Flüstern des Schicksals
Lennox streifte durch die Stadt. Es war früher Nachmittag und zu seinem Glück schien die Sonne. Es graute ihm vorm Abend. Sein Vater erwartete etwas von ihm, sonst würde er ihn nicht ins Haus lassen. Wahrscheinlich wollte er, dass Lennox ihn um Verzeihung anbettelte, doch dazu wollte er sich nicht herablassen. Vielleicht schaffte er es irgendwie das Fenster zu öffnen? Nein, das würde sein Vater mit Sicherheit merken. Aber was dann? Er war verzweifelt. Lennox vertrieb sich den Tag in der Stadt. Die Ruhe vor dem Sturm. Als die Straßenlaternen um 18Uhr angingen, fing auch der Sturm mit dem Gewitter an. Und mit dem Gewitter würde auch der Regen kommen. Das war für Lennox sicher. Er fing wieder an zu rennen. Es war doch immer dasselbe. Es fing an zu regnen und er muss rennen.
Lennox erreichte das Haus, noch waren keine Tropfen gefallen. Er umfasste die erste Sprosse der Feuerleiter, die zu seinem Fenster führte und fing an zu klettern. In dem Moment konnte er den ersten Regen spüren. Er kletterte schneller, wurde langsam panisch. Ein Regentropfen traf ihn im Gesicht. Doch bevor er komplett durchnässt wurde, erreichte er sein Fenster. Er hatte es einen Spalt breit aufgelassen, so wie häufig, wenn er erwartete, dass sein Vater ihm nicht öffnete. Er griff durch den Spalt und öffnete das Fenster, sodass er in sein Zimmer konnte. Drinnen ließ er sich erleichtert auf den Boden sinken. Doch er musste absolut still sein, damit sein Vater ihn nicht bemerkte. Lennox legte sich auf sein Bett. Irgendwann wurde es dunkel um ihn herum und er fiel ins Reich der Träume...
Er raste durchs Wasser. Lennox fühlte sich so unbeschreiblich, einfach frei und vollkommen glücklich. Als er zur Seite blickte, erkannte er eine Frau neben sich, mit den gleichen azurblauen Augen und dem schwarzen Haar, wie bei ihm. Sie lächelte ihn an.
„Ein großes Abenteuer liegt vor dir, in dem du deine wahre Bestimmungen finden wirst, mein Sohn."
Das Bild veränderte sich. Er befand sich noch immer im Wasser, aber jetzt in einer Art Unterwasserstadt. Er sah unzählige Gestalten, die umher eilten und ihrem Alltag nachgingen. Lennox fiel auf, dass sie alle Schwimmhäute und Kiemen besaßen. Als er auf seine Hände sah, erkannte er ebenfalls Schwimmhäute und ohne nachzuschauen wusste er, dass sich hinter seinem Ohren auch Kiemen befanden. Er spürte es. Und das war ein so wunderschönes Gefühl, dass ihm ein freudiger Laut entwich. Er nahm sich Zeit, um die verschiedenen Meermenschen - es fühlte sich einfach richtig an, sie so zu nennen - zu mustern. Er sah einen Junge, wahrscheinlich in seinem Alter, mit schwarzer Haut, einen weiteren, der verschnörkelte Muster auf der Haut trug und dann ein Mädchen, von dem er seinen Blick nicht mehr abwenden konnte. Sie war einfach einzigartig und er empfand sofort den starken Drang, sie für alle Ewigkeit zu beschützen. Das war sein Schicksal, dessen war sich Lennox so sicher, wie nie zuvor. Als sie ihn anblickte, blieb die Zeit förmlich stehen. Er verlor sich in ihren klar-grünen Augen. Sie hatte schwarzes Haar und wurde von zwei weiteren Meermenschen begleitet, wahrscheinlich ihre Eltern. Lennox wusste, dass sie etwas ganz Besonders war. Sie strahlte zugleich Sanftheit, aber auch eine unfassbare Stärke aus. Dann lächelte sie ihn an und Lennox fühlte sich, als würde er sie schon ewig kennen.
„Hallo, meine wunderschöne Elvarion."
Lennox wusste nicht, weshalb er sie so nannte, doch es fühlte sich einfach so richtig an.
„Hallo, mein tapferer Krieger."
Nach diesen Worten erkannte er, dass ihre Begegnung Schicksal sein würde. Er wusste, dass er träumte. Doch dieses Mal hatte der Traum noch viel mehr zu bedeuten.
Lennox erwachte. Das war doch mal ein Traum gewesen! Er dachte an das Mädchen. An ihre klar-grünen Augen, die so sehr gestrahlt hatten. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Lennox spürte den Hunger und Durst, weshalb er sich leise in Richtung Küche begab. Ein kurzer Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es mitten in der Nacht war. Er lief auf Zehenspitzen zum Kühlschrank und öffnete ihn vorsichtig. Na toll, schon wieder nur Schrott. Dafür, dass sein Vater nie Einkaufen ging, fraß er die von Lennox mitgebrachten Lebensmittel immer unmenschlich schnell auf. Wie fand er neben seinem Alkoholkonsum und dem ständigen Rauchen überhaupt noch Zeit dafür? Lennox füllte Wasser in den Wasserkocher und betete, dass er nicht zu laut sein würde. Dann stellte er ihn an. Zu seinem Glück wurde das Wasser ohne viel Lärm schnell warm. Er goss es in ein Glas und stürzte es gierig hinunter. Dann drehte er sich um und schlich zurück in sein Zimmer. Überraschenderweise funktionierte es dieses Mal ohne Zwischenfälle. Er stieg wieder ins Bett und schlief traumlos bis zum Morgen.
Lennox spürte die Sonne im Gesicht, deren Strahlen durch das Fenster drangen. Er erhob sich und zog frische Kleidung an. Dann packte er seine Sachen für die Schule. Er öffnete die Tür und blieb dann abrupt stehen. Scheiße, sein Vater wusste ja noch gar nicht, dass er hier war und so sollte es bestenfalls auch bleiben, sonst war die Hölle los. Doch leider hatte er diesmal nicht so viel Glück. Als er grade zur Tür schlich, hörte er schwere Schritte hinter sich und dann die wütende Stimme seines Vaters, als er ihn erblickte:
„Was glaubst du denn, was du da tust, Bursche?"
Lennox erstarrte und drehte sich um. Dort stand er, breit und rot vor Zorn im Türrahmen.
„Ich wusste ja gar nicht, dass du doch zurückgekommen bist, ohne mir Bescheid zu sagen. Nun ja, dann werde ich dir wohl nochmal erklären müssen, was du tun sollst, oder bist du vielleicht doch nicht so blöde und hast mir wenigstens einmal vernünftig zugehört?"
Lennox ballte die Hände zu Fäusten. Aber er wusste, es würde seinen Vater nur noch wütender machen, wenn er nicht antwortete.
„Du hast gesagt, dass Wetter würde unangenehm werden."
Er ließ mit Absicht den Teil aus, den sein Vater hören wollte. Lennox gab ihm sicher nicht auch noch die Genugtuung, über ihn gesiegt, ihn „bezwungen" zu haben. Wie erwartet, machte das seinen Vater rasend.
„Ich habe gesagt, du solltest meine Stimmung besser heben, wenn du Heim kommst!"
Er baute sich bedrohlich vor Lennox auf.
„Also los, ich warte!"
Lennox blieb steif stehen, den ganzen Körper angespannt. Niemals, dachte er sich, er würde diesmal versuchen stark zu bleiben.
„Lass mich, sonst komme ich zu spät zur Schule!", zischte Lennox.
Er drehte sich um und wollte die Tür öffnen, als er zurückgerissen wurde. Er taumelte, konnte sich aber auf den Beinen halten. Lennox wirbelte herum und da gab sein Vater ihm auch schon eine kräftige Ohrfeige. Sein Vater ging um ihn herum, sodass sein Fluchtweg abgeschnitten wurde.
„Ach, jetzt interessierst du dich auf einmal für Schule?"
Der höhnische Unterton seines Vaters stachelte Lennox nur noch mehr an.
„Ja, im Gegensatz zu dir, will ich mir mein Leben nicht vollkommen zerstören und wie ein hirnloser Zombie den ganzen Tag nur im Haus sitzen, oder orientierungslos durch die Straßen torkeln!"
„Wie kannst du es wagen?!"
Sein Vater umfasste seinen Hals mit beiden Händen und drückte zu, wobei er Lennox gegen die Wand drückte. Reflexartig zog er seine Hände leicht nach unten, um wieder genug Luft zu bekommen und trat seinen Vater mit voller Wucht dahin, wo es am meisten wehtat. Er krümmte sich und stöhnte schmerzerfüllt auf. Doch kurz darauf hatte er sich wieder gefangen und Lennox spürte, wie seines Vaters Knie auf seinen Bauch traf. Lennox gab einen leidenden Laut von sich, hielt sich aber auf den Beinen. Er holte zu einem tiefen Tritt aus und fegte seinen Vater von den Füßen, welcher mit lautem Krachen auf dem Boden landete und kurz liegen blieb, sich aber schnell wieder aufrappelte. Einen Moment später spürte er die Faust seines Vaters in seinem Gesicht. Lennox stützte sich an der Wand ab. Er würde nicht aufgeben! Er schubste seinen Vater nach hinten, um eine Chance zu haben, an ihm vorbeizukommen. Er eilte los, als sein Vater gegen die gegenüberliegende Wand stolperte. Er scheiterte kläglich.
Kurz bevor er das Haus verlassen konnte, spürte er eine unfassbare Hitze am Arm. Er merkte, dass sein Vater diesen umklammert hielt. Und er spürte das Feuer. Lennox zuckte zurück, wollte seinen Arm wegziehen, aber es gelang ihm nicht. Zu seinem Glück war das Feuerzeug seines Vaters so abgenutzt, dass es sekundenschnell ausging.
„Vorsicht Junge, sonst verbrennst du dich noch!"
War sein Vater eigentlich völlig gestört? Wer bedrohte seinen eigenen Sohn bitteschön mit Feuer? Lennox haute ihm eine rein, worauf sich der Griff um seinen Arm löste. Doch sein Vater gab immernoch nicht auf. Er riss Lennox am Kragen zurück und öffnete den Kühlschrank, als dieser damit zu tun hatte, den Sturz zu verhindern. Sein Vater kam mit einer Bierflasche in der Hand auf ihn zu. Lennox erkannte mit Genugtuung die vielen Blutergüsse in seinem Gesicht. Er selbst sah wahrscheinlich nicht besser aus, aber wenigstens konnte er seinen Vater etwas zurechtweisen.
„Jetzt reicht es!"
Angst machte sich in Lennox breit. Er sah seinem Vater in die Augen. Es war wie ein Instinkt.
„Du..."
Weiter kam er nicht, denn sein Vater drückte ihn wieder gegen die Wand und drohte ihm mit der Bierflasche. Lennox befreite sich aus seinem Griff und wagte noch einen Versuch, zu fliehen. Als er jedoch den Fehler machte, seinem Vater für einen winzigen Moment den Rücken zuzukehren, schlug dieser ihn mit der Flasche gegen die Rippen, sodass Lennox stöhnend zu Boden ging. Sein Körper brannte wie Feuer, doch er rappelte sich wieder auf. Währenddessen hatte sein Vater ihn umrundet, um jeglichen Fluchtweg erneut zu versperren. Er trat Lennox die Beine weg und er prallte wieder auf den Boden. Er rutschte nach hinten, bis er die Wand im Rücken spürte. Sein Vater ragte bedrohlich über ihm auf. Und dann begann die Hölle. Es war schon immer wie in der Hölle gewesen, aber jetzt verspürte er das gesamte Ausmaß des Höllenfeuers, als sein Vater ihn immer wieder schlug und trat. Er musste hier weg, musste diesem Ort voller Schmerz, Furcht und Demütigung endlich verlassen. Doch er wusste nicht wie. Im nächsten Moment hörte sein Vater auf und blickte mit einem fiesen Grinsen auf ihn herab.
„Gibst du jetzt endlich auf? Du solltest wirklich so langsam mal um Verzeihung bitten, dass du dich mir widersetzt hast!"
Der Mann hatte sie echt nicht mehr alle! Doch Lennox konnte nicht mehr entkommen. Er konnte sich nicht bewegen, ohne höllische Schmerzen zu haben. Sein Vater riss ihn an den Haaren etwas nach vorne, dann nach oben, sodass Lennox vor ihm kniete und gezwungen war, ihn anzuschauen. Er packte die Hand, doch dadurch verstärkte sich der Griff bloß. Er hatte keine Chance. Er musste aufgeben. Doch nur für diesen Moment. Er dachte wieder an das Mädchen aus dem Traum. Irgendwann, sagte er sich, irgendwann würde er zu ihrem Krieger werden! Und bis dahin durfte er sich niemals brechen lassen! Er würde sich niemals brechen lassen! Das Mädchen gab ihm wieder Hoffnung und die nötige Kraft um weiter zu kämpfen.
„Niemals werde ich dich um Verzeihung bitten!"
Dann spürte er den Schlag und er fiel in die Dunkelheit.
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