Trauma
Bucky POV
Steve war so gut gelaunt wie schon lange nicht mehr, was ich auch als sehr angenehm empfand, denn seine düstere Stimmung hatte alle runtergezogen, auch wenn ich es vor ihm niemals zugegeben hätte. Aber da war er der einzige, der gut gelaunt war, denn Becca sprach 5 Monate nach der Beerdigung immer noch nicht, kam nicht aus ihrem Zimmer und aß nicht, ich musste sie immer überreden und selbst dann aß sie selten was.
Natasha und Wanda waren heute zu Besuch, mit ihnen konnte er von alten Zeiten sprechen und von all ihren Erinnerungen, die wir an die anderen hatten, vor allem an Sina, Clint und Pietro. Steve und ich waren die zwei einzigen Überlebenden Personen, die von Sinas Affäre wussten, wir waren damals zu ihr gefahren, als es in den Übergang ging, sie sich für Clint entschieden hatte, aber Pietro ebenfalls zu sehr liebte, um ihn loslassen zu können. Er hatte ihr so gut getan, aber auch Clint war gut für sie, nachdem er sich gebessert hatte und für sie wäre es immer Clint gewesen, auch wenn Steve sie damals von Pietros totem Körper wegtragen musste, ihre Schreie ertragen hatte, die so voller Verzweiflung waren als ihr klar wurde, dass der Russe niemals wieder an ihrer Seite stehen würde.
Ich hatte Becca heute den ganzen Tag noch nicht gesehen und es war bereits 16 Uhr, was aber nichts neues war. Und da ich Steve nicht wieder runter ziehen wollte, legte ich das Handtuch beiseite, mit dem ich eben das letzte Geschirr abgetrocknet hatte und lief die Treppen hinauf. Es war still wie immer, denn auch Musik hatte sie aus ihrem Leben verbannt und seufzend klopfte ich an, aber ich bekam keine Antwort, was ebenfalls eine typische Reaktion war, auch, wenn sie wusste, dass ich es war.
"Becca, ich bin's." sprach ich und trat ein. Ich kündigte mich trotz allem immer an, auch wenn sie mich an meinem Klopfmuster erkannte, sie war zwar erst 6, aber sie war ein Mensch genauso wie ich und ich wollte, dass sie sich genau als solcher fühlte und nicht herabgesetzt, weil sie jünger war als ich.
Das kleine Mädchen lag auf ihrem Bett wie immer und starrte auf ihren Nachttisch, auf welchem ein Bild von Sina und Clint stand. Sie tat mir so unendlich Leid, aber ich konnte ihren Schmerz nicht lindern, ganz gleich was ich tat oder zu versuchen wagte. Niemand konnte einem den Schmerz nehmen, der durch den Tod der eigenen Eltern verursacht wurde und so wartete ich kurz auf eine Reaktion ihrerseits, doch sie starrte weiter auf das Bild an, kein Muskel zuckte.
"Becca." sprach ich erneut, setzte mich an ihr Bett und durchfuhr mit meinen Fingern ihre sanften Strähnen. "Du solltest etwas essen. Essen und Trinken in deinem Alter zu verweigern ist nicht sonderlich vorteilhaft. Außerdem machst du Onkel Steve damit sehr wütend und wir machen uns Sorgen um dich, sehr große Sorgen sogar. Ich weiß, dass es schwer ist. Und ich weiß auch, dass du am liebsten bei ihnen wärst, aber das kann dir leider niemand erfüllen."
Leicht lächelte ich und kurz sah sie zu mir, doch in binnen von Sekunden richteten sich ihre Augen wieder auf das Bild, dass durch die gedimmte Nachttischlampe einen sanften Schatten auf das gemaserte Holz warf.
"Sie sind erst tot, wenn sie hier nicht mehr vorhanden sind." lächelte ich noch immer und deutete mit der Zeigefingerspitze auf die Stelle über ihrem Herzen. "Ich vermisse meine Eltern auch, sehr oft sogar." Ich versuchte, sie mit alten Geschichten abzulenken, wie so oft, doch vergebens sah ich sie an und hoffte auf ein Zeichen. "Sogar Steve vermisst seine Eltern. Wir vermissen sie alle."
Noch immer keine Antwort. Becca war wirklich sehr schwierig, selbst wenn ihre Phase verständlich war, konnte es so nicht weiter gehen, denn wenn ich den Zugang zu ihr verlor, wer würde dann noch zu ihr durchkommen können?
"Wenn du schon nichts essen möchtest, dann komm mit runter, Tante Natasha und Tante Wanda sind hier und sie haben dich schon lang nicht mehr gesehen. Sie vermissen dich, weißt du?" Noch immer nichts, langsam verzweifelte sogar ich, weil sie nicht mal mehr mit mir interagieren wollte und ich fühlte mich so hilflos. "Weißt du was? Ich hol uns jetzt Eis, dann legen wir uns in das große Bett und schauen uns einen Film an, während Tante Natasha und Tante Wanda unten bei Steve bleiben, was hältst du davon?"
Ich hatte es schon beinahe aufgegeben, es war wirklich mein absolut letzter Versuch gewesen, sie zu erreichen, da drehte Becca den Kopf leicht zu mir, sah mich wenige Sekunden an, als würde sie über das Angebot nachdenken und nickte dann, ohne eine Miene zu verziehen. Lächelnd seufzte ich, sie war mir alles noch nicht vollkommen entglitten, zum Glück. Ich war die einzige Hoffnung, noch etwas Erziehung in sie zu bekommen, die einzige Chance, ihr zu zeigen, dass die Welt trotz allem ein schöner Platz sein konnte, auch, wenn es gerade nicht so schien.
"Gut." sprach ich, stand auf und im selben Moment streckte sie mir ihre kleinen dünnen Arme entgegen und ich hob sie gegen meine Brust, an die sie sich kuschelte. Auch wenn sie nie nach Nähe verlangte, oder sie überhaupt wollte, merkte ich in Momenten wie solchen, dass sie sie brauchte. "Schokolade?" fragte ich sie eine letzte Sache und wieder nickte sie langsam, doch bevor wir den Raum verlassen konnten, zeigte sie auf das Bild ihrer Eltern und ich nahm es, um es ihr zu geben, sie verließ ihr Zimmer nicht ohne. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal in die Grundschule gehen ohne, aber das taten wir ihr nicht an. Sobald sie bereit dazu war, würden wir sie in die Schule schicken und solange versuchen, sie daheim zu unterrichten.
In meinem und Steves Schlafzimmer angekommen, legte ich sie in das große Himmelbett, in welchem der blonde Captain und ich normalerweise schliefen, deckte sie zu und schaltete bereits den Fernseher ein, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam und wieder in ihr Zimmer verschwand oder noch schlimmer, sich wieder an einem ihrer geheimen Plätze im Haus versteckte, die bis heute noch keiner von uns gefunden hatte.
Susi und Strolch lief gerade und sie starrte gebannt auf die sich bewegenden Bilder, also konnte ich die Fernbedienung ohne Bedenken liegen lassen, schloss die Tür hinter mir, nachdem ich sichergestellt hatte, dass unsere Nachttischlampe brannte und lief die Treppe wieder nach unten.
"Da bist du ja." grinste mir Steve entgegen, seine Laune immer noch gut und innerlich seufzte ich beruhigt. Lächelnd lief ich zu ihm, küsste seine warmen und weichen Lippen und lief dann wieder in die Küche, aus der ich vorhin noch gekommen war. "Warst du bei Becca?"
Nickend öffnete ich die Gefriertruhe und nahm die große Packung Schokoladeneis heraus, die ich aus einem Fach relativ weit unten ziehen musste.
"Ja. Ich hab sie jetzt mir in unser Schlafzimmer genommen. Wir essen jetzt Eis und schauen uns einen Film an, Susi und Strolch läuft gerade im Fernsehen und wer weiß, was danach noch läuft, vielleicht bekomme ich so ihren Kopf von ihren Eltern weg, zumindest für eine Weile. Aber zum Reden hab ich sie immer noch nicht gebracht, sie kommuniziert nur non-verbal mit mir, wenn überhaupt. Es hat lang gedauert, bis ich irgendwas aus ihr hervorgebracht hatte. Ich denke, das Trauma ist einfach noch zu groß, es ist einfach zu viel für ein 6 jähriges Kind, sie weiß sich nicht anders zu helfen als zu schweigen. Manchmal ist ruhig sein die beste Antwort auf die Lautstärke, die im eigenen Kopf herrscht. Vielleicht sollten wir über Therapie für sie nachdenken, wenn es sich nicht bessert mit ihrem Essverhalten und ihrer Gesprächslosigkeit."
"Ist aber verständlich." brachte Wanda leise hervor. "Ich würde genauso reagieren, wäre ich an ihrer Stelle in ihrem Alter. Manche werden laut, zu offensichtlichen Problemkindern, manche, so wie sie, werden leise und machen den Erwachsenen das Leben schwer auf ihre eigene Art und Weise."
"So lange sie wenigstens Eis isst und etwas im Magen hat, ist mir das Recht." nickte Steve und fasste meine Aussage auf Therapie nochmals auf. "Aber sie muss bald wieder was richtiges essen."
"Ich weiß, Stevie. Ich gebe mein Bestes, aber das dauert seine Zeit." seufzte ich, nahm zwei Schüsseln und verteilte das Eis. "Wenigstens isst sie jetzt Eis. Das ist immerhin etwas, ein Fortschritt, nachdem sie die letzten zwei Tage nur etwas von der Hühnerbrühe gegessen hat. Nicht das, was sie essen soll aber sie isst etwas, und das ist das, was zählt. Ich werde weiter mit ihr reden, auch wenn ich nicht all zu sehr auf sie einreden will, weil das sowieso nichts bringt, es ist immerhin etwas von Sina in ihr, vielleicht erreiche ich ja etwas. Wichtig ist nur, dass niemand von uns aufgibt, mit ihr zu reden. Sie soll sich auf keinen Fall wie das Problem fühlen."
"Danke." sprach Steve und drehte seine halbleere Bierflasche in der Hand. "Ich weiß das sehr zu schätzen."
"Ich weiß." lächelte ich und küsste beim Vorbeigehen seine Wange. "Und ich gebe mir Mühe, versprochen. Ich versuche, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen, sie braucht nur mehr Zeit."
Oben wieder angekommen, setzte ich mich neben Becca, gab ihr ihre Schüssel Eis und ein Hauch von einem leichten Lächeln schlich sich über ihre Lippen und ein Stein fiel von meinem Herzen, als ich das sah. Es waren kleine Fortschritte, aber ich war einfach nur froh, dass sie sie machte.
"Ich hoffe, es schmeckt. Es ist von Steves und meinem ersten Date." lachte ich und sie schob den ersten Löffel Eis in den Mund, während sie auf den Fernseher starrte, die leuchtenden Bilder spiegelten sich in ihren Augen. Doch es dauerte nicht lange, drei, vier Löffel Eis später, da starrte sie auf die dunkle gefrorene Schokolade, dann auf das Bild, welches rechts von ihr lag und die ersten Tränen rollten über ihre Wangen. Sofort stellte ich die Schüsseln weg und schloss sie in meine Arme.
Ich sagte nichts, ich machte nichts, ich hoffte auf nichts, dass sie zeigte, was sie fühlte, war ein weiterer Fortschritt, der uns weiterbrachte nach fünf Monaten Funkstille. Ich hielt sie einfach in meinen Armen, ließ sie weinen und wartete darauf, dass sie mit mir sprach und all ihren Kummer offenbarte. Doch es war vergebens. Becca sprach nicht und was noch viel schlimmer war, ihre Tränen wollten einfach nicht aufhören zu fließen.
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