die Freiheit, die sie gespürt hatte.
Ranville Manor in Thornsbury...
Die Kirchenuhr schlug Mitternacht, als Elouise durch den Garten schlich. Im weißen Nachtgewand lief sie über den noch matschigen Boden. Es hatte aufgehört zu regnen, zum ersten Mal seit einer langen Zeit. Im Gewächshaus betrachtete sie ihre Rose. Es schien, als ob sie strahlen würde. Einem inneren Drang folgend, streckte Elouise ihre Hand aus und brach die Blüte ab.
Plötzlich schlug die Gewächshaustür auf. Der Wind peitschte wie wild umher und pustete ihr das Haar ins Gesicht. Das Glas des Gewächshauses zersprang und übersäte ihren Körper mit Glasscherben. Überall floss Blut aus kleinen Wunden, doch der Schock lähmte sie. Jeder Versuch, sich zu bewegen, scheiterte auch an den Schmerzen ihres Körpers. Das weiße Nachtgewand war an vielen Stellen zerfetzt und rot. Obwohl Elouise ununterbrochen schrie, hörte sie niemand. Panik ergriff sie. Tränen trübten ihre Sicht und die Umgebung verschwamm.
Strahlend gelbe und leuchtende Ketten fesselten ihren Körper und brachten Elouise zu Boden. Sie griff sich an den Hals und versuchte die Kette von sich zu reißen. Erfolgslos. Stattdessen wickelte sie sich immer stärker um ihren Körper und drückte ihren Kehlkopf zu. Nach und nach bekam sie immer weniger Luft. Verzweifelnd versuchte sie zu atmen. So wollte Elouise nicht sterben. Mit einem Mal ertönte eine leise Melodie und alles – einfach alles – wurde in ein unglaublich helles gelbes Licht getaucht. Es war so hell, dass sie ihre Augen schließen musste, um nicht geblendet zu werden. Die Ketten zerfielen und Elouise Hände sanken zu Boden in eine warme Blutlache. Sie öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, und die Melodie verstummte abrupt. Doch kein einziger Ton kam heraus. Für sie war es schon zu spät. Lächelnd tätigte sie ihren letzten Atemzug und schloss für immer ihre Augen.
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