Lautlos
Die Blicke von Minhos Eltern verfolgten uns, als wir uns durch die Menge bewegten.
Es fühlte sich an, als hätten sie nicht nur unsere Seelen durchleuchtet, sondern auch das verdammte Arbeitszimmer. Minho schien sich darüber jedoch herzlich wenig Gedanken zu machen, er grinste immer noch breit und schien den Moment zu genießen. Ich hingegen wollte am liebsten im Boden verschwinden.
„Musterknabe?“
Ich funkelte ihn an, während wir uns an ein paar Gäste vorbeischoben, die neugierig zu uns hinübersahen.
„Du willst doch wohl nicht ernsthaft behaupten, dass—“
„Du bist doch einer“, schnitt Minho mir mit einem Augenzwinkern das Wort ab.
„Zumindest in den Augen meiner Eltern. Naja, bis eben vielleicht.“
Hyunjin, der uns dicht auf den Fersen war, konnte sein Lachen nicht länger zurückhalten.
„Anständig? Jisung? Minho, das ist der beste Witz des Abends!“
„Hyunjin!“
Ich drehte mich zu ihm um, meine Stimme war gefährlich leise.
„Du bist der Letzte, der hier irgendwas sagen sollte. Ich wette, du hast—“
„Mitgehört?“
Hyunjin hob unschuldig die Hände und grinste wie eine Katze, die gerade einen Vogel gefangen hatte.
„Ich schwöre, Jisung, die Wände hier sind wirklich dünn. Aber hey, keine Sorge. Es bleibt unter uns. Und den anderen fünfzig Leuten, die es auch gehört haben.“
„Oh mein Gott.“
Ich schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte, was Hyunjin nur zu einem weiteren Lachanfall animierte. Minho legte einen Arm um meine Schultern, ein Lächeln, das mich gleichermaßen beruhigen und ärgern sollte, auf den Lippen.
„Beruhig dich“, murmelte er.
„So schlimm war es nicht.“
„Nicht so schlimm?“ Ich sah ihn entgeistert an.
„Deine Eltern, Minho. Sie wissen es. Sie haben es gehört. Und ich bin mir sicher, sie planen gerade, mich aus deinem Leben zu entfernen.“
„Unsinn.“
Er drückte meine Schulter und führte mich zu einer anderen Ecke des Raumes, wo sich eine kleine Gruppe unserer Freunde versammelt hatte. Hyunjin folgte uns natürlich und machte sich gleich daran, die anderen in die Geschichte einzuweihen.
„Du hast ihn schlecht erzogen“, sagte ich schließlich zu Minho und deutete auf Hyunjin.
„Das liegt nicht an mir“, erwiderte Minho trocken, während er uns beiden ein Getränk einschenkte.
„Er ist ein Eigengewächs.“
Hyunjin zog eine dramatische Grimasse.
„Das tut weh, Minho. Wirklich. Und das nach all den Geschichten, die ich über euch gedeckt habe.“
„Welche Geschichten?“ fragte ich misstrauisch, und Hyunjin grinste nur.
„Oh, nichts Wichtiges. Aber weißt du, Jisung, du solltest mal hören, was Minho über dich sagt, wenn du nicht da bist.“
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, doch bevor ich etwas sagen konnte, erschien Minhos Mutter wieder in der Tür.
„Minho, Jisung?“ Ihre Stimme war ruhig, aber da war dieser Unterton, der mich jedes Mal innerlich zusammenzucken ließ.
„Darf ich euch einen Moment sprechen?“
Minho warf mir einen amüsierten Blick zu, bevor er seiner Mutter folgte. Ich folgte ihm, mein Herz hämmerte in meiner Brust.
Wir gingen raus aus dem Wohnzimmer, in die Küche, fernab von neugierigen Ohren. Seine Mutter sah uns an, ihre Arme vor der Brust verschränkt.
„Also.“ Sie ließ den Blick zwischen uns hin- und herwandern.
„Was genau habt ihr da oben gemacht?“
Minho lachte leise und schüttelte den Kopf. „Nichts, worüber du dir Gedanken machen musst, Mom.“
„Minho, sei ehrlich.“ Ihre Stimme war schärfer, aber es war nicht Zorn, sondern eine Mischung aus Besorgnis und Neugier.
„Ihr seid beide erwachsen, und ich will mich nicht einmischen, aber—“
„Wir haben geredet“, unterbrach ich sie schnell und hoffte, dass meine Stimme überzeugend klang.
„Einfach nur... geredet.“
„Gerede, das man durch die Wände hören kann?“ Sie hob eine Augenbraue, und ich fühlte, wie mein Magen sich zusammenzog.
„Mom.“ Minho trat einen Schritt vor und legte eine Hand auf ihren Arm. „Es tut mir leid, wenn wir irgendjemanden gestört haben. Es war nicht unsere Absicht.“
Sie sah ihn einen Moment an, bevor sie seufzte.
„Ich vertraue dir, Minho. Aber denk daran, dass hier auch andere Menschen sind, die nicht alles hören müssen.“
Ich nickte schnell, froh, dass das Gespräch nicht in eine unangenehmere Richtung ging.
Als sie schließlich ging, wandte ich mich an Minho.
„Deine Eltern sind viel zu nett zu mir. Ich wette, meine Mutter hätte mich längst enterbt.“
„Das ist, weil sie dich mögen“, sagte Minho, während wir wieder ins Wohnzimmer gingen, und grinste. „Und außerdem wissen sie, dass ich dich mag.“
Ich spürte, wie die Röte erneut in meine Wangen stieg, und stieß ihn leicht in die Seite. „Du bist unmöglich.“
„Ich weiß“, erwiderte er und beugte sich vor, um mir einen Kuss auf die Stirn zu drücken.
Von der anderen Seite des Raums rief Hyunjin: „Hey! Nicht schon wieder, ihr zwei!“
Ich rollte mit den Augen, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen.
Hyunjin stand mit seinem Weinglas in der Hand mitten im Raum und zog die Aufmerksamkeit auf sich wie ein selbsternannter Star. Natürlich konnte er es nicht lassen, die „Geschichte“ der Party mit seiner üblichen Theatralik auszuschlachten.
„Also, stellt euch vor“, begann er mit einer betont dramatischen Stimme, „es war eine stille, friedliche Nacht. Die Party lief gerade entspannt vor sich hin, als plötzlich...“
Er klopfte sich gegen die Brust und stieß ein lautes, übertriebenes Stöhnen aus, das eindeutig keinem normalen Gespräch entstammte. Die Gäste um ihn herum brachen in schallendes Gelächter aus.
„Hyunjin!“ rief ich empört und konnte spüren, wie mein Gesicht erneut heiß wurde. Ich war kurz davor, ihm den Rest seines Weins über den Kopf zu schütten, als ich eine vertraute Stimme hörte.
„Das ist also, was du heute Abend treibst, Hyunjin? Deine Talente verschwendest du wirklich“, sagte Christopher, der plötzlich neben ihm stand.
Er hatte ein schiefes Lächeln auf den Lippen und schüttelte den Kopf.
„Du hättest das wenigstens choreografieren können.“
„Christopher! Komm schon, gib zu, das war lustig.“
Hyunjin grinste breit und schien überhaupt kein schlechtes Gewissen zu haben.
Christopher schien jedoch genug davon zu haben, denn er wandte sich von Hyunjin ab und suchte mich in der Menge. Als sich unsere Blicke trafen, erhellte sich sein Gesicht.
„Jisung!“ rief er aus und kam auf mich zu.
Ich war überrascht, ihn zu sehen, aber noch überraschter, dass er mich so herzlich begrüßte.
Christopher war einer meiner Lieblingslehrer gewesen, als ich noch zur Uni gegangen bin
Es fühlte sich an, als lägen Jahre dazwischen, und ehrlich gesagt, war ich fast ein wenig stolz, ihn wiederzusehen.
„Christopher!“ Ich erwiderte sein Lächeln und öffnete meine Arme für eine schnelle Umarmung.
Die Formalitäten waren schon lange abgefallen, schließlich vögelte er den Bruder meines Freundes.
„Ich hätte nie gedacht, dich hier zu treffen“, sagte er, während wir uns voneinander lösten.
„Tja, die Welt ist klein“, antwortete ich und warf Minho, der immer noch neben mir stand, einen amüsierten Blick zu.
Christopher musterte uns kurz und lächelte wissend, sagte jedoch nichts dazu.
„Was machst du jetzt? Ich meine, nach der Schule. Ich hab gehört, du bist ein Künstler?“
„Ja, das stimmt.“
Ich nickte und spürte, wie sich ein Hauch von Nostalgie in meinem Inneren breit machte.
„Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und bin ein sehr bekannter Künstler geworden.“
„Das ist großartig!“ Christopher wirkte aufrichtig beeindruckt.
„Ich erinnere mich, wie du immer darüber gesprochen hast, dass die Kunst deine Leidenschaft ist. Ich bin froh, dass du deinen Traum verwirklichen kannst.“
„Danke.“
Ich lächelte und fühlte mich für einen Moment richtig gut. Es war nicht oft, dass ich über meine Karriere sprach, und es fühlte sich gut an, zu wissen, dass jemand meinen Weg nachvollziehen konnte.
Christopher nickte und sah mich dann mit einem schelmischen Grinsen an.
„Aber ich muss sagen, ich hätte nicht gedacht, dass mein ehemaliger Schüler so... lebhaft ist.“
Ich stöhnte leise und spürte, wie meine Röte zurückkehrte. Hyunjins kleine Show hatte wohl seine Wirkung hinterlassen.
„Nicht du auch noch“, murmelte ich, während Minho leise lachte.
„Mach dir keine Sorgen.“
Christopher schüttelte den Kopf und lächelte.
„Ich werde niemandem verraten, was ich hier gehört habe. Aber es ist schön zu sehen, dass du glücklich bist, Jisung.“
„Danke“, sagte ich ehrlich und spürte, wie die Anspannung in mir nachließ. Es war seltsam, aber auch beruhigend, mit einem ehemaligen Schüler auf diese Weise zu sprechen.
„Nun, ich werde mich wieder zu den anderen gesellen.“
Christopher klopfte mir auf die Schulter und nickte Minho freundlich zu.
„Es war wirklich schön, dich wiederzusehen.“
„Ebenso“, antwortete ich, und wir sahen ihm nach, wie er sich wieder in die Menge mischte.
Minho lehnte sich zu mir und flüsterte leise: „Siehst du? Du bist eben ein Multitalent. Schüler, Künstler und Partygesprächsstoff.“
Ich schnaubte und schüttelte den Kopf, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen.
Egal, wie peinlich der Abend war, es fühlte sich doch irgendwie gut an, hier zu sein.
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