Part I - Ein Ort der Freude?
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An einem kalten Novembermorgen hüllt sich der Fichtenwald in ein dichtes Grau. Wie eine Decke legt sich der morgendliche Nebel um die Bäume, nur die Spitzen der Tannen ragen hervor und recken sich der aufgehenden Sonne entgegen. Die Stille wird nur vom sanften Heulen des Windes durchbrochen. Das Sonnenlicht lässt die Tautropfen an den Tannennadeln funkeln, bis durch den Wind einige Tropfen zu Boden rieseln, die dort zerspringen und langsam in der Erde versinken.
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Unweit vom Fichtenwald entfernt, liegt ein in ganz in Schwarz gekleideter junger Mann, auf dem feuchten Betonboden. Als ein lautes metallisches Zerren die Luft förmlich schneidet, rüttelt es ihn wach. Er schaut sich um, da bemerkt er, wie das aufsteigende Sonnenlicht eine Art Schienen in schwindelerregender Höhe erleuchtet. Während die Bäume wie stille Wächter aus der Dämmerung erscheinen, drängen sich die Fragen in seinem Kopf wie ungebetene Gäste. Der feuchte Beton unter ihm fühlt sich kalt und unangenehm an, während die Nacht langsam der Morgendämmerung weicht. Er rappelt sich auf, rückt seine schwarze Kleidung zurecht und sieht sich um.
Man sieht, wie es in ihm arbeitet - Wo bin ich hier? - Doch so sehr er sich auch versucht, sich zu erinnern, es bleibt alles schwarz. Er erinnert sich an nichts.
Alles ist schwarz.
Er wirkt verzweifelt und ratlos. - Was ist das hier? Träume ich? - Seine Gedanken rasen, während er mit den Händen über seinen Kopf streicht. - Hatte ich einen Blackout? Wer hat mich hierhergebracht und warum? - Doch die Suche nach einer Antwort verläuft im Sand.
„Muss wohl Treibsand gewesen sein..."
Neben ihm hört er eine Stimme. - Was war das? Redet hier jemand mit mir? - Doch als es sich umsieht, ist niemand zu sehen - es zerreißt ihn den Kopf. Er blinzelt ein paar mal und streicht mit der Hand über sein Gesicht. - Wie kann das alles sein? - Langsam steht er auf, doch alles schmerzt; jeder Knochen in seinem Körper fühlt sich schwer wie Blei an. Schließlich beginnt er, einen Schritt vor den anderen zu setzen, bis die Schwere nach und nach verschwindet - doch der Schmerz bleibt.
„Kein Wunder, wenn man auf dem nackten Boden liegt."
Da ist die Stimme wieder, doch hier ist niemand. Fast kommt es ihm vor, dass sein Kopf sich selbständig macht, dass seine Gedanken zu ihm sprechen. Nur, dass seine Gedanken lauter sind, als sie jemals zuvor waren. Kann das sein?
„Immerhin bist du so nicht allein!"
Er schüttelt sich ein paar Mal, was war das? Panisch dreht er sich um sich selbst, doch hier ist niemand. DAS sind nicht nur meine Gedanken, wer redet da? Er überlegt, ob es sein Nachbar ist; sie fahren manchmal gemeinsam zum Angeln. Doch das kann nicht sein, er ist hier nicht am See. Was ist das hier für ein Ort? Als versucht sich zu beruhigen und sieht er sich erneut um, sein Angelfreund ist nicht zu entdecken. Nein, hier ist er völlig allein, einsam und verlassen.
„Keine Panik, ich bin dein Unterbewusstsein. Die Stimme im Dunkel. Ich helfe dir, das alles durchzustehen!"
Er erschrickt; die Stimme klingt, als würde jemand neben ihm stehen. Ratlos dreht er sich um, doch es ist keine Menschenseele zu sehen. Nein, hier ist gar nichts. - Bin ich wach oder träume ich? - Vor ihm offenbart sich nur ein altes Gerüst. Ist das eine Achterbahn?
Ein Stück weiter entfernt erhebt sich ein Karussell, umgeben von verwaisten Verkaufsständen. Doch das Bild, das sich hier bietet, ist alles andere als die fröhliche Szenerie, die man erwarten würde. Statt leuchtender Farben und lebensfroher Klänge breitet sich eine bedrückende Melancholie aus. Die einst fröhlichen Sitze des Karussells sind verblasst, ihr Glanz längst der Vergänglichkeit gewichen. Die Schienen der Achterbahn schlängeln sich trügerisch durch die Luft, ihre altehrwürdige Struktur von Rost befallen und von der Zeit gezeichnet.
Moos hat sich an den vernachlässigten Stellen festgesetzt, als wollte die Natur sich an einem Ort des Vergnügens wieder rechtmäßig vereinnahmen. Tropfen von fauligem Wasser fallen rhythmisch von den rostigen Balken herab und verstärken das Gefühl der Traurigkeit, während die Stille die Luft durchdringt und an die vergessenen Schreie des einstigen Jubels erinnert. Hier herrscht eine gespenstische Leere, die einen in ihren Bann zieht und das Echo der ausgelassenen Freude in ein bittersüßes Wehklagen verwandelt.
Sein Blick wandert zu den anderen Fahrgeschäften, auch dort erwartet ihn das gleiche Bild. Das Karussell ist grau-braun; die Tiere, auf denen die Kinder normalerweise reiten, sind nur ein Schatten ihrer selbst. Von den farbenfroh bemalten Pferden oder Zebras ist nichts mehr zu sehen, nur abgeplatzte Farbe, Rost und zerbrochene Griffe. Hier sind Fröhlichkeit und Kinderlachen verstummt. Vom Glanz vergangener Tage ist, wenn überhaupt, nur in den Erinnerungen der Kinder von damals etwas übrig. Vor ihm fügt sich ein trostloses schwarz-weißes Bild zusammen, das die Einsamkeit und Traurigkeit nur umso mehr unterstreicht.
„Tja, das war scheinbar mal ein Freizeitpark. Doch der steht seit Jahren still, denke ich! Wenn das mal kein Stoff für Horrorfilme ist!"
Erschrocken zuckt er zusammen; die Stimme, das kann nicht sein. Mit einem Hauch von Unsicherheit ruft er in den stillen Park hinein: „Wer redet da die ganze Zeit?" Seine Stimme klingt beinahe verloren in der bedrückenden Stille, während er in die leeren Schatten der Umgebung blickt.
„Das hab ich dir doch bereits gesagt! ICH bin dein Unterbewusstsein! Meine Güte, das ist doch nicht so schwer zu verstehen! Du vergräbst dich doch auch sonst in deinen Büchern und liest so viel, wo bleibt deine Fantasie?"
Seine Augen weiten sich vor Erstaunen. „Das heißt, ich führe gerade Selbstgespräche mit meinem inneren Ich?" Er schüttelt den Kopf, als könnte er den Gedanken vertreiben, und kneift sich in die Wange, um sich zu vergewissern, dass er wirklich wach ist.
„Hey, hör auf damit, du träumst nicht! Ich bin ein innerer Schutzmechanismus deines Körpers, dass du hier nicht komplett durchdrehst!"
Er fragt sich, ob er nicht gerade dabei ist, einen völligen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Er lehnt sich an ein Geländer, er muss nachdenken. - Wenn das so ist, warum habe ich dann ein so sarkastisches Unterbewusstsein? - Es fühlt sich fast so an, als würde sein eigener Verstand ihn auf die Schippe nehmen, was die Situation noch absurder macht.
„Willst du dich jetzt etwa beschweren?"
Er hält kurz inne und geht den Gedanken nach, bevor er mit fester Stimme in den Park ruft: „Moment, bedeutet das, dass du auch die Dinge hörst, die ich denke?" Sein Herz schlägt schneller, als die Frage in der stillen Luft verhallt.
„So sieht's aus! Ich bin immer da und höre, was du sagst oder denkst!"
Er denkt an einen Albtraum; das kann doch nicht wahr sein. Mit leicht zitternder Stimme fragt er: „Hast du mitbekommen, wie wir hierhergekommen sind? Was soll das alles hier?"
„Nö. Das ist der Nachteil am Unterbewusstsein; wenn du schläfst, schlafe ich auch. Also habe ich auch keine Idee, was das hier sein soll."
„Na toll, das ist wirklich eine große Hilfe!" Er ist von sich selbst überrascht, als diese Worte über seine Lippen kommen. Normalerweise ist er nicht so schlagfertig. Sogar die Stimme ist still, das gibt ihm einen Moment zum Nachdenken, bevor er fragt: „Kann nur ich dich hören? Glauben die anderen, ich spreche mit mir selbst, weil sie dich nicht hören können?"
„Exakt!"
„Na klasse, das wird ja immer besser!" Denkt er resigniert. Er wendet sich an sein inneres Ich und fragt: „Was schlägst du jetzt vor? Sollen wir die Umgebung erkunden?" Die Idee, sich auf das Unbekannte einzulassen, lässt ihn zögern, aber vielleicht gibt es ja Antworten dort draußen.
„Entweder das, oder Vergangenheitsbewältigung!"
Er kneift die Augen zusammen. - Was soll das schon wieder heißen? - Wenn dieses innere Ich tatsächlich ein Teil von ihm ist, warum spricht es dann ständig in Rätseln? Es fühlt sich an, als wollte es ihm etwas Wichtiges mitteilen, doch die Worte sind verworren und unklar. - Statt mir zu helfen, hinterlässt es nur Verwirrung. Sollte ich nicht die Antworten auf meine Fragen finden, anstatt mich in einem Labyrinth aus Gedanken zu verlieren? Warum redet er, es oder die Stimme, überhaupt mit mir? - Es überschlagen sich seine Gedanken.
„Er!"
Es durchzuckt ihn, als er in seinen Gedanken vertieft, die Stimme hört. Es ist völlig surreal, er fragt sich, wie das möglich ist? Warum hört die Stimme alles und kennt sogar seine Gedanken? Sein Unterbewusstsein hat noch nie mit ihm "geredet", doch je mehr er darüber nachdenkt, kommt ihm eine völlig andere Frage in den Sinn: „Kann ein inneres Ich auch weiblich sein, selbst wenn die Person männlich ist?"
„Was weiß ich denn? Ich kann nur für mich reden!"
„Hmm, warum habe ich diese Antwort erwartet?" Ruft er der Stimme entgegen. Alles andere wäre wahrscheinlich zu einfach – das könnte schließlich jeder. Dann atmet er tief ein. „Also, Vergangenheitsbewältigung?"
„Oh man Sherlock, ist das so schwer zu verstehen?"
Doch was soll er darauf antworten? Sollte sein Unterbewusstsein ihm nicht helfen, in solchen Situationen besser zurechtzukommen? Hier scheint das jedoch anders zu sein. In diesem Fall ist die Stimme, beziehungsweise ist er, schneller und antwortet, bevor er seinen Mund öffnen kann.
„Oha, aus diesem unbehaglichen Schweigen deute ich, dass du total auf dem Schlauch stehst. Vielleicht war die Betonboden-Matratze auch zu hart oder kalt, wer weiß das schon? Ich meinte, woran erinnerst du dich zuletzt, bevor du hier - ausgeschlafen - aufgewacht bist?"
Er wird langsam sauer. Womit hat er es verdient, sich solche spitzfindigen Sprüche anhören zu müssen? Doch wahrscheinlich hat er sogar recht. Er muss versuchen, sich zu erinnern. Was geschah, bevor alles schwarz wurde? Was war das Letzte, an das er sich erinnern kann, bevor er in diesem stillgelegten Freizeitpark aufgewacht ist?
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