Kapitel 13
Wieder schrecke ich aus dem Schlaf hoch, weil mich ein Albtraum weckt, doch dieses Mal kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wovon er handelt. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir halb fünf haben.
Noch so viel Zeit, und einfach nichts zu tun – mein Herz schlägt so schnell, an Schlaf ist nicht zu denken, und ich habe Kopfschmerzen.
Ich sehe mich um und suche nach Chrissy. Finde sie in einer Ecke sitzend, und mir bleibt fast das Herz stehen, als ich sie genauer ansehe.
Blut. Eine Menge davon. Auf ihrer Kleidung, dem Boden um sie herum, an der Wand, in ihrem Gesicht, doch am schlimmsten sind ihre Arme. "Oh mein Gott, Chrissy!", rufe ich erschrocken aus und eile zu ihr. Sie ist in einer Art Dämmerzustand, nicht mehr richtig bei Bewusstsein, aber auch noch nicht bewusstlos.
Starr vor Entsetzen schaue ich auf ihre Arme. Sie sind nicht nur blutüberströmt, sondern regelrecht zerfleischt. Ich entdecke sogar Zahnabdrücke, welche das Blut an ihrem Mund erklären, und muss mich beinahe übergeben.
Nicht in Panik geraten. Bloß. Nicht. In. Panik. Geraten. Erinnere dich an deinen Erste-Hilfe-Kurs. Sie ist fast ohnmächtig. Sie hat viel Blut verloren. Sie blutet noch immer. Was tun?
Erstmal Blutung stoppen. Genau, das wars. Ich ziehe mein Oberteil aus und reiße es in mehrere Streifen, zwei sehr breite und viele dünne. Da das mit nur einem nicht möglich ist, nehme ich auch Chrissys zur Hilfe. Mit den breiten Streifen decke ich die Wunde ab, was Chrissy immerhin ein scharfes Zischen entlockt, und binde ihn mit den schmaleren Streifen eng an, als einen sehr schlecht sitzenden provisorischen Druckverband.
Dann, wie geht es weiter? Hoher Blutverlust. Beine hochlegen? Ich bin mir nicht mehr sicher, doch es erscheint mir aus irgendeinem Grund logisch. Also lege ich sie so auf den Rücken, dass ich ihre Beine ausgestreckt an der Wand abstützen kann. So, fertig.
Scheiße, was, wenn sie wirklich ohnmächtig wird? Dann darf sie nicht auf dem Rücken liegen, sie könnte ihre Zunge verschlucken und daran ersticken. Verdammter Mist, was mache ich denn jetzt nur? Mir schießen die Tränen in die Augen. Trotzig wische ich sie fort, ich hab jetzt keine Zeit zum heulen.
Oh nein, was, wenn sie stirbt? Bitte, bitte nicht. Ich weiche ihr keinen Augenblick von der Seite. Alle paar Minuten kontrolliere ich, dass Chrissy noch atmet. Ihre provisorischen Verbände sind schon bald durchtränkt, doch die Blutung scheint schwacher zu werden.
Verzweifelt klammere ich mich an sie. "Du darfst nicht sterben, Chrissy. Bitte nicht, nicht jetzt. Ich brauche dich doch, lass mich nicht allein..." weine ich.
* * * * * * *
Ich muss eingeschlafen sein, denn das Geräusch der Sirene, welches das Öffnen der Türen ankündigt, reißt mich gewaltsam aus dem Schlaf. Dieses Mal habe ich keine Schwierigkeiten, das Geräusch sofort richtig einzuordnen, nicht nach dieser Nacht...
Chrissy! Verdammt! Lebt sie noch?
Moment, wo bin ich überhaupt? Hier bin ich nicht eingeschlafen, zuletzt lag ich direkt neben Chrissy. Schon wieder panisch schaue ich mich im Raum um, bis ich Chrissy genau dort finde, wo sie in der Nacht schon lag.
Und kaum dass ich sie entdecke, kann ich meinen Augen nicht trauen. Es ist alles sauber.
Alles.
Nicht ein Tröpfchen Blut ist zu sehen.
Nicht auf dem Boden, nicht an der Wand, nicht an ihrem Mund, auch nicht an ihrem Oberteil.
...welches ich in der Nacht zerrissen habe, genau wie meines, um die Blutung zu stillen! Doch als ich an mir runter schaue, stelle ich fest, dass auch ich wieder ein beige-graues Sweatshirt trage. Wie ist das möglich?
Plötzlich regt sich Chrissy. Auch sie hat mittlerweile die immer lauter werdende Sirene vernommen und rappelt sich, äußerst verschlafen, auf.
"Chrissy! Wie geht es dir?" überfalle ich sie, obwohl sie noch halb schläft, und eile zu ihr.
"Was? Immer langsam Tessa, mir geht es gut, wieso auch nicht? Ich bin etwas müde und fühle mich ein wenig schwach, aber das liegt bestimmt an gestern. Das war nicht leicht für mich, weißt du..."
Erleichtert kann ich wieder aufatmen. Es geht ihr gut. Es geht ihr gut. Ich wiederhole es wie ein Mantra, bis es auch zu mir durchdringt. "Gott sei Dank. Ich hatte so eine Angst um dich, das glaubst du gar nicht!"
"Hä? Sag mal geht's dir gut? Wieso denn Angst um mich, nur weil ich ein bisschen deprimiert war? Also wirklich, das war ich schon öfter, und das weißt du auch", gähnt Chrissy.
"Ähm, Chrissy... woran erinnerst du dich von gestern Nacht?", frage ich vorsichtig nach.
"Gestern Nacht? Da habe ich geschlafen, genau wie du. Du hast mir deinen dämlichen Plan offenbart, ich bin ausgeflippt, was mir hoffentlich nicht gleich wieder passiert, also erinnere mich bitte nicht daran, und im Anschluss hast du mich irgendwie geschafft zu überzeugen und zu beruhigen, und hinterher war ich so fertig, dass ich fast sofort eingeschlafen bin. Bis mich diese vermaledeite Sirene geweckt hat", schließt sie ihre Erzählung. "Tessa, ist alles okay? Du bist ja ganz grün im Gesicht!"
"Ja ja, es ist alles okay...", murmele ich, wobei ich etwas schwerfällig an der Wand entlang rutsche, um nicht umzukippen, bis ich schließlich auf dem Boden sitze.
Kann es sein, dass ich das alles nur geträumt habe? Das dieser Horror von heute Nacht nur eine Ausgeburt meiner Fantasie beziehungsweise meines Unterbewusstseins war? Doch wenn ja, was will es mir damit sagen?
"Tessa, bist du sicher, das alles okay ist? Du benimmst dich total seltsam" meint Chrissy und hockt sich vor mich, um mir ins Gesicht sehen zu können, während mit einem lauten Zischen die Türen aufgehen. Doch ich habe nur einen Blick für Chrissys Arme, bei denen die Ärmel ein kleines Stück weit hochgerutscht sind. Denn sie sind gerötet - und voller Narben.
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