10. Kapitel
Ein eiskalter Schauer lief durch meinen Körper.
"Was?", brachte ich hervor, "Was ist das für eine Sache?"
Glace und Espasa tauschten einen leeren Blick. Dann seufzte meine Gefährtin auf, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. "Kaito, ich werde das erklären. Und bitte unterbrich mich nicht, bevor ich fertig bin."
Ich schluckte meine Mischung aus Wut und Angst hinunter. "Ich werde es versuchen", meinte ich. Glace nickte erneut, sie seufzte und sah zu Boden. "Also, in der Nacht, in der du aufgebrochen wart, um deine Eltern zu besuchen...in dieser Nacht...", sie hielt inne, schüttelte leicht den Kopf, seufzte, holte tief Luft und sah mich dann schließlich wieder an, "In dieser Nacht kam Samiras Mutter zu mir. Damals war ich hochträchtig, wahrscheinlich hätte ich sie nicht so empfangen, wie ich sie empfangen habe, wäre ich das nicht gewesen...aber das spielt keine Rolle." Sie schlug die Augen zu. "Sie schien ziemlich verzweifelt zu sein, deswegen habe ich ihr zugehört. Sie hat mir ihre Situation erklärt und...ja, verdammt." Dicke Tränen liefen unter ihre geschlossenen Lidern hervor. "Ja, ich hatte Mitleid mir ihr. Deswegen habe ich mich dazu bereit erklärt, Samira mit meiner eigenen Tochter zusammen aufzuziehen. Ich...ich wollte dir eigentlich davon erzählen...", panisch riss sie die Augen auf, "aber du hattest dich so gefreut, als du die beiden kleinen gesehen hattest....da wollte ich diesen Moment nicht zerstören. später habe ich mir dann eingeredet, dass es das Beste für sie ist, wenn sie nicht weiß, wer ihre wirklichen Eltern sind...und, dass es besser ist, wenn du es auch nicht weißt. Ich wollte, dass du sie liebst wie eine eigene Tochter und...ich war mir sicher, dass du das nicht tun würdest, wenn du die Wahrheit über sie kennen würdest. Ich weiß, dass das falsch war...", sie schüttelte erneut den Kopf, um sich ihre Tränen aus den Augen zu schnicken, "...aber ich wollte doch nur, dass es ihr und Sakura gut geht."
Sie verstummte, weil sie schluchzen musste. Ich allerdings konnte nicht glauben, was ich gerade gehört hatte. Es war, wie als breche alles, was ich bisher zu wissen geglaubt hatte, meine komplette Realität, meine komplette Wahrheit über mir zusammen, um mich zu erschlagen, mit den Splittern meiner vergangenen Welt zu schneiden.
"Warte mal...", brachte ich schließlich hervor, "Ich will dich nicht unterbrechen...ich will nur sichergehen, dass ich das richtig verstanden habe. Heißt das..."
Es fiel mir schwer, diese Worte überhaupt auszusprechen, ich musste mehrmals ansetzten, bis ich sie schließlich herausbrachte.
"Samira ist nicht meine Tochter? Sie gehör gar nicht zur Familie?"
"Naja...", Glace tauschte einen langen Blick mit Espasa, "...streggenommen...ist sie die Tochter von dem Ex-Gefährten meiner Schwester..."
Ich wurde hellhörig und versuchte, diese Information irgendjemandem zuzuordnen, doch ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was das hieß. Und dann konnte ich es erst einmal nicht glauben, wollte es nicht akzeptieren, suchte verzweifelt nach einer anderen Möglichkeiten, aber mir kam nichts in den Sinn. Nach mehreren Momenten der Stille blieb mir schließlich nicht anderes übrig, als das auszusprechen, was mir durch den Kopf ging.
"Jolt ist ihr Vater?!"
Glace starrte auf ihre Pfoten.
"Du hättest sie nicht lieben können", murmelte sie heiser, "Du hättest sie nicht lieben können, wenn du das von Anfang an gewusst hättest."
Damit, musste ich zugeben, hatte sie sogar recht.
Ich hasste Jolt. Ich hasste ihn abgrundtief, und das, obwohl ich persönlich noch nicht einmal sonderlich stark von ihm verletzt worden war - zumindest nicht mehr als von anderen. Vielmehr war es seine Ehrlosigkeit gegenüber Espasa, mit der er sich negativ in meine Gedanken gebrannt hatte. Gnadenlos und ohne ein schlechtes Gewissen zu haben hatte er sie mit Sylv, einem Feelinara und ihres Zeichens Glaces Wurfgefährtin, betrogen, und auch noch die Dreistigkeit besessen, seiner eigentlichen Gefährtin schamlos ins Gesicht zu lügen. Doch die Erinnerung daran brachte eine weitere, entscheidende Frage aus meinen verworrenen Gedanken hervor.
"Wenn Jolt ihr Vater ist...", brachte ich leise hievor, "Wer ist dann ihre Mutter?"
Ein langes Schweigen trat ein. Stille erfüllte die morgendliche Luft.
Die beiden Weibchen sahen sich lange an, dann kniff Espasa die Augen zusammen und trat einen Schritt nach vorne.
"Ich...hatte niemals vor sie alleine zu lassen", hauchte sie tonlos, "Ich hatte niemals vor, sie schutzlos auszuliefern. Ich...ich wusste, dass sie bei euch in guten Pfoten ist...deswegen habe ich sie zurückgelassen."
Sie schien meinem Blick nicht mehr standhalten zu können, denn sie wandte nicht nur den Blick, sondern gleich den ganzen Kopf ab.
"Ich...war mir sicher, dass ihr sie gut aufziehen würdet. Dass ihr ihr den besten Schutz bieten würdet, den sie überhaupt haben kann. Und ich war mir sicher, dass Jolt hier nicht nach ihr suchen würde...ich hatte schreckliche Angst, dass er hinter ihr her sein könnte..."
Für einige Sekunden starrte ich Psiana, dass ich zu kennen geglaubt hatte, eindringlich an.
"Du hast dich mit ihm..."
"Ja verdammt!", fiel Espasa mir beinahe verzweifelt ins Wort, "Ja, verdammt, ich habe mich mit ihm gepaart. Ich...ich dachtes, es würde ihn vielleicht daran erinnern, was wir einmal gewesen sind...was wir einmal füreinander bedeutet haben. Es...es war naiv und dumm, ja, aber..." Mit Tränen in den Augen schüttelte sie den Kopf. "...wenn du nichts mehr hast, worauf du vertrauen kannst, dann brauchst du etwas, auf das du hoffen kannst, sonst hast du keinen Grund mehr zu Leben." Sie schluckte heftig und blickte mich an. In ihren Augen lag eine solche Trauer, gemischt mit Hilflosigkeit und Angst, aber auch Reue, so viel Reue, dass ich nicht einen Moment lang daran zweifelte, dass sie mir die Wahrheit sagte. Es traf mich wie ein Schlag, härter als jede Attacke, die ich jemals hatte einstecken müssen, heftiger als jeder Hieb, denn ich jemals kassiert hatte.
"Jedenfalls wusste ich nicht, dass ich trächtig war", setzte Espasa brüchig wieder an, "Ich habe immer gedacht, meine plötzliche Trägheit wäre auf die Verletzungen vom Kampf mit Salazandora zurückzuführen aber...diese Vermutung hat sich dann relativ schnell als falsch erwiesen. Ich konnte es zuerst selbst nicht glauben." Sie ließ den Kopf hängen. "Ich hatte all das schon wieder so sehr verdrängt und gehofft, damit abschließen zu können. Demnach bin ich in Panik geraten. Ich hatte Angst, dass mich meine Vergangenheit einholt. Und dann kamt ihr mir in den Sinn. Ihr wart meine letzt Hoffnung...ich hatte doch niemanden sonst." Alleine am Klang ihrer Stimme konnte ich hören, dass gerade kleine Tränen aus ihren Augen hervorliefen. "Ich hatte mir vorgenommen, Glace zu bitten, meine Tochter aufzunehmen, sofern ich bis dahin überlebe. Ich hatte wirklich Angst" Sie schluckte ein paar Mal heftig. "Sie hat zugestimmt, und damit hat sie mich von all meinen Sorgen erlöst. Und auch wenn ich es ungern zugebe..." Langsam hob sie den Kopf und sah meine Gefährtin leer an, "Ich bin sowohl ihr als auch dir unendlich dankbar." Es folgte eine kurze Pause. "Eigentlich ist Samira ungefähr eine Woche älter als ihre Schwester", schloss sie dann schließlich, trat zurück und sah mich an.
Stille.
Absolute Stille.
"Warum...", fing ich an, jeder Buchstabe war eine Qual zu sprechen, "Warum habt ihr mir nicht davon erzählt? Glaubt ihr, ich wäre damit nicht klargekommen?"
"Doch. Natürlich. Es lag nicht an mangelndem Vertrauen." Vorsichtig machte Glace einen Schritt auf mich zu. "Es...ich habe nie die Worte gefunden, es dir zu sagen. Es tut mir unendlich leid, dass es erst so weit kommen musste."
Sie senkte den Kopf und drückte ihn sanft gegen meine Schulter. Ich konnte spüren, dass sie weinte. Wie von selbst lehnte ich mich nach unten und schmiegte mein Kinn fürsorglich an sie. Lüge hin oder her, ich wollte sie nicht so leiden sehen.
Glace war mein ein und alles.
Ohne sie war ich nichts.
Sie hatte mir stets ihr bedingungsloses Vertrauen entgegengebracht, selbst damals, als ich eine sehr lange Zeit wortlos verschwunden war und meine letzten Spuren zusammen mit denen eines fremden, weiblichen Pokémon gefunden worden waren. Sie hatte an mich geglaubt.
Vielleicht sollte ich es ihr jetzt gleichtun und versuchen, ihre Gefühle zu verstehen.
Glace war schon immer sehr sensibel gewesen, sie war emotional und hätte niemals jemanden im Stich gelassen, dem sie irgendwie hätten können. Sie war für eine Mutter ziemlich jung und soweit ich das beurteilen konnte, hatte sie Samira stets wie ihre eigene Tochter geliebt und weder bevorzugt noch benachteiligt.
Ich beschloss schließlich, diesen doch etwas komplexeren Denkprozess zu verschieben, denn Glaces Worte hatten mich daran erinnert, dass es in diesem entscheidenden Moment wichtigeres gab als das.
"Lass...uns später noch einmal darüber reden, okay?", schlug ich unter Aufwand aller meiner Kräfte vor. "Wir können daran nichts ändern und...es ist wichtiger, dass Samira in Sicherheit gebracht wird, oder?" Zaghaft hob Glace ihren Kopf und auch Espasa wirkte so, wie als habe man sie gerade aus einem tiefen Schlaf erweckt. "Ich meine, selbst wenn Jolt ihr Vater ist...er hat sie sicherlich nicht einfach nur so zu einem netten Familientreffen mitgenommen", fügte ich noch hinzu und spürte, wie selbst mir bei diesen Worten die Panik wieder hochkroch.
"Stimmt", bestätigte Espasa heftig nickend, "Wir haben schon lange genug getrödelt. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren...wer weiß, was dieser ehrenlose Dreckskerl mit ihr vorhat!" Eilig wandte sie sich ab. "Kommt. Wir...wir gehen zu Doom. Da haben wir mehr Verbündete, die uns bei der Suche helfen können...außerdem gehe ich davon aus, dass wir um sie kämpfen müssen, wenn wir sie erst einmal gefunden haben."
Sie wollte gerade losstürmen, da warf Glace noch etwas ein.
"Sakura ist noch irgendwo da draußen...ich warte hier auf sie. Wir kommen nach."
Ich tauschte einen schnellen Blick mit Espasa.
"Weißt du überhaupt, wo das ist?", fragte ich dann besorgt. Glace zuckte mit den Schultern. "Sakura wird es wissen."
Ich nickte knapp, dann drehte ich mich zu Espasa, die das scheinbar als ein Startsignal sah und lospreschte, wie als gäbe es kein Morgen. Fraglich, ob es das für Samira gab, wenn wir uns nicht beeilten.
"Pass auf dich auf, Glace", murmelte ich noch schnell, dann setzte ich dem Psiana eilig nach.
Während ich nun also in Rekordgeschwindigkeit in die Dunkelheit hineinpreschte, fragte ich mich immer noch, was ich gerade gehört hatte - und, was das wiederum zu bedeuten hatte.
~
Hey^^"
Ist etwas kürzer geworden als die letzten Kapitel aber...ich wollte nicht unbedingt noch mehr Handlung reinquetschen, als es nötig gewesen werde, weil das hier glaube ich erst einmal zu verkraften ist^^"
Ich bitte wie üblich um Verzeihung dafür, euch über einen Monat warten gelassen zu haben...aber das Kapitel war wirklich nicht leicht zu schreiben^^"
Ich wünsche euch trotzdem noch einen guten Abend, Tag oder was auch immer :3
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