| 12 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬
Etwa eine Stunde später saß ich im Wartebereich des Krankenhauses und sah Ryan dabei zu, wie er mit einer der Krankenschwestern sprach. Sie hatte braune Haare, die nach oben gebunden waren und in ihren Augen war ein undefinierbarer Blick. Entweder war sie total übermüdet, weil das Krankenhaus überlastet war oder mit ihr stimmte etwas nicht.
„Kennst du sie?", fragte ich Ryan als dieser zurückkam und sich neben mich setzte.
Schulterzuckend meinte er, „Nicht wirklich", während er ihr hinterher sah.
„Okay?" Lachend stieß ich ihm mit der Schulter an. „Ich mein ja nur... Ihr saht so vertraut aus und irgendwie ist sie komisch."
„Inwiefern?"
„Keine Ahnung, komisch eben."
Trocken lachte er auf. „Aha."
Mürrisch sah ich ihn von der Seite aus an. „Ist irgendwas? Du bist doch sonst nicht so gereizt und schnell genervt?"
„Ich mag solche Orte eben nicht."
„Du meinst Krankenhäuser?"
Ryan sah kurz zu Boden. „Hm."
Unruhig knetete er seine Hände und rieb sie anschließend an seinen Oberschenkeln ab. Irgendwas war anders heute an ihm. Heute Früh war noch alles in Ordnung, doch jetzt machte er einen unsicheren und verschreckten Eindruck, was ich so gar nicht von ihm kannte und mich automatisch mit beunruhigte.
Als er meinen Blick bemerkte, seufzte er gestresst. „Ich hab einfach keine guten Erinnerungen an Krankenhäuser... und Klinken. Sie engen mich ein." Mehr sagte er dazu nicht und ich wollte auch nicht weiter nachbohren.
Das Thema schien empfindlich und es war der falsche Zeitpunkt für solch ein Gespräch. Vielleicht würde er außer mit Matt eh nicht mit jemanden darüber sprechen. Ich war zwar sein Mitbewohner, Gangpartner und der Typ, der mal mit seiner Schwester zusammen war, aber so lange kannten wir uns nun auch wieder nicht. Ich konnte mir nur denken, dass es womöglich etwas mit seiner damaligen Drogensucht zu tun hatte. So etwas prägte und hinterließ Spuren. Auch bei Ryan, nur versteckte er sie gut.
„Ihr könnt jetzt rein", teilte uns die Schwester von vorhin mit und sah Ryan vielsagend an.
Er nickte nur und wir standen auf. Alec wurde noch untersucht, weswegen wir warten mussten. Doch jetzt konnten wir ins Zimmer, wofür wir zu meinem Glück keinen Fahrstuhl nutzen mussten.
Wie die Sache mit Alecs Aufenthalt geklärt wurde wusste ich nicht genau. Jackson und Matt hatten die Angelegenheit geregelt. Nach dem Motto, dass Geld alles regeln würde. Und in diesem Fall tat es das eindeutig. Einige vom Krankenhauspersonal würden vieles tun, um einen finanziellen Schub zu bekommen. Auch, wenn das bedeutete, dass Verletzungen vertuscht werden mussten und Akten gefälscht werden mussten. Die Polizei hatte höchstwahrscheinlich hiervon nie erfahren.
Nur Alecs Eltern wollten nichts damit zu tun haben.
Der Tod ihres ältesten Sohns hatte sie sehr mitgenommen. Man hatte nie eine Leiche gefunden, niemand konnte das erklären. Offiziell galt Conner als tot. Wir nahmen damals an, dass Zayns Leute ihn mitgenommen hatten, um Beweise zu vernichten. Wie Alecs Eltern darüber dachten wussten wir nicht. Natürlich hatte Alec ihnen vom Tod seines Bruders erzählt. Hatte aber am Ende auch dafür die Quittung bekommen als Überbringer.
Alec war volljährig. Wo er zukünftig wohnen würde und wie es mit der Schule nach seiner Entlassung weitergehen würde, war ungewiss.
„Hey", begrüßte Ryan mit erstickter Stimme den Blonden, der im Krankenhausbett lag und abwesend aus dem Fenster starrte. Dieser drehte seinen Kopf langsam zu uns und als er mich sah wurde sein Blick etwas finsterer.
„Wie gehts dir?", fragte ich und klatschte mir innerlich selbst eine. Das war wohl die blödeste Frage, die ich hätte stellen können. Ich wusste doch selbst genau, wie er sich fühlte und was man in dem Moment nicht hören wollte.
Der Verletzte zuckte mit den Schultern und unschlüssig blieb ich im Raum stehen, während Ryan sich ans Bett setzte.
„Weißt du schon wann du entlassen wirst?", wollte Ryan wissen.
Doch Alecs Laune wurde nicht unbedingt besser. „Nicht genau, aber lange wird's nicht mehr dauern. Es verheilt wieder alles gut und der Arzt meinte, dass wenn nichts unerwartetes passiert, ich in wenigen Tagen raus kann", genervt rollte er mit den Augen, „Schonen muss ich mich aber trotzdem noch eine lange Zeit."
„Aber das klingt doch gut!", warf Ryan erfreut ein.
„Hm."
Unschlüssig sah ich meinen ehemaligen Schulkameraden an. Er wirkte bei weitem nicht mehr so schwach und verloren wie damals in unserer Wohnung nach Conners Tod. Dennoch sah er eingefallen und leicht kränklich aus. Mit Sicherheit hatte er abgenommen. Sein Gesicht war blass und in seinen Augen fehlte das angriffslustige und provozierende Funkeln, welches ich so gut kannte.
„Alec...", Ryan wandte kurz den Blick ab und legte dann die Hand auf Alecs Unterschenkel, der unter der Decke lag. „Wie geht es jetzt mit-"
„Keine Ahnung", unterbrach der Blonde ihn. „Meine Eltern können mich mal und in der Schule hab ich einfach zu viel verpasst. Es geht bald auf die Prüfungen zu und es ist unmöglich den Stoff nachzuholen und gleichzeitig mitzukommen. Und irgendwie... will ich das auch nicht mehr."
„Was meinst du?"
„Ich will den Stress nicht mehr. Schon vor meiner Verletzung hab ich oft gefehlt und so scheiße es auch ist, du und Miles haben auch keinen gültigen Schulabschluss. Wozu soll ich das dann durchziehen?"
Ryan sah ihn tadelnd an. „Du bereust das dein Leben lang, Alec."
„Mag sein." Gleichgültig zuckte er mit den Schultern und sah zu mir. „Du hast doch auch abgebrochen."
„Ja. Ich bereue es auch nicht, aber ich würde mir das trotzdem gut überlegen. Schulplicht ist bis 18. Haben wir also beide erfüllt", meinte ich. „Aber was ist mit College?"
Alec lachte auf. „Mit meiner Leistung? Ne, das wäre nichts." Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Und ist ja nicht so als bräuchte ich einen perfekten Abschluss für einen Job." Amüsiert sah er uns an und während ich ihn weitestgehend verstehen konnte, schüttelte Ryan mit dem Kopf. Als Schulabbrecher wusste er genau welche Probleme damit auf uns zukommen würden und da er selbst wahrscheinlich den Abbruch bereut hatte, wollte er diesen Weg nicht für uns.
„Wie du meinst", entgegnete er. „Ist deine Entscheidung."
Plötzlich kam mir ein Gedanke. „Übrigens haben wir ein neues Mitglied, Alec."
„Matt hat sowas schon angedeutet, ich weiß." Neugierig sah er uns an. „Wer ist es denn? Er wollte mir noch nichts sagen."
Ich schwieg für einen Moment, lächelte doch dann. „Damien."
„Ist nicht wahr!" Beinahe fielen ihm die Augen aus. „Damien?! Wie kam das denn? Hat Jackson ihn nicht sofort erschossen? Und wessen Idee war das bitte?"
„Meine... Naja, eigentlich seine."
Alec sah mich ungläubig an. „Er kam freiwillig?"
„Jap, er hat in der Einfahrt meines-", schnell verstummte ich und räusperte mich leicht. Es mussten nicht mehr Leute als nötig davon erfahren. Laut Jackson sollte mein Onkel aus meinem Leben verschwinden. „Er hat mich gesucht und darum gebeten mit Jackson zu sprechen und heute Vormittag wurde er probeweise aufgenommen."
Dem Blonden entwich ein Lachen. „Krass."
„Ja, wo ich davon erfahren hab, dachte ich auch, dass das ein Scherz ist", pflichtete Ryan bei. „Aber unser kleiner Jacks scheint wohl auf seinen Miles zu hören", grinste er und wackelte mit den Augenbrauen.
Sauer gab ich ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Er hat selbst eingesehen, dass es eine gute Entscheidung ist!"
„Jaja", lachte Ryan. Dann wurde er plötzlich ernst. „Nochmal zurück zu vorhin, Alec." Theatralisch verdrehte genannter die Augen. „Matt hat dir bestimmt schon erzählt, dass wir bald zusammenziehen und ich wollte nur sagen, dass... naja, wenn du nicht weißt wo du hin sollst... du kannst immer zu uns."
Überrascht sah ich meinen Mitbewohner an. Darüber hatte er noch gar nicht mit mir gesprochen!
„Ryan... ich", stammelte Alec gerührt. „Das ist echt nett, aber ich glaube-"
„Keine Sorge", unterbrach Ryan den Jüngeren. „Es war nur ein Vorschlag und du musst uns auch keine Antwort geben. Es ist deine Entscheidung. Und wenn du nicht zu uns willst, ist das auch in Ordnung. Nur sollst du wissen, dass du auch nachträglich immer zu uns kannst."
Alec sagte dazu zunächst nichts. Er bedankte sich nur und meinte, dass er abwarten würde, was nach seiner Entlassung wäre. Seine Eltern würden ihn wohl kaum Zuhause dulden und selbst wenn, das Verhältnis wäre mehr als angespannt und stressend. Zwar wollte ich selbst nicht unbedingt mit Alec zusammenziehen, aber ich konnte Ryan verstehen. Er musste sich selbst in Alec wiedersehen und wollte ihm helfen.
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