Ruhe vor dem Sturm | 8
Nachdenklich wanderte Hermines Blick durch Toms Zimmer. Nichts hier ließ Rückschlüsse auf den Bewohner zu, das war ihr in der Vergangenheit schon oft aufgefallen. Alles, was ihm gehörte, hatte er stets sorgsam im Schrank verstaut, wenn er nicht gerade an seinen Hausaufgaben arbeitete. So wie jetzt. Als wäre sie gar nicht anwesend, schrieb er an seinem Aufsatz für Geschichte.
Sie hatten sich immer noch nicht ausgesprochen. Nachdem er den Cruciatus während des Duells gegen sie verwendet hatte, hatte sie ihn mit eisigem Schweigen gestraft. Im Laufe der Woche hatte sie Tom mehrmals dabei erwischt, wie er etwas zu ihr sagen wollte, doch stets hatte er im letzten Moment abgebrochen. Seit sie sich in Zaubertränke ihm überlegen gezeigt hatte, schien erst recht Eiszeit zwischen ihnen zu herrschen. Oder hatte er am Ende Slughorns Freundlichkeit ihr gegenüber doch zum Anlass genommen, ihr böse zu sein?
Mit einem Seufzen legte Hermine sich ausgestreckt auf das Himmelbett und starrte an die Decke. Wie lange hatte sie verdrängt, dass Tom bereits mindestens ein Horkrux erschaffen hatte? Wie lange hatte sie ignoriert, dass er sich offenbar gut mit dem Buch Geheimnisse der dunkelsten Kunst auskannte? So viel war geschehen, so viel hatte sich in ihrem Verhältnis zu ihm geändert, dass sie einfach verdrängt hatte, was er schon getan haben musste.
Trotz des derzeitigen Tiefs zwischen ihnen vertraute sie darauf, dass Tom ihr immer noch gewogen war. Spätestens seit er ihr Dunkles Mal so verändert hatte, dass auch sie ihn rufen konnte, wusste sie, wie ernst er es mit ihr meinte. Wieso also nicht alles riskieren? Sie hatte Monate hier in Hogwarts verbracht, ohne dem Rätsel ihrer Mission auch nur einen Schritt näher zu kommen. Wenn es also auf dem vorsichtigen Wege nichts wurde, wieso nicht einfach den direkten Weg probieren?
„Was weißt du über Horkruxe?"
Sie hatte ihre Frage leise gestellt, doch die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Für einen Atemzug schien Tom eingefroren auf seinem Stuhl, den Rücken noch immer zu ihr gedreht. Dann drehte er sich um und war mit wenigen Schritten bei ihr auf dem Bett. Sie setzte sich auf, während er nahe an sie ranrückte, die Augen zu misstrauischen Schlitzen verzogen.
„Was hast du gefragt?", verlangte er mit emotionsloser Stimme zu wissen.
Hermine schluckte, doch sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Sie hatte die Frage gestellt, jetzt musste sie diesen Weg bis zum Ende gehen. „Ich will wissen, ob du etwas über Horkruxe weißt."
Ohne zu blinzeln musterte Tom sie. Als würde er etwas suchen, starrte er sie unverwandt an. Seine Maske schien zu bröckeln, Hermine meinte, förmlich sehen zu können, wie hinter seinen Augen die Flammen des Hasses zu lodern begangen. Doch dann, ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder. Tom schloss die Augen, holte tief Luft und rückte ein Stück von ihr ab, so dass sie sich im Schneidersitz gegenüber sitzen konnten.
„Warum fragst du?" Seine Stimme klang noch immer emotionslos, doch Hermine sah, wie seine Nackenmuskeln arbeiteten. Er bemühte sich darum, gelassen zu bleiben, doch sie hatte offensichtlich einen wunden Punkt getroffen.
„Das Buch", begann sie langsam. „Du weißt schon, Geheimnisse der dunkelsten Kunst. Du hast mich vor ein paar Monaten mal damit gesehen. Da hast du mich das erste Mal gefragt, wie ich zu den Dunklen Künsten stehe."
Tom machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich erinnere mich. Was ist damit?"
„Ich habe darin gelesen und bin über ein Kapitel über Horkruxe gestolpert. Ich habe vorher noch nie davon gehört und war ... fasziniert." Darum bemüht, ehrlich zu klingen, schaute Hermine ihn offen an. Schon damals, als sie das Buch bei Dumbledore gefunden hatte, konnte sie kaum glauben, dass es ein Lehrbuch gab, dass so finstere Magie beschrieb. Dass es sich in dieser Zeit einfach so in der Schulbibliothek befand, konnte sie nach wie vor kaum glauben. Was hätte alles verhindert werden können, wenn Tom Riddle nie erfahren hätte, dass es Horkruxe gibt?
„Fasziniert?" Tom klang ungläubig. Er schien den Versuch, seine Emotionen vor ihr zu verbergen, aufgegeben zu haben, so offen trug er seine Überraschung zur Schau. „Du hast schon gelesen, dass es darum geht, die eigene Seele zu spalten? Dass die Seele instabil wird, wenn man das tut? Machst du dir darum keine Gedanken?"
Jetzt war es Hermine, die überrascht starrte. Tom wusste das also, er erkannte die Gefahr ganz klar. Und trotzdem hatte er vor, mehrere Horkruxe zu erschaffen? Wie wahnsinnig war er schon jetzt wirklich? Sie leckte sich über die Lippen und zuckte mit den Schultern. „Natürlich habe ich das gelesen. Ich dachte nur ... Horkruxe könnten helfen, das eigene Leben zu verlängern. Besser sogar noch, als es der Stein der Weisen angeblich vermag. Man kann nicht getötet werden, weil ein Teil der Seele an ein Objekt gebunden ist und man einfach mit einem geeigneten Körper wiederkehren kann. Was daran ist nicht faszinierend?"
„Hast du Angst davor zu sterben?"
Die Frage traf Hermine unerwartet. Sie hätte gedacht, dass er misstrauisch werden würde. Dass er sofort den Verdacht haben würde, dass sie von ihm, von seinen Horkruxen wusste. Stattdessen lenkte er das Thema in eine ganz andere Richtung. Erneut zuckte sie mit den Schultern, um ihre Gelassenheit zu unterstreichen. „Weiß ich nicht. Jeder hat Angst vor dem Tod, aber ich glaube, so richtig fürchten tu ich mich eigentlich nicht. Wenn ich ein konkretes Ziel hätte. So wie du mit deinem Plan. Dann wäre das was anderes. Der Gedanke, meinen Plan nicht umsetzen zu können, ehe ich sterbe, wäre furchtbar. Aber das habe ich nicht."
Sie bewegte sich auf sehr dünnem Eis, das wusste sie. Mit jedem Wort, das sie sprach, machte sie Tom deutlich, dass sie viel wusste. Ob er ahnte, dass sie zu viel wusste? Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass ihre Hände zu Fäusten geballt waren, eiskalt vor Anspannung, während ihr Atem flacher ging. Krampfhaft bemühte sie sich, die Hände lockerer im Schoß zu haben.
„Teilst du meinen Plan nicht?" Schon wieder lenkte Tom das Gespräch in eine unerwartete Richtung.
Aufmerksam studierte sie sein Gesicht, doch sie konnte keinen Hinweis finden, dass er misstrauisch war. Wenn überhaupt las sie Neugier und Skepsis dort. Als würde er ihr nicht glauben, aber nicht so, als wüsste er genau, dass sie log. Sie legte den Kopf schräg und fuhr sich mit einem Finger über ihre Lippen. „Ich teile deinen Plan, Tom. Das weißt du. Ich stehe an deiner Seite. Aber ich weiß, dass dein Plan auch ohne mich Realität wird."
Den letzten Satz meinte sie absolut ehrlich. Sie wusste, dass zumindest bis 1980 alles nach Plan lief – bis Harry geboren wurde und mit ihm die Prophezeiung von Voldemorts Untergang kam. Und sie wusste, dass Tom das alleine geschafft hatte. Mit seinen Todessern im Schlepptau, aber ohne sie.
„Mein Herz." Toms sanfte Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Überrascht stellte sie fest, dass er sich zu ihr gebeugt hatte und gerade dabei war, ihr seine Hand auf die Wange zu legen. Für einen Moment schaute er ihr in die Augen, dann beugte er sich noch weiter vor und legte seine Lippen zärtlich auf ihre. Mit einem Seufzen schmolz Hermine in die Berührung. Sie hatte das vermisst diese Woche. Seine zärtliche Aufmerksamkeit, die ihr so vertraut geworden war. Genüsslich schloss sie die Augen und verlor sich ganz in dem Gefühl seiner Lippen.
Nach mehreren Herzschlägen löste er sich wieder von ihr, doch er zog sich nicht vollends zurück. Stattdessen legte er nun auch die zweite Hand an ihr Gesicht und blickte sie direkt an. „Es tut mir leid, Hermine. In meinem Zorn habe ich einen Unverzeihlichen gegen dich verwendet, obwohl ich mir geschworen hatte, dir nie wieder Gewalt anzutun."
Tränen schossen Hermine in die Augen, während sie damit rang zu verstehen, was gerade geschah. Hatte sich Tom Riddle wirklich bei ihr entschuldigt? Sie legte ihre Hände über seine und drehte ihren Kopf leicht, um ihm einen Kuss auf die Innenseite seiner rechten Hand zu geben. Dann blickte sie ihn wieder an und lächelte. „Wenn ich gedacht hätte, dass du mir wirklich Böses wolltest, hätte ich dich gemeldet, Tom. Danke für die Entschuldigung."
Mit erstaunlicher Kraft zog er sie auf seinen Schoß und vergrub sein Gesicht an ihren Schultern. Unsicher, was gerade geschah, schlang Hermine ihre Arme um ihn. Warum hatte Tom sich plötzlich entschuldigt? War er wirklich in der Lage, einen Fehler zu erkennen und einzugestehen?
Schließlich richtete er sich wieder auf, so dass sie sich erneut in die Augen schauen konnten. Noch immer lag eine Intimität über ihnen, die Hermine fremd war, doch sie genoss den stillen Augenblick.
„Ich bin oft wütend", fing Tom langsam an, während er mit einer Hand nachlässig ihren Nacken streichelte. „War ich schon immer, aber seit einiger Zeit mehr als je zuvor. Wut kann nützlich sein. Sie hilft mir oft, Dinge klarer zu sehen und Distanz zu wahren. Aber wenn sie dazu führt, dass ich Dinge tue, die so offensichtlich irrational sind, ist das nicht gut. Im Unterricht vor einer Lehrerin einen Unverzeihlichen gegen dich zu sprechen, war irrational. Ein offensichtlicher Fehler. Dass du nichts gesagt hast, hat mir gezeigt, dass du wesentlich loyaler bist, als ich gedacht hätte. Deswegen verdienst du eine Entschuldigung."
Hermine musste sich auf das Innere ihrer Wange beißen, um nicht loszulachen. Eine Mischung aus Enttäuschung und Belustigung stieg in ihr auf, als ihr klar wurde, dass er nur bereute, was er getan hatte, weil es irrational gewesen war und er befürchtet hatte, ihre Loyalität zu verlieren. Vielleicht meinte er es auch wirklich ernst, dass er ihr nichts hatte antun wollen, aber das war offenbar nicht das wirklich wichtige für ihn.
„Denkst du, dass eine instabile Seele bedeutet, dass man seine Emotionen nicht mehr kontrollieren kann?"
Jetzt verstand sie. Darum hatte er sich so plötzlich entschuldigt, nachdem die Sprache auf die Horkruxe gekommen war. Er machte sich Sorgen um sich selbst, um seine Stabilität, nachdem er nun schon mindestens eines angefertigt hatte. Wenn er mit ihr darüber sprechen wollte, würde er jedoch alle Karten offen auf den Tisch legen müssen.
Als würde sie über seine Frage nachdenken, zog sie die Augenbrauen zusammen und musterte ihn eindringlich. Nachdem sie eine genügend lange Zeit verstreichen lassen hatte, riss sie die Augen auf, holte geschockt tief Luft und presste dann hervor: „Du hast schon ein Horkrux erstellt."
Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Reaktion. Wenn er es jetzt gestehen würde, wäre sie so einen großen Schritt weiter. Sie wäre endlich da, wo sie vermutlich schon längst hätte sein sollen. Sie konnte mit ihm über Horkruxe sprechen und ihm vielleicht doch noch ein Geheimnis entlocken. Aber dazu musste er sich ihr öffnen und durfte nicht misstrauisch werden.
Nur am Zucken seines Mundwinkels konnte sie sehen, dass ihre Aussage ihn unerwartet getroffen hatte. Wie sie zuvor schien er nachzudenken, ehe er schließlich sagte: „Natürlich bist du von alleine darauf gekommen, mein Herz. Ich sollte mir wirklich abgewöhnen dich und deine Intelligenz zu unterschätzen."
Unwillig, sich von dem Kompliment irritierten zu lassen, hakte sie nach: „Also hast du schon eines?"
Statt ihr eine Antwort zu geben, presste Tom sie wieder fester an sich und zog sie in einen weiteren Kuss. Dieser war anders als zuvor, gieriger, fordernder. Für einen Moment wehrte sie sich, genervt davon, dass er so offensichtlich versuchte, sie abzulenken, doch als seine Hände ihren Rücken hinab zu ihrem Hintern wanderten, konnte sie ein Stöhnen nicht unterdrücken. Sie ließ zu, dass er zurück drängte, bis sie auf dem Rücken lag, er direkt über ihr. Für den Moment gab sie sich geschlagen.
Immer wieder nahm er ihre Lippen in Besitz, drängte er sie dazu, sich ihm weiter zu öffnen. Hitze schoss durch ihren Körper, als sie deutlich zwischen ihren Beinen spürte, wie erregt er war.
Seine Hand wanderte zwischen ihre Beine und gerade, als er endlich in ihrer Mitte angekommen war, brach er ab. Schwer atmend schaute Hermine zu ihm hoch, während sie sich unbewusst an seiner Hand rieb. Tom erwiderte ihren Blick, die Lust stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, doch er schien zu zögern.
„Um ein Horkrux zu erschaffen, muss man einen Menschen töten", presste er angespannt hervor, als müsste er um Kontrolle kämpfen. Hermine nickte. Sie wusste das, natürlich wusste sie das. Vom ersten Moment an, da sie sich ihm willentlich hingegeben hatte, war ihr bewusst gewesen, dass er ein Mörder war. Tom schluckte und holte tief Luft. Seine Stimme klang dunkel vor Verlangen, als er weitersprach. „Was, wenn ich dir sagen würde, dass ich schon zwei Horkruxe erschaffen habe?"
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