Kapitel 33
Das Stechen in meiner Brust wurde schlimmer, je näher ich dem Krankenflügel kam. Doch mein Kopf trieb mich immer weiter. Der Wille danach, endlich wieder Ruhe zu finden, ließ mich diese Dinge tun. Aber die Ruhe könnte ich nach dem ganzen Trubel wirklich mal gebrauchen. Wirklich.
Madam Pomfrey führte mich zu Malfoys Bett, er schlief gerade. Sanft setzte ich mich auf sein Bett und betrachtete sein Gesicht. Seine Lippen hatten jegliche Farbe verloren und sein Gesicht glänzte verschwitzt. Er sah aus, wie ein männliches Schneewittchen, wie er da so lag und ziemlich tot aussah. Meine Hand bewegte sich langsam in die Richtung seiner Hand und ich merkte, wie nervös ich wurde. Ruhig Abbey, es ist alles gut, du machst das hier nur, weil ... ich ... mich beruhigen will! Ich zog meine Hand ruckartig wieder zurück und blieb bei Anstarren. Ich weiß auch nicht, ob ich mir gewünscht hätte, dass er aufwacht, oder einfach froh war, dass er schlief, aber als er zu zucken begann und es den Anschein machte, als würde er gleich aufwachen, ergriff ich doch die Flucht.
Durch das kalte Gemäuer zu laufen, ließ meine innere Hitze erstarren. Ich ging schnellstmöglich, fast rennend zurück in den Gemeinschaftsraum, denn es sollte mich möglichst keiner sehen. Diese Heimlichtuerei hätte ich mir natürlich auch ersparen können, aber das mit Malfoy musste ich einfach mit mir selbst ausmachen. Allzulange hielt dieser Vorsatz nicht an, denn Perry kam total verschwitzt ins Zimmer und starrte mich verwirrt an.
„Wieso warst du im Krankenflügel?" fragte er mich ruhig, aber ich hörte sein Herz beben. „Warst du bei ihm?"
„Na hör mal! Ich werde doch wohl hingehen dürfen, wo ich will!" entgegnete ich verwundert, so kannte ich Perry nicht.
„Meinetwegen, aber ich will wissen, ob du bei IHM warst!"
Ich stellte mich, entgegen seinen wahrscheinlichen Erwartungen, dumm: „Bei wem soll ich den gewesen sein?"
„Das weißt du doch ganz genau! Bei dem Monster, was dich vergiftet hat!"
„Ich glaube, dich hat jemand vergiftet, so wie du dich aufführst!"
„Abbey, ich ... mache mir doch nur Sorgen..." Er ließ sich aus meinem Bett nieder und robbte auf mich zu, um mich zu umarmen. Ich rutschte aber weg und erwiderte: „Komm mir jetzt nicht so!"
„Komm schon, es tut mir Leid!"
„So kenne ich dich gar nicht..."
„Ich will einfach nicht, dass er dich mir wieder wegnimmt..."
„So blöd werde ich nicht noch einmal sein, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen."
Nochmal rutschte er zu mir und dieses Mal ließ ich ihn gewähren, erwiderte die Umarmung aber nicht.
„Kannst du das denn gar nicht nachvollziehen?" fragte er irgendwann, nachdem wir verstummt waren.
„Doch" murmelte ich. „Aber ich finde es kindisch..."
Ich küsste ihn sanft auf die Stirn, denn er hatte seinen Kopf auf meinen Schoß gelegt und sah mir in die Augen. Irgendwas darin hatte sich verändert. Natürlich konnte ich mich nicht daran erinnern, was das war. Erschrocken sprang ich auf: „Die Hausaufgaben!"
„Welche Hausaufgaben?" wollte Perry, der sich nun überrascht mit der Hand über den Hinterkopf rieb, wissen.
„Verwandlung, Mugglekunde, Zaubertränke... Such dir was aus!" Hektisch ging ich auf die Knie und kramte mein Mugglekundebuch unter dem Bett hervor und warf es hinter mich.
„Ganz ruhig, du hast doch noch den ganzen Tag Zeit..." versuchte Perry mich zu beruhigen.
„Sie hatten Besuch" murmelte Madam Pomfrey vor sich her, als sie an Dracos Bett vorbeischlich.
„Wer war es denn?" fragte Draco so beiläufig, während er gelangweilt in einem alten Buch blätterte. Da Draco hustete, gingen die Worte der Krankenschwester darin unter und er verstand nur „... Freundin."
„Reden Sie von Pansy?" schlussfolgerte er.
„Nein, Abigail Andrews." Sie ging weiter, bevor Draco fragen konnte. Als wäre Abbey hier gewesen... Sie hatte sich doch sicher nur verguckt... Aber Abbey war doch Stammkunden hier im Krankenflügel, Madam Pomfrey kannte sie ganz genau! Eine glückbringende Hitze erfüllte ihn urplötzlich. Das war nur der Anfang! Er war sich sicher, dass Abbey weitere Schritte gehen würde. Oder sollte er? Sobald er hier raus war ... Wieder hustete er. Wieso er hier war? Schwächeanfall, wie er dieses Wort hasste. Schwäche, was war das schon? Eins wusste er: Es war die tiefste Intimität, die er zeigen konnte, obgleich er sie zeigen wollte. Und natürlich, dass sein Vater davon nichts mitbekommen sollte, denn er wollte seiner Familie Leid und Scharm ersparen, koste es was es wolle.
„Wann kann ich gehen?" wollte Draco dann von Madam Pomfrey wissen, als sie gerade mit ein paar Bandagen erneut an ihm vorbeihuschen wollte.
„Wenn Sie gesund sind." Sie wollte nicht stehen bleiben, doch Draco fragte weiter: „Wann bin ich gesund?"
„Wenn Sie genug geschlafen und gegessen haben."
„Ich habe genug geschlafen und essen kann ich immer noch!"
„Denken Sie, ich hätte nicht mitbekommen, wie aufgewühlt Sie gestern versucht haben, den Krankenflügel zu verlassen? Sie sind noch lange nicht gesund."
„Aber ich muss doch ...", sie lief weiter, „... zu Abbey..."
Er senkte seinen Blick wieder auf das Buch. Was erlaubte sie sich? Wenn sein Vater doch nur ... Nein, der sollte davon ja nichts erfahren. Doch wenn Abbey sich Sorgen machte, würde sie schon wiederkommen, da war Draco sich sicher.
Und als würde ihm nicht schon genug in den Schoß fallen, war sie am Abend tatsächlich gekommen. Langsam, man hörte ihre Schuhe trotzdem, schlich sie an sein Bett heran. Man könnte meinen, sie wolle sich damit absichern, dass sie im Notfall auch noch schnell und ungesehen davonrennen konnte. Aber als sie sah, dass Draco über sein Buch hinweg schon zu ihr geschmult hatte, hob sie selbstbewusst die Brust und stöckelte auf ihn zu.
„Du warst hier?" fragte er und versuchte, in sein Buch starren. Lange hielt er das jedoch nicht aus. Abbey traute sich allerdings nicht, sich wieder auf den Bett zu setzten und blieb deshalb stehen und verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken.
„Ich habe deinen Brief gelesen." Bei dem Satz konnte Draco sich ein siegessicheres Grinsen nicht verkneifen.
„Und?"
„Und was?"
„Warum bist du hier?"
Sie begann kurz zu grübeln, doch entschied sich dann für die Wahrheit: „Ich weiß es nicht..."
„Du weiß es nicht? Aber die Abbey, die ich kenne, weiß, was sie tut und wäre ganz sicher nicht hier her gekommen."
„Ich... habe mich verändert... Glaub was du willst, aber ich weiß wirklich nicht, was ich hier tue, geschweige denn, was Perry davon halten würde..."
„Perry? Bist du wieder ..." Als hätte jemand eine tickende Uhr zu schnell von ihrer Energiequelle befreit, krampfte sich Dracos Körper zusammen und er sank von seiner aufrechten Sitzposition zurück in die Kissen. Genauso ein Kurzschluss war auch Abbeys Geste, seine Hand zu nehmen. „Was ist mit dir?" schrie sie panisch. Madam Pomfrey kam herbeigeeilt, murmelte einen Spruch und Dracos Kopf war plötzlich wie freigepustet. Kein einziger Gedanke war zurückgeblieben. Langsam schloss er sie Augen und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Madam Pomfrey schob mich vor die Tür, wo ich auch schon mehr oder weniger herzlich empfangen wurde.
„Schon wieder Malfoy?" Ich starrte in die glänzenden Augen meiner besten Freundin, die ich in den letzten Tagen zu helllichten Stunden eher selten gesehen hatte. Zur Abwechslung war sie mal allein.
„Ja..." murmelte ich nur kurz angebunden und machte ihr ein Zeichen zu gehen.
Eifersucht ist etwas, was mich sehr stört und trotzdem erwischte ich mich beim Gedanken daran, sie nun zu ignorieren, wie sie es mit mir getan hatte.
„Nick und ich... ähm..." Alice blieb plötzlich stehen. Ich drehte mich um und als ich sie da so stehen sah, entflohen mir all die bösen Gedanken, sie zu ignorieren. Zerknirscht starrte sie auf den Boden. „Wir wollten uns entschuldigen. Wir haben uns doch sehr zurückgezogen und das tut uns leid..."
Wir. Na klar.
„Da brauchst du doch aber jetzt nicht heulen, ist doch klar, dass ihr Zeit für euch braucht!" Ich ging auf sie zu und umarmte sie.
„Meine Güte, ich dachte Nick sei gestorben, so ernst wie du das sagst! Wo ist der eigentlich?"
„Weiß nicht, vielleicht beim Abendessen..."
„Na los, gehen wir hin!" Ich harkte mich bei ihr unter und führte sie in die große Halle, wo Nick tatsächlich gerade mit einen Haufen Erbsen zu tun hatte. Mit der Gabel im Mund lächelte er mir zu und bat mich, mich zu setzten und ich tat das. Den beiden kann man nicht lange böse sein. Trotz dessen wurde ich ein wenig traurig, als ich sie, mehr oder weniger gedankenverloren, ansah, wie sie sich gefühlvoll küssten. Gerade Nick erkannte ich irgendwie nicht wieder. Er war ernster geworden, lachte weniger und schien sehr beschäftigt. Und das beschäftigte mich, denn Nick sollte eigendlich der glücklichste junge Mann sein, den die Welt je erblicken durfte, denn er hatte Alice abbekommen!
„Schön, mal wieder mit dir zu essen, Abbey!" Alice strahlte mich an, während Nick versuchte, sich in seiner Gabel zu spiegeln.
„Ja..." Ich starrte Nick an, der nur leicht nickte und mich nicht ansah. Und das machte mich verrückt und ich wusste nicht, ob ich die beiden darauf ansprechen sollte, oder nur Nick, oder ob es mich überhaupt etwas anging.
Das Resultat bestand darin, dass ich Nick vorgaukelte, mit ihm etwas Quidditch zu üben und als wir so leise wie möglich durch die mattschwarze Dunkelheit flogen, fragte ich ihn dann, was los war.
Zwar hatte er vorher noch ein paar vereinzelte Worte ausgespuckt, war aber weitestgehend stumm geblieben. Hier oben schien er im Gegensatz dazu frei, vollführte wilde Drehungen und Manöver und wirkte wie immer. Ich verstand die Welt nicht mehr.
„Was los ist? Was soll denn sein?" fragte er ganz stumpf, als er neben mir herflog.
„Das weißt du ganz genau „Mister Ich-esse-plötzlich-freiwillig-Erbsen"!"
„Sollte das lustig sein?" Er lachte schräg.
„Nein. Also: Was ist mit dir?"
„Oh, naja... Mein Vater und so... Er will, dass ich später bei ihm arbeite, ich will aber ..."
„Lüg mich nicht an. Ich weiß, dass du später bei deinen Vater arbeiten willst, das hat dir nie so sehr die Sprache verschlagen!"
„Aber er ..."
„Ich rede von Alice, kapierst du das nicht?"
„Was ist mit ihr?"
Ich flog vor ihn, um ihn vorm Wegfliegen zu hindern, denn ich wusste, dass er solchen Konversationen lieber aus dem Weg ging.
„Nick, warum bist du plötzlich so still? Mir fällt sowas auf, weißt du?!"
„Hab ich doch ... Ja gut, ertappt..." Er sackte ganz geschmeidig ab und ich folgte ihm zum Boden. „Deshalb sind wir also hier."
„Weshalb sonst?"
„Ich dachte, du willst mit mir ein wenig trainieren... Lass mich dir sagen, mir geht es gut. Mach dir lieber Sorgen um deine eigenen Dinge, ich merke doch, wie sehr du mit dir selbst zu tun hast."
Und schon hatte er mich abgelenkt, als er erzählte, dass er mich bei Malfoy gesehen hätte.
„Du fühlst noch was für ihn, oder?" fragte Nick ernst, setzte sich ins Gras und sah zu den Sternen.
„Nein. Ich habe noch nie und werde auch nie etwas für diese Schlange empfinden!"
„Klar. Erinnerst du dich an deinen Geburtstag?"
„Es ist schwer, sich nicht daran zu erinnern..." Ich sah ihn grimmig an.
„Die Rose..."
„Welche Rose?"
„Die bei dir auf dem Nachttisch steht, die von Perry ..."
„Wie kommst du jetzt darauf?"
„Sie hat ein Blatt verloren."
Ich zuckte zusammen, versuchte aber, mir nix anmerken zu lassen.
„Es bringt doch nix, wenn wir uns gegenseitig anlügen..." murmelte Nick leise und stand auf, um sich zurück in Richtung Schule zu bewegen.
Und wirklich: Die Rose, die schon leicht eingestaubt war, hatte schon drei prächtig rote Blütenblätter verloren. Bevor noch jemand etwas bemerken konnte, nahm ich diese und warf sie in den Papiermüll, wo ich sie unter alten Pergamenten vergrub. Mein altes Leben und keinen Trubel mehr, das war das einzige, was ich mir zum Geburtstag gewünscht hatte. Beides hatte ich nicht bekommen. Aber ich wollte es mir zurückholen!
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