2. Kapitel
Als Dr. Clarke und ich wieder in den Vorraum des Behandlungszimmers zurückkehren, sind River und Lee in ein angeregtes Gespräch vertieft, währenddessen River mit ihren langen Haaren spielt. Als Dr. Clarke sich jedoch verhalten räuspert, springt sie auf und würdigt Lee keines weiteren Blickes. Sie bedeutet mir mit einer Kopfbewegung zu gehen und geht voraus aus dem Zimmer, einen ihr sehnsüchtig nachblickenden Lee zurücklassend.
»Schon süß«, meine ich, als ich sie auf dem Gang wieder eingeholt habe. Sie scheint es sehr eilig zu haben, sich von dem Arzthelfer zu entfernen.
»Was?«, fragt sie unschuldig. »Wer? Dr. Clarke?«
»Lee sieht ziemlich gut aus«, stelle ich fest. Es ist die Wahrheit – Lee ist vielleicht etwas schlaksig, aber attraktiv mit den stahlblauen Augen und dem blonden Haar, das ihm in sein markantes Gesicht fällt.
»Lee?«, hakt sie erschrocken nach, die Stimme eine Oktave höher. Sie mustert mich irritiert – Moment, macht sie sich Sorgen, ich könnte ihn ihr ausspannen? Ist ja nicht so, als wäre mein Herz derzeit nicht anderweitig beschäftigt. Lee ist definitiv nicht mein Typ, stattdessen träume ich von dunklen Haaren, silbernen Augen und unwiderstehlichen Grübchen.
Ach, Atair. Wenn mein Assassine wüsste, was er mit mir gemacht hat ...
River scheint zu dem Schluss zu kommen, meine Aussage zu ignorieren, und führt mich stattdessen zurück ins Foyer, um die Treppe auf der anderen Seite zu nehmen. Als wir im sechsten Stock ankommen, verfluche ich meine Kurzsichtigkeit, vor dem Aufstand nicht mehr Sport getrieben zu haben. Sogar River ist außer Atem, obwohl sie der Figur nach regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen sein muss.
»Da entlang«, keucht sie und geht mit mir an mehreren Soldaten vorbei in den nächsten nichtssagenden Flur, diesmal deutlich langsamer als zuvor.
»Das sind die Büros der Ratsmitglieder«, erklärt sie, als wir uns wieder etwas erholt haben, »es gibt derzeit insgesamt dreiundzwanzig. Zu jeder Zeit hat einer von ihnen Sprechstunde, falls ein Notfall auftritt und auch um Neuankömmlinge zu begrüßen.«
Wir bleiben an einer Tür stehen, über der »Waters« geschrieben steht. Ein Zettel mit der Aufschrift »Sprechstunde« wurde mit Klebeband auf sie geheftet. River klopft vorsichtig und öffnet, nachdem von drinnen ein »Herein« ertönt.
»Ich warte draußen«, verkündet sie mir und winkt mich dann hinein. Schon wieder lässt sie mich allein – welche unangenehmen Fragen erwarten mich diesmal? Doch ich straffe die Schultern und betrete das Büro, das tatsächlich so aussieht, als hätte es mit seinem ausladenden Schreibtisch und den zahlreichen Bücherregalen vor der Rebellion demselben Zweck gedient.
Als ich jedoch die Person hinter dem Schreibtisch sehe, reiße ich ungläubig die Augen auf. Den dunkelhäutigen Mann, dessen erstaunter Gesichtsausdruck meinen widerspiegelt, hätte ich unter Hunderten wiedererkannt. Schließlich hat er versucht mein Leben zu retten.
»Cade?«, frage ich mit vor Überraschung hoher Stimme und frage mich, ob ich vielleicht noch träume.
»Du ... Ich weiß nicht einmal deinen Namen«, erwidert er fassungslos, »aber ich bin froh, dass du es geschafft hast!«
Er grinst breit und bedeutet mir mich ihm gegenüberzusetzen.
»Ich dachte, du wärst tot«, meine ich und kann immer noch kaum glauben, dass er hier ist, »schließlich hast du dich von einem Balkon im hundertdritten Stock gestürzt.«
Cade erhebt sich, um hinter sich aus einem Schrank zwei Tassen zu nehmen und uns darin Kaffee einzuschenken. Der geliebte Geruch verstärkt nur noch den Eindruck, dass ich träume.
»Es tut mir leid, dass ich dich zurückgelassen habe«, entschuldigt er sich ernst, als er mir die Tasse in die Hand drückt, »ich sah keine andere Möglichkeit. Ich wusste, dass sich unter dem Balkon eine Plattform befindet, auf die ich mich gerade so retten konnte.«
Wow. Selbst wenn ich von so etwas gewusst hätte, nie hätte ich mich getraut einen derartigen Fluchtweg anzutreten.
Cade schaut mich noch immer zerknirscht an und erst jetzt fällt mir auf, dass er echte Schuldgefühle zu haben scheint. Dabei bin ich ihm nicht im Geringsten böse – es schien, als wären wir dank Atair beide dem Tod geweiht, ich kann es ihm nicht verdenken, dass er sich selbst gerettet hat.
»Schon in Ordnung«, nehme ich aber seine Entschuldigung an, damit er sich besser fühlt, »ich habe es überstanden.«
»Das erfüllt mich mit großer Erleichterung«, gesteht Cade.
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