Aufeinandertreffen
Mir ging alles viel zu schnell. Gerade erst hatte ich erfahren, dass Mom - die Frau, die ich so verehrte, so vermisste, die schon immer mein größtes Vorbild gewesen war - Dad betrogen hatte, aus welchem Grund war mir bis jetzt immer noch nicht ganz klar, denn keiner schaffte es, mit mir richtig zu reden. Und jetzt sollte ich meinen Halbbruder kennenlernen, der genau aus dieser Affäre entstanden war? Wie sollte ich das verkraften?
Mehr unfreiwillig und von Onkel Bucky geschoben als freiwillig setzte ich mich in den schwarzen Lexus von Steve auf die Rückbank, bei dem ich immer das Gefühl hatte, Moms Geruch riechen zu können, obwohl sie nur einige wenige Male in diesem Auto gesessen war. Und wieder zerriss es mir das Herz, ich wollte sie einfach nur in die Arme schließen. Sie und Dad, die ich nie richtig kennenlernen durfte, weil sie ihr Leben für meines gegeben hatte. Trotzig schaute ich aus dem Fenster, denn ich gönnte es Onkel Steve nicht, mich schwach zu sehen. Er würde mir nur noch mehr verbieten als er es eh schon tat. Ich wollte doch einfach nur, dass er mich als normalen Menschen sah und aufhörte, sich so zu verhalten, wie er es tat.
Die Autofahrt zog sich in Ewigkeiten hin und mein Herz klopfte mit jedem Meter, den wir näher an das Avengers-Hauptgebäude kamen, mehr. Wir lebten inzwischen außerhalb von New York, das hatte Steve entschieden, als wir Mom und Dad beerdigt hatten und das Leben weitergehen musste. Weit weg von Moms und Dads Landhaus, weit weg vom Tower. Ich wusste ja, dass er es mir irgendwie leichter machen wollte, aber ich hatte wirklich gar nichts mehr von ihnen, und das machte mir alles nur noch schwerer. Das Hauptgebäude war eines der wenigen Gebäude der ehemaligen Avengers, welches ich überhaupt betreten durfte, wahrscheinlich sogar das Einzige. Steve wollte es so und Bucky mischte sich nicht ein.
Die Fahrt in die Auffahrt war der Höhepunkt meiner Aufregung. Ich fing an zu zittern, fast schon zu weinen, ich hatte das Gefühl, dass sich ein Band um meine Lunge zog und ich keine Luft mehr bekam. Ich hielt es kaum aus, wollte umdrehen, wegrennen, mich an das Grab meiner Eltern setzen und mich dort nie wieder wegbewegen. Einen Halbbruder? Das war einfach unmöglich für mich, das war nicht die Welt, in der ich leben wollte, denn es war eine Welt, in der Mom Dad betrogen hatte, und das verkraftete ich nicht.
"Beccs, steigst du bitte aus?" hörte ich Onkel Steve's Stimme. Das Auto war leer, wir mussten wohl schon eine Weile stehen, ich war wohl in meiner Panik versunken gewesen. Er hockte inzwischen neben mir auf dem Rücksitz wo Onkel Buck vorher gesessen hatte, um mir Beistand zu leisten.
"Musst du mich immer so stressen?" fing ich an und versuchte jede Emotion in mir zu vergraben, doch es brach über mich herein, diese Wut, die ich ihm gegenüber immer zurück hielt, weil er es eh nicht verstehen würde. "Du erlaubst mir nie irgendwas, nie darf ich machen, was mein Herz so sehr will! Dann brauchst du dich auch nicht wundern, wenn ich nicht das mache, was du von mir willst, wenn ich es tun soll!"
Steve sah mich entsetzt an, entsetzt, dass ich so fühlte und entsetzt, dass ich es endlich einmal heraus ließ.
"Beccs, ich --"
"Ich verstehe ja, dass Mom zu dir gesagt hat, dass du auf mich aufpassen sollst. Ich weiß, dass sie für mich gestorben sind, ich weiß es, verdammt nochmal, das mache ich mir jeden Tag klar! Aber du bist nicht der einzige, der sie vermisst. Sie waren meine Eltern! Ich durfte sie nie kennenlernen und du verbietest mir jeden Kontakt mit den Orten, an denen sie agiert haben, ich darf nicht mal mehr in mein altes Zuhause! Sie sind für mich gestorben, damit ich leben kann, aber du lässt mich nicht leben, zu keinem Zeitpunkt tust du das!" Tränen stiegen in meine Augen, als ich das wunderschöne Landhaus erwähnte, in welchem ich mit ihnen gelebt hatte. Ich hatte nicht mehr viele Erinnerungen daran, doch die, die ich hatte, hielt ich heilig, denn sie waren das Einzige, was mir noch geblieben war. Überstürzt stieg ich aus dem Auto, flüchtete schon fast durch die großen Schwingtüren des Hauses, welche in die Garage führten, in denen ein eingestaubter Audi R8 in dem wohl hässlichsten Orangeton, den die Welt jemals gesehen hatte, stand, und zudem viele andere Autos, fast alle in schwarz. Ich stolperte daran vorbei zu einer Tür, die mich in einen viel zu hell beleuchteten Flur führten. Ich rannte noch einige Gänge weiter bis ich nicht mehr konnte, die Tränen mich überrannten und ich mich zuerst an die Wand lehnte und dann daran runter rutschte, meinen Kopf zwischen meinen Beinen vergrub und anfing zu weinen.
Es verging einige Zeit, in der ich weinte, aber leise blieb, damit mich Steve nicht finden würde, denn ich wollte sein Gesicht einfach nicht mehr sehen und in der ich mir zum 10000 mal wünschte, anstelle meiner Eltern gestorben zu sein, als ich mich beobachtet fühlte. Verunsichert schaute ich auf und sah einen blonden jungen Mann an der Wand gegenüber von mir. Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich ihn wahrnahm, doch er hatte etwas unglaublich Vertrautes. Ich kannte sein Gesicht, ich kannte die Züge, die in ihm zu sehen waren. Ich erinnerte mich an den blonden Mann aus meinen Erinnerungen, der sich um mich gekümmert hatte, als es mir einmal nicht gut gegangen ist, der oft mit uns etwas unternommen hatte, wenn ich so genau darüber nachdachte. Mit dem Mom und ich im Zoo gewesen waren, mit dem wir so viele Dinge gemacht hatten, von Spieleabenden bis zu Filmnächten. Und ich sah sie. Mom.
Ich stand auf, ungläubig. Machte einige Schritte auf ihn zu, die Tränen, die immer noch meine Wangen runter liefen waren mir völlig egal, mein Gesicht ein wenig zur Seite gebeugt und die Verwirrung war mir aufs Gesicht geschrieben, genauso wie die Überraschung, die ich fühlte. Ich sah ihre Gesichtszüge, ihre Stupsnase, die sie mir ebenfalls vererbt hatte, ich sah ihre Augenform, die Grübchen, die auch sie beim Lachen hatte, sie zeichneten sich sanft auf seinem Gesicht ab, jetzt, da er nicht lachte.
"Verdammt wer bist du?" fragte ich, doch ich wusste die Antwort schon längst. Er war mein Bruder. Und der blonde Mann aus meinen Erinnerungen war sein Vater. Der Mann, mit dem Mom Dad betrogen hatte. Und plötzlich wurde mir auch bewusst, warum wir so viel mit ihm unternommen hatten, und auch, warum wir von New York verschwunden waren damals, ich konnte mich verschwommen an Moms dicken Bauch erinnern und ihren Freund, den netten älteren Mann.
"Ich bin Finn. Finn Barton. Und du bist Rebecca Barton. Meine Schwester, Halbschwester, um genau zu sein."
Es war keine Spur der Verunsicherung zu sehen, keine Spur der Angst, nichts, obwohl er deutlich jünger war als ich. Ich vermutete 3-4 Jahre, vielleicht sogar 5.
"Woher weißt du, wer ich bin? Was taucht du überhaupt hier auf?"
Ich wusste nicht, was ich in mir fühlte, was dieser Anblick in mir auslöste. Es war für mich einfach so unglaublich surreal, dass Mom Dad betrogen hatte, es blieb einfach so surreal, auch, wenn mir jetzt klar wurde, wer die Affäre gewesen und dass sie echt war. Die beiden waren doch glücklich gewesen und am Ende zusammen für mich gestorben, was anderes konnte es nicht sein, es war unmöglich.
"Wir wollen beide dasselbe. Wir wollen Vergeltung für unsere Eltern."
Ich schüttelte den Kopf, ein Schauder lief über meinen Rücken und ich dachte an die unzähligen Male zurück, die ich mir schon vorgestellt hatte, wie ich Thanos in die Hölle schickte - doch nichts davon würde je real werden, ich war ein kleiner mickriger Mensch, gegen einen selbsternannten Gott, der 5 der 6 Infinity Steine besessen hatte und diese wohl mit einer Einfachheit zurück kriegen würde, wenn er das wollte. Der einzige, der ihm noch fehlte, war der Zeitstein, den Strange immer noch hatte, welcher in einer anderen Dimension ohne Thanos eine Lösung für das Problem suchte, die Zwischendimension. Er war schon vor mehr als einem Jahr verschwunden und ich vermisste ihn unglaublich. Nicht nur, weil er einer der wenigen war, die mich normal behandelten und nicht als das 6 jährige Kind, das gerade erst Vollwaise geworden ist, sondern auch weil ich mich mit ihm so unglaublich gut unterhalten konnte und wir schon einige Momente hatten, in denen wir aus dem Lachen nicht mehr rausgekommen sind. Er war so ungefähr wie mein bester Freund und es kam nicht selten vor, dass ich durch das, was er mir schon beigebracht hatte, versuchte, die Dimension zu wechseln, um ihn zu finden, wenn ich seinen Beistand brauchte, doch ich konnte nicht mal ein stabiles Portal öffnen und wenn ich ihn rief, hörte er das wohl nicht in der Dimension, in der er sich aufhielt - oder er wollte es nicht hören.
"Ich will meine Eltern einfach nur zurück, aber Thanos zu besiegen ist unrealistisch." brummte ich und drehte mich um, um in die andere Richtung zu laufen, doch er stand im Bruchteil einer Sekunde wieder vor mir, diesmal die Miene weich, er versuchte nicht mehr cool zu wirken.
"Sina war auch meine Mutter und ich habe sie nie kennengelernt. Ich möchte sie so sehr kennenlernen, sie und meinen Vater. Rebecca, was wäre, wenn wir es schaffen, die Vergangenheit zu ändern?"
Ich schüttelte den Kopf, fast schon verzweifelt. Es gab diese Möglichkeit nicht, das ist viel zu einfach gedacht und viel zu unmöglich.
"Das ist unmöglich. Niemand kann die Zeit ändern." antwortete ich plausibel und ruhig, als würde ich seinen jungen Kopf zur Vernunft bringen wollen. "Wie soll das denn auch funktionieren, wir haben nicht mal die Möglichkeit in der Zeit zu reisen."
Wäre jetzt Tony noch am Leben, er wüsste, was zu tun wäre. Ich kannte den Wissenschaftler nur aus den wenigen Aufzeichnungen, die ich mir heimlich auf Steve's Tablet angeschaut hatte, wenn er und Bucky schon längst schliefen aber mich die Gedanken an meine Eltern eine weitere Nacht wach hielten.
Vertraue auf deine Instinkte, Becca. Lasse dich von ihnen leiten und halte dich an sie. Sie sind oft das einzige, was du wirklich trauen kannst.
Zum ersten Mal seit über einem Jahr hörte ich seine Stimme wieder. Sie war in meinem Kopf. Ich war mir nicht einmal sicher ob er es mir schon mal gesagt hatte oder ob er überdimensional mit mir kommunizierte. Und da wurde mir eines klar: ich musste ihn finden, denn er konnte mir weiterhelfen. Denn nur Stephen Strange hatte den Zeitstein und kannte sich mit Zeitreisen aus.
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