Der Zweifel
Flucht.
Nicht vor mir selbst, daß wäre ohnehin nicht möglich - aber vor dem, was ich am meisten gefürchtet habe. Avery's Freiraum, den ich ihr gegeben habe obwohl alles in mir geschrien hat es nicht zutun hat dafür gesorgt das sie sich weiter von mir entfernt hat, als gut für mich ist. Dazu kommt noch, daß sie den Kontakt zu mir gemieden hat als wäre ich der Teufel höchstpersönlich, während dieser Mistkerl Miguel, der sie entführt und der Hölle zum Fraß vorgeworfen hat ihre Gesellschaft wenn auch nur am Telefon genießen konnte.
Ich hätte ihn bereits damals töten sollen, aber stattdessen habe ich Avery's Wunsch respektiert und ihn am Leben gelassen.
In einem normalen Leben wäre die Chance weg zu gehen und sich den beiden selbst zu überlassen eine Option - hier ist es das aber nicht. Ich kann und werde nicht riskieren oder zulassen, daß der Kult seine giftgetränkten Finger nach ihr ausstreckt und sie am Ende vielleicht sogar getötet wird... Lieber lasse ich es zu, das sie mich foltern und quälen, wenn es ihr so Zeit verschafft um dem ganzen zu entkommen.
Weil ich sie liebe.
Ich atme tief durch, balle die Hände zu Fäusten und versuche meine aufkommende Wut in den Griff zu bekommen, ehe ich wieder hinein gehe. Es hilft weder ihr noch mir jetzt zu streiten, denn unser Feind wartet vielleicht nur auf eine solche Gelegenheit. Nach ein paar weiteren Atemzügen bin ich soweit und gehe wieder hinein. Avery ist noch immer in der selben Position als ich hinaus gegangen bin. Wachsam beobachten ihre Augen jeden meiner Schritte. „ Was machen wir jetzt? Abwarten, angreifen? ” fragt sie. Ein Gemisch aus Angst und Mut schwappt mir entgegen, wovon eines allerdings deutlich die Oberhand hat. An ihr nagt die Angst dass das, was ihr passiert ist, wieder passieren wird. So gut sie es auch damals überspielt hat wird nun immer deutlicher das sie nichts von alledem überhaupt je richtig verarbeiten konnte. Es ärgert mich, daß ich es nicht gemerkt, ihr nicht geholfen habe. Aber am meisten ärgert es mich, daß sie damit nicht zu mir gekommen ist, daß sie nicht offen geredet hat. „ Alaric? ” höre ich meinen Namen aus ihrem Mund. Sie ist ungeduldig.
„ Wenn wir angreifen könnte das alles schlimmer machen. Wir haben schlichtweg zu wenig Informationen. Wir wissen nicht wie groß der Kult ist, wo er sich genau versteckt... Hätte ich die Wahl gehabt hätte ich den Kuttenträger leben lassen der mich angegriffen hat um Informationen aus ihm heraus zu bekommen. So jedoch... Haben wir nichts. Ein Angriff ist also ohnehin nicht möglich. ”
Genervt verschränkt sie die Arme aber ich sehe hinter ihre kühle Fassade. Sie ist nervös, was ihr ständiger Blick Richtung Tür und Fenster verrät - als würde sie vermuten das jeden Augenblick jemand eindringt um sie anzugreifen. „ Also sollen wir hier auf dem Präsentierteller warten bis sie kommen? Was ist mit der Halle? Wir könnten doch... ”
„ Die Halle existiert nicht mehr. Sie ist nieder gebrannt. ” kontere ich sofort. Dann korrigiere ich mich und erzähle ihr, daß ich sie nieder gebrannt habe. Ich erkläre, daß der Kult am Ende gewesen ist und ich Jess und Eugene weg geschickt habe. Umgeben von Tod waren die Beweise so bizarr, daß ich kurzerhand alles in Flammen aufgehen ließ. Nur so konnte ich sichergehen, daß all das was dort geschehen ist vom Feuer für immer verschluckt wurde.
Jetzt im nachhinein könnten wir die Halle wirklich gut gebrauchen, das muss ich allerdings zugeben. Avery scheint nicht überzeugt, wirkt sogar noch nervöser als zuvor. Die Optionen die wir haben sind gelinde gesagt einfach nicht nennenswert. Schließlich sagt sie das dümmste, was sie in diesem Moment sagen kann, was mich vollends in meiner Wut aufgehen lässt. „ Dann sollten wir definitiv Miguel anrufen und ihm alles erzählen. Womöglich können wir uns bei ihm verschanzen und einen Plan ausarbeiten, das ein für alle mal zu beenden. ”
„ NEIN. ”
Ihre Sturheit bringt mich fast dazu zu verzweifeln, aber noch mehr ärgert es mich, daß sie mit dem Kopf durch die Wand will. Sie weiß das ich den kleinen Zettel bei mir habe, der Zettel auf dem die Nummer steht die sie so dringend anrufen will - und der sie dazu bringt auf mich zu zu gehen, um ihn mir abzunehmen. Dass das eine denkbar schlechte Idee ist weiß sie spätestens nach einigen Versuchen, die ich gekonnt abfedere. Verärgert beginnt sie nach mir zu schlagen und ich schaffe es ihre Hände in der Luft abzufangen und so zu verdrehen, daß es an der Grenze des erträglichen ist - aber sie dazu bewegt aufzuhören. Ganz dicht beieinander stehen wir jetzt, schauen uns wütend an und während sie nach Luft ringt hat mir dieses kleine Tänzchen überhaupt nichts abverlangt. „ Nein. ” sage ich noch einmal bestimmt, gleite mit meinem Blick aber von ihren Augen hinunter zu ihrem Mund. Mein Kopf schaltet schlagartig auf Autopilot, gräbt nach einer Erinnerung die vorhin bereits untergegangen aber dafür jetzt umso präsenter ist. Wieder höre ich das leise atmen, die leisen Geräusche die von ihr ausgehen als sie sich selbst berührt und dabei meinen Namen flüstert. Damit hatte ich, als ich die Kamera versteckt hatte, absolut nicht gerechnet und genau diese Erinnerung sorgt jetzt dafür, daß ich hart werde. Bevor sich mein innerer Schweinehund jedoch komplett offenbaren und ausleben kann, was gerade so offensichtlich ist löst sie sich aus meinem Griff und nimmt einen so großen Abstand ein, welcher den Zauber des Moments abrupt zum absterben bringt. Ihr kann unmöglich die Beule in meiner Hose entgangen sein, dennoch lenkt sie den Fokus auf etwas gänzlich anderes.
„ Na schön. Ich rufe ihn nicht an. Noch nicht. Aber ich will das du dir etwas überlegst denn wenn sie dich finden konnten wird das hier... ” sagt sie und macht eine Rundumbewegung, ”... Das hier wird dem ganzen nicht standhalten. Sie werden hier einmarschieren und... Ich will nie wieder in diese Hölle hinab gezerrt werden. ”
„ Ich muss nicht extra erwähnen das ich dich mit meinem Leben beschütze... Das weißt du. ” antworte ich mit rauer Stimme, leise und drohend. Das sie es in Frage stellt mich für ihre Sicherheit einzusetzen versetzt mir einen weiteren kleinen Nadelstich. Natürlich habe ich mir so unser Wiedersehen nicht vorgestellt - es ähnelt nicht mal im Ansatz dem, was ich mir diesbezüglich herbei fantasiert habe. Wie oft ich Nachts wach lag, mir gewünscht habe sie wäre direkt an meiner Seite, greifbar. Wie ich sie an mich ziehe, sie streichle und dafür sorge das sie wieder und wieder meinen Namen sagt während ich jeden Zentimeter ihres Körpers erkunde als wäre es das erste mal. Nichts von dem was hier geschieht ist auch nur vergleichbar mit dem, was ich mir gewünscht habe.
„ Das hast du schon einmal versprochen. ” sagt sie schließlich. Die Traurigkeit in ihrer Stimme zerreißt mich fast innerlich. „ Aber sie kamen mich holen. Diesmal darf ich mich nicht darauf verlassen das es anders läuft. ”
Der unterschwellige Vorwurf nagt an mir... Sie vertraut mir nicht. Sie hat Angst, ich würde versagen... Und allmählich beginne ich, an mir selbst zu zweifeln.
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