20 ༄
Mit einer aussichtslosen Langsamkeit ließ ich mich an der Tür hinab gleiten, bis ich mit angewinkelten Beinen auf dem Boden saß und meinen Kopf an das Holz anlehnte.
Ist es nicht lustig, dass dich die einzigen Menschen, mit denen du jeden Tag zu tun hast, vor der Welt versteckt hielten? Die dir dein Leben schon ausgemalt hatten, noch bevor du überhaupt den Stift in die Hand nehmen konntest? Und ist es nicht noch tausendmal witziger, wenn du zu schwach bist, um dich dagegen zu wehren?
Wie gerne hätte ich auch nur einen Krümel dieser Freiheit da draußen. Ich fühlte mich, als wäre ich eingesperrt. Eingesperrt, wie ein flugunfähiger Vogel in seinem Käfig dem somit auch nichts anderes übrig blieb, als bei den Menschen zu bleiben.
Ich seufzte langgezogen und fuhr mir durch das wirre Haar, ehe ich aufstand, um mein Klavier herumging und das Fenster öffnete. Die kühle Luft blies mir entgegen und durchflutete bald schon den gesamten Raum. Der Ort an dem ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht hatte. Ich fühlte mich hier nur noch mehr eingesperrt, als im Rest des Hauses. Allerdings war es auch der einzige Bereich, der nur mir gehörte und in dem ich ganz für mich alleine war. Das war der einfache Grund weswegen ich dennoch, trotz der fehlenden Freiheit und der bedrückenden Enge, immer wieder hierher zurückkehrte und die triste Emotionslosigkeit auf mich abfärben ließ.
Schwunglos ließ ich von der kühlen Frische ab und ging erneut quer durch das Zimmer, nur um mich wieder an der Tür hinunter zu lassen und mich somit wieder in meiner Ausgangsposition zu befinden. Was hatte ich heute alles verloren? Das Vertrauen meiner Eltern, den kleinen Zipfel an Freiheit, den ich nur so selten erhaschte und wahrscheinlich auch die Chance auf einen richtigen und einzigen Freund. Jemand, mit dem ich mich ohne Hindernisse oder Gedanken unterhalten konnte und der mich, wenn auch nur kurz, aus meinem Gefängnis befreite.
Umso mehr ich über ihn nachdachte, desto klarer wurden auch wieder seine letzten Worte in meinem Kopf, die sich besonders auf seiner Betonung festsetzten. Es schien, als hätte er sie mit voller Absicht genau so gewählt und dies versetzte mir einen nur noch härteren Schlag in die Magengrube, umso mehr es mir einleuchtete. Aber woher sollte er...
Ich zog meine Beine wieder an mich heran und schlang die Arme um diese, in der Hoffnung sie könnten mir Trost spenden. Warme Tränen erwärmten meine Wangen und für eine Weile waren nur das dumpfe Ticken des Weckers und mein leises Wimmern zu hören, welches von den leisen Windstößen durchs Fenster davon getragen wurde.
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Ich wusste nicht, wann ich eingeschlafen war oder wie lange ich generell meine Zeit am Boden verbracht hatte, als ich mich plötzlich durch ein gedämpftes Geräusch wieder in der Realität einfand. Ich blinzelte eine Weile und noch ehe ich mich fragen konnte, ob ich mir dies nicht nur eingebildet hatte, hörte ich es erneut, nur diesmal deutlich leiser als zuvor.
Sofort war ich hellwach und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ich versuchte das Geräusch zu zuordnen aber nun blieb es still. Das Einzige was zu hören war, war der gespenstische Wind, welcher durch mein offenes Fenster blies. Ich setzte mich langsam etwas auf, um nicht völlig durchzudrehen, und nahm erst ab diesem Moment den ziehenden Schmerz in meinem Nacken wahr, der wohl darauf zurückführte, dass ich die letzten Stunden in keiner sehr vorteilhaften Position verbracht hatte.
Ich rieb mir die Stelle und hielt abrupt in der Bewegung inne, als sich mir ein vertrautes Gefühl anschlich. Jemand oder Etwas beobachtete mich und dies auf eine ganz gruseligen Art, denn es wurde von Sekunde zu Sekunde intensiver.
Ein plötzliches Knacken zu meiner Linken versetzte mir dann einen solchen Schreck, dass ich heiser aufschrie und ruckartig von der Tür weg in die nächstbeste Ecke rutschte. Ich schluckte zitternd und machte mich so klein wie möglich. Das Gefühl, nicht zu wissen was in der Stille passierte, war beängstigend und erinnerte mich schmerzhaft daran, wie schutzlos ich doch eigentlich alleine war. Für jeden Verbrecher war ich ein gefundenes Fressen, das nur danach rief verschlungen zu werden.
Ich wagte es kaum zu atmen, als wieder ein leises Rascheln erklang und daraufhin minutenlang nichts folgte. Einzig die Augen die mich anstarrten blieben und ich hoffte inständig, dass sich irgendein Eichhörnchen oder Marder durch mein offenes Fenster ins Zimmer verirrt hatte. Etwas, dass mir keine gewaltvolle Aufmerksamkeit schenkte und so schnell verschwand, wie es auch gekommen war.
Bebend versuchte ich erneut Luft zu holen und lauschte nun in mehrere Minuten der absoluten Ruhe hinein. Nichts erweckte mehr den Anschein als wäre dort etwas, bis mir plötzlich eine leise Stimme die Wahrheit zuflüsterte. "In der Dunkelheit wirkt sich Stille wie ein Verstärker aus, nicht wahr?"
Erschrocken japste ich nach Luft und sprang reflexartig auf meine Beine, was angesichts dessen, dass ich vor wenigen Minuten noch im tiefsten Schlaf versunken war, keine so gute Idee darstellte. Ich taumelte wacklig zurück in die Zimmerecke und stützte mich gegen die Wand, um nicht gleich wieder zusammen zu fallen.
Auch wenn ich mich nun hätte beruhigen können, schlug mein Herz immer noch wie wild und brauchte einige Sekunden, um sich von der Achterbahnfahrt zu erholen. "Sollte so deine Revanche aussehen, dafür dass ich dich als Postbote vorgestellt habe?", murmelte ich nach einer gewissen Zeit leise zurück und atmete tief ein, um meine Gedanken zu beruhigen. Taehyung brummte leise als Antwort und schickte seinen Blick wahrscheinlich gerade durchs Zimmer. Dafür, dass ich zuvor noch einer heiden Panik verfallen war, wirkte die Situation nun fast schon zu normal - und dies war sie definitiv nicht.
"Was machst du hier? Meine Eltern werden uns beide umbringen, wenn sie uns sehen. Und, darüber hinaus.. wie kommst du überhaupt hier rein?!" Die Fragen, die jedem Anderen wohl als erstes über die Lippen gekommen wären, sprudelten bei mir verzögert hervor und ich wusste noch nicht einmal, wieso mich nicht schon längst meine Contenance verlassen hatte.
"Als Einbrecher hat man es bei euch ziemlich einfach", sagte er dann nach mehreren Sekunden der Stille und entfernte sich einige Schritte von mir, "man kann einfach über die Verandaüberdachung durch dein Fenster gelangen, wenn es denn nun mal geöffnet ist."
Genauestens verfolgte ich seine Bewegungen und konnte erahnen, dass er wohl gerade das Klavier begutachtete, dass in der rechten Ecke meines Zimmers den Platz einnahm. Langsam erhob ich mich somit und ging in Zeitlupe, so kam es mir zumindest vor, in Richtung meines Bettes. In der gesamten Zeit, bis ich ankam und mich auf das weiche Polster setzte, folgten seine Augen mir und ich konnte nicht sagen, ob dies nun weniger gruselig war. Abgesehen davon machte mich seine Anwesenheit unweigerlich nervös, genau wie am Anfang als wir uns begegnet waren. Nach vergangener Aktion hätte ich mich wahrscheinlich nicht mehr getraut, ihm am Strand unter die Augen zu treten und dachte, dass ich ihn nun nie wieder sprechen würde, doch der Ältere war anscheinend anderer Meinung. Was er nun von mir dachte konnte ich nach seinen letzten Worten am Nachmittag nur erahnen und machte die Situation nur noch unangenehmer, sodass ich mein Tastenhandy aus der Hosentasche kramte und es in meinen Händen immer und immer wieder um die eigene Achse drehte, um mich abzulenken während wir schwiegen.
"Wieso siehst du mich so an?", fragte ich dann schlussendlich zögernd und sah blind in seine Richtung. Der junge Mann atmete daraufhin tief ein und rieb rau mit den Händen über seine, von Kleidung umschlossenen, Oberschenkel, ehe er sprach: "Ich denke nach."
"Und über was denkst du nach?", verlangte ich weiter nach einer Antwort, da ich bei ihm nicht davon ausging, dass er von alleine weiterreden würde. "Ich bin am überlegen, ob ich gerade den zweitgrößten Fehler begehe oder genau das Richtige tue."
Verwirrt von dieser, für seine Verhältnisse viel zu schnell erbrachten Entgegnung, legte ich den Kopf schräg und wollte gerade fragen, was er damit meinte, als er auch schon das Thema wechselte und mich völlig aus dem Konzept riss.
"Für einen Blinden, kannst du es übrigens erstaunlich gut verstecken."
Ich hätte beinahe mein Handy fallen gelassen, so sehr erschreckten mich die Worte, die womöglich schon längst im Raum standen und nun erstmals laut ausgesprochen wurden.
"W-woher..?", stammelte ich deswegen etwas unbeholfen und hoffte, dass ich ihn einfach nur falsch verstanden hatte. Taehyung war inzwischen aufgestanden und bewegte sich quer durch mein Zimmer. Dies tat er so leise, dass ich gar nicht wirklich mitbekam, wie er auf mich zusteuerte und sich dann, geradewegs, als fühle er sich wie zu Hause, auf mein Bett setzte.
"Ich habe es in deinen Augen gesehen." Mehr sagte er nicht und so kehrte wieder Ruhe ein. Eine Ruhe, in der wir beide unseren ganz eigenen und unterschiedlichsten Gedanken nachgingen.
Die Wärme die sein Körper neben mir ausstrahlte, fühlte sich auf einmal viel entspannter an und gab mir sogar ein klein wenig Sicherheit in meinen sorgenvollen Bedenken und das, obwohl er nichts weiter getan hatte, als die Wahrheit auszusprechen. Aber lag es nicht auch auf der Hand?
Menschen änderten sich normalerweise nicht. Sobald man von der Norm abwich, behandelten sie einen anders oder wendeten sich ganz ab. So war das schon immer. Selbst meine Eltern behandelten mich wie ein Kleinkind und merkten es nicht einmal. Taehyung jedoch hatte bislang nichts an seinem Verhalten geändert oder sich mir abgewandt - er war ja sogar durch mein Fenster gestiegen, obwohl er es anscheinend wusste. Dies war neu für mich und gab mir wahrscheinlich mehr Hoffnung als es womöglich sollte.
Langsam strich ich mit meinen Fingerspitzen über meine rechte Wange und fragte mich im gleichen Moment, was genau er wohl in meinen Augen gesehen hatte. Ich merkte, wie er sich gegen die Wand lehnte, an der mein Bett stand und lauschte dann seinen Worten, als er plötzlich sprach.
"Deswegen sind deine Eltern wohl auch so übertrieben streng, mh?" Ein langsames Nicken meinerseits verriet ihm, dass er mit dieser Wortwahl genau ins Schwarze getroffen hatte. Sie übertrieben wirklich. Weit über ihr Ziel hinaus.
Er atmete kurz etwas tiefer ein, ehe er noch hinzufügte: "Meine Eltern hätten sich damals gewünscht, dass ich so gehorsam wäre wie du, dass ich immer an Ort und Stelle bleibe, so wie sie es sich erträumt haben. Normalerweise hätte ich mir schon längst das Auto geschnappt und wäre weiter durchs halbe Land gereist, wenn nicht.." Er stoppte für einen Moment und ich runzelte die Stirn.
Hörte ich da etwa gerade einen ersten Einblick in sein privates Selbst?
"Wenn nicht was?"
Er schwieg und auch ich verweilte in Stille, bis er leise antwortete und mit den Nägeln über den rauen Stoff der Decke fuhr. "Wenn ich keinen Grund gefunden hätte, zu bleiben."
Diese Antwort verwirrte mich, da ich mir nicht wirklich sicher war, was er mir damit sagen wollte, weswegen ich mich auf seine vorherige Aussage bezog. "Wenn ich könnte, würde ich wahrscheinlich auch machen was ich wollte." Ich zuckte lediglich mit den Schultern und ließ etwas den Kopf sinken, da ich merkte, wie er wieder begann mich mehrere Sekunden von der Seite anzusehen.
"Du bist wirklich interessanter als ich dachte, Jeongguk", murmelte er ohne Ankündigung nach einiger Zeit leise und ich spürte wie meine Wangen rot wurden. War ich das wirklich? Mir kam es so vor, als wäre ich der langweiligste Mensch auf dieser verdammten Welt.
Noch ehe ich mir überlegen konnte, was ich nun antworten sollte, durchbrach seine tiefe Stimme wieder einmal die Stille und ich war mehr als überrascht, über seinen plötzlichen Redeschwall.
"Na dann, ich wünsche dir noch eine Gute Nacht und leg dich diesmal besser ins Bett. Ist gesünder für die Nackenmuskulatur." Ich war mir nicht ganz sicher, jedoch meinte ich ein leichtes Lächeln in seiner Stimme zu vernehmen, ehe er sich allen Anschein nach von meinem Bett erhob und an mir vorbei zum offenen Fenster ging. Erst jetzt wurde mir bewusst wie kalt es bereits geworden war.
"Warte!", hielt ich ihn dann auf und wusste selbst im ersten Moment eigentlich gar nicht genau woher der Mut kam. "Kommst du wieder?"
"Wenn du das möchtest." Er kletterte auf das Sims und hielt dann einen Augenblick inne, indem ich nur leicht nicken konnte.
"Dann bis morgen, Jeongguk." Und mit diesen Worten schwang der Ältere sich aus dem Fenster und ließ mich in meinem goldenen Käfig zurück.
Wie gerne ich ihm in dieser Nacht hinterher geflogen wäre, konnte ich gar nicht in Worte fassen.
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