7
Ganz belämmert sah Carsten von den Papieren auf.
"Wer hat das geschrieben?", fragte er.
"Wer ist hier der Schriftsteller?", fragte Henry zurück. Er klang allmählich gereizt. Carsten schüttelte heftig den Kopf. Das konnte nicht wahr sein. Er hatte das nicht geschrieben. Was war das? Er war entsetzt, zum einen darüber, dass ein fremdes Manuskript in seiner Schreibtischschublade gelegen hatte und zum anderen, dass er in diesem Manuskript seine eigene Freundin hinterging. Mit einer Romanfigur. Mit Luisa.
"Henry, glaub mir, ich habe das nicht geschrieben. Warum auch? Ich bin glücklich mit Lisa ..." Und er setzte noch hinzu: "... und Luisa ist sowieso nicht mein Typ."
Henry zog eine Augenbraue hoch.
"So? Das hört sich hier aber anders an."
Er nahm Carsten den Stapel Papiere aus der Hand und blätterte einige Seiten weiter. Er las vor.
Carsten war der Mann, den Luisa sich immer erträumt hatte. Er hörte ihr zu und es waren nicht immer seine Probleme, die im Vordergrund standen. Er war ein echter Gentleman. Gemütlich saßen sie auf der Couch, beide mit einem Glas Weißwein in der Hand. Luisa streichelte Carsten über die hellbraunen Haare.
"Sag mal, wann hast du vor, es Lisa zu sagen?", fragte sie und schaute Carsten mit ihren dunklen Augen an.
Carsten sah sie lange an und sagte dann: "Bald."
"Und dann?"
"Dann ziehst du hier ein."
Luisa lächelte. Sie trank einen Schluck Wein.
"Und wenn sie nicht auszieht?"
"Warum sollte sie hier mit dir wohnen wollen?", fragte Carsten und lächelte süffisant.
Henry schaute Carsten an. Der war blass vor Entsetzen. Niemals würde er so etwas tun! Er könnte nie seine Frau so hintergehen. Das klang überhaupt nicht nach ihm. Er würde nie, niemals so über Lisa reden und erst recht nicht "süffisant grinsen". Das war nicht seine Art! Carsten blieb die Sprache weg.
"Henry ...", seufzte er und hielt sich die Stirn. Hinter dieser Stirn ging es gerade rund, Carstens Gedanken schlugen Purzelbäume und er wusste beim besten Willen nicht, wie er Henry nun davon überzeugen sollte, dass das NICHT von Carsten stammte. Dass Carsten NICHTS von Luisa wollte, dass Carsten NICHT süffisant grinste. Henry schaute ihn erwartungsvoll an. Mit einer Prise unverhohlener Wut in den Augen.
"Henry, das ist nicht meine Art."
"Ha, offenbar schon! Und jetzt weißt du hoffentlich, warum ich gekommen bin."
Carsten seufzte. "Nein, warum? WARUM? Sag es mir! Ich verstehe nicht mehr, was hier vor sich geht! Ich verstehe gar NICHTS mehr. Nichts. Klär mich auf, ich habe keine Ahnung."
"Du nimmst mir meine Freundin, dann schnappe ich mir deine", sagte Henry in gespielt freundlichem Tonfall.
"Ich hab dir deine Freundin nie weggenommen! Sie ist doch freiwillig gegangen!", rief Carsten.
"Ja. Sie ist freiwillig direkt zu dir gegangen. Du bist ein echter Gentleman, Carsten."
Jetzt schlug Carstens Verwirrung in rote, heiße Wut um. Denn Henry WOLLTE einfach nicht verstehen. Er hörte zwar zu, aber was er hörte, das verdrehte er Carsten im Mund. Carsten verstand die Welt nicht mehr. Es war so, als ob die Welt mit dem Einbruch der Nacht in einen Kontrastmodus umgeschaltet hätte. Als ob alles, wie er es kannte, jetzt umgekrempelt wäre. Mit einem Ruck erhob er sich vom Sofa und ging auf Henry zu.
"Jetzt pass mal auf, ich habe nichts, aber auch gar nichts mit Luisa zu tun. Ich habe sie erfunden und ..."
"... und du hast sie von mir weggehen lassen."
Carsten blieben die Wörter im Hals stecken. Das stimmte. Er hatte sie von Henry weggehen lassen. Aber doch nicht zu ihm, nicht zu Carsten!
"Ja. Das ist wahr. Aber sie ist nicht zu mir gegangen", räumte er ein.
Henry schloss die Augen und atmete einmal tief ein und wieder aus. Wann hatte er sich das angeeignet? So eine besonnene Reaktion der Selbstbeherrschung kannte Carsten von seiner Romanfigur gar nicht. Aber es war ihm nur recht.
"Pass auf, das kann hier die ganze Nacht so weitergehen oder wir können es abkürzen. Also?", sagte Henry.
"Ich mach dir einen Vorschlag", sagte Carsten schnell, ohne darüber nachzudenken.
"Ja?"
"Ich schreibe die Geschichte um. Luisa wird sich nicht von dir trennen. Was hältst du davon?"
Henry verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute an die Decke. Er schien eine Weile darüber nachzudenken und sagte dann: "Ich weiß nicht. Für sie bin ich doch kein geeigneter Mann, oder?"
"Doch, doch," sagte Carsten schnell, "ich verändere auch Luisa. Was sagst du dazu? Ich passe sie nach deinen Vorstellungen an."
Henry überlegte. "Okay. Einverstanden. Dann hol mal Stift und Papier."
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