Fesseln lösen
Seine Schritte hallten auf dem Boden des Falken wieder, während er sich bemühte nicht zu ihr zurück zu sehen, obwohl es ihn danach verzehrte. Doch er musste sie ausblenden, aus seinen Gedanken und seinem Herzen verbannen. Kylo Ren wollte nun nur er selbst sein, auf die Stimme hören, die nach ihm rief. Als Sohn zweier Helden der Rebellion, der fortgeschickt worden war, um von einer Legende ausgebildet zu werden, und die Bürde eines Vermächtnisses des Bösen in sich trug, musste Ben Solo auf dem Weg, an dessen Ende er schließlich zu Kylo Ren wurde, vielen Erwartungen gerecht werden. Die Vergangenheit hatte über jedem seiner Schritte gelegen. Die Katastrophe war eigentlich vorprogrammiert gewesen. Gefühle von Verwirrung, Vernachlässigung, Einsamkeit und Zorn tobten zu dieser Zeit in seiner Seele und schürten die Angst.
Die Angst davor, zu was er bestimmt war. Die Angst sein Potenzial nicht auszuschöpfen. Die Angst jemand zu werden, der er nicht sein wollte. Man hatte ihm praktisch die Chance genommen ein eigenständiges Individum zu werden.
Rey, die einzige Person, bei der er das Gefühl hatte, dass sie ihn wahrhaft kannte, sollte sterben. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Allein dieser Gedanke brachte ihm Schmerz. Nun stand er vor der Rettungskapsel, auf der, der Name seines Vaters eingraviert war, mit nur einer Wahl: Er musste seine Fesseln abwerfen. Ihm war bewusst, dass er nun einen unvorhersehbaren Pfad beschritt. Vorbei war es mit den dunklen Machenschaften zwischen Meister und Schüler. Vielleicht tat er es nicht zur Rettung seiner Mutter, sondern um seine Rache an seinem verhassten Meister zu bekommen. Ein letztes Mal würde er ihm entgegentreten, um ihm die Stirn zu bieten.
Ein flüchtiger Schatten war die zerrissene Seele desjenigen, der einst als Ben Solo bekannt gewesen war. Was blieb, war Kylo Ren, der keine Einschränkungen oder Vermächtnisse mehr kannte, die sein Leben überschatteten. Endlich konnte er machen, was er wollte.
Der Oberste Anführer Snoke hatte von ihm verlangt, sein Schicksal zu erfüllen, aber das war nur eine Lüge. Ein Argument, um ihn für sich zu gewinnen, ihn zu Formen und ihn für seine Zwecke zu benutzen. Snoke hatte immer nur seinen eigenen Vorteil im Sinn. Aber so war sie nun einmal, die dunkle Seite, oder?
Macht und Manipulation. Gewiss bewunderte Ren das Andenken seines Großvaters und Snoke wusste, wie er ihn damit locken konnte. Der Erbe von Lord Vader? Klar, das gefiel ihm, aber er hatte immer mit Vaders Schatten zu kämpfen und letztlich erkannte Kylo, dass Snoke ihn nur als Mittel zum Zweck gesehen hatte. Nie war er mehr gewesen. Darum musste Snoke von der Bildfläche verschwinden.
Niemals würde er zulassen, dass Snoke Rey mit seiner Dunkelheit vergiftete, so wie er es einst bei ihm getan hatte. Reys Herz war rein. Er wusste das. Kylo spürte es... Oder besser gesagt: Ben Solo spürte es. Sie waren eng miteinander verbunden, und das hatte Macht über ihn, nachdem er sich jahrelang verlassen gefühlt hatte.
Erst waren es sein Vater, der Problem mit dem Übergang vom großen Helden zur Elternrolle hatte, und seine liebevolle Mutter, die noch die Last von Verantwortung und Führung auf sich spürte. Dann war es sein Onkel, der die dunkle Seite in ihm brodeln fühlte und damit scheiterte, ihn zu retten.
Doch hier war Rey, die ihn mit Ben ansprach, obwohl Ren mit Ben nichts mehr zu tun haben wollte. Und allmählich begann ihm der Gedanke zu gefallen, nur für sie Ben zu sein. Seine Gedanken schweiften zu dem Moment zurück, an dem er ihr zum ersten Mal unterlag. Es war nicht die Niederlage auf der implodierenden Starkiller-Basis, sondern sein Versagen in ihrem Verhör.
Er war mächtig, und er wusste es. Der von der dunklen Seite beeinflusste Bösewicht mit schwarzem Umhang und rotem Lichtschwert. Zu dieser Zeit, war er ziemlich von sich überzeugt gewesen. Also tat er, was die bösen Jungs eben so Taten - Er versuchte, sich zu nehmen, was ihm nicht gehörte - in diesem Fall Reys Gedanken.
Nachdem er beiläufig seine Maske abgesetzt hatte, weil er in seiner Überheblichkeit geglaubt hatte, sie nicht zu brauchen, begann er in ihrem Kopf herumzustochern. Wobei er einiges über sie erfuhr. Sie war einsam, isoliert und fühlte sich komplett unzulänglich und am falschen Ort. Alles, was sie schwächte, hatte er zu Tage gefördert.
Doch in diesem Moment, als sich die Dunkelheit erhob, erschien auch der Gegenpol, das Licht. In Form von Rey und mit dieser Stärke schlug sie zurück. Das Blatt wendete sich, nun war Kylo ein offenes Buch. Sie war es, die nun in seinem Kopf wühlte. Dieser Augenblick änderte alles für ihn. Seine größten Ängste und seine größten Unzulänglichkeiten standen zur Schau. Dieses Wissen, dass ihn vernichten könnte gelangte so in die Hände seiner neuen Rivalin. Das Geschöpf hinter einer Maske, einst so überzeugt von sich, so sicher, was seine Machtposition anging, war nur ein ängstlicher Heuchler. Dies war ganz sicher Kylos erste Niederlage.
Rey wurde stärker, in einem Moment, in dem er es nie erwartet hätte. Sie hatten einander gesehen, wie sonst keiner. Diese Verbindung war auf so vielen Weisen intim. Kylo und Rey waren nicht nur Gegner, sie waren Vertraute. Und mit diesen Konsequenzen mussten sie lernen umzugehen. Das Kennen der Schwächen des anderen, eine emotionale Waffe, die sie einsetzen könnten, um sich gegenseitig zu helfen oder sich zu vernichten.
Tief in seinem Innersten, hatte Ren bereits erkannt, dass er Rey niemals würde vernichten können. Somit musste jegliche Bedrohung, die es auf Rey abgesehen hatte, beseitigt werden.
Tränen rannen noch immer über ihre Wangen. Ihre Lippen prickelten noch von dem Kuss. Erneut begannen sich die Gefühle das Verlassen worden seins in ihr breitzumachen. Die Angst, dass er nicht zurückkehren würde, so wie es ihre Eltern getan hatten. Der unaufhörliche Druck auf ihre Brust wurde stärker. Die Angst, den einzigen Menschen, der sie verstand, zu verlieren. Das Schicksal vieler stand auf dem Spiel, aber ihr Fokus lag auf ihm. Auf ihrer Verbindung zu dem Mann, den sie liebte. Es war eine alles überstrahlende Liebe. Vielleicht sogar episch. Konnte sie Ben wirklich so gehen lassen?
Wie von selbst setzten sich ihre Füße in Bewegung. Sie rannte förmlich über den Boden, in der Hoffnung ihn noch zu erreichen. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis sie endlich bei der Rettungskapsel ankam. Dort stand er mit dem Rücken zu ihr. Bereit sie zu verlassen. ,,Ben", rief sie der Verzweiflung nahe. Ihre Stimme zitterte.
Ein Schauer der Vorsicht ließ seinen Nacken kribbeln. Etwas näherte sich. Ruckartig fuhr er herum, um in ihr tränenüberströmtes Gesicht zu blicken. Unaufhaltsam kam sie näher, bis sie dicht vor ihm zum Stehen kam. Fest umklammerte sie sein Shirt, während sie zu ihm aufblickte. Die Atmosphäre zwischen ihnen war nach wie vor von schwelender Ungewissheit geprägt.
,,Nicht dass ich mich darüber beschweren will, dass du hier bist. Aber warum?"
,,Lass mich mit kommen."
Eigentlich hätte er mit dieser Antwort rechnen müssen. Harsch schob er sie von sich. ,,Nein!"
,,Ich bin stark. Ich kann dir helfen."
An ihrer Stärke zweifelte er auch gar nicht. Er hatte Angst, dass ihr etwas zustoßen konnte, dass er sie nicht beschützen konnte. Rasch schlug er die Lider nieder. Unwillkürlich streckte er die Fingerspitzen aus, um ihre nasse Wange zu berühren. Es brach ihm das Herz.
,,Ich weiß, wie stark du bist."
,,Warum lässt du mich nicht einfach helfen? Zusammen sind wir stärker."
,,Rey, bitte ... zwing mich nicht dazu." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Ren wusste, wenn er es tat, würde sie ihn vielleicht hassen. Er spürte, wie seine Finger zu kribbeln begannen, je mehr sie sich gegen ihn auflehnte. Die Macht brodelte in ihm. Aus dem stetigen Fluss wurde ein Feuer, welches er bald nicht mehr kontrollieren konnte. Eine Furcht, sie zu verlieren, hatte sich tief in ihn hineingefressen. Eine gewisse Dringlichkeit und Schärfe umgab diesen Moment. Sie waren verbunden, doch nicht durch die Macht, sondern durch Liebe. Lange blickten sie sich in die Augen, zwei Schicksale an einem Scheideweg. Dem wohnte eine Intimität inne, die die Schwere all dessen unterstrich.
Für Ben Solo bedeutet diese Liebe, alles infrage zu stellen, was danach folgen wird, wenn er nicht hier und jetzt handelte. Was Rey betraf, so ließ sie diese Liebe auf alles zurückblicken, was zu diesem Punkt geführt hatte. Große, harte Entscheidungen.
In diesem Augenblick gab er sich der Furcht hin, sie zu verlieren. Seine zitternden Finger streckten sich nach ihr aus. Rey riss ihre Augen weit auf, als sie erfasste, was vor sich ging, und kämpfte zugleich dagegen an. Gegen seine unsichtbare Hand, die ihr die Luft zum Atmen nahm. Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Das Letzte, was sie sah, war sein leidender Blick. Ein Blick voller Reue. Ihre Augen schlossen sich widerwillig.
Ihr schlaffer Körper sank in seine Arme. Statt Hoffnung erfüllte ihn nun Furcht. Die Furcht davor, von ihr gehasst zu werden. ,,Es tut mir leid", flüsterte er, während seine Lippen ihre Stirn berührten. Sachte legte er sie auf den Boden ab, um sich abzuwenden. Entschlossen bestieg er endlich die Rettungskapsel, um sich auf den Weg zu seinem Schicksal zu begeben. Während er schweren Herzens das Mädchen von Jakku zurückließ.
Von Jakku bis zu diesem Punkt hatte Rey viele neue Dinge über sich herausgefunden. Dinge, die sie noch nicht verstand. Sie spürte jedes einzelne Gramm der Last, die dieser Moment mit sich brachte. Ihr vernebelter Verstand versuchte weiterhin, sich einen Reim auf all das, was passiert war zu machen. Ein Lichtschwert, eine Finsternis, aber auch das Gefühl, dass sie mehr erwartete. Es überwältigte sie und rüttelte sie durch. Der Sinn all dessen, begab sich geradewegs in den sicheren Tod. Sein Name lag auf ihren Lippen, doch fand sie nicht die nötige Stärke die Augen zu öffnen. Sie war nicht stark genug, um ihn aufzuhalten.
Plötzlich vernahm sie eine Stimme.
Vergiss nicht, die Macht wird mit dir sein, immer!
Die Macht ... War es die Macht, um Ben zu retten?
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