Vorwurf, Suche und Liebe
Luke lehnte sich an eine Wand, während Mark alle Kraft zu verlassen schien. Er sank auf den Boden.
„Es tut mir so leid", flüsterte er, mehr zu sich selbst, als zu seiner Schwester, „ich dachte, wie hätten ihn hinter uns gelassen."
Lennox wollte sagen, dass es nichts gab, wofür Mark sich entschuldigen musste, doch bevor ein Ton seinen Mund verlassen konnte, sprach Ryan:
„Wir müssen weiter, sonst holen sie uns noch ein!"
Die Härte in seiner Stimme erschrak Lennox. Auch die Kälte war nicht aus Ryans Blick gewichen, stellte er fest. Mark staute seinen Freund bebend mit großen Augen an und hielt seine kleine Schwester an der Hand.
Ryan machte einen steifen Schritt zu ihnen, griff Mark dann ziemlich grob unter den Achseln und zog ihn hoch. Enya wurde mitgerissen und Ryan begann zu laufen, ließ Mark dabei jedoch nicht los. Was sollte das?
Er verstand ja, worauf Ryan trainiert wurde, allerdings musste er schnell zurück in die Realität, in der er seine Familie grade von sich abgrenzte. Lennox dachte, er hätte seinen Rausch von vorhin hinter sich, doch scheinbar hatte er sich geirrt und Ryan war immernoch im Tunnel. Also musste er handeln, denn wie er Mark nun behandelte...
Ryan wurde immer schneller und als Enya hinfiel, hob er sie hoch und trug sie ein Stück, bevor er sie wieder absetzte, aber wie ihren Bruder weiter festhielt.
„Ryan! Ryan, du tust mir weh.", wisperte sie.
Ihr Gesicht war feucht von zuvor geweinten Tränen, die in dem Moment vereinzelt wieder zu fließen begannen.
Das war genug, Ryan war nicht er selbst und würde später bereuen, wie er seine Freunde jetzt behandelte, wenn Lennox ihn nicht zur Verfügung brachte.
„Ryan, stopp!", rief er ihm zu.
Ryan blieb jedoch nicht stehen. Sie bogen um eine weitere Ecke, als Lennox Ryan von hinten packte und dann in den Bauch boxte, woraufhin er die Geschwister losließ und herumwirbelte.
„Hör! Auf! Ryan!", sagte er betont langsam, doch Ryan schlug seine Arme weg und schlug nach ihm.
Lennox war so verblüfft, dass ihn ein Schlag gegen die Schulter traf.
„Verdammt Ryan, wir sind deine Freunde!", schrie er.
Lennox wollte seinen Freund nicht verletzen. Er konnte gegen jeden Feind antreten, ohne Gefühle kämpfen, doch seinen Freunden war er immer treu und stand für sie ein. Das war der Grund, weshalb er Ryan nicht weiter angriff. Und das führte dazu, dass der nächste Schlag Lennox' Wange so hart traf, dass er zu Boden ging und Ryan auf ihn draufsprang, dabei sein Knie in seine Rippen rammte. Lennox stöhnte auf und als Ryan wieder zum Schlag ausholte, sah Lennox seinen inneren Dämon so mächtig wie nie zuvor.
„Ryan.", sagte er leise.
Die anderen hatten ihren Anführer aufhalten wollen, doch dieser hatte sie einfach weggeschubst.
Dann schien die Mauer, welche Ryans Gefühlen einsperrte, zu brechen.
Seine Augen weiteten sich und er sprang so schnell von Lennox runter, dass er rückwärts gegen eine Wand prallte. Sein Atem ging schnell und eine Träne rann ihm über die Wange.
„Ich...es tut mir leid.", stieß Ryan hervor, dann rannte er weg.
„Ryan?! Ryan!", schrie Lennox einige Zeit später durch die Straßen.
Mark und Enja hatten sie ins Lager gebracht, danach waren Noah, Luke und Lennox ausgeschwärmt, um Ryan zu finden. Lennox rief ein weiteres Mal Ryans Namen, erhielt jedoch keine Reaktion. Wo konnte er nur sein?
„Scheiße!", fluchte Lennox.
Er lief jetzt schon lange umher um seinen Freund zu finden, allerdings hatte er nicht einmal eine Spur entdecken können. Es war zum verzweifeln. Dazu kam die eintretende Dämmerung. Wenn man bedachte, dass ihr Kampf gegen Mittag stattgefunden hatte, wurde einem erst richtig bewusst, wie viel Zeit Lennox mit der Suche verbracht hatte.
„Hast du eine Spur von ihm gefunden?", rief Noah ihn entgegen, als er die Straße entlang kam.
Lennox schüttelte resigniert den Kopf und Noah seufzte. Dann gesellte sich auch Luke wieder zu ihnen, ebenfalls erfolglos. Lennox ballte verzweifelt die Hände zu Fäusten und Noah legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Es bringt nicht, wenn wir ihn jetzt weitersuchen. Wir haben ihn schon im Hellen nicht gefunden, es hat heute einfach keine Sinn.", sagte er sanft.
„Aber wir können doch nicht einfach so aufgeben! Ryan braucht uns, er macht sich Vorwürfe, fühlt sich allein! Außerdem rennt dieser verrückte Typ vielleicht immernoch hier irgendwo rum!", widersprach Lennox.
„Ein Grund mehr, zum Lager zurückzukehren. Du hast dich noch nicht eine Sekunde ausgeruht Lennox, obwohl du dich nach dem Kampf im Schwimmbad, der schon sehr schmerzhaft aussah, noch mit Ryan geprügelt hast!"
Lennox ließ geschlagen den Kopf hängen und nickte frustriert. Dann machten sie sich auf den Rückweg zum Lager.
Keiner von ihnen sah den Schatten, welcher sie von einem Dach aus beobachtete...
Als sie ankamen, warteten die anderen bereits auf sie. Mark schien sich beruhigt zu haben und Enya wirkte ebenfalls etwas weniger ängstlich. Sie musterte die drei hoffnungsvoll. Allerdings erlosch kurz darauf die Hoffnung in ihren Augen, als sie realisierte, dass sie Ryan nicht gefunden hatten. Lennox wurde bei ihrer Reaktion von purer Erleichterung erfasst, da sie Ryan scheinbar keine Vorwürfe machte. Allerdings wusste dieser das nicht, also steckten sie immernoch genauso in der Scheiße.
Mark merkte man seine Enttäuschung ebenfalls stark an, sowie Luna und Kai.
„Ich übernehme die Nachtwache.", sagte Lennox.
„Ich leiste dir Gesellschaft!", fügte Noah mit einem misstrauischen Seitenblick auf ihn hinzu.
Die anderen nickten nur und gingen ins Zelt, wobei Enya die Hand ihres Bruders umklammert hielt.
Lennox holte sich eine Decke aus dem Zeltinneren und breitete sie auf dem Boden aus. Danach würde sie wohl nicht mehr zu gebrauchen sein, wenn man den Schlamm betrachtete, der noch immer die Lichtung zierte. Noah setzte sich neben ihn.
„Wer war der Mann?", wagte Lennox schließlich die Frage zu stellen, von der er glaubte, dass Naoh die Antwort wusste
„Gribber. Den Rest kann ich dir nicht sagen, das müssen Mark und Enya selbst tun, wenn sie dazu bereit sind."
Lennox nickte. Er hatte erwartet, dass Noah sowas sagen würde. Doch das war jetzt nicht von Bedeutung. Es wurde Zeit zu tun, weshalb er sich freiwillig für die Nachtwache gemeldet hatte.
„Ich geh mal kurz..." - „Pass auf dich auf und finde unseren Freund! Ich hasse es, dass ich dich nicht begleitet kann, aber einer muss das Lager bewachen und ich bringe es grade nicht übers Herz, die anderen zu wecken."
Lennox war völlig perplex über Noahs Unterbrechung. War sein Plan so offensichtlich gewesen?
„Danke, Noah.", sagte er, bevor er den Pfad entlang Richtung Stadt ging.
In der Dunkelheit war kaum mehr jemand unterwegs, nur vereinzelte Betrunkene kreuzten seinen Weg, die ihn an seinen Vater erinnerten. Der Mond und die Sterne wurden überwiegend von Wolken verdeckt, sodass er sich auf die spärliche Beleuchtung der Straßenlaternen verlassen musste. Angestrengt kniff er die Augen zusammen. Es war vollkommen verzweifelt von ihm, in der Dunkelheit seinen Freund zu suchen, doch er hatte keine Wahl, konnte einfach nicht anders. Also lief er mal wieder durch die Stadt, bis er Lärm vernahm. Die Geräusche kamen vom Marktplatz! Lennox rannte los.
Am Marktplatz angekommen erkannte er mehrere Gestalten, die offenbar in einen Kampf verwickelt waren. An der Seite stand eine etwas größere Gestalt, die rief:
„Na los, schnappt ihn euch!"
Der Mann stand leicht gekrümmt. Allerdings hatte Lennox ihn sofort anhand seiner Stimme erkannt. Gribber!
Wieso hatte dieses Arschloch nur so viele, die ihm folgten?
Die Wolkendecke brach und das helle Licht des Mondes ließ den Marktplatz erstrahlen. Zehn Männer kämpften gegen Ryan, allerdings war sein Freund mit seinen Kampfkünsten deutlich überlegen. Aber er war auch verletzt. Als Ryan in die Knie gezwungen wurde und sich zu Lennox Schrecken nicht mehr wehrte, schlich er sich so nahe an den Kampf ran, wie möglich. Er hörte Ryans Stöhnen, als sie ihn schlugen, traten und Gribber auf ihn zu humpelte. Ryan sah aus, wie ein besiegter Krieger, der seine Ehre allerdings niemals verlor. So blickte er den Mann vor ihm trotzig und so voller Zorn an, das einem mulmig zumute wurde. Und dann fing er wieder an zu kämpfen. Er schien sich an alles zu erinnern, was der Mann Mark und Enya angetan hatte und riss sich los. Doch es reichte nicht. Als Ryan schon wieder auf dem Boden landete, schoss Lennox vorwärts und verpasste Gribber einen so harten Schlag, dass er das Bewusstsein verlor, als er auf dem Boden aufschlug. Er kämpfte auch die letzten Angreifer nieder und kam schließlich vor Ryan zum Stehen.
„Komm, Ryan! Und wehe du machst dir immernoch Vorwürfe, du verdammtes Arschloch! Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht und Enya und Mark sind schrecklich bestürzt, weil du dir die Schuld gibst!", begann Lennox wütend zu sprechen.
„Lennox? Was...wieso gebt ihr mir nicht die Schuld, ich habe euch verletzt, habe dich angegriffen, wie könnt ihr mich nicht hassen?!", fragte Ryan mit bebender Stimme.
„Wir könnten dich niemals hassen!"
Ryan blickte ihn an, sein Blick zeigte so viele Gefühle, dass Lennox zu zittern anfing dann zog er Ryan auf die Füße und umarmte ihn.
„Gehen wir nach Hause!", sagte er zu Ryan und stützte ihn, da sein Freund taumelte.
Ryan nickte und zusammen gingen sie durch die vom Mond erhellten Straßen, zurück zu ihrer Familie.
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