Das Versprechen
Stille.
Ruhe.
Wenn da nicht seine lauten Gedanken wären, die wie wild durch seinen Kopf rasten und nichts von der so ersehnten Ruhe brachten.
Tief durchatmend hatte Lando sich die Arme über den Kopf gelegt, die Augen geschlossen und zählte innerlich immer wieder bis 10 um sich zu Beruhigen.
Nach der doch reichlich emotionalen Reaktion auf Carlos Geschenk, brauchte er ein paar Minuten für sich selbst, musste verarbeiten was sein Freund ihm geschenkt hatte. Unter anderen Umständen und zu einem anderen Zeitpunkt wäre ihm die Bitte um einen Moment für sich schwergefallen, hätte diese Frage wohl nie gestellt und stumm weiter das Chaos in seinem Kopf ertragen.
Der Teddy war so viel mehr als nur ein Plüschtier mit Sprach – und Atmungsfunktion. Carlos hatte ihm ein Stück von sich selbst geschenkt, wenn er selbst nicht bei ihm sein konnte, wenn drohte alles wieder zusammen zu brechen und der Spanier ihm keine liebevollen, zuversichtlichen Floskeln zuflüstern konnte.
Dieser Teddy bedeutete Lando jetzt schon alles. Ja, auch die Geschenke seiner Familie waren großartig und er konnte jedes von ihnen auch gebrauchen, aber der Teddy war eben nicht nur von seinem Freund. In so vielen Dingen war Carlos Geschenk wertvoll und einzigartig für ihn.
Das leise Klopfen an seiner Tür wunderte Lando nicht wirklich. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit gewesen, wann Carlos nach ihm gucken, kommen würde.
„Alles in Ordnung mi Amor?"
„Ja."
„Kein Chaos mehr?"
„Doch. Aber es ist ruhiger geworden. Und ich konnte etwas Sortieren."
Die Matratze neben ihn senkte sich und nur Sekunden später ruhte sein Kopf auf der vertrauten Brust des Älteren, schmiegte er sich in dessen Arme und schlang seinerseits die Arme um Carlos Bauch.
„Es ist niemand böse, dass ich meine Zeit brauche?"
„Nein. Wir sind froh, dass du sie dir nimmst, wenn du sie brauchst. Ich nehme an, vor nicht allzu langer Zeit hättest du das Chaos in deinem Kopf einfach ertragen und tapfer weiter gelächelt, damit deine Familie sich keine Sorgen macht?"
„Hm. Ja, hätte ich. Es sind keine bösen oder schlimmen Gedanken. Es war alles einfach zu viel. Ganz so einfach nach Ruhe zu Fragen war es nicht, aber ich musste es tun, ich musste einfach an mich Denken, weil ich Angst habe das die restlichen Weihnachtsmomente sonst nicht mehr zu ertragen sein werden."
Verstehend küsste Carlos die weichen Locken, kraulte sanft den Nacken und drückte Lando noch etwas fester an sich.
Er war stolz auf den Briten, hatte dieser doch wirklich an sich selbst gedacht und nicht daran, was Umstehende von ihm dachten, auch wenn es sich dabei um die eigene Familie handelte. Lando hatte sich seine Zeit genommen, die Zeit, die er einfach brauchte, um wieder Ordnung in seinen Kopf und seine Gefühlswelt zu bekommen.
„Der Teddy. Er ist einzigartig."
„Genauso wie du. Ich musste ihn holen, als mir die Funktionen bewusstwurden, die dieser hat."
„Es ist wirklich großartig und ich werde ihn immer bei mir haben, auch wenn ich später eine Therapie mache."
„Ich hatte gehofft das er dir gefällt und dass er dir in schweren Momenten helfen kann, dass er dich Unterstützt, wenn du glaubst, nicht gut genug zu sein, wenn du glaubst das dich niemand liebt, dass du nicht verdient hast zu Lieben. Ich hätte noch so viel mehr drauf Sprechen können, aber die Zeit war begrenzt. Aber ich würde dir noch 100 Teddys besprechen, wenn ich dir damit helfen kann."
Manchmal waren Worte nicht nötig, um auszudrücken, was man fühlte. Lando spürte in jedem Wort die Liebe Carlos, fand aber keine eigenen Worte, die diese hätten zum Ausdruck seiner Dankbarkeit bringen können, stattdessen hob er den Kopf, blickte Carlos tief in die Augen, bevor er ihre Lippen miteinander verband und den Spanier voller Liebe, Dankbarkeit und Hingabe küsste.
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„Konntest du dem englischen Wetter mittlerweile was abgewinnen?"
Adam versteckte sein herzliches Schmunzeln gar nicht, als er Carlos musterte der von Kopf bist du Fuß dick eingepackt neben ihm lief. Eine warme, dicke Winterjacke, Winterstiefel, eine Wollmütze, Handschuhe und Schal ließen nicht mehr viel von dem Spanier erkennen.
„Ich glaube viel mehr, dass mich nur ein gewisser Brite dazu bringt, mich eventuell an Schnee zu gewöhnen."
Gesagter Brite lief lachend mit seinen Geschwistern und Uno einige Meter vor ihnen und lieferte sich dabei immer wieder neckende Schneeballschlachten mit Oliver und Cis.
Es war ein schönes Bild, was Lando auf ihn hatte. Sein Freund war so losgelöst und aufgekratzt, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, was für psychische Probleme dieser hatte und mit was für Sorgen und Ängsten sich Lando auseinandersetzte.
„Wir haben wirklich Glück, das wir raus konnten. Ich hatte während des Dinners so meine Sorgen, weil es unaufhörlich geschneit hat. Aber es hat wohl so sein sollen, dass wir unseren Spaziergang zum See haben Antreten können."
Cisca lief neben Adam und Carlos, beobachtete mit einem gutmütigen Lächeln das Treiben ihrer Kinder. Nach der Bescherung und den darauffolgenden emotionalen Momenten seitens Lando, hatte sie für einen kurzen Augenblick die Befürchtung gehegt das es mit dem Dinner vielleicht nicht so funktionieren würde, wie geplant. Aber Carlos hatte ein weiteres mal dafür gesorgt, dass es ihrem Jungen gut ging und das sie ein wirklich entspanntes, leckeres und amüsantes Dinner zu sich nehmen konnten. Selbst Lando hatte für seine Verhältnisse wirklich viel gegessen.
„Wir haben in Spanien auch Schnee, aber das ist mit hier nicht zu Vergleichen."
„Hast du deswegen die Bilder und Videos gemacht?"
„Ja, ich musste das einfach meinen Eltern und Schwestern zeigen. Die wollten mir nicht glauben, dass der Schnee hier meterhoch liegt."
„Wir haben dir noch gar nicht richtig gedankt Carlos."
Die vorher einhergehende entspannte Stimmung bekam einen leichten Dämpfer, als Cisca nach dem Arm von Carlos griff und so dafür sorgte das dieser stehen blieb.
„Es ist nicht selbstverständlich das du über die Weihnachtszeit bei einer dir fremden Familie bist, statt diese Zeit mit deiner eigenen Familie zu feiern. Ja, du hast erklärt das ihr in Spanien etwas anders feiert, aber als Mutter fühle ich mich etwas unwohl, weil ich einer anderen Mutter quasi ihren Sohn genommen habe, damit dieser bei meiner Familie, bei meinem Sohn sein kann. Ich bin dir dankbar Carlos. Mein Mutterherz schäumt über vor Dankbarkeit, weil es spürt, wie sehr du Lando hilfst und ihm guttust. Aber die Restzweifel lassen sich einfach nicht komplett ignorieren."
Lächelnd schüttelte Carlos den Kopf, tat es seinem Freund gleich, der auch keine Worte hatte, nachdem sie zusammen im Bett gekuschelt hatten. Einladend öffnete er die Arme und zog Cisca in eine herzliche Umarmung.
„Du kannst gerne mit meiner Mama reden. Sie wird dir versichern, dass alles genau richtig ist. Niemand in meiner Familie ist enttäuscht, böse oder verletzt. Sie unterstützen mich, haben mir gut zugesprochen wirklich hier zu bleiben, weil auch ich einige Restzweifel hatte. Ich komme einfach in euren Leben, verliebe mich in euren Sohn und verbringe direkt Weihnachten mit euch, nachdem Lando und ich zwei Tage zusammen sind. Ich weiß das es euch schwer fällt zu akzeptieren das alles seine Bestimmung hat, insbesondere weil Weihnachten für die Familie da ist. Aber glaubt mir, wenn ich sage ich wäre nirgends lieber als hier bei Lando und euch."
„Mom? Was machst du da mit meinem Freund?"
Glucksend löste Cisca die herzliche Umarmung, strich Carlos dankend mit den behandschuhten Fingern über das Gesicht und nickte diesen dankbar zu, bevor sie sich umdrehte und ein breites Lächeln sich breit machte, als sie Lando mit fragendem Blick und verschränkten Armen vor der Brust erblickte.
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„Bist du sicher?"
„Ja. Es ist dick genug."
Skeptisch musterte Carlos die Eisschicht. Ja, es sah wirklich sehr dick aus und die wenigen anderen Menschen, die er sehen konnte, liefen lachend über das Eis.
„Hast du Angst?"
„Ich bin noch nie eisgelaufen."
„Dann zeig ich es dir. Komm."
Als ob es das selbstverständlichste der Welt war, nahm Lando die Hand seines Freundes, zog Carlos zu sich auf die Eisfläche und setzte einen Schritt vor den anderen, ganz langsam und vorsichtig. Tatsächlich hatte man auch mit Schuhen einen guten Halt, brauchte nicht zwingend Schlittschuhe.
„Als Kinder haben wir das jeden Winter gemacht. Es hat was von Freiheit, wenn man über das Eis gleitet."
„In Spanien ist es eher das Schwimmen im Meer, Surfen und Tauchen."
„Ich war noch nie so richtig in einem Meer tauchen. Ja, wir waren auch schon am Strand, aber ich bin da...nun ja...sehr vorsichtig. Ich mag es nicht, wenn ich nicht sehe, was unter mir ist. Und bei der Nordsee sieht man nicht wirklich was."
„Wenn du mich in Spanien besuchen kommt, nehme ich dich mit zu unserem Ferienhaus auf Mallorca. Die Insel liegt im Mittelmeer. Klares, blaues Wasser. Perfekt zum Schnorcheln und Tauchen."
Noch nie war Lando außerhalb seiner Heimat gewesen, war noch nicht einmal in seinem Leben geflogen. Er kannte Spanien und Mallorca auch nur aus dem Internet. Nachdem Carlos das erste Mal erwähnt hatte ihn mit nach Spanien zu nehmen, hatte er sich Bilder angeschaut und Videos. Es war ein schönes, warmes Land mit viel Kunst und Kultur.
„Glaubst du ich passe nach Spanien? Ich kann nicht mal spanisch."
„Du passt zu mir. Das ist alles, was zählt. Und sprachlich kann ich dir Übersetzten."
Es war nicht so, das Lando sich keine Gedanken darüber gemacht hatte, vielleicht wirklich irgendwann mal in die Heimat seines Freundes zu Fliegen. Aber dafür wollte er erst gesund sein, wollte die Therapie machen und die Schule Abschließen. Und vielleicht schaffte er es auch in der Zwischenzeit etwas spanisch zu lernen, damit Carlos nicht ständig als Übersetzer fungieren musste.
„Spricht deine Familie englisch?"
„Ja. Durch die Arbeit meines Dads war es zwangsläufig wichtig das englisch gesprochen wird. Und wir als Rest der Familie haben es auch übernommen. Ich arbeite in internationalen Firmen, weswegen dort englisch eine Voraussetzung ist."
„Kennen deine Eltern mich? Also ein Bild von mir?"
„Nein."
„Nein?"
Carlos sah sofort, was im Kopf des Jüngeren vorging, zog diesen ruckartig zu sich und lief so weiter mit Lando über das Eis.
„Ich schäme mich nicht für dich, nicht für dein Aussehen. Das ist es, was du denkst, oder?"
„Hm."
„Meine Eltern kennen dich nur von meinen Erzählungen und Schwärmen. Ich wollte Ihnen kein Bild ohne deine Erlaubnis schicken."
„Ich bin dein Freund."
„Ja, das bist du. Und trotzdem würde ich nicht ohne dein Wissen einfach Bilder von dir verschicken, auch wenn ich dies schon liebend gern getan hätte um mit dir Angeben zu können. Blanca und Ana nerven mich schon seit sie wissen das zwischen uns mehr als Freundschaft ist."
„Wir können vielleicht ein Face Time Anruf machen? Oder ein kleines Video? Ich würde mich gerne bei deinen Eltern bedanken, dass sie es in Ordnung finden das du hier bist. Und ich möchte Ihnen schöne Weihnachten wünschen."
Diese Aussage überraschte Carlos sehr, weswegen er auch mitten auf der Eisfläche einfach stehen blieb, Lando etwas von sich schob und diese fragend musterte.
„Wirklich? Mi Amor du weißt das du nichts machen muss, was du nicht möchtest. Ich würde dich niemals drängen wollen dich meiner Familie vorzustellen, wenn du nicht bereit dafür bist."
„Bereit bin ich nicht wirklich, aber ich möchte es. Ich möchte den Menschen danke sagen, die mir einen so wunderbaren, sanftmütigen, liebevollen und herzlichen Menschen geschickt haben."
„Oh. Mi Amor."
Die Hände in den dicken Handschuhen bedeckten fast das komplette Gesicht Lando's als Carlos diese auf das Gesicht des Jüngeren legte. Für einen kleinen Bruchteil von Sekunden überlegte er wirklich, ob er den nächsten Schritt wirklich machen wollte. Zwar kannte er die anderen Menschen um sie herum nicht, aber die Wahrscheinlichkeit das Lando und dessen Familie diese kannten, war hoch und er wollte Lando's keineswegs unfreiwillig Outen oder für, denn nächsten Mobbingstoff sorgen.
Und fast schien es, als sei seine Bedenkzeit richtig gewesen. Lando schaute etwas gequält, aber auch ängstlich. Die Augen huschten hin und her, was Carlos ein deutliches Zeichen war seinen Freund nicht zu küssen.
„Entschuldige."
„Entschuldige dich niemals für deine Ängste und Unsicherheiten."
„Aber du wolltest..."
„Natürlich wollte ich dich Küssen mi Amor. Ich könnte dich immer und ständig Küssen. Aber deswegen oute ich dich nicht ungefragt oder hetzte Menschen gegen dich auf. Ich kann auch warten, bis wir wieder bei euch sind."
Dankbar nickte Lando, behielt es aber bei Carlos an der Hand zu halten, während sie Runde und Runde über das Eis fuhren und der Spanier immer sicherer wurde. Stunde um Stunde lachten sie mit seinen Geschwistern und Eltern, bauten sogar eine kleine Schneemannfamilie oder lieferten sich wilde Duelle mit Schneebällen, bis sie alle wirklich froren und es langsam Zeit für die Tea Time war.
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Zur Tea Time selbst hatte Lando nichts mehr gegessen. Er konnte nicht, war noch zu satt vom Christmas Dinner und nippte daher lieber an seinem Tee.
Die besorgten Blicke waren ihn nicht entgangen, konnte er aber gewissenhaft darstellen, dass er wirklich einfach nur voll war. Die langen Wochen und Monate, wo er kaum was zu sich genommen hatte, waren nicht von heute auf morgen zu vergessen oder mit zu viel Essen verschwunden.
Irgendwann spürte Lando aber auch das seine Batterien aufgebraucht waren. Dieser Tag hatte ihn mehr Energie gekostet, als er sich hatte eingestehen wollen. Es war nicht immer der Energieverlust, weil er eine Fassade aufrechterhalten musste. Heute lag es einfach daran, dass er es nicht gewohnt war, den ganzen Tag was zu unternehmen, auf den Beinen zu sein und kaum Zeit für sich zu haben.
Sie hatten einen schönen Weihnachtstag und er wollte von diesen positiven Stunden auch zerren, aber jetzt wo sie zusammen im Wohnzimmer saßen, fielen seinen Augen immer wieder zu. Schon lange hatte er aufgeben das Kartenspiel zu verfolgen, was Carlos sich mit seinem Dad und Cis lieferte.
Oliver war vor gut einer Stunde gegangen, wollte die letzten Stunden noch mit seiner Freundin verbringen, während Flo sich auf ihr Zimmer verzogen hatte, um mit ihren Freundinnen zu telefonieren. Carlos, Cis, seine Eltern und er selbst waren der eiserne Kern, der noch weit nach 23 Uhr durchgehalten hatte.
„Ich glaube wir beenden unser Spiel."
„Ja, das sollten wir."
„Was? Wieso?"
Müde rieb Lando sich über die Augen, blinzelte verschlafen und merkte erst jetzt das sein Kopf im Schoss von Carlos lag und nicht nur dieser ihn von oben herab schmunzelnd betrachtete.
„Ich bin wach. Meinetwegen müssen wir nicht aufhören."
„Mi amor, du liegst seit 10 Minuten in meinem Schoss und schläfst. Ich nehme nicht an, dass du weißt, was wir gerade Spielen?"
DAS war peinlich.
„Entschuldigung. Ich wollte euer Spiel nicht kaputt machen. Ich wollte nicht Einschlafen."
Rasch rappelte sich hoch, brachte Abstand zwischen Carlos und sich und versuchte sein wild schlagendes Herz unter Kontrolle zu bekommen. Den ganzen Tag hatte er es halbwegs unter Kontrolle gehabt sich nicht von seinen psychischen Erkrankungen einholen zu lassen. Aber es war eben eine Sache, die er schon seit Jahren mit sich herumtrug, die er nicht einfach mit einem Fingerschnippen wegzaubern konnte und genau aus diesem Grund spürte Lando wie ihn eine Welle Scham und Unsicherheiten überrollen wollte.
Er hatte schon wieder alles kaputt gemacht, nur weil sein dämlicher Körper keine Energie mehr hatte, um wach zu bleiben. Wegen ihm starrten sie wieder und wollten ihn bemitleiden.
Keine Sekunde länger hielt er die Blicke aus. So schnell es mit seinem müden Körper möglich war, erhob Lando sich und verließ ohne weiteres Wort das Wohnzimmer, flüchtete nach oben in sein Zimmer, wo er sich auch direkt unter der Bettdecke versteckte und klein zusammenrollte.
Als seine Zimmertür leise geöffnet wurde, konnte Lando nicht sagen wie viel Zeit vergangen war. Sein Kopf steckte in einem heillosen Chaos, überflutet durch die unterschiedlichsten Emotionen und Eindrücke, die drohten ihn die Luft zum Atmen zu nehmen.
„Shhhh. Versuch ruhig zu atmen."
Eine Panikattacke konnte er jetzt nicht auch noch gebrauchen, neben all den anderen Mist, den er schon mit sich herumschleppte. Schwer atmend ließ Lando sich in Carlos Arme ziehen, spürte im ersten Moment nicht was anders war, aber als sein Kopf auf nackte Haut traf wurde ihm bewusst das Carlos neben seinem Oberteil, wohl auch seine Hose ausgezogen hatte.
Seine Atmung wurde nicht schwerer, die verschnellerte sich nur etwas und die Hitze breitete sich in seinem Kopf und wie eine Welle in seinem kompletten Körper aus.
„I-ich wollte nicht..."
„Das wissen wir Lando. Du hast niemanden was kaputt gemacht. Und selbst wenn, dann waren es deine psychischen Erkrankungen. Du hast den ganzen Tag so gut gemeistert, hast so viel mehr gemacht als du dir wahrscheinlich selbst zugetraut hättest. Du kannst sehr stolz auf dich sein."
Carlos fast nackter Körper lenkte ihn zu sehr ab, als direkt Antworten zu können. Lando konnte unter seinen Fingern auf der Brust des Älteren, die Haare fühlen, glitt aber wohl eher unbewusst über diese, als er sich an seinen Freund schmiegte. Das er selbst noch seine ganze Kleidung trug war nebensächlich, solange Carlos ihn mit seiner Anwesenheit beruhigte.
„Ich habe wirklich nicht geglaubt, dass ich so viel schaffe. Heute morgen nach dem Zusammenbruch, war ich wirklich überzeugt allen den Weihnachtstag zu versauen, weil ich mich am liebsten in meinem Zimmer verkrochen hätte."
„Hast du aber nicht. Du warst beim Frühstück dabei, bei der Bescherung und bei allen anderen Aktivitäten, die wir unternommen haben. Du hast so herzlich und losgelöst lachend mit deinen Geschwistern herumgetollt. Du hast mich an die Hand genommen und mir Eislaufen gezeigt. Du hast die ersten Runden UNO alle abgezogen."
„Ich habe gegessen."
„Ja, du hast gegessen. Lando das waren so viele positive Erfolge für einen Tag, darauf kannst du verdammt stolz sein. Du hast viel mehr geleistet als dein Kopf dir zugetraut hat. Als du dir selbst zugetraut hast."
Er hatte richtig viel geschafft und die meiste Zeit des Tages hatte er auch kaum Zeit, um sich mit seinen mentalen Problemen zu beschäftigen, weil es einfach ein toller Tag mit viel Ablenkung und Spaß gewesen war. Den ganzen Tag über hatten sie einen wunderschönen Weihnachtstag mit leckeren Essen, wohlüberlegten Geschenken und im Grunde sogar schönen Wetter.
Lando spürte ein Gefühl, was er nicht oft verspürte, aber etwas öfter seit Carlos bei ihm war. Sein Körper surrte aufgeregt, sein Bauch fühlte sich an, als hätte er Brausetabletten geschluckt. Seine Mundwinkel hoben sich fast von allein, als er den Tag Revue passieren ließ und zum Schluss kommen musste, dass er wirklich fucking scheiß stolz auf sich sein konnte. Überschwänglich schlang er die Arme fester um Carlos Bauch und drückte diesen in Taumel seiner positiven Erkenntnis die Lippen auf die nackte Brust.
„Das fühlt sich großartig an."
„Glücklich zu sein? Zu wissen, dass man stolz auf sich sein darf und kann?"
„Ja. Noch vor einem halben Jahr war an solche Emotionen nicht zu denken. Ach was. Noch nicht mal Anfang des Monats war daran zu denken. Aber jetzt liege ich hier mit meinem Freund, habe wirklich einen großartigen Tag mit meiner Familie gehabt und es auch richtig genießen können, ohne jeden zwangsläufig was vorspielen zu müssen. Neben diesen kleinen Aussetzer heute morgen und vorhin, kann ich wirklich von mir behaupten das ich alles genossen habe und kein schlechtes Gewissen mich plagt. Ich hatte Spaß und konnte diesen auch für mich akzeptieren. Ich habe vielleicht nicht viel gegessen, aber die Mengen, die ich zu mir genommen habe, ließen mich nicht unwohl fühlen, haben mir nicht signalisiert das ich dadurch noch fetter werde oder hässlicher. Mom und du habt so lecker gekocht, dass ich jeden Bissen mit Genuss zu mir genommen habe. Das auf dem Eis tut mir etwas leid, da du ja offen schwul lebst. Von mir weiß außerhalb dieser Familie nur George und Alex bescheid. Ich will nicht -noch nicht- das andere es auch wissen. Ich bin nicht so stark, um die Anfeindungen wegstecken zu können. Zurzeit weiß ich einfach das mich noch mehr Hass und Anfeindungen bezüglich meiner Sexualität schaden würden. Und ich weiß mich selbst nicht einzuschätzen, inwiefern dieser Schaden gehen könnte. Ich will dich nicht Verstecken oder verleugnen, aber ich brauche noch Zeit, bevor ich mich traue in der Öffentlichkeit dazu zu stehen, dass ich Jungs liebe."
Diese Junge.
Man hätte eine eigene Dokumentation über Lando drehen können. Carlos machte sich auch weiterhin nichts vor, wusste das Lando sein Weg der Heilung schwer, steinig und mit Rückschlägen behaftet sein würde und trotzdem konnte er einfach nicht stolzer über die gewaltigen Fortschritte sein, die sein junger Brite erzielt hatte.
Anfangs hatte Lando kaum ein Wort herausbekommen, hatte lieber geschwiegen und alles mit sich selbst ausgekämpft. Und heute? Lando hatte in den letzten Tagen mehrmals über seine wirren, chaotischen Gedanken und seine Gefühlswelt gesprochen, hatte zugelassen das er einen Blick auf die zerbrechliche Seele des Jüngeren erhaschen durfte.
„War das wieder zu viel? Ich habe das Gefühl, seit ich mich etwas mehr traue von mir preiszugeben, quassele ich wie ein Papagei."
„Es könnte nie zu viel sein. Das du dich so öffnest bedeutet mir sehr viel. Und es sollte dir viel bedeuten mi Amor. Du bist bereit dich mir anzuvertrauen, langsam, bedacht und oft zweifelnd. Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Ich bin dankbar für jeden noch so kleinen Schritt, den wir machen, um deinen psychischen Erkrankungen entgegenzuwirken."
Das surrende Gefühl wurde stärker, das Kribbeln im Bauch wärmer. Nur die Nachttischlampe spendete ihnen Licht, als Lando sich etwas von Carlos löste und sich mit den Händen auf Carlos Brust abstützte.
„Ich kann dir nicht Versprechen das es einfach mit mir wird. Aber ich denke das weißt du schon lange. Ich kann dir nicht Versprechen, dass ich dich vielleicht auch mal ausgrenze und zum Teufel schicken will. Ich kann dir nicht mal Versprechen, ob ich jemals den Mut finden werde, mich vor dir Auszuziehen oder öffentlich zu dir zu stehen. Aber ich kann eins. Ich kann mir selbst Versprechen, dass ich alles geben werde, um gesund zu werden. Ich will dieses Gefühl, was ich heute hatte, behalten. Es lässt mich glücklich sein, mich gut fühlen. Ich fühle mich Wertvoll, geliebt. Und ich weiß noch was, was du nicht hören möchtest."
Lächelnd, aber weinend lehnte Lando seine Stirn gegen Carlos, gluckste unbeholfen.
„Du Carlos bist der Grund. Und weißt du was? Mir ist egal, ob du das anders sieht oder das ich an mich denken soll. DU hast mich gerettet und ich möchte eine langfristige Beziehung mit dir, egal was Vorurteile oder Prognosen gestellt werden. Ja, ich bin erst 17 und du mein erster Freund. Nein, ich habe von der Liebe null Ahnung, keine Erfahrungen, Erkenntnisse oder sonstige Voraussetzungen dafür das wir eine lange Beziehung haben werden. Ich möchte dies alles mit dir Erfahren und sammeln. Ich möchte dir die magischen drei Worte sagen, welche ich mich noch nicht traue, auszusprechen. Aber ich weiß das sie da sind. Sie sind da. Und ich will mich dabei nicht von meinem Kopf verrückt machen lassen, der meint das man für diese Worte einen Zeitraum einhalten muss. Du hast sie mir auch schon gesagt, nach ein paar Stunden Beziehung."
Seine Hände schoben sich auf Lando's Rücken und in den Nacken, zogen diesen auf sich. Sanft küsste er das tränennasse Gesicht, die Nase, die Stirn und Lippen.
„Ich liebe dich Lando."
TBC...
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