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Kapitel 8

JUNIS


𝔇ie Sonne brannte sich durch Junis' Schädeldecke, doch dey dachte nicht mal daran, wieder rein zu gehen. Gerade brauchte dey einfach diese verdammte Zigarette, um den unendlichen Kreisel von Gedanken in deren Kopf wenigstens für einige Minuten anzuhalten.

Direkt unter dem Wohnzimmerfenster des Anhängers war mit Abstand der beste Platz dafür. Dort war Junis auf den ersten Blick praktisch unsichtbar. Obwohl dey gar nicht so recht wusste, warum dey sich überhaupt vor den anderen versteckte.

Cam konnte demm ganz sicher keine Vorwürfe machen. Das war immerhin wohl eine deutlich bessere Lösung, als der viel zu lauten Stimme in deren Kopf nachzugeben und zu testen, ob dey deren alten Dealer noch immer unter der selben Nummer erreichen konnte.

Außerdem hegte Junis den leisen - naja, eigentlich ziemlich lauten - Verdacht, dass ein massiver Kater der Grund war, weswegen sie sich gestern den ganzen Tag lang nicht im Büro hatte blicken lassen und heute mehr Aspirin schluckte als Vivien Schmerztabletten. Nach dem Treffen der Selbsthilfegruppe war sie nicht ins Büro zurückgekommen und Junis hatte das erste Mal erlebt, dass sie nicht darauf bestand, Vivien an Vollmond in den Wald zu fahren und am Morgen wieder nach Hause zu bringen.

Junis war schon klar, dass dey nicht unbedingt der Kandidat war, der über den Konsum anderer urteilen sollte, doch wenn das so weiter ging, dachte dey schon länger darüber nach, den Gefallen zu erwidern und für Camille eine Intervention zu veranstalten. Viel länger konnten sie alle es nicht einfach weiter totschweigen. Und dey wusste immerhin am besten, wie schnell man sich mit einer Abhängigkeit das ganze Leben ruinieren konnte.

Apropos ruinierte Leben... Schon wieder schweiften deren Gedanken zu der Akte. Nach dem Gespräch mit Moth hatte dey vielleicht ein paar Stunden lang durchgehalten und versucht, sich einzureden, dass das seine Privatssphäre war, in der dey nicht rumstochern sollte. Dann hatte dey die Akte gelesen. Oder eher, damit angefangen, so wie ein zweites und ein drittes Mal. Immer war dey schon auf den ersten Seiten, am Urteil, hängen geblieben, weil das alles einfach nicht in deren Kopf gehen wollte.

Eine samtige Schnauze schob sich unter Junis' freie Hand an deren Seite.

"Oh, hallo," schmunzelte dey überrascht.

Hades schnaufte frustriert und schob den Kopf fester gegen deren Hand, schielte vorwurfsvoll zur Zigarette in der anderen.

"Okay, okay, ich versteh schon." Dey drückte die Zigarette aus, verscharrte den Stummel mit der Fußspitze im Schotter. So hatte dey beide Hände frei, um Hades an seiner Lieblingsstelle hinter den Ohren zu kraulen.

"Hadeees!", trällerte plötzlich eine Stimme über den Stellplatz. Izaiah war zurück und hatte Moth von zu Hause abgeholt. "Mein kleiner Höllenhund, wo bist duuuu? - Oh, hey, June! Was machst du denn hier draußen?"

"Meinen Höllenhund streicheln, siehst du doch," grinste Junis.

Hades bellte freudig und begrüßte die beiden mit einer ausgiebigen Runde Gesicht-Abschlecken.

Als Moth drinnen angekommen seinen dicken Kapuzenpullover auszog (und sein Gesicht abtrocknete), schüttelte Izaiah nur den Kopf. "Du Armer musst dir doch alles abschwitzen. Ich schmelze so schon."

"Besser, als bei lebendigem Leibe zu verbrennen," erwiderte Preston, die sich auf ihrem Schattenplatz auf dem Sofa die Nägel feilte. "Wir sind Untote, uns ist immer kälter als euch. Vor Allem bei aggressiven Klimaanlagen wie eurer."

Auf dem anderen Sofa schlief Vivien, ihre Schrammen und blauen Flecken von letzter Nacht hatten Izaiah und Junis heute Morgen schon zusammen versorgt, nachdem er sie abgeholt hatte. Hades legte sich wieder zu ihr, schob die Schnauze unter ihren bandagierten Arm.

Im Vorbeigehen zog Moth eine dünne Decke über beiden zurecht, bevor er sich die neuen Notizen an der Wand durchlas. Junis wusste selbst, dass dey ihn schon viel zu lang anstarrte, aber es konnte einfach nicht sein. Sie mussten sich alle geirrt haben - Polizisten, Richter, Jury -

Moth war vieles, aber ganz sicher kein Mörder.

"Hast du was zu dem Tattoo herausgefunden?", lenkte Izaiah demm ab.

Vivien hatte aus dem Gedächtnis das Tattoo auf Moores Arm skizziert. Junis zückte die Skizze und klappte den Laptop auf, rückte deren Brille zurecht. "...Ich weiß nicht so richtig," sagte dey schließlich.

Am Küchentresen löste Cam gerade die nächste Aspirin in einem Glas Wasser auf. "Und das heißt?"

"Naja, normalerweise würde ich das für eine Art Internetmythos halten. Ich finde hier Verbindungen zur Silberfaust, das ist eine Untergrund-Gruppierung von Anti-Vampir-Aktivisten. Aber alles, was man sonst findet, sind kryptische Kommentare, zusammenhangslose Videos und völlig wirre Theorien. Silberfaust-Mitglieder bei Protestmarsch gesichtet?", las dey vor. "Oder: Denkt ihr, hinter der Brandattacke auf diesen Vampirverein steckt die Silberfaust? Sie verteilen wohl Flugblätter und sowas, aber ich habe nicht den kleinsten digitalen Fußabdruck gefunden. Und zu Treffen muss man explizit eingeladen werden. Das ergibt ja auch alles Sinn, für eine Untergrund-Gruppierung. ...Wenn wir jetzt dem Internet glauben schenken, dann hast du in dieser Gruppe die Aufmerksamkeit von Hearts auf dich gezogen, Cam." Dey deutete auf einen Blogpost mit zwei Bildern: Eine verschwommene Aufnahme eines blonden jungen Mannes und ein Bild einer kleinen Karte. "So ein Typ hat mich gerade auf einem Protest angesprochen und mir diese komische Karte hier gegeben. Ist das eine Betrugsmasche? Werde ich überfallen und ausgeraubt, wenn ich da hin gehe? Hat er versucht, zu flirten? Hilfe, Leute!"

"Das sieht genau wie meine Karte aus. Aber... Hearts?" Cam hob eine skeptische Augenbraue.

"Soweit ich das verstanden habe, soll ein innerer Kreis in der Silberfaust das Kommando haben, die sich nach den Farben des Kartenblatts benennen. Hearts, Diamonds, Clubs und Spades."

"Oh, wie putzig," kommentierte Preston abschätzig und rollte mit den Augen. "Wie bei den Pfadfindern."

"Hearts ist der einzige von ihnen, der wirklich Kontakt zu Outsidern hat. Nur deshalb konnte ich überhaupt Informationen über ihn ausgraben. Er ist wohl derjenige, der neue Mitglieder anwirbt. Und wo könnte man bessere Kandidaten finden als in einer Selbsthilfegruppe für Opfer von Vampiren?"

"Und wie viele von ihnen waren tatsächlich Opfer von Restless?", fragte Moth leise und fuhr mit den Fingerspitzen über die dunkle Narbe an seinem Hals. "Das ergibt doch keinen Sinn. Wenn die Silberfaust hinter all dem stecken soll, dann werben sie Leute an, an deren Schicksal sie selbst Schuld sind, um... Um anderen Leuten das selbe anzutun?"

Junis' Blick blieb schon wieder an ihm hängen. Sechs aufeinanderfolgende Schüsse frontal in die Brust. Mit einem gestohlenen Revolver voller Silberkugeln.

Vor zwölf Jahren. Da war er erst zehn gewesen.

Einen Tag hatte Junis noch durchgehalten, bevor dey gestern schließlich auch die Fotos angesehen hatte, die der Akte beilagen. Die beiden Leichen - Diego Mendez und Lucia Delgado - in einem Wohnzimmer, das aussah wie das Set eines schlechten Slasher-Films. Und Aufnahmebilder des sofort geständigen Verdächtigen, Timothy Delgado, einem großen, dürren Jungen mit einem blauen Jochbein und unglaublich leeren Augen.

"-ne? Junis!" Izaiah wedelte wild mit der Hand vor deren Gesicht. Junis war fast versucht, noch einen Moment nicht zu reagieren, um diesen Anblick auszukosten.

"Was?"

"Ich hab dich jetzt bestimmt drei Mal gefragt, was mit Nate ist."

"Äh." Dey blinzelte. "Ich musste tief graben, aber ich denke, ich habe ihn gefunden. Nate Moran, vierundzwanzig. Er hat eine saubere Strafakte und einen Master in Biologie, scheint gerade an seinem Doktortitel zu arbeiten. Hat auch schon ein paar Artikel in Fachzeitschriften veröffentlich, zwei davon zur vampirischen Physiologie... - Ich bin gleich wieder da."

Eilig schlurfte dey ins Schlafzimmer, kramte durch die Kommode. Es war mehr eine Ausrede, um Izaiahs besorgtem Blick zu entkommen, als alles andere. Scheinbar nutzlos, denn plötzlich schloss Izaiah leise die Tür hinter sich.

"Okay," seufzte er. "Was ist los?"

"Nichts," log dey schnell. Viel zu schnell. "Ich hatte hier nur ein paar Energys gebunkert, aber jetzt sind sie weg. Warst du das?"

"Ich trink dieses Zeug nicht, das weißt du," antwortete Izaiah und verschränkte die Arme, wartete einfach ab und ließ Junis in der unangenehmen Stille zappeln. "...Du bist in den letzten Tagen wirklich neben der Spur."

"Heftiger Fall, oder nicht? Also ich finde, wir könnten alle noch wesentlich mehr neben der Spur sein, nach einem buchstäblichen Todesfall im Team." Das war noch nichtmal eine Lüge. Vielleicht würde er demm ja jetzt in Ruhe lassen?

"Ja," stimmte er zu, und kurz sah es so aus, als würde er sich damit tatsächlich zufrieden geben. Der Schein trog. "Aber da ist noch was."

Still schüttelte dey den Kopf.

"Bitte lüg mich nicht an. Du weißt, dass du mit mir reden kannst."

"...Nicht darüber, okay?"

Sein Gesicht wurde plötzlich noch viel ernster. Gott, er konnte wirklich einschüchternd aussehen. "Du frisst schon wieder alles in dich rein. Du weißt, wie das das letzte Mal geendet hat, oder? Ich weiß es noch."

Junis schauderte. Tatsächlich erinnerte dey sich nur noch an Fetzen von dieser Nacht. Wie schwer es gewesen war, mit tauben Fingern Izaiahs Nummer zu wählen, wie weit weg seine Stimme geklungen, sein bleiches Gesicht ausgesehen hatte, obwohl dey gewusst hatte, dass er direkt vor demm war, demm angeschrien hatte. Und an die elendige wochenlange Lungenentzündung danach, weil dey zu lang bewusstlos auf den kalten Badezimmerfliesen gelegen und nicht richtig geatmet hatte.

Wenigstens keine gebrochenen Rippen wie nach der ersten Überdosis. Obwohl dey sich schon nach dieser eigentlich nie wieder gesagt hatte.

Es war ja nicht so, als hätte dey dieses Muster nicht schon oft genug mit angesehen. Das Abhängigkeits-Gen wurde in der Familie Conley weitergegeben wie die braunen Locken oder die abgrundtief schlechten Augen.

Grandma Conley hatte sich in den Tod getrunken, Grandpa Conley hatte nach einem bitteren Krieg der Substanzen, welche ihn zuerst umbringen durfte, der Lungenkrebs nach Jahren des Kettenrauchens dahingerafft. Junis' Vater hatte immer im Haus Meth aufgekocht, und dey und deren älterer Bruder Jake waren in der Schule in Grund und Boden gemobbt worden, da der Gestank sich nie mehr wirklich aus der Kleidung waschen ließ. An seinem fünfzehnten Geburtstag hatte Jake selbst das erste Mal probiert, und direkt verunreinigten Stoff erwischt. Junis hatte ihn nicht einmal mehr im Krankenhaus besuchen können, bevor sie eine Woche später die Maschinen abstellten.

Und Junis? Junis schloss als Jahrgangsbester die Highsfchool ab, zog weit weg von zu Hause, sammelte am College Auszeichnungen und Anerkennungen wie manche Kommilitonen Knutschflecken und Flaschendeckel und wurde vom FBI schließlich mit Kusshand als Datenanalyst angeheuert. Dey hatte doch wirklich geglaubt, es geschafft zu haben. Den Kreislauf durchbrochen zu haben.

"Ich hab da einen Freund," sagte dey schließlich zögerlich.

"Gut. Frag für den Freund."

"Nein, ihn gibts wirklich. Aus... alten Zeiten. Ich kenne ihn ziemlich gut, dachte ich zumindest, aber- Vielleicht habe ich jetzt herausgefunden, dass er jemanden ermordet hat."

Izaiah sprangen fast die Augen aus dem Kopf. "Nicht dein Ernst."

"Mein kompletter Ernst. Scheiße, er war zehn, und er hat einen erwachsenen Va- Mann erschossen. Sechs Kugeln, direkt nacheinander. Oder er soll es getan haben, er hat es gestanden. -Das ist es, was mich beschäftigt. Jetzt weißt du's."

"Zehn. Hölle, June...", murmelte Izaiah schockiert vor sich hin. Wenigstens schien er sich mit dieser Antwort endlich zufrieden zu geben.

Junis konnte Moth jetzt zwar nicht mehr in die Augen sehen, doch irgendwie hatte es wirklich geholfen, es vor jemandem auszusprechen. Es hatte die Blockade in deren Gehirn gelöst, nach der es sich partout geweigert hatte, auch nur ein weiteres Wort dieser absurden Akte aufzunehmen.

"Park hier," wies Cam Izaiah an, und der SUV kam in einer Seitenstraße, etwas abseits des Treffpunkts auf der Karte, zum Stehen. Ruhig befestigte sie den manipulierten Knopf an ihrem Hemd und warf einen Blick auf ihre Uhr. "Wir liegen gut in der Zeit. Sie dürfen auf keinen Fall Verdacht schöpfen, dass ich nicht allein gekommen bin. So lang ich nicht das Codewort sage, bleibt ihr genau, wo ihr seid, verstanden? Das Wort ist Rotwein. Rotwein."

Junis wusste nicht, wer das Wort festgelegt hatte, aber irgendwie erschien demm das wie eine... interessante Wahl für ausgerechnet Camille. Dem Seitenblick nach, dem Moth demm zuwarf, war dey mit diesem Gedanken wenigstens nicht allein.

"Verstanden, Boss." Izaiah salutierte grinsend, und Junis tat es ihm mit einem eigenen Schmunzeln gleich.

"Jaja...", murmelte Cam und rollte mit den Augen.

Am Horizont, glühend rot zwischen türmenden grauen Gebäudeblocks, ging die Sonne unter und die letzten Neonreklamen sprangen flackernd und surrend an. Die Partyszene war schon längst wieder aus ihrem verkaterten Schlaf erwacht, kleine Grüppchen taumelten lachend und gröhlend durch die Straßen, auf der Suche nach der nächsten Bar, der nächsten Spielhalle, in der sie ihr Geld loswerden konnten.

Cam exte den letzten Schluck ihres Kaffees - Billige Automatenbrühe, denn die Maschine hatte heute Morgen schließlich vollends ihren Dienst eingestellt - und legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen. "...Okay," seufzte sie schließlich, als wollte sie sich selbst motivieren. "Okay."

Junis klappte den Laptop auf deren Schoß auf, den dey dort irgendwie neben Hades' Kopf balancieren musste, und stellte zufrieden fest, dass der Knopf weiterhin fantastisch funktionierte.

"Rotwein," wiederholte Cam noch einmal mit erhobenem Zeigefinger. Preston reichte ihr ihren Revolver, den sie in das Holster unter ihrer Jacke schob, und sie öffnete den Pferdeschwanz, damit ihre Haare den Hörer in ihrem Ohr versteckten.

"Pass auf dich auf," befahl Vivien, die sich gerade den Schlaf aus den Augen rieb, heiser.

Camille lächelte matt und duckte sich aus dem SUV in die lauwarme Abendluft.

Obwohl es Junis in den Fingerspitzen juckte, mit einem frischen, ungehinderten Geist weiter in Moths Akte zu lesen, das musste nun wohl oder übel warten, während sich das Team um den Laptop versammelte und Cam zusah, wie sie die Straße herablief. Die Adresse auf der Karte führte sie bis vor ein schmales Hochhaus mit einer bröckelnden, fleckigen Fassade, vor dem ein Schild für freie Appartments warb.

"Sieht aus, als lässt der Gentleman dich erstmal warten," kommentierte Vivien und verzog das Gesicht, als sie versuchte, mit den verspannten Schultern zu rollen. Izaiah musste nur die Hände heben und sie warf sich mit einem erleichterten Seufzen seiner Massage entgegen.

"Sieht ganz so-Hey!" Camille drehte sich zu zwei Männern um, die plötzlich hinter ihr standen. Einer hielt sie fest, der andere zog etwas wie ein Tuch aus seiner Tasche, hob die Hände zu ihrem Kopf. Junis sah zu Vivien, doch so lang diese es entspannt beobachtete, war dey auch nicht alarmiert. Hätte Cam es für nötig gehalten, dann hätte sie sich sicher im Bruchteil einer Sekunde freigekämpft, ohne in Schweiß auszubrechen.

"Eine Vorsichtsmaßnahme, das verstehst du sicher," erklärte einer der Männer, und die beiden führten Camille zwischen sich mit zum Eingang des Hauses. Sie hatten ihr die Augen verbunden.

Junis grinste in sich hinein. Wirklich netter Versuch.

"Kann nicht sagen, dass ich das verstehe, nein," erwiderte Cam bissig, während die drei sich in einen ruckligen, düsteren Fahrstuhl quetschten.

"Dreh dich mehr zu den Knöpfen, ich kann nicht erkennen, in welchen Stock ihr fahrt," wies Vivien mit konzentriert verengten Augen an.

Von Camille kam keine Reaktion.

"...Nach links," ergänzte Junis grinsend. Dey konnte sich Cams unbeeindruckten Blick genau vorstellen.

Das Sichtfeld war nur Centimeter zu niedrig. Etwa so, stellte Junis sich vor, sah Sahra Delgado im Vergleich zu ihrem Bruder die Welt. So konnte dey allerdings die Anzeige für das Stockwerk nicht erkennen, und vor der Knopfzeile stand einer der Männer. Er hatte kinnlange blonde Haare und einen scharfen, kantigen Kiefer, weiter reichte der Bildausschnitt nicht.

Vivien nickte trotzdem vollends überzeugt. "Das ist Nate Moran neben dir. Oder Hearts. Wie auch immer. ...Und ihr seid im neunten Stock," las sie von einem Schild auf dem Flur ab, das nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar war, als die beiden Cam mit sich aus dem Aufzug zogen.

Die wenigen noch intakten Lampen im Korridor flackerten, als hätten ihre Birnen auch bald das Ende ihrer Lebensspanne erreicht. Junis war eh nicht sonderlich scharf darauf, einen genaueren Blick auf die seltsamen Flecken an der Tapete zu werfen.

Hearts tippte den Eingangscode so schnell in das Keypad neben der Tür, dass dieses mit dem Piepsen gar nicht hinterherkam. Als Junis hoffnungsvoll zu ihr sah, schüttelte Vivien nur den Kopf. Das hatte nicht einmal sie erkannt.

"Okay, du kannst sie ihr abnehmen," sagte er zu einem Komplizen, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, und dieser löste die Binde von Cams Augen und ging dann endlich aus dem Bild.

"Was zur Hölle ist das hier?", sprach sie Junis' Gedanken aus.

Kurz hatte dey gedacht, sie stand im Büro. Unzählige Zeitungsartikel, Flugblätter, ausgedruckte Texte, die man vor lauter roten Notizen sicher gar nicht mehr lesen konnte, und Tatortbilder waren hier nur auf großen Korktafeln befestigt, statt die Wände zu tapezieren.

Als Camille näher an eine der Tafeln trat, erkannte Junis, dass dort nicht nur die Bilder derselben Vampire wie im Büro hingen, sondern auch von solchen, die sich öffentlich in der Politik engagierten, Vampirvereine leiteten oder im Rampenlicht standen. In den letzten Jahren hatten immer mehr von ihnen Branchen wie den Laufsteg, die große Leinwand, oder auch den Leistungssport entdeckt, um ihre übermenschliche Schönheit oder Stärke zur Schau stellen zu können. Mindestens genau so viele empörte Stimmen hatten sich dagegen erhoben.

"Es gibt so viele, die denken wie du und ich," sagte Hearts, der etwas zu nahe bei Cam stand. "Die nicht mehr tatenlos zusehen wollen, wie sich Vampire in unsere Gesellschaft einschleichen und mit ihren Verbrechen einfach davonkommen, weil unsere Politiker ihnen Zugeständnis über Zugeständnis machen. Wir haben uns zusammengefunden, um etwas dagegen zu unternehmen. Um zu zeigen, dass wir uns das nicht gefallen lassen. Wir sind die Silberfaust, und von hier aus planen wir jeden unserer Züge."

Die einzigen weiteren Möbel im Raum waren zwei Schränke auf beiden Seiten der Tür, von denen der dunkle Lack absplitterte, die vor Akten und Ordnern beinahe zu bersten schienen, und vier kleine Schreibtische. Sie waren in der Mitte des Zimmers zusammengerückt, und um die PCs auf den Tischen saß eine kleine, hitzig diskutierende Gruppe versammelt.

"Wir haben Besuch," sagte Hearts in den Raum.

Manche von ihnen hoben kurz den Kopf, ein paar würdigten Cam sogar eines kurzen anerkennenden Nickens oder gemurmelten Grußes, aber danach galt ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Bildschirmen.

"...Sind das hier alle von euch?"

"Natürlich nicht!" Er lachte ungläubig. "Es ist immer nur ein Bruchteil von uns hier. Wir sind überall, und Freunde unserer Sache erst recht. Sagt dir Senatorin Johnson etwas? Oder Philip Seaman bei der Polizei?"

"Chief Deputy Philip Seaman?", fragten Vivien und Cam gleichzeitig schockiert.

Hearts lächelte selbstgefällig. "Genau der. Wir können immer Cops gebrauchen, die an den richtigen Stellen ein Auge zudrücken oder Beweise verlieren. Ich will mich selbst ja nicht zu sehr loben, aber du bist ein wirklicher Glücksfund für uns."

"Ich werde sehen, was ich tun kann," murmelte Cam und sah sich weiter um. Dass sie vor fast dreizehn Jahren ihre Karriere als Lieutenant an den Nagel gehängt hatte, musste hier schließlich niemand wissen.

"Wenn ich dir doch sage, da muss ein verdammtes Komma hin, du Vollidiot," kam es von der Gruppe am Schreibtisch.

"Ist doch scheißegal. Wenn wir noch länger diskutieren, gibt's eine neue Attacke und für die hier interessiert sich schon niemand mehr."

"Und wie vertrauenswürdig sind wir als Quelle, wenn wir nichtmal elementare Grammatik beherrschen?!"

"Oh, ich zeig dir gleich was Elementares, du-"

"Was macht ihr hier?", fragte Cam und sah einem von ihnen über die Schulter. Auf dem Monitor war ein Textdokument geöffnet, in dem wild Passagen markiert und durchgestrichen waren.

Die Auflösung war gerade gut genug, dass Junis die Überschrift erkennen konnte.

VAMPIR ZERFLEISCHT VIER MITARBEITER EINES SUPERMARKTS - WANN HÖRT DIESER WAHNSINN AUF?!

Hearts beugte sich neben Cam über den Schreibtisch, überflog mit verengten Augen den Text. "Da hätten Kinder anwesend sein können."

"Das war gegen zehn gestern Nacht, da waren keine Kinder."

"Aber es hätten welche da sein können. Schreibt das mit dazu, das kam im letzten Artikel schon gut an. Und Jen, da gehört ein Komma hin."

"Ihr schreibt Artikel?", hakte Cam nach.

"Und wir verteilen Flugblätter, hängen Plakate auf, teilen Informationen auf Social Media... Wir finden, die Menschen haben es verdient, zu erfahren, was der Staat totschweigen will. Sie sollten wissen, wie wenig getan wird, um sie zu beschützen."

"Ich habe noch nie einen Artikel oder ein Plakat der Silberfaust gesehen."

"Natürlich," erwiderte er mit einem herablassenden Lächeln. "Wir haben Kontakte in jeder Menge weiteren Widerstandsgruppen, statt unseren Namen öffentlich damit zu verbinden."

"Hier, den zu Leslie Brown haben wir schon fertig überarbeitet, und den Krebs nochmal extra betont," sagte einer der Schreiber und reichte Hearts einen ausgedruckten Text. "Denkst du, der geht so in Ordnung?"

Dieser zuckte nur mit den Schultern. "Sieht gut aus, aber ihr wisst, wie das läuft. Spades' Entscheidung, nicht meine. Wenn sie sagt, der ist okay, kann er raus."

"Von der kommt seit Tagen keine Antwort."

"Sie ist im Stress. Diamonds kann ich auch seit ein paar Tagen nicht erreichen, aber sie melden sich, sobald sie können."

Preston verdrehte die Augen. "Oh, bitte. Diese Namen sind doch erbärmlich."

"Kreativ," erwiderte Junis grinsend. "Cam, sie scheinen digital mit ihnen zu kommunizieren. Wenn du irgendwie an einen Laptop kommst, könnte ich bestimmt mehr dazu herausfinden, wer sie sind."

"Okay," sagte Cam und betrachtete eine Pinnwand voller Plakatentwürfe. Der Congress hat schon genug Blutsauger!, lautete eine Überschrift, oder Wir wollen nachts sicher nach Hause gehen! "...Ihr benennt euch nach Spielkarten. Du bist Hearts, nicht wahr? Was ist mit Clubs?"

Hearts hob scheinbar beeindruckt eine Augenbraue. "Ich sehe, du hast deine Hausaufgaben gemacht. Da ist sie."

Cam drehte sich um, als er hinter sie deutete, und auf dem Videofeed sahen sie eine junge Frau aus dem Flur kommen, der sich an das große Hauptzimmer anschloss, und in die winzige offene Küche auf der anderen Seite trotten. Ein dunkles Kopftuch umrahmte ihr Gesicht, und-

"Trägt sie da einen Laborkittel?", fragte Moth.

"Einen ziemlich dreckigen," stimmte Vivien zu, und das war maßlos untertrieben. Mit den großen schwarzen Flecken, die das weiß beinahe überboten, sah sie eher so aus, als käme sie gerade aus einen wilden Gefecht mit einem Tintenfisch.

"...Was genau macht sie hier?", fragte Cam vorsichtig.

"Oh, manchmal schließt sie sich für Stunden ein, um zu experimentieren. Ich hab sie schon ganze Tage am Stück nicht gesehen. Das einzige, was sie da raus kriegt, ist Essen," erklärte Hearts grinsend.

Junis war sich nicht sicher, wann dey Preston das letzte Mal blinzeln gesehen hatte. Ihr finsterer Blick brannte sich sicher bald durch den Laptop-Bildschirm hindurch. "Er weiß genau, was Sie wirklich gefragt haben, Ruiz," sagte sie.

Cam schien das auch zu denken, denn sie fragte noch einmal genauer nach. "Du wirbst neue Leute für eure Sache an. Wofür ist sie zuständig?"

Für einen Moment musterte er sie nur. Hatte sie schließlich doch zu viele Fragen gestellt? "...Hast du gemeint, was du in der Gruppe gesagt hast?"

"Ja," erwiderte Cam sofort. "Und Flugblätter und Plakate werden uns niemals weiter bringen. Ich bin hier, weil ich die Hoffnung hatte, ihr würdet wirklich etwas gegen sie unternehmen, diese Welt wieder zu einem sichereren Ort machen."

Ein schmales Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. "Sagen wir, Flugblätter und Plakate sind nur der Anfang von dem, was wir gegen Vampire tun. Wenn du dich erstmal bewiesen und Diamonds von dir überzeugt hast, wird er uns sicher erlauben, dich ganz einzuweihen. Du könntest uns überaus nützlich sein. ... Angefangen mit diesem Revolver. Sind das echte Silberkugeln? Diamonds sagt, die sind so verdammt teuer und schwer zu kriegen, dass er nichtmal uns vier damit ausstatten kann, aber vielleicht hast du ja-"

"Hey, Hearts, schau mal über den hier drüber!", unterbrach ihn einer der Schreiber und hielt einen Artikel hoch.

Hearts verdrehte die Augen. "Das ist immer noch Spades' Sache...", beschwerte er sich, ging aber trotzdem zu ihm, um ihm über die Schulter zu sehen.

Kurz sah Cam ihm noch nach, doch als es schien, als würde das einen Moment dauern, ging sie auf den Flur zu.

"Das klang, als hätten sie eine Art Labor dort. Ich kann mir schon vorstellen, an was Clubs forscht," sagte Junis und musterte die drei unscheinbaren, fast schon identischen Türen, die sich an allen Seiten dem spärlich beleuchteten Korridor anschlossen. Insgeheim war dey nur froh, dass Cam und nicht dey dort stand, denn das ganze sah aus wie die Kulisse eines verdammt guten Psychothrillers-

Cam schnellte herum, als sich plötzlich eine Hand um ihren Arm schloss.

"Hey! Wo willst du denn hin?!" Hearts stand hinter ihr und starrte sie an.

"Tut mir leid," murmelte Cam. So kleinlaut hatte Junis sie noch nie gehört. "Ich... Ich hab das Bad gesucht. Ich brauche- Ich kann das einfach nicht, es ist alles zu viel. Ich brauche einen Moment. Es erinnert mich alles an meinen Sohn, und es ist zu viel-"

Vielleicht bildete dey es sich nur ein, doch Hearts' Blick schien schlagartig zu erweichen. "Ich weiß," sagte er leise. "So ging es mir auch, nach Melissas Tod. Hier, das Bad ist hier." Er öffnete die linke Tür, und Cam stolperte in das kleine Bad, schloss hinter sich ab.

Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Runde.

"Die Tür in der Mitte," sagte Joanne.

"Er hat sich die ganze Zeit zwischen sie und dich gestellt, und sich alle Mühe gegeben, nicht zu ihr zu sehen," stimmte Vivien zu.

"Aber erst muss ich ihn loswerden," flüsterte Cam, bevor sie laut und etwas zu überzeugend so tat, als würde sie sich übergeben. Da sollte noch einmal jemand behaupten, ihre Trinkgewohnheiten brachten ihr keine nützlichen Fähigkeiten im Job.

"Kann ich- Kann ich dir etwas bringen?", fragte Hearts durch die Tür.

"Einen Drink," erwiderte Cam. "Einen starken. ...Bitte gib mir einfach ein paar Minuten." Sie wartete noch einige Momente, würgte noch ein wenig, bis sie sich in Sicherheit zu glauben schien, dann öffnete sie leise das Türschloss und schlich sich in den leeren Korridor. "Und ihr seid sicher? Die Tür ist abgeschlossen."

"Wann hab ich je falsch gelegen?", fragte Vivien.

"Boulder City, 2010. Die Hexe war doch noch im Haus," antwortete Cam leise und doch mit einem hörbaren Grinsen, während sie einen kleinen Dietrich aus einer Gürteltasche zog und geübt im Schloss bewegte. "Henderson, 2013. Du hast dir die Kennzeichen gemerkt, aber verwechselt, zu wem sie gehörten."

"Ts," machte Vivien und verschränkte die Arme. "Zwei größere Fehler in fast dreizehn Jahren. Eine gute Quote, würde ich behaupten."

"Ich hätte ja nie das Gegenteil gesagt." Mit einem leisen Klicken öffnete sich das Schloss, und Cam trat vorsichtig in den Raum, schloss die Tür hinter sich. Der Reihe nach sprangen die flackernden Deckenlampen an, tauchten alles in ein grelles, klinisch weißes Licht.

"Was zur...", murmelte sie.

Eine lange, geflieste Arbeitsfläche streckte sich die ganze Wand entlang, ein Kühlschrank und ein Waschbecken standen an der anderen gegenüber. Zahlreiche Zylinder und Reagenzgläser, gefüllt mit verschiedensten Rottönen einer suspekten Flüssigkeit, standen zusammengeschoben auf der einen Hälfte der Fläche, doch die Schrift der kleinen Labels darauf konnte Junis auf dem Videofeed nicht erkennen. Auf der anderen Hälfte stapelte sich Papier zu hohen Türmen, die demm schon wieder an das Büro erinnerten. Ein großes Whiteboard war bis in die kleinste Ecke mit Notizen in fremdartigen Schriftzeichen gefüllt.

Cam inspizierte ein dickes Stück rohes Fleisch, das in einer Glasschale auf der Fläche stand. An manchen Stellen schien sich eine dunkle Substanz durch es hindurch gefressen zu haben. Sie unterdrückte ein Husten und drehte sich um. "Gott, seid nur froh, dass ihr das nicht riechen könnt..."

Im Kühlschrank waren Reihe um Reihe kleine dunkle Fläschchen gelagert.

"Was steht da drauf?", hakte Vivien nach.

"Daten," erwiderte Cam und öffnete die Schranktür, griff gezielt die erste und letzte Flasche, schob sogar die daneben ein wenig zurecht, um die Lücken zumindest auf den ersten Blick zu verbergen. "Die gehen fast ein halbes Jahr zurück. Das ist-"

"Oh, Cameron," seufzte eine Stimme. "Warum musstest du das tun?"

Ein verschwommenes Bild von blonden Haaren, ein dumpfer Schlag, zerschmetterndes Glas, und das Signal schnitt ab.

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