Schuldgefühle
Rey hatte den schlaffen Körper Kylo Rens über der Schulter. Bei jedem Schritt schrie ihre Lunge nach mehr Sauerstoff, doch sie trug weiter tapfer die Last von Rens Gewicht auf ihren Schultern. Die Anstrengung, die es sie kostete, war deutlich als kleine, feine Schweißperlen auf ihrer Stirn zu erkennen. Finns Augen verengten sich zu Schlitzen, während er nicht fassen konnte, was seine Augen da sahen. War das jetzt ihr verdammter Ernst?
,,Rey, was tust du?", fuhr er das Mädchen scharf an.
,,Ben wird uns begleiten", entgegnete sie entschlossen, den wütenden Ausdruck auf Finns Gesicht ignorieren, während sie versuchte voranzukommen. Der ehemalige Sturmtruppler bot ihr keinerlei Hilfe an.
Ben. Oh, sie nannte ihn schon Ben. Toll! Wut und noch etwas anderes tieferes viel menschlicheres, das mehr und mehr Macht über ihn gewann, machte sich in dem ehemaligen Sturmtruppler breit. Einen Schritt machte Finn auf sie zu.
,,Sein Schicksal wird das gleiche sein wie unseres", betonte Rey für den Fall, dass Finn nicht verstanden hatte.
,,Aber ...", setzte Finn erneut an. Seine Wangen glühten.
Allmählich begann Wut in Rey empor zu steigen. Der Ärger, die Frustration, dass Finn nicht verstehen wollte, wuchs. Zuerst war es nur eine kleine Flamme, doch nun war es angewachsen zu einem lodernden Feuer. Abrupt hielt Rey inne.
,,Ich werde ihn nicht zurücklassen zum Sterben", schrie sie ihren Freund an.
Sofort wich Finn vor Rey zurück. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht machte ihm Angst. Noch nie hatte er sie so energisch, so wütend erlebt. Plötzlich verstand er die Welt nicht mehr. Warum wollte sie Ren so dringend retten? Seine Stirn legte sich in Falten, als er begann darüber nachzudenken. Rey war währenddessen bereits weitergelaufen. Sie hatte Finn nichts mehr zu sagen.
,,Rey, er hätte dich zum Sterben zurückgelassen, um seine eigene Haut zu retten."
Finns Stimme war leise, doch Rey hatte ihn verstanden, trotz der wenigen Meter Entfernung zwischen ihnen. Ruckartig schnellte sie in seine Richtung.
,,Hätte er nicht!"
Ihre Stimme zeriss förmlich die Stille.
Bevor die Situation gänzlich eskalierte, mischte sich nun Poe ein. Beinah beruhigend legte er seine Handfläche gegen den Brustkorb von Finn. Den Bruchteil einer Sekunde sahen sie sich an.
,,Finn, du kennst die Befehle des Generals. Auch Ren ist Teil der Mission, auch wenn es mir genauso wenig gefällt, wie dir. Wir werden ihn mitnehmen."
Und das war endgültig.
Abrupt wandte sich Finn um, um mit geballten Fäusten auf den Falken zuzulaufen. Dort an der Rampe wartete Rose bereits geduldig auf die Rückkehr der Anderen. Sofort bemerkte sie seine Stimmung.
,,Finn? Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte sie mit einer gewissen Besorgnis in der Stimme, welche sich Finn mehr von Rey gewünscht hätte. Aber anscheinend waren Reys Sinne durch Ren vernebelt worden.
,,Ob alles..." Erst jetzt merkte Finn wirklich, dass er ins Leere geblickt hatte. ,,Ja. Es geht mir bestens", brachte er hervor, wobei er seinen Zorn unterdrückte, der nichts mit Rose zutun hatte. Nun stürmte er an ihr vorbei ins Innere.
Mit einem tiefen Seufzer half Poe Rey den bewusstlosen Kylo in den Falken zu tragen. ,,Er wird sich schon wieder beruhigen", versuchte Poe das Mädchen aufzumuntern, deren hängende Schultern ihre bedrückte Stimmung verrieten.
,,Ich kann ihn ja verstehen", murmelte Rey, schließlich wusste sie nur zu gut, was Kylo alles getan hatte. Was Finn von der Ersten Ordnung angetan worden war. Aber war er für Rey überhaupt noch Kylo? Sah sie in ihm nicht schon längst Ben Solo, den verlorenen Sohn Han und Leias.
,,Kannst du das wirklich?"
Überrascht über diese Frage blickte sie zum Besten Piloten des Widerstands. Ihre Stirn begann sich zu runzeln. ,,Wie meinst du das?"
,,Ach nichts", gab er zurück, während er Kylo in die Koje hievte. Der Blick auf den blassen schwarzhaarigen Mann weckten Erinnerungen und zwar keine guten. ,,Du solltest aufpassen, dass Finn nicht in seine Nähe kommt. Ich garantiere für nichts." Mit diesen Worten marschierte er zurück ins Cockpit.
Lange verweilte Reys Blick noch auf den unruhigen Gesichtszügen Kylos. Ihre Handfläche betastete seine feuchte Stirn. Er schien fiebrig. Die Wunde schien ihm wirklich stark zuzusetzen. Der Kloß in ihrem Hals wuchs. Nun war sie zwar wieder bei ihren Freunden, doch fühlte sie sich einsamer als jemals zuvor. Die Kluft zwischen Finn und ihr war spürbar. Er war enttäuscht von ihr, weil sie den Mörder Han Solos verteidigte, ihm gar vertraute. Kraftlos ließ sich das Mädchen vor der Koje nieder. Aus einem unerfindlichen Grund nahm sie seine Hand, um sie mit ihrer zu umschließen, und schloss die Augen. In diesem Moment, als sich ihre Hände berührten, konnte Rey Kylos tiefste Gedanken sehen.
Als er Snoke zum letzten Mal in die Augen gesehen hatte, war ihm klar geworden, dass er nicht nur heute getäuscht worden war, sondern seit vielen, vielen Jahren. Er war nie ein Schüler gewesen. Er war nie dazu bestimmt gewesen, die Macht zu erben. Seine Bedeutung hatte sich immer nur auf die eines Werkzeugs beschränkt. Sein ganzes Leben - all die Siege, all die Kämpfe, sein Erbe, die Prinzipien und Opfer, all das, was er getan hatte, was ihm gehört, was er gewesen war, alle seine Träume und großen Visionen.
Jähe Klarheit erblüht in Kylo Rens Bewusstsein, als er verstand und feststellte, dass auch die Furcht in seinem Herzen eine Waffe sein konnte. Es war so einfach, und doch so kompliziert. In dieser makellosen Klarheit gab es nur eines, das er tun musste. Entscheiden. Und das machte er. Er entschied zu gewinnen.
Rey wurde klar, dass dies jener Moment gewesen sein musste, als sich Kylo entschied mit ihr zu flüchten. Noch tiefer drang sie in seinen Geist vor, obwohl sie sich davor fürchtete, was sie sehen könnte.
Er entsann sich an einen Traum. Er war geflogen und hatte gekämpft, immer wieder gekämpft, und in jenem Traum konnte er all das zustande bringen, was er wollte. Und ganz gleich, was er tat: In dem Traum war es immer richtig, allein deshalb, weil er es tun wollte. In dem Traum gab es keine Regeln, nur Macht. Und die Macht gehörte ihm.
Ein Lächeln huschte über Reys Lippen. So etwas träumte also Kylo Ren.
Das war die Wahrheit, diese eine unleugbare Tatsache. Zwar verbrannte sie ihn wie ein Schlag mit einem Lichtschwert, aber an der Wahrheit konnte er festhalten. Und irgendwie fühlte er sich dadurch etwas besser. Etwas stärker. Er versuchte es mit einer weiteren Wahrheit: Es war falsch, zu behaupten, dass er sich nicht daran hatte hindern können...
Er konnte seine Tat nun als das sehen, was sie war. Ein Verbrechen.
Die Schuld traf ihn wie eine Faust. Er fühlte es: ein Schlag ins Herz, so wuchtig, dass er ihm die Luft aus den Lungen presste und die Knie weich werden ließ. Wie ein Joch aus Kollapsium hing die Schuld an seinen Schultern: ein unsichtbares Gewicht, das über seine Kraft hinausging, das Leben aus ihm presste. Es gab keine Worte dafür. Er konnte nur sagen: ,,Es war falsch."
Das fasste es alles zusammen. Es war falsch.
Auf der Starkiller-Basis hatte er einem lebenden Wesen, seinem Vater, in die Augen gesehen und kaltblütig entschieden, sein Leben zu beenden. Er hätte den richtigen Weg wählen können. Aber stattdessen... Diese Entscheidung ließ sich nicht rückgängig machen. Es gab keine zweite Chance. Nicht für ihn.
Wie aus dem Nichts berührte eine Hand Rey an der Schulter und ließ sie keuchend die Augen aufreißen. Einen Moment blinzelte sie in völliger Verwirrung, bevor sie die Orientierung wieder fand. Ihr Blick schnellte hoch. Es war Finn, dessen Blick auf ihrer Hand in Kylos ruhte. Ein Gefühl der Scham und Reue überkam sie, während Rey Finn ansah. Hastig löste Rey ihre Finger aus Kylos, um sich aufzurappeln.
,,Hat er noch sein Lichtschwert?", fragte Finn, wobei Verärgerung in seiner Stimme mitschwang.
Rey schüttelte den Kopf.
,,Warum ist er nicht gefesselt?"
,,Das ist nicht notwendig. Er ist verwundet."
Ihre Naivität machte Finn noch wütender. ,,Unsinn. Es genügte nicht nur, ihn zu entwaffnen."
,,Sei nicht kindisch, Finn." Nun verwarf Rey endgültig den Gedanken sich bei Finn zu entschuldigen.
,,Aber Han... war ermordet worden. Von ihm. Mit Absicht."
Am liebsten hätte sich Rey in irgendeiner Ecke verkrochen. Wenn die Dinge einfach aufhörten - für eine Stunde, oder nur für eine Minute -, könnte sie sich fassen, um eine Möglichkeit zu finden, ihren Weg fortzusetzen. Sie musste ihn fortsetzen. Etwas anderes kam für sie nicht infrage. Und ihr Weg war eindeutig mit Ren verbunden. Der Blick mit dem Finn sie bedachte ließ sie innerlich zusammenzucken. Die Abscheu in seinen Augen. Es schmerzte.
,,Rey", kam es schwach von der Koje. Sofort wirbelte sie herum, um zu erstarren. Kylo saß aufrecht in der Koje und starrte sie ungläubig an. Der blasse Ton seiner Haut war verschwunden. Sein Blick drückte Verwunderung aus.
,,Wie hast du das gemacht?"
Sie verstand nicht. ,,Wie habe ich was gemacht?"
Langsam wanderte seine Hand zu der Bandage, um sie abzunehmen. Rey erstarrte bei dem Anblick, dort wo die Wunde hätte sein sollen, war plötzlich nichts.
,,Du... Du hast meine Wunde geheilt."
Unter Kylos fasziniertem Blick begann Rey schwer zu schlucken. Plötzlich waren die beiden allein, vollkommen allein, Finn war längst fort und die Spannung aus dem Frachter kehrte mit einer Wucht zurück. Das Gefühl wurden zu einem permanenten Beben, das immer mehr an Intensität gewann. Ein Sehnen durchfuhr Reys Körper. Es war ihr nicht möglich ihren Blick von ihm zu lösen. Ihr Puls begann zu rasen. Sie wollte, dass er sie küsste, sie wollte es unbedingt.
Schwer atmend lehnte sich Kylo zurück. Er spürte ihr Verlangen. Es brannte wie Feuer in seinem Innersten. Er schaffte es nicht es auszublenden. Es pulsierte in seinen Venen, genau wie Reys Lebensenergie. Die Frustration zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab.
,,Hör auf das zu denken!", sagte er scharf.
Verlegen senkte Rey die Lider. Ihre Wangen brannten vor Scham. Natürlich er war in ihrem Kopf. Gequält senkte er nun auch die Lider, bevor er sie wieder ruckartig ansah.
,,Seit ich dich auf Takodana zum ersten Mal zu Gesicht bekommen habe, ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Ob ich es wollte oder nicht."
Seine Stimme war heiser, und in seinen Augen blitzte etwas auf. Sein Blick drang Rey bis tief ins Herz. ,,Es ist eine einzige Qual. Je näher ich dir bin, desto schlimmer wird es."
Verblüfft lauschte sie seinen offenen, ehrlichen Worten. Er schüttete ihr sein Herz ohne Vorbehalte aus. Sie fühlte sich geehrt und ehrlich berührt. Und sie hatte Angst vor den Worten, die noch kommen würden.
,,Du bist tief in meiner Seele, und du folterst mich", fuhr er fort. Nicht eine einzige falsche Nuance lag in seinem Tonfall. Das war kein Spiel, um sich ihre Gunst zu erschleichen; das hier war offen und ehrlich. Das Schweigen wurde lange und unbehaglich.
Er wollte nicht mehr darüber nachdenken, ebenso wenig wie über seine Gefühle für das Mädchen. Er hob die Hand zu den Augen und versuchte, die Erinnerung fortzuwischen.
,,Wenn du diesen Gedanken weiter folgst, dann werden sie uns an einen Ort führen, an den wir nicht gehen können. Ganz gleich, wie wir empfinden."
Wie wir empfinden... Reys Herz machte einen Satz.
,,Dann empfindest du also etwas!"
Kylo schluckte angestrengt. ,,Ich kann das nicht tun!" Er lehnte sich zurück und rang um Selbstbeherrschung. ,,Wir können es nicht tun", sagte er so ruhig wie möglich.
,,Du bittest mich also, vernünftig zu sein", erwiderte Rey ohne das geringste Zögern. Ihr Mut überraschte Kylo ein wenig. Er spürte, wie seine Selbstbeherrschung nachließ.
,,Du bittest mich dieses brennende Pulsieren in meinen Venen zu ignorieren. Und das ist etwas, wozu ich nicht in der Lage bin", fuhr Rey fort. ,,Glaub mir, ich wünschte, ich könnte meine Gefühle vergessen. Aber das geht nicht... nicht seit Bespin."
,,Ich werde nicht nachgeben" , sagte Kylo so überzeugend, wie er konnte. Dann biss er fest die Zähne zusammen, denn er wusste, dass er in diesem Augenblick der Stärkere von beiden sein musste, noch mehr um Reys als um seiner selbst willen. ,,Ich habe wichtigere Dinge zu tun als mich zu verlieben."
,,Es müsste nicht so sein", sagte sie schließlich. ,,Wir könnten es geheim halten."
Er starrte sie einen Augenblick intensiv an, dann schaute er wieder weg. Ihre Worte überraschten ihn. So sehr wollte sie ihn, dass sie bereit wäre zu lügen. ,,Dann würden wir eine Lüge leben - eine, die wir nicht lange aufrechterhalten könnten, selbst wenn wir wollten. Ich könnte das nicht. Wärest du dazu im Stande? Könntest du so leben? Könntest du deine Freunde belügen?"
,,Nein, du hast Recht", gab sie schließlich zu. ,,Das würde mich vernichten."
,,Ich hätte das nicht tun sollen. Meine Gefühle zu offenbaren. Es macht alles nur noch komplizierter", sagte er, und dabei klang seine Stimme fest und endgültig
Was würde sie vernichten - sie beide vernichten -, fragte sie sich. Die Tat oder der Gedanke?
Zu tief in ihren Gedanken versunken bemerkten Kylo und Rey nicht, dass sie belauscht wurden.
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