kapitel 11 : scotch als belohnung
„Vielleicht," murmelte er mit einem Anflug von Arroganz, „bin ich nur hier, um dich ein wenig abzulenken, Rosalie. Oder... vielleicht möchte ich dich einfach nur weglocken." Seine Stimme war samtig, ein Versprechen und eine Bedrohung zugleich, und sie spürte, wie ihr Herz auf diese Worte reagierte, wie ihr Atem schneller wurde.
Sie wusste nicht, ob sie ihn hassen oder fürchten sollte. Die Kälte der Wand in ihrem Rücken und seine Wärme, die sie von vorne einhüllte, brachten sie durcheinander. Ein Teil von ihr wollte ihm entkommen, sich von ihm lösen und nie wieder in seine Nähe kommen. Doch ein anderer Teil, jener dunkle, unvernünftige Teil in ihr, war von ihm fasziniert – von der Gefahr, die er ausstrahlte, und der geheimnisvollen Anziehung, die zwischen ihnen schwelte.
„Warum tust du das?" flüsterte sie schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. Doch anstatt zu antworten, drehte Marcel sich einfach um, als wäre ihr Aufruhr, ihre Verwirrung für ihn nichts als ein Spiel. Ohne ein weiteres Wort ging er davon, ließ sie mit ihren unklaren Gefühlen zurück.
Sie starrte ihm nach, der Schatten seiner Gestalt verschwand bald in der Dunkelheit, aber der Eindruck, den er hinterlassen hatte, brannte tief in ihrem Inneren. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf für einen Moment an die kühle Steinwand, versuchte, ihren rasenden Puls zu beruhigen. Atme, Rosalie, atme, ermahnte sie sich stumm und spürte, wie ein Schauer durch ihren Körper lief.
Es dauerte einige Minuten, bevor sie genug Kontrolle über sich gewonnen hatte, um sich von der Wand zu lösen und mit entschlossenen Schritten zurück zur Plantage zu gehen. Die vertrauten Gebäude tauchten bald in der Dunkelheit vor ihr auf, und sie eilte mit vampirischer Geschwindigkeit durch die leeren Flure, bis sie die Sicherheit ihres Zimmers erreicht hatte. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, lehnte sie sich schwer atmend dagegen, ließ die letzten Momente noch einmal vor ihrem inneren Auge ablaufen, das Spiel seiner Blicke, das unausgesprochene Versprechen.
Um ihre Gedanken zu ordnen, schnappte sie sich das alte Buch vom Nachttisch, schlug es an einer beliebigen Stelle auf und versuchte, die vertrauten Zeilen in sich aufzunehmen. Doch die Worte verschwammen vor ihren Augen, sie konnte sich kaum konzentrieren. Ihre Gedanken kreisten wieder um Marcel, um seinen Blick, sein beinahe süffisantes Lächeln, das sie innerlich zerriss. Sie blätterte wild, las Zeile um Zeile, doch die Geschichten im Buch vermochten ihre eigenen nicht zu übertönen.
Unruhig schlug sie das Buch zu und ließ es auf ihren Schoß sinken. Was will er von mir? fragte sie sich, die Verwirrung und ein Anflug von Angst vermischten sich mit etwas anderem – einem gefährlichen Verlangen, das sie selbst kaum zu begreifen wagte. Sie wusste, dass sie klug genug sein sollte, Abstand zu ihm zu halten, doch in ihrem Inneren war es, als hätte er ein Feuer entfacht, das sie nicht mehr löschen konnte.
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Im schummrigen Licht des Zimmers saß Hayley auf der abgewetzten Ledercouch, die Hand schützend und zugleich liebevoll auf ihren runden Babybauch gelegt. Ihr Daumen glitt sanft über die gespannte Haut, als wolle sie das kleine Wesen in ihr beruhigen, ihm sagen, dass alles gut werden würde. Vor ihr, an der Kante des abgenutzten Sessels, saß Agnes – die Arme fest verschränkt, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, als versuche sie, durch Hayleys selbstbewusste Fassade hindurchzublicken.
Zwischen den beiden Frauen herrschte eine seltsame Spannung, eine Art unausgesprochener Kampf zwischen besorgter Vorsicht und trotzigem Optimismus. Hayley bemerkte Agnes' skeptischen Blick, doch sie erwiderte ihn mit einem sanften Lächeln, das sich wie ein warmer Sonnenstrahl über ihr Gesicht legte. Die flackernden Kerzen auf dem Tisch warfen weiche Schatten, die Hayleys Lächeln noch zarter wirken ließen, und für einen kurzen Moment lag eine Ruhe in der Luft, die man fast hätte greifen können. Es war Hayley, die schließlich das Schweigen brach, ihre Stimme klang ruhig, doch mit einem Hauch von Schalk.
„Ganz ehrlich, Agnes, ich fühle mich großartig." Hayleys Augen strahlten dabei, als würde sie selbst an ihre Worte glauben wollen. Ihre Finger glitten über den gewölbten Bauch, und für einen kurzen Moment stellte sie sich vor, wie es sein würde, das Kind in ihren Armen zu halten. Wie es sein würde, zum ersten Mal in die kleinen, neugierigen Augen zu blicken. In ihrem Inneren klang ein leises Lachen nach – sie wusste, dass die Welt alles andere als sicher war, und doch war sie entschlossen, für diesen kleinen Moment an die Schönheit und das Wunder des Lebens zu glauben.
Agnes jedoch ließ sich nicht so leicht besänftigen. Sie schüttelte den Kopf, und ihre Stirn legte sich in tiefe Falten, während sie Hayley unverwandt musterte, fast so, als suche sie nach den ersten Anzeichen von Schwäche. „Du solltest längst zum Arzt gegangen sein", sagte sie schließlich, und in ihrem Ton lag eine Mischung aus Sorge und sanftem Tadel. Agnes' Stimme zitterte leicht, als hätte sie schon zu oft jemanden verloren, der ihr am Herzen lag.
Hayley hob eine Augenbraue und lachte leise, ihre Stimme klang fast herausfordernd. „Einfach so ins Quarter gehen, auf der Suche nach einem Arzt für eine schwangere Werwölfin, begleitet von einer Hexe? Das klingt doch fast schon nach einem ganz normalen Tag in New Orleans, oder?" Ein belustigtes Funkeln trat in ihre Augen, doch in ihrem Inneren wusste sie, dass auch sie mit jeder Entscheidung auf einem schmalen Grat balancierte. Die Leichtigkeit, die sie ausstrahlte, war nur eine Maske, ein Schutzschild, um die Unsicherheit und die wachsende Furcht in ihrem Inneren zu verbergen.
In diesem Moment hob Rebekah, die bisher still in einer Ecke gesessen und an ihrem Laptop gearbeitet hatte, den Blick. Ihre Augen funkelten ernst, und ihre Finger ruhten auf der Tastatur, als wären sie für einen Moment vom Gewicht ihrer Gedanken eingefroren. „Viele Frauen würden alles dafür geben, ein Kind zu bekommen, Hayley", sagte sie leise, aber eindringlich, und ihre Worte schnitten wie kleine, scharfe Splitter. Rebekahs Blick durchbohrte Hayley, und für einen Augenblick fühlte sich Hayley, als stünde sie auf einem Gerüst aus Glas, das jeden Moment unter ihr zerbrechen könnte.
Die Worte ließen Hayley für einen Moment innehalten, und in ihrem Blick flackerte etwas, das wie Unsicherheit aussah. Sie senkte den Kopf, als hätte sie für einen Augenblick den Mut verloren, Rebekahs direkte, fast schon vorwurfsvolle Augen zu erwidern. Ein leises Zittern ging durch ihre Hände, die noch immer auf ihrem Bauch ruhten. Doch dann sammelte sie sich wieder, ein Hauch von Trotz stieg in ihr auf, und sie hob den Blick, in ihren Augen ein Funke von Stolz und Entschlossenheit.
Agnes' Stimme durchbrach die aufgeladene Stille, sanft, aber bestimmt. „Ich kenne eine Ärztin, tief im Bayou, weit weg von neugierigen Augen. Ich habe für heute Abend einen Termin ausgemacht, außerhalb der regulären Zeiten. Nur wir beide. Die Vampire werden nie davon erfahren." Ihr Blick glitt zu Rebekah, die ihr mit einem kurzen, zustimmenden Nicken antwortete. Es war ein stilles Versprechen, eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen den beiden Frauen, die Hayley unterstützen wollten, egal, welche Hindernisse sich ihnen in den Weg stellten.
Hayley schloss für einen Moment die Augen und ließ ein leises Seufzen hören. Dann stand sie langsam auf, legte eine Hand auf Agnes' Schulter und drückte sie sanft. „Danke, Agnes. Es... es ist wohl das Beste", murmelte sie, und in ihrer Stimme klang eine Mischung aus Erleichterung und leiser Furcht mit. Ohne weitere Worte verließen die beiden das Zimmer, ihre Schritte hallten leise auf dem alten Holzboden wider, als sie in die Dunkelheit traten.
Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, wandte sich Rebekah wieder ihrem Laptop zu. Ihre Finger flogen über die Tastatur, während sie das French Quarter auf Satellitenbildern absuchte, jedes Gebäude, jede versteckte Ecke, in der Hoffnung, eine Spur ihres verlorenen Bruders Elijah zu entdecken. Plötzlich öffnete sich die Tür, und Klaus trat mit einem Lächeln ein, das sowohl selbstgefällig als auch amüsiert wirkte.
„Bitte sag mir, dass du immer noch nicht mit diesem Internetquatsch beschäftigt bist", spottete er und ließ sich neben ihr nieder. „Wie beginnt man denn so etwas überhaupt? Gibt man einfach ein: ‚Anonymer Dachboden in New Orleans'?" Er schenkte sich ein Glas Scotch ein und hob es mit einem ironischen Grinsen an die Lippen.
Rebekah warf ihm einen finsteren Blick zu und schüttelte verächtlich den Kopf. „Jemand muss Elijah finden", entgegnete sie eisig. „Selbst wenn ich jeden verdammten Dachboden in New Orleans durchsuchen muss." Ihre Stimme war fest, durchdrungen von einem unerschütterlichen Willen, ihren Bruder zurückzubringen.
Während die beiden Geschwister miteinander stritten, saß Rosalie schweigend auf dem Sofa und beobachtete die beiden. Sie fühlte sich wie ein stiller Beobachter inmitten eines Dramas, das sich direkt vor ihr abspielte. Ihre Hände ruhten auf ihrem Beutel mit Stricksachen, und sie zögerte einen Moment, bevor sie entschlossen ein Paar Stricknadeln und ein Bündel weicher, babyblauer Wolle hervorholte. „Nun, wenn ich heute nichts zu tun habe", murmelte sie vor sich hin und begann langsam, Masche für Masche zu stricken.
Während sie arbeitete, spürte sie eine seltsame Ruhe in sich aufsteigen, eine Wärme, die sie wie eine sanfte Umarmung umgab. Mit jedem Stich, den sie setzte, stellte sie sich das winzige Wesen vor, das bald in ihrer Familie sein würde. „Das wird mein schönstes Werk", dachte sie bei sich und lächelte leicht. Die Nadeln klickten sanft, fast beruhigend, und Rosalie versenkte sich in ihre Gedanken, stellte sich vor, wie sie das Baby zum ersten Mal halten würde. In ihren Gedanken webte sie all die Liebe, die Fürsorge und den Schutz, die sie dem Kind schenken wollte, in jede einzelne Masche ein. Es war, als könnte sie auf diese Weise einen Teil ihrer Seele weitergeben, als würde die kleine Mütze das Kind nicht nur wärmen, sondern auch beschützen. Und während sie dort saß und strickte, spürte Rosalie eine Vorfreude, die ihr Herz wärmen und die Dunkelheit um sie herum ein wenig heller erscheinen ließ.
Klaus ließ das Glas mit dem dunklen Scotch in seiner Hand kreisen, bevor er einen tiefen Schluck nahm. Er starrte in die Flammen der Kerzen, als ob er dort eine Lösung für die Unruhe finden könnte, die ihn umtrieb. Schließlich brach er das Schweigen, seine Stimme war leise, aber eindringlich.
„Rosalie," begann er und drehte sich zu ihr um, „ich brauche dich, um auf Hayley aufzupassen." In seinen Augen lag eine Mischung aus Besorgnis und etwas, das Rosalie selten bei ihm sah: eine gewisse Verletzlichkeit, fast wie eine unausgesprochene Angst, dass er die Kontrolle verlieren könnte.
Rosalie hob den Blick von ihrem Strickwerk und musterte ihn schweigend. „Du vertraust Agnes also nicht," sagte sie schließlich, ohne jegliche Überraschung in der Stimme. Ihre Worte waren ruhig, fast schon sachlich, doch hinter ihrem klaren Blick schimmerte auch eine stille Skepsis.
Klaus seufzte, legte den Kopf zurück und schloss kurz die Augen. „Agnes mag Hayley helfen wollen," murmelte er. „Aber sie ist immer noch eine Hexe. Ihre Loyalität gehört nicht uns, und ich traue ihr keinen Meter. Das hier ist eine Zeit, in der wir keine Fehler machen können – schon gar nicht, wenn es um mein Kind geht."
Rosalie lächelte ein wenig, das eine Augenbraue leicht gehoben, während sie ihre Stricknadeln zur Seite legte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Und du denkst, dass ich im Bayou herumstreifen und eine Werwolf-Gynäkologin besuchen sollte, anstatt im French Quarter, wo mir Marcel jeden Moment über den Weg laufen könnte?" Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu und ließ eine kurze Pause, bevor sie in spielerischem Ton hinzufügte: „Deal."
Klaus' Augen funkelten belustigt, doch die Anspannung blieb in seinem Blick. „Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann." Er neigte leicht den Kopf, als wolle er sich bedanken, doch seine Worte waren voller Ironie. „Sicher ist das nicht der glamouröseste Auftrag, den du dir hättest wünschen können."
Rosalie lachte leise und zuckte mit den Schultern. „Nun, wenn man mich schon auf Babysitter-Patrouille schickt, dann mache ich das eben gründlich," entgegnete sie und grinste ihn an, eine Mischung aus Ironie und echter Zuneigung. Sie wusste, dass Klaus sie darum bat, weil er niemanden außer ihr vertraute, und auf eine seltsame Art erfüllte sie das auch mit einer leisen Wärme.
Sie griff nach ihrem Schal und stand auf. „Wann soll ich los? Heute Abend?" fragte sie ruhig, obwohl in ihr ein mulmiges Gefühl aufstieg. Der Gedanke, tief ins Bayou zu reisen, in unbekannte Hexengebiete, war selbst für sie etwas beunruhigend.
Klaus nickte knapp. „Je früher, desto besser," sagte er mit einer Dringlichkeit in der Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Halte Hayley einfach im Auge und sei aufmerksam. Agnes ist schlau – und ich traue ihr zu, dass sie vielleicht andere Pläne verfolgt, als sie vorgibt."
Rosalie seufzte und schüttelte den Kopf, während sie sich ihre Haare zusammenband und sich auf die bevorstehende Reise einstellte. „In Ordnung, Klaus. Aber wehe, du vergisst, mir eine Flasche von deinem besten Scotch als Belohnung bereitzustellen, wenn das alles vorbei ist."
Klaus grinste und hob ein weiteres Glas für sie. „Abgemacht."
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Rosalie um und verließ den Raum, ihr Herz schlug etwas schneller, während sie die Treppen hinunterstieg und sich darauf vorbereitete, Hayley in den Bayou zu folgen. Sie wusste, dass die Aufgabe lang und voller Gefahren sein würde – aber sie war bereit. Schließlich war Hayley und das Leben in ihr ein Teil ihrer Familie geworden.
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Das Auto rumpelte weiter über die verwachsene, unebene Straße, deren schmaler Verlauf sich schlangenartig durch den sumpfigen Bayou wand. Die Nacht war tief und unheimlich; sie drückte auf sie herab wie ein schwerer, unsichtbarer Mantel aus Dunkelheit, der sich eng um alles Lebendige legte und nur das leise Dröhnen des Motors duldsam durchließ. Das schwache Licht der Scheinwerfer brach durch die dichte Vegetation, tauchte die knorrigen Wurzeln und das hohe Gras in einen geisterhaften Glanz und ließ die Schatten der alten Bäume wild tanzen, als wollten sie das Eindringen in ihre verlassene Welt nicht ungestraft lassen. Ab und zu erklang das traurige Hooten einer Eule, ein Laut, der hier draußen im Nichts wie ein warnendes Flüstern in der Stille der Nacht lag.
Rosalie saß hinten im Wagen und beobachtete die Umgebung, ihre Augen suchten nach Zeichen – Zeichen von Gefahr, von Täuschung, von irgendetwas, das ihr verriet, ob sie hier sicher war. Ihre Finger spielten unruhig mit dem Saum ihres langen, leicht zerschlissenen Mantels, der sie kaum vor der Feuchtigkeit der Nachtluft schützte. Darunter trug sie ein Kleid in einem tiefen, verwaschenen Grün, dessen Stoff leicht und dennoch fest war, wie geschaffen für eine Reise, die weder warm noch kalt, weder vertraut noch freundlich sein sollte. Ihre blassen Hände, nur leicht zitternd, hielten das Kleid zusammen, als ob es das letzte Stück Sicherheit war, das sie besaß. Ihre langen, roten Haare waren offen, und gelegentlich verfing sich eine Strähne in dem Zugwind, der durch das Fenster wehte.
Agnes am Steuer saß mit steinernem Gesicht, die Augen scharf und konzentriert auf die Straße vor ihr gerichtet. Sie schien mit den Unebenheiten der Strecke vertraut, jede Kurve nahm sie mit einem geübten Schwung, und dennoch lag ein Hauch von Unruhe in ihrer Haltung. "Ja, das hier ist die Arztpraxis," sagte sie plötzlich, als sich eine kleine Hütte aus der Dunkelheit schälte, ihre Stimme ruhig, doch Rosalie spürte das Zögern darin. Die Hütte war klein und einfach, kaum mehr als eine armselige Behausung, die zwischen den Bäumen versteckt lag. Es sah nicht aus wie der Zufluchtsort einer Heilerin, sondern wie ein Ort, den die Zivilisation vergessen hatte, ein Ort, an dem Geheimnisse verschluckt und in der Düsternis des Bayous verborgen blieben.
Hayley beugte sich unruhig nach vorne und starrte auf das Häuschen, ihre Augen voller Zweifel. „Das ist alles?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber in ihr lag eine Mischung aus Skepsis und aufkeimender Angst. „Das... sieht nicht so aus, wie ich es mir vorgestellt habe." Ihr Herz klopfte heftig, und Rosalie konnte die Spannung in ihrer Haltung spüren. Die kleine, verlassene Hütte sah keineswegs einladend aus, im Gegenteil. Sie wirkte wie ein Teil des Waldes, wie ein lebender, atmender Schatten, der darauf wartete, seine Geheimnisse zu offenbaren oder sie für immer zu verschlucken.
„Die Ärztin ist gut, Hayley." Agnes versuchte ein Lächeln, aber es wirkte bemüht, fast schmerzhaft. „Sie hat Erfahrung mit... besonderen Fällen." Sie sprach das letzte Wort so sanft aus, dass es wie ein Echo in Rosalies Gedanken widerhallte. "Besondere Fälle" – die Erinnerung daran ließ Rosalie erneut aufhorchen. Wie viel hatte Agnes wirklich gesehen, wie viele Geheimnisse hütete sie? Sie konnte die Sorge in Agnes' Augen nicht ganz ignorieren, und gleichzeitig spürte sie eine Ahnung von Vertrauen, das jedoch jederzeit zu bröckeln drohte.
Rosalie schluckte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, das unruhige Pochen in ihrer Brust wollte nicht nachlassen. "Und was, wenn das hier eine Falle ist?", flüsterte sie, kaum hörbar, eher an sich selbst gerichtet als an die anderen. Sie beobachtete die Hütte, wie die Schatten in ihren Fenstern flackerten und sich das fahle Mondlicht im modrigen Holz verfing. War dies wirklich der Zufluchtsort, den sie suchten? Ein Teil von ihr wollte glauben, dass sie sicher war – aber ein anderer Teil, der tiefere, der gequältere, malte Bilder von Verrat und Gefahr in ihren Geist.
Agnes schien Rosalies Sorge zu spüren, denn sie drehte sich zu ihr um und sah sie mit einem ungewöhnlich festen Blick an. „Du musst mir vertrauen," sagte sie leise, doch die Entschlossenheit in ihrer Stimme ließ Rosalies Zweifel einen Moment lang verstummen. Etwas in Agnes' Augen blitzte auf – vielleicht Ehrlichkeit, vielleicht Verzweiflung, aber es war genug, um einen Moment der Stille zwischen ihnen zu schaffen, in der nur das Rascheln des Windes und das Flüstern der Bäume zu hören war.
„Doktor Paige ist hier draußen, weil sie von Marcels Männern verfolgt wird – immer wieder haben sie ihre Praxis gestört, ihre Patienten terrorisiert. Glaub mir, das hier ist der sicherste Ort für Hayley." Sie nickte Richtung Hayley, die unruhig ihre Hände faltete. „Begleite sie. Sie braucht deine Stärke jetzt mehr denn je."
Rosalie blickte zu Hayley, die sichtbar versuchte, ihre Angst zu verbergen. Eine zarte, fast schwesterliche Wärme stieg in ihr auf, ein Beschützerinstinkt, der stärker war als die Furcht, die in ihrem eigenen Herzen brannte. Langsam nickte sie und öffnete die Wagentür, wobei sie den kühlen, feuchten Nachtwind auf ihrer Haut spürte. Sie zog ihren Mantel enger um sich, das Kleid darunter schien noch kühler gegen ihren Körper zu liegen, und sie trat vorsichtig auf den unebenen Boden, wobei sie die Umgebung weiterhin misstrauisch im Auge behielt.
„Komm", flüsterte Rosalie, als sie Hayley sanft an der Hand nahm und gemeinsam die wenigen Schritte zur Hütte gingen. Die Dunkelheit schien sich um sie zusammenzuziehen, als wollte sie sie verschlingen. Ihre Schritte waren leise, aber die Nacht schien sie dennoch zu hören, jeder Laut schien wie ein Echo im Bayou zu hallen. Rosalie spürte die Kälte des Bodens durch ihre dünnen Schuhe und die Nässe der Luft, die sich wie ein Schleier um sie legte. Aber Hayleys Hand in ihrer eigenen gab ihr Mut, und mit einem tiefen Atemzug erreichte sie die Tür der Hütte.
Drinnen war es dunkel und still, nur das leise Knistern eines Ofens war zu hören, und der Duft nach Kräutern und altem Holz erfüllte den Raum. Rosalie spürte, wie die Spannung in ihrem Körper sich langsam löste, als eine sanfte, wenn auch zurückhaltende Wärme von Dr. Paige ausging, die im Schein des Feuers wartete. Rosalie wusste noch nicht, was auf sie zukam, aber sie war bereit, diese Nacht an der Seite ihrer Freundin zu durchstehen, koste es, was es wolle.
Kaum hatten sie die Schwelle der Hütte überschritten, wurden Hayley und Rosalie von einer Frau empfangen, die sie mit scharfem, abschätzendem Blick musterte. Die Ärztin, eine ruhige und doch durchdringende Präsenz, hatte ein markantes, offenes Gesicht, und in ihren Augen lag eine Wachsamkeit, die ihnen keinen einzigen Aspekt verbarg. Ihre Stimme war sanft, aber fest, als sie die beiden mit einer knappen Handbewegung in ihren Untersuchungsraum führte.
„Kommen Sie herein, setzen Sie sich", sagte Dr. Paige mit einem kühlen, aber freundlichen Lächeln, das jedoch rasch in ihr gewohntes professionelles Verhalten zurückkehrte. Sie deutete auf die Untersuchungsliege und nickte Hayley zu, die sich vorsichtig darauf legte und die kühle Ledermatte spürte, als sie sich zurücklehnte. Die Dunkelheit und Ungewissheit der Nacht draußen schien für einen Moment verschwunden zu sein; die Hütte, so einfach und unbedeutend sie von außen gewirkt hatte, verwandelte sich im Inneren in einen sicheren Raum, behütet und ruhig.
Dr. Paige begann mit den Vorbereitungen und schmierte eine dünne Schicht Gel auf Hayleys Bauch. Ihre Bewegungen waren geübt, fast beruhigend. Dann legte sie das Ultraschallgerät auf die Haut und begann, sanft darüberzugleiten, während sie aufmerksam auf den Bildschirm vor sich blickte. In der Stille des Raumes war das Geräusch des Herzschlags plötzlich deutlich zu hören – ein schneller, rhythmischer Klang, wie das Trommeln eines winzigen Herzschlages, der das Leben in sich barg.
„Der Herzschlag Ihres Babys ist perfekt," murmelte Dr. Paige, während ein warmes Lächeln über ihr Gesicht huschte und sie Hayley freundlich ansah. „Es ist stark."
Hayley lächelte leicht, ihre Hand lag schützend auf ihrem Bauch. „Wusste ich's doch", antwortete sie, und ihre Stimme klang voller Stolz und zarter Hoffnung. „Sie ist tough, genau wie ihre Mom." Ein Glanz lag in ihren Augen, und für einen Moment sah Rosalie die Kraft und Liebe, die Hayley für ihr ungeborenes Kind empfand. Ein sanftes Schmunzeln glitt über Rosalies Lippen, während sie Hayley beobachtete – eine Wärme in ihrer Brust, die den nervösen Druck von zuvor kurzzeitig überdeckte.
Dr. Paige nickte und reichte Hayley ein Papiertuch, mit dem sie das Gel von ihrem Bauch abwischen konnte. Als Hayley sich langsam aufrichtete, fiel das Licht im Raum auf eine Narbe, eine halbmondförmige Markierung, die sich wie ein altes Mal auf ihrer Schulter abzeichnete. Dr. Paige bemerkte das Zeichen, und ein kurzer Ausdruck des Erkennens glitt über ihr Gesicht. Für einen Augenblick verharrte sie, ihr Blick ruhte auf dem Mal, und sie zog ihre Mundwinkel leicht zurück.
„Das ist ein sehr einzigartiges Muttermal", bemerkte Dr. Paige und sah Hayley kurz an. In ihrer Stimme lag ein Wissen, das sie jedoch nicht weiter erklärte. Hayley zögerte einen Moment, ehe sie sich schnell den Pullover überstreifte und das Zeichen damit verdeckte. „Ja, das sagen die Leute oft", murmelte sie ausweichend und griff nach ihren Sachen. „Wir sind hier ziemlich fertig, oder?"
Rosalie beobachtete das Halbmond-Mal an Hayleys Schulter eingehend, während ihre Gedanken flogen. Dieses Zeichen – es war das Mal der Halbmond-Wölfe, ein Zeichen ihres alten Lebens, ein Band zu ihrer Vergangenheit. In Rosalies Kopf blitzte das Bild von Julian auf, einem alten Freund aus ihrer Vergangenheit, der ebenfalls dieses Zeichen trug. Bevor sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, zog Hayley ihre Jacke an und verdeckte das Mal wieder, als wollte sie es vor fremden Blicken schützen.
In diesem Moment vibriertes Hayleys Handy, und sie nahm es rasch zur Hand. Eine Nachricht von Rebekah, die schlicht und eindringlich war: „Wo seid ihr?" Dr. Paige, die Hayleys Reaktion auf die Nachricht bemerkte, wandte sich nun Rosalie zu und musterte sie prüfend. „Sie sehen blass aus. Möchten Sie, dass ich Sie ebenfalls untersuche?" fragte sie mit leiser Besorgnis, doch ihre Augen ließen keinen Raum für Ausflüchte.
Rosalie hob leicht abwehrend die Hand und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Nein, danke, Dr. Paige. Ich... habe einfach wenig gegessen in letzter Zeit. Mir geht es gut." Doch ihre Stimme klang nicht ganz überzeugt, und das leichte Zittern in ihrer Hand sprach Bände.
Dr. Paige zog nur leicht die Augenbrauen hoch, und ihr Blick wurde eindringlicher. „Eine ärztliche Untersuchung könnte Ihnen helfen, sicherzustellen, dass es wirklich nur der Mangel an Nahrung ist," sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit und machte eine Pause, als wollte sie Rosalie die Entscheidung nicht so einfach lassen.
Rosalie spürte den bohrenden Blick der Ärztin und wusste, dass Widerworte hier wohl kaum Erfolg hätten. Ein Teil von ihr wollte abwehren, die Distanz wahren und sich zurückziehen – doch etwas an Dr. Paiges Verhalten, ihre Mischung aus Strenge und Fürsorge, ließ Rosalie schließlich nachgeben. Sie nickte langsam, unfähig, sich gegen die leise Autorität in der Stimme der Ärztin zu wehren. „In Ordnung... wenn Sie darauf bestehen."
Die Ärztin nickte zufrieden und nahm sanft Rosalies Hand, führte sie zur Untersuchungsliege, wo Rosalie sich zögerlich niederließ, den Blick gesenkt. Der Raum lag still, während Dr. Paige mit einer sorgsamen, fast liebevollen Präzision ihre Arbeit begann, und die leisen Klänge der Natur draußen, das Quaken der Frösche und das Rascheln der Bäume, schienen sich mit dem leisen Surren der medizinischen Geräte zu vereinen.
Dr. Paige legte sanft ihre Hand auf Rosalies Schulter und führte sie zur Untersuchungsliege, ihre Bewegungen waren ruhig und sicher, als wollte sie Rosalie spüren lassen, dass sie hier in guten Händen war. Rosalie legte sich vorsichtig hin, spürte die Kühle der Liege an ihrem Rücken und versuchte, die wachsende Anspannung zu ignorieren, die sich tief in ihrem Inneren zusammenzog. Die Ärztin bereitete das Ultraschallgerät vor, und das leise Summen füllte den kleinen Raum mit einer beruhigenden Monotonie.
„Das wird nur einen Moment dauern," sagte Dr. Paige sanft und trug dann eine dünne Schicht des kalten Gels auf Rosalies Unterbauch auf. Rosalie zuckte leicht, überrascht von der plötzlichen Kälte, und sah stumm zur Decke, während die Ärztin den Schallkopf über ihre Haut führte. Für einen Moment herrschte eine tiefe, fast meditative Stille, in der nur das Summen des Ultraschallgeräts zu hören war und das leise Rascheln der Bäume draußen im Bayou.
Plötzlich hielt Dr. Paige inne. Ihre Augen verengten sich leicht, und ein Ausdruck von Erstaunen trat in ihr Gesicht, als sie das Ultraschallbild genauer betrachtete. Langsam senkte sie den Schallkopf, hielt ihn an einer bestimmten Stelle und blickte dann zu Rosalie auf, ihre Augen fragten bereits, bevor sie die Worte sprach.
„Sie haben hier eine Narbe..." Dr. Paige hob den Blick und musterte Rosalie mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis. „Genau dort, wo üblicherweise ein Kaiserschnitt durchgeführt wird. Waren Sie einmal... schwanger?"
Rosalie hielt für einen Moment die Luft an. Die Erinnerung traf sie wie ein verborgener Sturm, der plötzlich losbricht. Ihre Augen wanderten zur Decke, suchten einen Punkt im Nichts, als würden sie dort die Spuren einer vergangenen Zeit finden, die längst verblasst war. Die Bilder und Gefühle, die sie so tief in ihrem Herzen begraben hatte, flackerten kurz auf, eine Welt, die so weit entfernt war, dass sie fast fremd wirkte.
„Es ist eine Ewigkeit her..." murmelte sie leise, und ihre Stimme trug einen Hauch von Bitterkeit und Wehmut, eine Andeutung all dessen, was sie durchlebt hatte.
Dr. Paige zögerte einen Moment und schien sich ihrer Worte genau bewusst zu sein. „Oh... Sie meinen, als Sie noch... ähm..." Rosalie drehte ihren Kopf leicht und sah Dr. Paige direkt an, ein schwaches, wissendes Lächeln spielte um ihre Lippen. „Als ich noch ein Mensch war?"
Dr. Paige nickte leicht, eine Mischung aus Mitgefühl und vorsichtiger Neugier in ihrem Blick. „Ja..." Ein kurzes, fast trotziges Aufblitzen lag in Rosalies Augen. „Nun, wenn Sie das sagen... Sie sind die Ärztin."
Dr. Paige schluckte und senkte den Blick wieder auf den Monitor, doch das leichte Unbehagen, das in Rosalies Antwort mitschwang, blieb in der Luft hängen. Es war, als hätte Rosalie die Grenzen ihrer Menschlichkeit verloren und nun nur noch Fragmente davon übrig – ein Gefühl, das Dr. Paige nur ahnen konnte, und doch war sie tief berührt.
„Verstehe," flüsterte die Ärztin, fast mehr zu sich selbst, während sie das Ultraschallgerät abschaltete und Rosalie ein Papiertuch reichte. Die plötzliche Stille nach dem Summen schien den Raum dichter und schwerer zu machen, und Rosalie spürte die Spannung zwischen ihnen, ein unausgesprochenes Geheimnis, das sie verband und doch in verschiedenen Welten hielt.
Rosalie nahm das Tuch, wischte das Gel von ihrem Bauch und setzte sich langsam auf, die Narbe brannte plötzlich wie ein heißes, verborgenes Erinnern an all das, was sie verloren hatte. Dr. Paige trat einen Schritt zurück, ihr Blick war jetzt sanfter, weniger streng.
„Wenn Sie jemals... über Ihre Vergangenheit sprechen möchten..." begann Dr. Paige leise, und es lag etwas Warmes und Einfühlsames in ihrer Stimme, das selbst Rosalie für einen Moment überraschte. Sie hatte nicht erwartet, dass jemand hier draußen, in dieser einfachen Hütte im Bayou, ihre verletzliche Seite erkennen würde. Ein Teil von ihr wollte ablehnen, sich abwenden und diese Türen fest verschlossen halten, doch ein anderer Teil spürte, dass diese Ärztin in ihrer ruhigen, sanften Art mehr verstand, als sie zugeben wollte.
Rosalie nickte, aber sagte nichts weiter. Stattdessen nahm sie ihre Jacke, zog sie eng um sich und spürte das Gewicht der Vergangenheit auf ihren Schultern. „Danke, Dr. Paige," sagte sie schließlich, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
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