~𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟝: 𝕄𝕒𝕨𝕓𝕣𝕠𝕠𝕜~
Die Nacht war schon hereingebrochen und Isabell irrte immer noch durch den Wald. In der Dunkelheit konnte sie kaum erkennen, wo sie langlief. Häufig stolperte sie oder verfing sich in einem Strauch. Die Nacht war sternenklar. Trotzdem konnte sie wirklich gar nichts erkennen. Nicht einmal der helle Mond konnte ihr als Wegweiser dienen. Nach einer ganzen Weile war Isabell dann schließlich zu erschöpft. Ihr Körper hatte ihr den Dienst endgültig versagt. Sie hatte nun seit Wochen im Haus herumgegammelt und hatte sich kaum bewegt und dieser Ausflug überforderte sie. Was hatte sie eigentlich erwartet? Oft dachte Isabell an ihre Mutter. Ständig fragte sie sich, was sie jetzt wohl zu Hause machen würde. Hatte sie ihr Fehlen schon bemerkt? Natürlich. Das zerbrochene Fenster war ja ziemlich aussagekräftig.
Isabell wurde klar, dass sie nicht hätte weglaufen sollen. Sie wusste, dass sich ihre Mutter jetzt unglaubliche Sorgen machte. Sie hatte schließlich schon ihren Mann verloren, wenn ihre Tochter noch dazu käme, wäre das ihr Tod. Obwohl Isabell ihre Mutter nicht besonders leiden konnte, wollte sie nicht, dass sie verletzt wurde oder traurig war. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wieder und wieder rannen Tränen über ihre Wangen. Alles, was sie gewollt hatte, war, dass sie das Haus verlassen konnte und ein wenig von ihrem alten noch halbwegs normalen Leben zurückbekam. Jetzt saß sie hier allein, ohne Orientierung und mit einer ungeheuren Angst. Ihre Augenlider wurden immer schwerer und sie gab sich ihrer völligen Erschöpfung hin. Isabell schaffte es noch irgendwie sich hinzulegen und schlief ein.
Fünf Stunden später...
Als Isabell aufwachte, ging die Sonne gerade auf. Sie hatte sehr starke Kopfschmerzen und auch eine kleine Wunde, die durch ihren Aufprall gestern entstanden sein musste. Ihr Magen schrie nach Essen und ihre Kehle war ausgedörrt. Wann hatte sie zuletzt etwas gegessen? Mühsam rappelte sie sich Stück für Stück wieder auf ihre Beine auf. Ihr ganzer Körper schmerzte. Isabell lehnte sich gegen einen Baumstamm und schaute sich um. Sie sah außer Bäume nur eine kleine baumlose Wiese, an die sie sich nicht erinnern konnte. Damit verschwand auch ihre Hoffnung, den Ort wieder erkennen zu können.
Langsam schritt sie zur Lichtung. Ein kleiner Bach schlängelte sich durch das erstaunlich saftige Grün. Im klaren Wasser spiegelte sie sich. Ihre leicht mokkafarbenden Haare fielen Isabell immer wieder ins Auge und waren so zerzaust wie schon lange nicht mehr. Als sie ihre Wunde näher betrachten wollte, schaute sie in ein ihr fremdes Gesicht. Sofort wich sie zurück und stolperte über eine Wurzel in einen Rosenstrauch, dessen Ranken sich weit über den kleinen Bach streckten. Die kleinen Dornen drangen in ihre zarte und blasse Haut ein. Ihr Blut tropfte auf eine der weißen Rosen und färbte sie dunkelrot. Sie fluchte und befreite sich aus dem Gestrüpp. Sie beugte sich zurück zum Bach und tauchte ihre Hände in das kalte Wasser. Langsam wusch sie ihr Blut ab. Im Anschluss schöpfte sie etwas Wasser, um ihren brennenden Durst zu löschen, doch als sie sich umdrehte, verschwamm alles vor ihren Augen. Die Welt drehte sich wie ein Kreisel und Isabell fiel zu Boden.
Diesmal spürte sie keinen harten Aufprall. Diesmal war er weich, als wenn sie in eine übergroße Sportmatte gefallen wäre. Sie fühlte sich leer. Sie vergaß für den Moment alles. Ihre Mutter, ihre Ängste, einfach alles. Um sie herum lagen nur weiße Rosenblüten. Keine Dornen, die sich in ihre Haut bohrten und kein widerspenstiges Gestrüpp, was sie umschloss.
Isabell richtete sich auf und schaute in zwei leere Gesichter, ohne jede Emotion. „Jetzt ist deine Zeit...", setzte das linke Mädchen an und wollte etwas Weiteres sagen, doch sie verschwand. Übrig blieb nur eine Pfütze. Entsetzt blickte Isabell zum zweiten Mädchen. Diese starrte auf die Pfütze und sagte eine ganze Zeit lang nichts. Die Sekunden verstrichen und Isabell kam es so vor, als schweige das fremde Mädchen eine halbe Ewigkeit. Plötzlich hob sie ihr Gesicht und Isabell blickte direkt in ihre Augen. Sie starrte in diese wunderschönen blauen Augen und war wie von einem Bann belegt. Sie vergaß ihr Entsetzen über das Mädchen, dass sich in eine Pfütze verwandelt hatte und über die Surrealität dieser Szene. Nach ein paar Minuten schweigendem Blickkontakt lächelte das Mädchen und ihr Körper löste sich Stück für Stück auf. Diesmal entstand keine Pfütze, doch tief in ihrem Inneren verstörte das Isabell nur noch mehr. Verwirrt blickte Isabell um sich und kam langsam in die Realität zurück. Sie lag auf dem Waldboden und starrte Richtung Himmel. Spielte ihr Geist ihr wieder Streiche? Langsam machte sie sich wirklich Sorgen um ihre psychische Gesundheit.
Wir wollen einmal logisch denken, Isabell, ermahnte sie sich selbst. Also die Pfütze, vielleicht war es einfach nur eine Wolke und es hat geregnet. Als du klein warst, hast du immerhin auch einmal gedacht, einen Mann gesehen zu haben. Vielleicht war es auch nur wieder ein schrecklicher Traum. Doch sie konnte sich dies kaum vorstellen, denn dafür war es einfach zu real gewesen. Kalter Schweiß lief ihr den Rücken herunter und ihr Körper erschauderte. Es war ihr zu unheimlich, viel zu unheimlich. Immer wieder schaute sich das Mädchen auf der Wiese um. Durch den Wind bewegte sich mal ein Ast oder auch Blätter wurden umhergewirbelt. Jedes Mal erschreckte Isabell sich fast zu Tode. Sie beschloss, von hier zu verschwinden.
Mit einem Mal begann ihr Körper zu zittern und Isabell wurde eiskalt. Die Umgebung kühlte sich ab, obwohl die Sonne schien und es die letzten Tage um die 36 °C gewesen war. Fröstelnd legte sie ihre Hände um ihren Körper und stand auf. Dabei ignorierte sie jeden Schmerz. Sie wurde nur noch von ihrer Angst geleitet. Sie wusste nicht, was das für ein komischer Traum war, doch ein Gedanke drängte sich stetig in ihr Bewusstsein und füllte ihr verängstigtes Gehirn vollständig aus: Dies waren die verschwundenen Mädchen. Schwer atmend rannte sie los, immer weiter und weiter. Sie würde keinen Halt machen. Ständig wiederholte sie den unvollständigen Satz von Talia und sah das wunderschöne Lächeln von Elouise vor sich. Trauer, Angst und Mitgefühl. Alle anderen Gefühle verdrängte sie. Auch dieses Mal wusste sie nicht, wohin sie lief. Während sie rannte, gab sie einem inneren Drang nach und drehte sich um. Sie kam ins Rutschen. Isabell hatte einen kleinen, aber dennoch sehr steilen Abhang nicht gesehen. Mit einem kurzen Aufschrei und einem dumpfen Aufprall landete Isabell auf dem Boden.
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