○Jungkook○
Ich schrecke hoch, als ich spüre, wie jemand an meinem Körper rüttelt, und stoße augenblicklich mit einem Typen zusammen, der sich über mich gebeugt hat.
"Aish, pass doch auf, du Idiot", schnauzt er mich mit seiner tiefen Stimme an, während er mich mit einem Blick bedenkt, mit dem man eher Insekten oder Spinnen anschaut. Er sieht aus, als würde er mich am liebsten mit seinen Füßen zertreten und im nächsten Klo herunter spülen.
"Sorry", murmele ich und reibe mir übers Gesicht, um munter zu werden. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, aber das ist auch egal, denn nach diesem Traum kann ich definitiv nicht nochmal einschlafen. Außerdem kommen jetzt langsam die Erinnerungen von letzter Nacht hoch und mir wird wieder bewusst, wo und in wessen Gewalt ich mich befinde.
"Ja ja, mach dich fertig. Ich soll dich zum Frühstück holen." Er sieht über die Tatsache, dass ich jetzt auch noch mit ihnen frühstücken soll, nicht gerade begeistert aus. Ich frage mich grad wirklich, ob dieser Typ auch mal Lächeln kann, denn ich bin mir sicher, dass einer dieser immer schlechtgelaunten Menschen ist. "Beeil dich aber. Ich muss auf dich warten."
Er verlässt, ohne mich eines zweiten Blickes zu würdigen, "mein" Zimmer, was mir aber auch recht ist. So habe ich wenigstens etwas Privatsphäre und muss mich nicht noch vor ihm umziehen. Apropos umziehen, ich besitze hier ja gar keine Wechselsachen, weshalb ich wohl oder übel mit den Klamotten, die ich am Körper trage, leben muss. Leider sind das nicht unbedingt jene, mit denen ich gerne unterwegs bin. Meine Hose ist eine schwarze, enganliegende Lederhose, mein Oberteil irgendein weiß, rot und schwarz gestreifter, schon etwas zerrissener Pulli, den ich nicht oft anziehe. Jimin hat mir dieses Outfit zusammengestellt, weil er der Meinung gewesen ist, ich würde rebellisch aussehen und dass die Männer darauf fliegen...
Jimin...
Der Arme muss sich bestimmt wahnsinnige Sorgen machen. Erst bin ich einfach aus dem Club abgehauen und nun muss er noch feststellen, dass ich von dem gefürchtetsten Hacker der Welt und seiner Gang, die sich in Laufe der Jahre schon einen Namen gemacht hat, entführt worden bin. Am liebsten würde ich ihm Bescheid sagen, ihm versichern, dass es mir gut geht - den Umständen entsprechend - und dass er sich keine Sorgen um mich machen muss. Ich will ihm einfach sagen, dass ich noch lebe und ich noch die Hoffnung habe, hier wieder weg zu können.
Ich will gar nicht wissen, wie es ihm ergehen wird, wenn mein Vater herausfindet, dass ich entführt worden und dass ich vorher mit Jimin feiern gewesen bin. Ich seufze. Er wird ihm den Kopf abreißen. Vor allem, weil er schon keine gute Meinung von seinem Neffen hat...
"Mach endlich, ich habe Hunger", ertönt die genervte Stimme des Typen von draußen, die mich veranlasst, nun doch aufzustehen. Mir tut alles weh, vor allem mein Gesicht und meine Handgelenke. Mein Blick fällt auf das Seil, aus dem ich mich in der Nacht befreit habe. Jin hat vergessen, mich los zu machen und ich habe nicht gewagt, ihn suchen zu gehen oder gar nach ihm zu rufen. Es hat eine Ewigkeit gedauert und am Ende haben meine Hände auch geblutet, aber ich bin doch eigenständig diese Fesseln losgeworden.
Ich schlurfe ins Bad, wo ich erst einmal einen Blick in den Spiegel werfe, der über dem Waschbecken hängt. Meine schwarzen Haare stehen unordentlich in alle Richtungen ab, doch ich habe keine Möglichkeit, sie zu kämmen. Meine Haut ist blass, unter meinen dunklen Augen befinden sich fast genauso dunkle Augenringe. Aber ich muss beinahe lachen, als ich das blaue Auge sehe, dass mir Jins Freund verpasst hat. Meine rechte Gesichtshälfte ist beinahe vollkommen übersäht mit blauen Flecken, manche schimmern grün, andere lila. Es sieht aus, als hätte ich mich geprügelt, lässt mich beinahe rebellisch aussehen.
Mein Vater würde umfallen, wenn er mich so sehen würde - blaues Auge, zerrissene Klamotten, unordentliche Haare, aufgeschürfte Handgelenke. Mein Aussehen passt gar nicht zu seinem Perfektionswahn, unter dem ich mein Leben lang gelitten habe. Es fehlen eigentlich nur noch Piercings und ein Tattoo und ich wäre nicht länger sein Sohn.
Um den unfreundlichen Typen nicht noch länger warten zu lassen, wasche ich mir bloß vorsichtig mein Gesicht, spüle meinen Mund, der sich trocken anfühlt, mit etwas Wasser aus, ehe ich mir über die Haare streiche, um sie etwas zu glätten, was mir aber mehr oder weniger misslingt, und gehe dann zu meiner Zimmertür, um sie vorsichtig zu öffnen.
"Na endlich", brummt dieser Typ, den ich jetzt, in dem besseren Licht, erst richtig mustern kann. Seine Haare sind mintgrün gefärbt, schon etwas ausgewaschen. Sein Pony hängt ihm in die Augen, die mich gefährlich anfunkeln. Er ist etwas kleiner als ich und wesentlich dünner, aber ich bin mir sicher, dass er viel stärker ist als ich und mich innerhalb Sekunden zu Boden ringen kann. Seine Haut ist beinahe krankhaft bleich, nicht einmal seine Wangen sind gerötet. Ich erkenne - wie bei Jin - Piercings an seinen Ohren, die aber auch an ihm gut aussehen. Er ist, ebenfalls wie Jin, in schwarze Kleidung gehüllt - es gehört wahrscheinlich zur Standardkleidung hier. Aber schwarz steht ihm echt.
"Wenn du mich dann genug angegafft hast, können wir ja dann gehen." Seine Lippen sind zu einem süffisanten Grinsen verzogen. Mir ist es sofort peinlich, dass ich ihn so offensichtlich angestarrt habe, weshalb ich schon den Mund aufmache, um mich zu entschuldigen, aber er verdreht nur die Augen. "Wenn du dich jetzt dafür entschuldigst, breche ich dir das Genick. Und dann ist es mir auch scheißegal, was V davon hält." Dann läuft er los und ich folge ihm schweigend.
Während wir laufen, nutze ich die Zeit, um über meinen Traum nachzudenken. Es kommt häufiger vor, dass ich an Taehyungs Tod denke, von meinem verstorbenen Freund träume, mir vorstelle, wie mein Leben in den letzten fünf Jahren verlaufen wäre, wenn er noch leben würde. Ob wir noch zusammen wären?
Meine Eltern haben mich zu einem Psychologen geschickt, der mir dabei geholfen hat, seinen Verlust zu überwinden. Ich habe sehr gelitten, vor allem in der Anfangszeit. Ich bin nicht zur Schule, habe mich tagelang in meinem Zimmer eingeschlossen, bin nicht einmal zum Essen herausgekommen. Ich habe keinen Sinn mehr im Leben gesehen, habe wirklich sterben gewollt, um bei Taehyung sein zu können, doch so sehr ich es mir gewünscht habe, es ist ein Wunsch geblieben. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, mich umzubringen. Wahrscheinlich ist es das Verlangen gewesen, für Taehyung zu leben, da er es ja nicht mehr gekonnt hat, der mich dazu veranlasst hat, schlussendlich mein Leben doch wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Ich kann nicht sagen, dass ich ihn nicht mehr liebe, dass stimmt nicht. Ich liebe Taehyung immernoch, aber ich habe es doch geschafft, diese Liebe nicht mehr als schmerzhaft zu empfinden, sondern als glückliche Erinnerung an die schönen Momente, die Taehyung und ich zusammen erlebt haben. Das habe ich mehr Jimin zu verdanken, als dem Psychologen, denn Jimin, zu dem ich schon immer eine enge Verbindung gehabt habe, ist in dieser Zeit zu einem Bruder für mich geworden, der sich selbst Mitten in der Nacht auf den Weg zu mir gemacht hat, um mich tröstend in den Arm zu nehmen...
"Mir ist es total egal, was aus dir wird, Kleiner, aber ich gebe dir einen Tipp", reißt mich der Typ, dessen Namen ich nicht kenne, aus meinen Erinnerungen. Ich schaue zu ihm und erst jetzt bemerke ich, dass wir vor einem Raum, aus dem schon laute Stimme dringen, angehalten haben. "Wenn V etwas von will, dann machst du es, ohne mit der Wimpern zu zucken. Er ist leicht reizbar und ich warne dich - sprich ihn niemals auf seine Vergangenheit an. Wenn du das tust, kannst du dein Leben vergessen."
Etwas zögerlich nicke ich. Ich habe jetzt schon Angst davor, V kennen zu lernen. Nicht nur, weil es einfach V ist, der Hacker, der sich über Nacht einen Namen gemacht hat, sondern eher, weil ich ihm, nach Jins Worten, gehöre, er Interesse an mir hat und die Person ist, die darüber entscheidet, ob ich lebe oder sterbe...
Der Typ schaut mir noch einmal kurz in mein Gesicht, ehe er sich umdreht und die Tür, die in eine Küche führt, öffnet. Er betritt den Raum und mit rasendem Herzen folge ich ihm. Die Stille, die augenblicklich herrscht, macht das alles noch schlimmer für mich und am liebsten würde ich den Raum wieder verlassen und mich in Jins altem Zimmer verbarrikadieren.
"Hey, Jungkook", höre ich auch schon gleich Jins fröhliche Stimme. Ich suche kurz den Raum ab und sehe, dass er auf dem Schoß von einem Mann sitzt, der mir entfernt bekannt vorkommt. Er ist der, der mich geschlagen hat, aber jetzt, als ich ihn so sehe, mit seinen struppigen lilanen Haaren und seiner übergroßen Brille, finde ich eher, dass er etwas trottelig aussieht als gefährlich.
"Das ist Namjoon", stellt Jin mir seinen Freund vor, der mich nur mustert und dann nickt. Das blaue Auge, dass er mir verpasst hat, lässt er unkommentiert. Er scheint also nicht der Mann vieler Worte zu sein, dafür redet Jin umso mehr.
"Yoongi hast du ja schon kennengelernt", meint Jin dann und zeigt auf den Kerl neben mir.
"Yah, Jin, musstest du ihm meinen Namen verraten", beschwert sich dieser nun.
Jin lacht entschuldigend. "Er hätte es so oder so rausgefunden." Dann zeigt er auf einen müde aussehenden Typen, den ich noch nicht gesehen habe. "Das ist Hoseok, aber wir nennen ihn meistens Hobi."
"Hobi?", frage ich etwas verwirrt. Wie kommt man von Hoseok auf Hobi? Ich meine, koreanische Spitznamen sind schon etwas seltsam, aber Hobi?
"Kommt von J-Hope", meldet sich dieser nun zu Wort. J-Hope also, der Typ, der mir die Waffe an den Kopf gehalten hat. Kein Wunder, dass ihn nicht erkannt habe, immerhin hat er sich nur hinter mir aufgehalten.
"Du kannst dich dahin setzen", weist mich Yoongi an und zeigt auf einen der zwei freien Stühle, die hier noch an einen kleinen runden Tisch gerückt stehen. Ich befolge seine Anweisung, auch, wenn es mir etwas unangenehm ist, mich hier, umringt von Verbrechern, nieder zu lassen.
Jin, der mir gegenüber - immernoch auf Namjoons Schoß, dem das aber sichtlich gefällt - sitzt, schiebt mir eine Täte mit Brötchen zu, aus der ich mir zögernd eins nehme. Jetzt bemerke ich erst, was für einen Hunger ich habe.
"Kommt V auch noch?", fragt Yoongi nach einer Weile.
Hoffentlich nicht...
"Er hat wieder eine schwere Nacht hinter sich gehabt. Du weißt schon, die Albträume. Aber er ist unterwegs", antwortet ihm Hobi, der genüsslich auf seinem Brötchen herum kaut. Seine Marmelade hat beinahe die gleiche Farbe wie seine rötlich - lila gefärbten Haare.
Yoongi kommt gar nicht dazu, etwas auf Hobis Worte zu erwidern, als auch schon die Tür aufgeht und ein Junge hereinkommt, den ich unter tausenden Menschen wiedererkennen würde.
Ein Junge, den ich seit meiner Geburt kenne und von dem ich eigentlich sicher gewesen bin, dass er bei einem Autounfall gestorben ist.
Vollkommen perplex lasse ich mein Brötchen sinken, während ich ihn anstarre und hoffe, dass ich gerade träume oder jemand einen schlechten Scherz mit mir spielt.
Vor mir steht niemand Anderes als Kim Taehyung.
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