„Sie reden mit ihm“, flüsterte ich atemlos, weil ich die Luft angehalten hatte. Mein Mund war staubtrocken geworden, dafür hörte ich meinen Herzschlag in den Ohren wummern.
Es war, als würden Boxen neben mir stehen, auf volle Lautstärke gedreht und einen so unmelodischen Rhythmus spielen, dass ich die Hände über dem Kopf zusammen schlagen wollte, um meinen Kopf zu schützen. „Wer redet mit wem?“
Verständnislos sah Juvia mich an, während ich versuchte, meine Beherrschung wieder zu finden. „Du bist ja ganz blass“, stellte sie fest, allerdings wenig mitfühlend. Sie schob mich vom Zelt weg, um selbst ihren Kopf durchzustecken. Keine Minute später stand wie wieder neben mir. Gefasst fragte sie: „Das ist nicht gut, oder?“ „Ich glaube nicht. Falls doch, wüsste ich nicht, wie.“
„Wieso redet er mit ihnen? Sie sollten ihn eigentlich töten, wie sie es bei allen anderen auch machen. Mit mir haben sie auch nicht geredet.“ „Aber du lebst auch noch.“ „Ja, und das ergibt ja schon keinen Sinn, aber warum reden sie mit ihm?“ „Woher soll ich das wissen?“ So leise es nur ging, diskutierten wir weiter. Wir fanden einfach keine logische Erklärung dafür, dass die Spiegelwesen offenbar mit einem älteren Mann zu reden schienen.
„Wir sollten ihn fragen.“ „Bist du wahnsinnig?“, rief ich entsetzt, aber in Flüsterlautstärke. Es gab so viele Gründe, warum diese Idee absolut bescheuert war, dass ich nicht mal wusste, womit ich anfangen sollte. „Wie stellst du dir das vor? Dass wir ihn lieb darum bitten und er uns dann alle seine Geheimnisse erzählt, oder was? So läuft das nicht, und das müsstest du genauso wissen, wie ich.“ „Wir drohen ihm einfach.“
Dieser Plan wurde immer wahnwitziger. „Wie zum Teufel willst du ihm denn drohen?“ Sie brachte mich wirklich an den Rand der Verzweiflung. Das konnte doch nicht ihr ernst sein! Wollte sie uns wirklich beide in den sicheren Tod führen? Ich konnte dabei doch nicht so tatenlos zusehen. Aber was sollte ich machen? Sie war nicht die Art von Mensch, die einen Plan aufgab, bevor er gescheitert war, außerdem war sie fest entschlossen, etwas zu unternehmen.
Also musste ich sie entweder schon wieder im Stich lassen, oder eine bessere Idee haben. Das erste wollte ich nicht, aber wenn ich keine andere Wahl haben würde, müsste ich es wohl oder übel tun. „Hast du eine Waffe gesehen?“, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf, auch wenn ich ahnte, worauf das hinauslief. Warum hatte ausgerechnet ich an Juvia Ich-wäre-gerne-ein-Superheld geraten müssen?
„Na also, wir sind zu zweit und er ist alleine. Wir warten einfach, bis er rauskommt und dann überfallen wir ihn.“ Ich stöhnte geschlagen auf: „Das ist so eine dämliche Idee.“ „Hast du eine bessere?“ Wo wir wieder beim Thema wären. Nein, ich hatte keine bessere. „Wir könnten es einfach lassen“, schlug ich hoffnungsvoll vor, aber sie ignorierte es einfach.
Na super.
Also warteten wir und ich hatte das Gefühl, die Zeit würde stillstehen. Oder mir so schnell davonlaufen, dass ich es gar nicht bemerkte. Aber die Zeit kam und ging nicht, weil sie das gar nicht konnte.
.-.-.-.
Ich war eingeschlafen, während wir auf den Mann gewartet hatten. Schläfrig hatte ich mich irgendwann auf den Boden gesetzt und trotz der Aufregung, war ich irgendwann einfach weggedämmert. Richtig wach wurde ich erst, durch gedämpfte Geräusche, die mich aus meinem erholsamen Schlaf rissen.
„Juvia?“, fragte ich leise und blinzelte. Der Himmel war noch immer dunkel, aber das Licht, dass aus dem Zelt drang, reichte völlig. Gähnend wollte ich mich aufrichten, doch meine Stirn stieß gegen etwas Kaltes. Vorsichtig schielte ich nach oben, und blickte in den Lauf einer Pistole. Die Müdigkeit war wie weggeblasen, jetzt hatte ich wieder Angst, und was für eine. Mein Atem verwandelte sich in ein Hecheln, das ich nicht mehr kontrollieren konnte.
„Hallo“, sagte der Mann fröhlich. „Wie geht es uns denn heute?“ Ich wusste nicht so recht, ob das eine ernstgemeinte Frage war. Aber ich wollte ihn auch nicht sauer machen, also antwortete ich: „Mir ging es schon mal besser.“ Ich versuchte, wenigstens selbstsicher zu klingen, aber ich bezweifelte, dass er es mir abnahm. „Mein Name ist Dwight Sawyer, mit wem habe ich das Vergnügen?“ Woher sollte ich jetzt einen falschen Namen nehmen.
„Ähm, ähm, Austin Moon?“ Es klang mehr wie eine Frage, aber er schien es mir trotzdem abzunehmen. Zum Glück. „Und was machen Sie hier, Mr Moon? Das ist Privatgelände, auf dem Sie sich hier befinden.“ „Meine Freundin wollte sich dieses Zelt hier unbedingt angucken. Sie glaubt an Aliens und den ganzen Mist. Manchmal glaube ich, sie ist ein bisschen verrückt.“
Jetzt hatte ich eine Rolle gefunden, in die ich schlüpfen konnte und die Lügen kamen mit einer Leichtigkeit von meinen Lippen. „Mr Sawyer, könnten Sie vielleicht die Pistole von meinem Kopf nehmen?“ Langsam nickte er. „Ja, das könnte ich.“ Und er tat es dann tatsächlich. Verwundert, aber gleichermaßen erleichtert richtete ich mich auf. Zunächst sah ich mich erst mal um.
Juvia lag auf dem Boden, gefesselt und geknebelt, aber am Leben. Ich wollte zu ihr rennen und sie befreien, aber ich wusste genau, dass Dwight Sawyer hinter mir stand und eine Pistole in der Hand hatte. „Ich nehme an, sie hat Sie angegriffen, richtig?“ „Ja, hat sie.“
„Sie muss Sie für einen Alien gehalten haben. Das tut mir aufrichtig leid.“ Langsam drehte ich mich um und sah ihn an. Ich gab mir Mühe, kein einziges Mal die Waffe anzublicken. „Kann ich sie vielleicht befreien?“ Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass er uns tatsächlich nur für zwei Jugendliche hielt, die zufällig hier gelandet waren.
Unwahrscheinlich war es zwar, aber bisher waren wir noch nicht tot. Das stimmte mich zuversichtlich für alles Weitere. „Deine Freundin, Mr Moon, wie heißt sie?“ Fieberhaft versuchte ich mir etwas auszudenken, dass nicht auf jemanden aus meinem Umfeld zurückzuführen war. Aber es klappte nicht so richtig: „Courtney Ratliff.“ Ich glaube, ich war selten innerhalb von wenigen Minuten so unkreativ gewesen.
Aber er kannte natürlich niemanden von uns. Zum ersten Mal wünschte ich, nie eine Karriere gehabt zu haben. Falls der Typ mich schon mal irgendwo gesehen hatte und sei es nur beim Durchzappen durch verschiedene Kanäle, würde er bald merken, dass wir eben nicht nur zwei Jugendliche auf der Durchreise waren. Vor allem wenn man betrachtete, dass die Spiegelwesen dabei waren, die Welt zu verändern.
„Wissen Sie, Mr Sawyer, als in den Großstädten das Chaos ausbrach, haben wir die Gelegenheit genutzt und sind abgehauen. Kennen Sie Romeo und Julia? Das sind ich und Courtney. Ihre Eltern können mich nicht leiden. Sie sind sehr religiös, aber ich kann mit der Kirche einfach nichts anfangen. Also haben sie ihr verboten, mich zu treffen.“ Ich warf einen liebevollen Blick in Richtung Juvia, deren Gegenwehr abgeebbt war.
Sie musste erkannt haben, dass sie die Fesseln nicht alleine lösen konnte. „Aber dann hat sich uns die Chance geboten, sich unbemerkt davonzumachen und genau das haben wir getan. Gestern haben wir dann hier in der Nähe Rast gemacht und Courtney war der Meinung, dass einer der Felsen dort oben“, ich zeigte in eine unbestimmte Richtung, „aussieht wie ein Alien. Daraufhin wollte sie natürlich unbedingt hier her, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Es wurde dann schon langsam dunkel und ich wollte umkehren, aber dann hat sie das Zelt hier unten entdeckt. Naja, den Rest können Sie sich ja sicher vorstellen.“
Ich konnte nicht beurteilen, wie viel er mir von der Geschichte abkaufte, aber ich hatte einen ganzen Haufen unnötige Details eingebracht, die es hoffentlich einigermaßen glaubhaft erschienen ließen. „Soso, Aliens also. Dann mach deine Freundin mal los.“
Mir entging nicht, wie herausfordernd seine Stimme klang, als sollte ich ihm den Grund dazu liefern, mich und Juvia zu erschießen. Auf allen Vieren krabbelte ich zu ihr, und zog den Lappen aus ihrem Mund. Sie würgte ein wenig, hustete und beruhigte sich dann. Hoffentlich würde sie mitspielen. „Austin, zum Glück bist du endlich aufgewacht“, flüsterte sie und ihre Stimme klang tränenerstickt.
Eine nach dem anderen löste ich die Fesseln. „Schon gut, schon gut, das ist kein Alien.“ Beruhigen strich ich ihr über die Stirn und in einem Moment, in dem sie sich sicher sein konnte, dass Dwight nicht sehen konnte, blickte sie mich grimmig an. „Alles okay, Court“, beruhigte ich sie.
Sobald ich sie befreit hatte, warf sie sich mir in die Arme. „Du bist eingeschlafen“, knurrte sie leise und wütend. „Entschuldigung, ist ja nichts passiert“, sagte ich laut genug, damit Dwight mich hören konnte. Er durfte nicht denken, dass wir etwas vor ihm geheim hielten.
Der Abzug einer Pistole war weit schneller betätigt, als man annehmen sollte. „Wissen Sie, wie wir möglichst schnell zur Straße zurückkommen können?“, fragte ich an Sawyer gewandt, ohne Juvia aus meiner Umarmung zu entlassen.
Sie spielte immerhin die geistig etwas labile und völlig hilflose Freundin. Ich spürte, wie sie sich dagegen sträubte, aber auch sie musste wissen, dass es besser so war. „Wer sagt, dass ich euch zurück zur Straße lasse?“ Dwight lächelte liebevoll. „Ihr seid auf meinem Privatgrundstück eingedrungen. Ich hätte das Recht, euch zu erschießen. Niemand hindert mich daran. Und zwei Leichen mehr werden in all dem Chaos gar nicht auffallen.“
„Aber wieso sollten sie jemanden umbringen?“ Ich runzelte verwirrt die Stirn, auch wenn ich mir seine Antwort denken konnte. Dwight legte den Kopf schief. „Ich lasse mich von zwei Kindern doch nicht für dumm verkaufen. Ihr seid nicht wegen irgendwelchen Aliens hier.“
Beschützend schob ich mich vor Juvia, nicht nur, um weiter den Eindruck zu erwecken, ich wäre ihr Freund. „Natürlich, was sollte uns denn sonst bewegt haben, hierher zu kommen. Courtney dachte, es wäre eine Landestation, vielleicht sogar ein UFO, deshalb sind wir hier.“
„In Zeiten wie diesen sollte man nicht mehr neugierig sein. Falls es euch noch nicht aufgefallen ist, könnte das tödlich enden.“ „Aber wir sind zu jung zum Sterben“, murmelte Juvia hinter mir. „Man ist nie zu jung zum Sterben“, widersprach Dwight. Irgendetwas mussten wir doch unternehmen, bevor er uns noch wirklich erschoss. Eine Hand legte sich auf meine Schulter.
„Wir sollten uns jetzt küssen, oder? Aber wir tun’s nicht. Viel Glück.“ Sie lächelte irgendwie traurig. „Lauf“, flüsterte sie, drängte sich an mir vorbei und stürzte sich auf den Mann.
Er war zwar klein und dick, aber nicht langsam, und bis sie bei ihm ankam, hatte er die Waffe gehoben. Sie prallten gegeneinander und er drückte ab, verfehlte sie aber. Ich wollte hinrennen und ihr zu Hilfe kommen, aber ich wusste nicht, ob ich nicht vielleicht doch lieber ihrem Rat folgen sollte.
Also stand ich nur da und beobachtete geschockt, was als nächstes passierte. Der zweite Schuss traf.
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