Kapitel 9
Als ich aufwache stelle ich fest, dass meine linke Seite kalt ist. Chrissy lehnt nicht mehr an mir. Ich gerate in Panik, bis ich feststelle, dass sie einfach nur auf den Boden gerutscht ist, um bequemer zu liegen.
Na toll. Dieser unnötige Adrenalinschub hat meinen Schlaf nun entgültig beendet. Glücklicherweise fühle ich mich mittlerweile einigermaßen ausgeruht, sodass das nicht allzu schlimm ist.
Langsam schaue ich mich ein weiteres Mal um, doch alles scheint wie immer. Trotzdem werde ich seit den Uhren das Gefühl nicht mehr los, dass wir beobachtet werden. Folglich entschließe ich mich, mit der Examination des Raumes einfach schon einmal zu beginnen. Schließlich habe ich eh nichts besseres zu tun, und ob Chrissy und ich den Raum nun nacheinander oder gleichzeitig absuchen, spielt ja eigentlich keine Rolle.
Ich beschließe, in der Vorratsecke zu beginnen, welche sich rechts von mir befindet. Vorsichtig hebe ich das Brot und die Wasserflaschen an und lege sie leise beiseite, ebenso wie den (zum Glück noch unbenutzten) Toiletteneimer. Dann fahre ich alle Ecken und Kanten mit den Fingern ab, streiche über den Boden und die Wände und beschaue sie mir aus den verschiedensten Blickwinkeln, kurz gesagt, tue alles, um selbst die geringste Unebenheit zu entdecken, doch Fehlanzeige. Es ist alles so perfekt wie immer.
Frustriert stelle ich alles wieder zurück in die Ecke und setze meine Untersuchung zur linken Seite fort. Doch auch hier kann ich mal wieder nichts entdecken. Weiter und weiter taste ich die ganze Wand ab, den Boden, die Kanten, die Ecken, doch noch immer nichts.
Schließlich komme ich bei Chrissy in der Ecke an und gebe leise fluchend auf.
"Hey, sowas sollte man aber nicht aus dem Mund einer Dame hören" murmelt Chrissy verschlafen und schafft es damit tatsächlich, mich zum grinsen zu bringen.
"Von wegen Dame", schnaube ich. "Dazu bin ich nicht artig genug."
"Wie, ich dachte, du wärst die Unschuld in Person?", fragt Chrissy scheinheilig und zwinkert mir zu.
Jetzt ist es entgültig um mich geschehen und ich lache laut los. Es ist das erste Mal, dass ich in den Rooms lache. Um ehrlich zu sein, klingt es merkwürdig, aber es fühlt sich unwahrscheinlich gut an. "Jap", keuche ich, "deswegen kenne ich auch so viele Schimpfwörter. Wie sonst könnte man anderen beibringen, was man nicht sagen darf?"
Nun hält es auch Chrissy nicht länger aus und stimmt in mein Lachen mit ein. "Okay, der war echt gut", japst sie nach ein paar Minuten. Es ist für uns beide schwer, uns wieder zusammenzureißen, denn einmal angefangen, schaffen wir es kaum aufzuhören zu lachen.
Doch es tut uns ehrlich gut. Die ganze Anspannung der letzten Tage kann einfach mal vergessen werden, und als ich schließlich vor lauter Bauchschmerzen nicht mehr lachen kann, fühle ich mich so befreit wie noch nie.
Auch Chrissy hat das ganze gut getan, das sehe ich ihr an. Es ist ein Glanz in ihre Augen getreten, den ich noch nie zuvor gesehen habe, doch er steht ihr gut. Ich hoffe er verschwindet nicht so schnell wieder.
"Weshalb hast du denn jetzt so geflucht?" fragt sie mich.
"Ich hab schonmal angefangen, alles abzusuchen, weil ich nicht mehr schlafen konnte. Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken" erkläre ich ihr.
"Du hast mich nicht geweckt. Na ja, schon irgendwie, aber das macht nichts, ich habe eh schon genug geschlafen. Hast du wieder nichts gefunden?"
"Nein, leider nicht. Deswegen hab ich auch geflucht. Das einzige was noch fehlt ist diese Ecke hier und die Decke."
"An die Decke kommst du ja auch schlecht alleine ran."
"Stimmt. Was hälst du davon: Ich mache noch diese Ecke hier fertig, du fängst mit deiner Runde schonmal an und wenn ich fertig bin, hilfst du mir mit der Decke?", schlage ich ihr vor.
Chrissy nickt zustimmend und kriecht in eine andere Ecke. Sofort mache ich mich an die Arbeit und durchsuche auch den Rest des Raumes, so gut es geht. Leider immer noch erfolglos.
"Also ich wäre so weit" teile ich Chrissy mit. "Moment noch", kommt von ihr äußerst konzentriert zurück, also warte ich noch einen Moment.
"Wie spät ist es eigentlich?" fragt Chrissy, als sie das letzte bisschen der ersten Ecke absucht.
Uhrzeit. Die habe ich ja total vergessen. Ich schätze es dauert noch ein Weilchen, bis ich mich daran gewöhne, dass ich jetzt wieder eine Uhr habe, nachdem ich es endlich geschafft habe, darüber hinweg zu kommen, dass ich keine hab. Ich blicke auf das weiße Ziffernblatt und stelle fest, dass es bereits drei Uhr ist. Vormittags oder nachmittags? Das verrät eine analoge Uhr nämlich leider nicht. Genauso wie diese hier kein Datum angibt, so wie meine Uhr zuhause.
"Drei Uhr. Also nachmittags, denke ich zumindest." Das ist der Schluss, der für mich am wahrscheinlichsten scheint.
Meine letzten Erinnerungen vor den Rooms sind von einem Abend mit meinen Freundinnen. Beziehungsweise eher mit Catelyn und ein paar ihrer anderen Freundinnen. Eine von ihnen hatte Geburtstag, und sie wollten feiern gehen. Catelyn hatte auch mich eingeladen, doch ich wollte nicht mitkommen, da ich nicht so der Typ für Discos bin. Ich kann nicht tanzen, und die meisten alkoholischen Getränke, zu denen die anderen mich immer zu überreden versuchen, schmecken mir auch nicht.
Doch wenn Catelyn sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, bekommt sie es meistens auch, denn ich kann ihr einfach nichts abschlagen. Deshalb bin ich schließlich doch mitgekommen, es ging in die Lieblingsdisco des Geburtstagskindes. Ich fand es wie immer viel zu voll und hielt mich eher am Rand, mit einem alkoholfreien Alibigetränk in der Hand. Catelyn und den anderen hingegen sah man an, dass sie wirklich Spaß hatten. Sie tanzten, tranken und flirteten, was das Zeug hielt. Ich war kurz davor, mich heimlich zu verdrücken, als Catelyn doch noch einfiel, dass sie mich mitgeschleppt hatte.
Sie nahm mir mein Getränk aus der Hand und zog mich mit sich, in Richtung Tanzfläche, worauf ich ja mal überhaupt keine Lust hatte. Als die anderen mich sahen, begannen sie zu gröhlen und freuten sich darüber, dass ich auch dazu kam, zumindest machte es den Anschein. Eine von ihnen drückte mir irgendeinen Cocktail in die Hand, und die gesamte Gruppe gab keine Ruhe, bevor ich ihn nicht komplett getrunken hatte. Zu ihrer Verteidigung muss ich aber auch sagen, dass sie selber schon ziemlich betrunken waren, und der Cocktail ausnahmsweise mal nicht so schlecht schmeckte wie die anderen.
So ging es noch eine Weile weiter, doch meine Erinnerungen werden immer verschwommener, je weiter der Abend voranschreitet. Vermutlich liegt das daran, dass ich auch immer mehr Alkohol intus hatte, aber es kann natürlich auch andere Gründe haben. Nicht umsonst bekommt man ständig gesagt, man solle seine Getränke im Auge haben, und das hatte ich mit steigendem Alkoholpegel leider definitiv nicht. Ein Grund mehr, warum ich keinen Alkohol trinke, er wirft meine Vorsicht über Bord.
Das nächste woran ich mich erinnere sind die Rooms. Wie ich in der Uniform im ersten dieser weißen Räume aufwache. Keine schöne Erkenntnis, vor allem nicht mit Kater.
Ich reiße mich aus meinen Erinnerungen los und schüttele den Kopf. Im Moment darf ich mich nicht ablenken lassen, erst müssen wir den Raum checken, damit haben wir sowieso schon viel zu lange gewartet.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro