Albträume
Steve POV
"Sina, nicht!"
Ich starrte an die Wand und schluckte. Da wo gerade noch Sina gestanden war, war jetzt nur noch ein großer roter Fleck. Ein Schuss, eine Kugel, ein Satz.
"Pass auf meine Tochter auf..."
"Sina.." hauchte ich leise und sah mich um. Das Blut floss langsam und in kleinen Strängen die Wand herab, zwischen Wand und Fußleiste und verschwand im tiefen Schwarz, welches den Boden darstellen sollte. Als ich wieder die Wand hinauf starrte, war da kein Blutfleck mehr. Es war auch kein Blut mehr zu sehen. In binnen von Sekunden tauchten Worte wie; Schuldig und Versager in Pech geschrieben auf und fraßen sich in mein Gedächtnis, ich hatte versagt, jeden enttäuscht, der mir wichtig war.
Nassgeschwitzt und mit aufgerissenen Augen setzte ich mich auf. Schon wieder ein Traum. Schon wieder DER Traum, der mich seit Tagen, seit Wochen schon verfolgte. Er würde auch nicht aufhören immer wieder zu kehren, so lange ich leben würde. Er würde mich niemals in Ruhe lassen und es zerriss mich.
"Babe?"
Bucky's verschlafene Stimme ließ mich herumfahren. Das war die dritte Nacht in Folge, in der ich ihn mit meinen Träumen weckte, es musste aufhören, ich musste es irgendwie in den Griff bekommen, ich konnte ihn nicht ständig wecken.
Anfangs war da nur Sina, die an der Wand stand und mir sagte, dass ich auf Becca aufpassen sollte. Dann kam irgendwann die Kugel und die Waffe dazu, irgendwann der laute Schuss, der Knall und das Blut. Dann folgten die Worte aus Pech, die mich jedes Mal wieder daran erinnerten, dass ich sie enttäuscht hatte, dass ich jeden enttäuscht hatte. Ich hatte sie nicht beschützen können und nun war Beccs verwaist.
Was würde wohl als nächstes kommen? Clint, wie er mir genau das vorwarf? Beccs, wie sie mich enttäuscht anschrie, dass ich schuld an dem Verlust ihrer Eltern war? Tony? All meine Freunde, die ich im Kampf gegen Thanos verloren hatte?
"Schlaf weiter." murmelte ich und schlug die Decke zur Seite. "Ich bin gleich wieder da."
"Hör auf, dir wegen des Traums Gedanken zu machen. Es ist nur ein Traum, das weißt du." murmelte er noch leise, ehe er sich zur Seite umdrehte und die Decke wieder über die Ohren zog, er war am Abend wirklich erschöpft gewesen, denn er hatte den ganzen Tag wieder versucht, Beccs zu irgendwas zu bewegen.
"Und die Wahrheit." setzte ich leise hinzu, was er jedoch nicht mehr hörte, stand auf und lief ins Bad. Auf dem Weg ins Badezimmer lief ich einen kleinen Umweg und am Beccs' Zimmer vorbei. Es war nicht leicht für mich, Natasha oder gar Wanda gewesen, da wollte ich mir nicht ausmalen, wie es für sie sein musste, als ich ihr sagte, dass ihre Eltern nie mehr zurück kommen würden und das nicht, weil sie sie verstoßen hatten, sondern weil sie tot waren, abgefeuert durch Sinas Hand, die eine Kugel, die sie beide getötet hatte und wir, die zuschauen mussten. Ihr ganzes, kurzes Leben lang war sie die meiste Zeit von Clint und Sina getrennt, doch der endgültige Schlussstrich war noch etwas ganz anderes und ich hatte in ihren Augen gesehen, wie ihre Welt zerbrach, auch wenn sie mit ihren jungen, inzwischen 6 Jahren versuchte, genau das zu verbergen. Sie wurde stumm. Leise, sprach nicht mehr, seit der Beerdigung, die nun über 4 Monate her war, hatte ich sie kein einziges Wort mehr sprechen hören. Sie aß kaum noch etwas oder rührte sich aus ihrem Zimmer, mich ignorierte sie ganz, schaute mich nicht mal mehr an und es zerriss mir das Herz noch mehr, als es das nicht so schon getan hatte. Bucky war der einzige, der einigermaßen Zugang zu ihr hatte und das auch nur bedingt. Sie ließ ihn an sich ran weil er sie verstand, er überforderte sie nicht und war nicht derjenige, der den schwarzen Peter zugeschoben bekommen hatte und ihr die endgültige Nachricht überbrachte, sie hörte ihm zu, aber das war's auch schon. Sie hörte ihm zu, nahm auf, was er sagte, doch antwortete ihm nicht, sie saß einfach nur dort, auf ihrem Bett und schwieg. Abgenommen hatte sie auch, ich wusste nicht mehr weiter und schickte wieder ein Stoßgebet zum Himmel, um endlich eine Lösung zu finden, doch sie kam einfach nicht.
Ihre Zimmertüre war nur angelehnt und das Licht brannte noch, wie jede Nacht, denn Schlaf fand sie keinen mehr und sie hatte so unglaubliche Angst vor der Dunkelheit. Sobald auch nur jemand in die Nähe ihres Lichtschalters kam, flippte sie total aus, nicht mit Worten aber mit Taten, sie wurde wütend, schmiss mit Dingen nach einem. Sie war inzwischen viel zu einfach aus der Ruhe zu bringen. Leise seufzte ich und überlegte, ob ich sie jetzt ausschimpfen sollte, was mir nichts und ihr noch weniger brachte, außer, dass sie mir noch mehr entglitt oder mich zu ihr setzten sollte, was sie wieder geflissentlich ignorieren würde. Trotz allem entschied ich mich für die zweite Option.
"Beccs?" fragte ich ganz leise, öffnete die Tür weiter und sah in das Zimmer hinein. Schlafend lag sie auf ihrem Bett und hatte ein Bild im Arm, Buddy schaute mich kurz an, bevor er seinen Kopf wieder auf den Oberkörper des Mädchens sinken ließ. Ich wusste sofort, welches Bild das war, sie gab es nicht mehr aus der Hand, das letzte, was ich ihr von ihren Eltern gelassen hatte. Es war auch nicht schwer zu erkennen. Nicht, das ich hätte hinsehen müssen, aber welches Bild sollte ein Kind nach der Beerdigung ihrer Eltern, schon im Arm halten?
Traurigkeit überrannte mich. Schuldgefühle zerrten an meiner Seele und Vorwürfe rissen meiner selbst in einen tiefen, dunklen Abgrund hinab. Ich hätte das alles verhindern können, ich hätte sie alle retten können. Und nun spielte ich ihrer Tochter vor, dass es sie nie gegeben hatte, ließ sie nicht mehr in ihrem Landhaus wohnen, alles, was ich ihr gelassen hatte waren Buddy und dieses Bild. Sie sollten nur eine Erinnerung bleiben, doch Becca war schon zu alt, dass sie sich nicht erinnern konnte und sie nahm es mir übel, so unglaublich übel. Aber ich verbat es ihr nicht nur, weil ich nicht wollte, dass sie nicht kennenlernte, wer ihre Eltern waren, damit es weniger weh tat, ich verbat es ihr, weil ich den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Das Landhaus schrie förmlich nach ihnen genauso wie der Tower.
Gott, sie fehlten mir so. Rhodes, selbst Tony fehlte mir. Die Avengers waren einfach nicht mehr dieselben, nicht nur, weil sie alle gestorben waren. Selbst wenn wir noch dieser Haufen Menschen mit besonderen Fähigkeiten wären, wir wären nicht mehr die von damals. Doch nur Wanda, Bucky und Natasha waren geblieben. Die Guardians, Tony, Rhodes, Vision, Wandas große Liebe und ihr Bruder und noch so viele mehr. So viele Tote, so viele Freunde, so viele unerlebte Momente die ich gerne in ein Fotoalbum kleben würde, nur damit Becca sie irgendwann sehen konnte, zur selben Zeit verbat ich es ihr.
Doch nichts der gleichen würde all das, was passiert war, wieder rückgängig machen. Sina war tot. Clint, Tony, Rocket, Bruce auch. Und alle die mich von Anfang an begleitet hatten. Was wäre aus mir geworden, hätte man mir Bucky auch noch genommen? Ich wollte es mir gar nicht ausmalen, ich war jetzt schon in einem schwarzen Loch versunken.
"Ist das deine Vorstellung von 'gleich'?"
Es war erneut Bucky der mich aus den Gedanken gerissen hatte und ich drehte mich um, schaltete dabei das Licht aus, bevor ich das kleine Nachtlicht einsteckte, damit sie nicht im dunkeln blieb und lehnte die Tür wieder an.
"Tut mir Leid, ich bin gerade in Gedanken versunken." lächelte ich leicht und legte eine Hand auf seine Hüfte, bevor ich meine Lippen auf seine Stirn legte.
"Wie immer." seufzte Bucky und trat einen Schritt zurück "Komm wieder ins Bett. Es ist mitten in der Nacht und wir müssen morgen früh raus."
"Ach stimmt. Der Bürgermeister. Fast hätte ich es vergessen." antwortete ich leise und rieb mir über die Stirn.
"Was ist los, Steve? Du hast noch nie etwas wichtiges vergessen. Ich weiß, wir haben unsere Freunde verloren, aber das ist nicht der einzige Grund, nicht wahr?" fragte er und ich kratzte mich am Hinterkopf. Dieser Mann war einfach zu intelligent. Ich konnte vor ihm einfach keine Geheimnisse haben, was auch gut so war. Ich wollte ihn auch gar nicht belügen.
"Becca entgleitet mir, sie ist mir schon längst entglitten." fing ich an zu erzählen, während wir zurück zum Schlafzimmer liefen. "Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihr umgehen soll. Es sind jetzt vier Monate vergangen, klar, es ist alles noch ziemlich frisch und das Loch noch tief, aber wie soll ich etwas oder jemanden beschützen, wenn ich nicht weiß, wo dieser jemand steht?"
"Sie liebt dich." antwortete Bucky. "Das wissen wir alle. Aber sie braucht auch ihre Zeit. Du bist ihr Onkel und sie liebt dich abgöttisch. Je länger sie hier bei uns ist, erkenne ich Sina in ihr. Ich weiß, es tut weh so etwas zu hören, aber du bist nur ihr Onkel und sie sieht in dir den schwarzen Peter für den Tod ihrer Eltern, weil du greifbar bist, Thanos ist das nicht, zumindest noch nicht. Zu mir hat sie eine ganz andere Verbindung, weil ich außenstehend bin."
"Ich weiß." seufzte ich und ließ mich auf meinen Hintern, auf das Bett fallen. "Das ist ja das, was mir so wilde Gedanken in den Kopf treibt. Was wäre, wenn ich dich auch verloren hätte?" Hilflos sah ich ihn an und er stellte sich zwischen meine Beine, so dass ich seine Hüfte umarmen konnte und meinen Kopf auf seinen unteren Bauch legen konnte. "Ich würde Becca alleine deswegen verlieren, weil niemand diese Bindung hat, die du zu ihr hast."
"Wie kommst du auf so lächerliche Gedanken, Stevie?" fragte Bucky leise lachend und strich durch mein Haar. "Ich lebe, Becca lebt, du lebst. Das ist alles, was für mich im Moment zählt."
Vorsichtig hob er mein Kinn an, sah mir in die Augen und lächelte, langsam ließ ich von ihm ab, er setzte sich auf meinen Schoß und im nächsten Moment berührten seine Lippen die meinen. Bucky war das, was mich von der schweren Zeit befreite. Derjenige, der mich aus dem schwarzen Loch zog, nur damit Sina mich in meinen Träumen zurück in das Loch schleifen konnte. Er war der, den ich liebte und im Krieg noch mehr zu lieben lernte.
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