08 - Verschneiter Sternenhimmel
Mittlerweile war es Anfang März geworden und trotzdem hatte es noch einmal geschneit. Alles war mit glitzerndem weißem Pulver bedeckt; Die Bäume, die Straße, die dünne Eisschicht, die sich auf dem See gebildet hatte. Es wurde langsam abends, deswegen waren vermutlich nicht mehr viele Menschen draußen unterwegs. Das machte die Gegend noch idyllischer.
Es war mittlerweile fast eine Tradition geworden, dass Eliott jeden Sonntag schon nachmittags nach Köln kam, um etwas mit Clara zu unternehmen, die jedes Wochenende über im Wohnheim verbrachte. Normalerweise verbrachten sie den Abend im Fastfoodladen, der mittlerweile auch schon Eliotts Stammladen geworden war. Aber heute hatten sie beschlossen stattdessen einen Spaziergang um den kleinen See neben der Uni zu machen, um den Schnee zu genießen. Der Weg, der darum führte, war circa zwei Stunden lang und sie waren gerade erst am Anfang.
Es war Claras Idee gewesen. Sie sah zufrieden aus, auch wenn Eliott wusste, dass sich in ihr meistens die Gedanken überschlugen. Oder konnte sie wenigstens jetzt mal ein bisschen abschalten?
Ein Lächeln saß auf ihren Lippen. Sie hatte vorher schon erwähnt, wie sehr sie sich über den späten, unerwarteten Schnee gefreut hatte. Und so stiefelte sie motiviert neben ihm her. Sie hatten sich einen Schaal umgebunden und ihre braunen Haare mit einer Mütze geschützt. Eliott bereute mittlerweile, das nicht auch getan zu haben, denn es war langsam echt frisch geworden. Er versuchte seine Hände noch tiefer in die Jackentaschen zu stecken, die aber auch nicht wirklich windabweisend war.
Es war ein Abend, wie eigentlich jeder Sonntagabend. Sie sprachen über Zeiten von vor der Uni. Eliott erzählte von der Abschlussfahrt der Schule und wie er damals mit den anderen noch heimlich Alkohol versteckte. Clara erzählte von den Volleyballzeiten, zu denen sie noch ziemlich motiviert war und dachte sie würde niemals damit aufhören. Sie redeten über Themen, wie Orte die sie unbedingt mal besuchen wollen und Dinge sie noch nie getan hatten. Auch wenn es noch so viel gab, was sie noch nicht über den anderen wussten, gab trotzdem schon so viel, dass sie wussten, dass es sich anfühlte, als wären sie schon ewig befreundet. Sie konnten jeden Gedanken, jedes Geheimnis aussprechen.
Und dann nach einer Zeit näherten die beiden sich dem Ende des Wegs, beziehungsweise der Stelle an der sie angefangen hatten. Da sie erst bei Dämmerung losgegangen waren, war es jetzt schon stockdunkel, bis auf den Mond und die Sterne, die klar am Himmel zu sehen waren. Clara schien das gerade erst aufgefallen zu sein. Sie blieb stehen und sah nach oben.
Wie schon die ganze Zeit über, lächelte sie. Eliott mochte es, sie lächeln zu sehen, denn sie tat es normalweise eher selten, wenn sie es nicht erzwang. Aber jetzt war es natürlich und wahrscheinlich bemerkte sie es nicht einmal selbst.
„Guck mal, siehst du die drei Sterne da oben", fragte sie, während sie mit dem Finger in eine Richtung des Himmels deutete, „die, die da quasi auf einer Linie sind, ganz nah aneinander?". Eliotts Blick folgte der Richtung. Er kannte sich nicht sonderlich mit Sternen aus. Außer vielleicht den kleinen und großen Wagen fiel ihm nicht einmal noch ein Name eines weiteren Sternenbilds ein.
Und doch erkannte er, welche drei Sterne sie meinte. „Ja, ich denke ich weiß, welche du meinst. Was sind sie?", fragte er leise, denn es war so ruhig und windstill, dass sie ihn hätte verstehen können, wenn er geflüstert hätte.
„Das ist der Orion-Gürtel", erklärte Clara, „und darüber sind noch zwei Sterne, genau wie darunter, sodass das Ganze ein bisschen wie eine Sanduhr wirkt, siehst du?". Sie wartete nicht einmal eine Antwort ab und redete weiter: „Das Ganze Sternenbild ist Orion, in der Mitte der Gürtel, oben die Schultern, unten die Füße. Und da oben ist noch ein Stern mehr, den kann man als Kopf interpretieren. Ich kenn mich eigentlich gar nicht mit Sternen aus, das ist vermutlich das einzige, aber ich erkenne es immer wieder".
Eliott achtete aber schon gar nicht mehr weiter auf das Sternenbild. Er sah zwar hin, war aber eigentlich in seinen Gedanken versunken. Die Worte von Damian letzter Woche ließen ihn nicht in Ruhe. Auch wenn sie nie wieder das Thema angesprochen hatten, aber vergessen konnte er es nicht. „Freundschaftliche Basis? Sagt sie das oder findest du das auch?", klang in seinem Kopf wieder. Er musste zugeben, dass ihn die Erzählungen von Noah immer mehr und mehr störten. War das Eifersucht, weil er Clara für sich wollte? Oder war das nur klarer Verstand, weil Noah einfach keine ernsten Absichten mit ihr hatte?
Aber gerade jetzt, wie sie hier lächelnd stand und mit einem Funkeln in den Augen vom Sternenhimmel sprach. Die Wangen leicht von der Kälte gerötet. Vielleicht fiel ihm jetzt erst auf, wie schön sie eigentlich war. Wie perfekt ihre gewellten kastanienbraunen Haare trotz der Schneeflocken in ihnen aussahen. Wie unbeschreiblich ihre gesamte Ausstrahlung war. Trotz der ganzen Selbstzweifel. Denn er zweifelte nicht an ihr. Zwar war sie anders, als er sie erst eingeschätzt hatte, aber irgendetwas an ihr faszinierte ihn an ihr. Sie war durch so viel gegangen, dass ihr niemand ansehen konnte. Sie vertraute ihm blind und er auch ihr. War sie ihm nur deshalb so wichtig? Ließ er sich einfach davon blenden, dass auch er einsam war? Und dass sie eigentlich alles war, was er brauchte? Sie war ehrlich. Hatte ein großes Herz. Man konnte ihr alles anvertrauen. Und sie war wunderschön.
„Komm lass uns weitergehen, es wird langsam echt kalt", unterbrach Clara kurz Eliotts Gedanken. Aber nicht für lange, denn er folgte ihr stumm und kehrte in seinem Kopf wieder zu allem zurück. Was wäre, wenn er wirklich dabei war, Gefühle zu entwickeln? Es war eine perfekte Freundschaft. Sie kam unerwartet, als er nicht nach irgendjemandem gesucht hatte. Es war kompletter Zufall, dass sie sich am Abend der Karnevalsparty auf dem Gang begegneten. Warum hatte sie ihn einfach angesprochen? Keiner konnte gewusst haben, dass das so viele Folgen mit sich bringen würde.
Sie war gerade die wichtigste Person in seinem Leben geworden und er wusste, er war auch die wichtigste in ihrem. Denn darüber hatten sie letzte Woche noch geredet. Sie hatte erzählt, dass sie nur ihm alles anvertraut hatte. Dass sie jedem anderen Menschen nur Puzzlestücke ihrer Persönlichkeit gab. Nur Eliott kannte das ganze Puzzle.
Gefühle von ihm aus konnten das alles ändern. Sollte er es einfach verschweigen? So lange unterdrücken, bis sie weggehen würden? Er war zurzeit einfach noch nicht für eine Beziehung gemacht. Immer wieder musste er an seine letzte Freundin zurückdenken. Nicht weil er über diese nicht hinweg war, sondern wegen dem, wie es geendet war. Er konnte das nicht noch einmal so enden lassen. Und außerdem, und das war der viel wichtigere Grund, hatte Clara offensichtlich keine Gefühle für ihn. Da konnte er sich schließlich sicher sein. Er kannte alle ihre Gedanken, die sie ihm erzählt hatte. Und zumindest zurzeit hatte sie nur Augen für Noah. Warum auch immer es so war. Noah kümmerte sich nicht um sie, brachte sie meistens nur dazu, dass sie sich schlechter fühlte und hatte sicherlich keine Gefühle für sie. Warum also Noah? Warum hatte so ein wundervoller Mensch sich auf Noah festgelegt?
Es hieß also einfach weiter machen. Weiter machen und hoffen, dass die Gefühle nur eine Phase waren. Denn das Verhältnis zwischen ihnen würde sich ändern, wenn Clara es wissen würde. Auch wenn es beide nicht wollen würden, aber es würde anders werden. Clara würde wahrscheinlich nach und nach nicht mehr alles erzählen. Sie würde ihre Gedanken über Noah für sich behalten, weil sie es nicht angebracht finden würde, darüber zu reden. Und dann würde sie wieder anfangen, Probleme in sich hineinzufressen. Und das konnte Eliott nicht zulassen. Sie war so sehr auf dem Weg der Besserung. Sie war endlich auf dem richtigen Pfad angekommen. Und er konnte es nicht zulassen, dass sie wieder eine Freundschaft verlieren würde, wie sie es immer wieder getan hatte. Es war ihre größte Angst im Leben; Nicht für Freundschaften gemacht zu sein, weil niemand geblieben war, weil sie nicht jeden mehr in ihrem Leben haben wollte.
Und dabei konnte er nicht verstehen, wie jemals jemand dieses Mädchen gehen lassen konnte. Wie jemals jemand die Freundschaft abgebrochen hatte oder sie verletzt hatte.
Und deshalb versuchte er weiter zu machen, wie immer. Als wäre nichts in seinem Kopf passiert. Als wären sie genau die gleichen besten Freunde, die sie seit ein paar Wochen waren. Nur damit er sie nicht enttäuschen würde, so wie es alle anderen getan hatten. Und auch wenn das hieß, dass er sich selbst damit verletzen würde. Aber er wusste, dass es eigentlich auch das Beste für sich selbst war, die Freundschaft so zu behalten wie sie war.
„Du bist so still, worüber denkst du nach?", riss ihn Clara wieder aus seinen Gedanken in die Gegenwart und diesmal blieb er auch da. Er tauchte nicht wieder in seine Gedanken zurück, er schob sie einfach nach hinten und konzentrierte sich auf das jetzt.
Sie verlangte zum Glück nicht weiter nach einer Antwort, sondern gab sich damit zufrieden, dass Eliott mit „Ah ist das da vorne die Stelle, an der wir angefangen haben? Dann sind wir einmal um den See rum, oder?" das Thema wechselte.
Denn der Abend nahm langsam ein Ende. Der Spaziergang war vorbei und er begleitete Clara noch Richtung Uni, bis es schließlich Abschied nehmen hieß.
„War echt schön heute mal rauszukommen, statt immer nur ungesund essen zu gehen", sie lächelte ihn an. Ihre Wangen waren noch immer leicht gerötet und sie schien langsam anzufangen zu frieren.
„Kann ich dir nur zustimmen. Na dann, wir sehen uns", verabschiedete Eliott sich daraufhin. Abschiede waren noch nie seine Stärke. Einem Kumpel würde er einfach einen typischen Handschlag geben. Clara zu umarmen schien ihm zu aufdringlich. Also lächelte er nur, warf einen letzten Blick auf ihr Lächeln und verließ wieder das Gelände Richtung Bahnhof, um zu seinem Wohnheim zu kommen.
Und während er dann am Bahnhof saß, langsam echt zu frieren anfing und nur darauf wartete, dass endlich der Zug kam, sah er nach oben zum Himmel. Noch immer waren da keine Wolken. Und das war sicher der Grund, warum ihm gleich die drei Sterne auffielen, die in einer Reihe standen. Zusammen mit den anderen rund herum, die zum Bild gehörten. Vermutlich würde er nie aufhören, an Clara zu denken, jedes Mal, wenn er den Orion entdeckte, ob absichtlich oder nicht.
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Ich selbst liebe auch immer Spaziergänge im Schnee, auch wenn mir dann immer kalt ist und ich Bewegung hasse. Aber irgendetwas schönes ist daran haha.
Was denkt ihr über Eliotts Gedanken?
Wir sehen uns dann wie gewohnt Samstag wieder mit einem ganzen Kapitel.
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