
Kapitel 10 "Lichtscheinschimmer"
Es war noch nicht richtig dunkel gewesen, als der Strom ausgefallen war und so hatte Juvia im Dämmerlicht der untergehenden Sonne die Wohnung nach Kerzen durchsucht. Sie hatte dann tatsächlich einen Beutel Teelichter in einer der unzähligen Schubladen gefunden, in denen planlose Unordnung herrschte. „Nur ein Genie findet sich im Chaos zurecht“, hatte sie mir erläutert. Nach einigen Minuten war ihre Stimmung nicht mehr ganz so gut gewesen: „Aber ich bin nicht Albert Einstein.“
Letztendlich war es dann aber doch gar nicht so schwer gewesen, die Kerzen zu finden. Juvia schien erleichtert, dass die Wohnung nicht die komplette Nacht über unbeleuchtet sein würde. „Ich bin müde“, stellte sie fest, als wir es uns auf dem Sofa gemütlich machten. Erst als sie es sagte, fiel mir auf, wie sehr ich den Schlaf dieser Nacht nötig hatte. Natürlich, ich hatte seit guten 36 Stunden nicht mehr geschlafen und das machte sich jetzt nur allzu deutlich bemerkbar. Ich gähnte erschöpft und legte den Kopf dabei so weit in den Nacken, dass ich gegen die Rückenlehne des Sofas stieß. „Du solltest schlafen. Wenn du willst, kannst du mein Bett haben. Ich glaube nämlich nicht, dass ich in nächster Zeit die Ruhe dazu finden werde, einzuschlafen.“
Ich glaube, wenn wir uns in einer normalen Situation befunden hätten, hätte ich ihr Angebot abgelehnt, aber jetzt war ich so müde, dass ich nur noch schlafen wollte. Wie hatte ich das nur so lange verdrängen können? Mit einem dankbaren Nicken stand ich auf. Sie hatte mir vorhin einen Großteil der Wohnung gezeigt. Sie war klein und gemütlich, vor allem weil Juvia sie mit allem möglichen Krimskrams vollgestopft hatte. Obwohl sie allerhand Dinge sammelte, war es nicht so schlimm, dass man keinen Platz mehr fand. In ihrem Schlafzimmer war ich bisher nicht gewesen.
Aber da ich wusste, wo Küche und Bad waren, gab es nur noch einen letzten Raum zur Auswahl. Da das Licht nach wie vor nicht funktionierte, musste ich mich mit der spärlichen Beleuchtung begnügen, die der Mond darstellte. Der Schemen des Bettes war schnell gefunden und so tastete ich mich voran, bis ich dort angekommen war. Auf dem Weg schlug ich mir zwar die Zehen an, was ich mit einigen wüsten Flüchen quittierte, aber was sollte ich schon machen? So mussten sich die Menschen im Mittelalter gefühlt hatten, wenn sie ins Bett wollten und es schon dunkel war.
Dafür mussten sie sich allerdings auch keine Gedanken um bösartige Spiegelwesen machen. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich groß auszuziehen, deshalb schlief ich in der Jeans. Stellenweise war sie von getrocknetem Blut ganz steif geworden, aber das konnte ich jetzt auch nicht mehr ändern. Gähnend ließ ich mich in das Kissen sinken, das nach einer Mischung aus Waschmittel und Shampoo roch. Es war ein beruhigendes Gefühl, das sich manche Dinge selbst beim Untergang der Welt nicht änderten.
Jetzt wo es absolut still war, hörte ich wieder das Heulen der Alarmanlagen. Die meisten hatten im Laufe des Tages den Geist aufgegeben, aber einige jaulten nach wie vor unaufhörlich. Trotz der Geräusche, die mich normalerweise wachgehalten hätten, dauerte es nicht lange, bis ich einschlief.
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Als ich aufwachte, bereute ich es, die Gardinen nicht vorgezogen zu haben. Das taghelle Licht blendete mich, obwohl ich die Augen geschlossen hatte. Stöhnend drehte ich mich um und vergrub das Gesicht in einem Kissen. Unter keinen Umständen würde ich so noch einmal einschlafen, das wusste ich. Trotzdem blieb ich noch eine Weile liegen.
Als mir allmählich langweilig wurde, stand ich langsam auf. Ich rieb mir die Augen und fragte mich wieder einmal, wo dieses Zeug in den Augen herkam. Das mit dem Sandmann war Quatsch, aber trotzdem konnte ich mir nicht erklären, wo sie Körner herkamen. Gestern hatte ich keine Gelegenheit dazu gehabt, mich genauer im Zimmer umzusehen und das holte ich jetzt nach. Die Wand über dem Bett war über und über mit Traumfängern vollgehängt.
Sie hatten alle möglichen Farben und Größen. Es sah wirklich spektakulär aus. Neben dem Fenster war ein schmaler Kleiderschrank, der meiner Ansicht nach kaum gefüllt sein konnte, denn der Boden war bedeckt mit Klamotten. Ansonsten gab es nur noch Bücherregale im Zimmer. Sie schien entweder ein fanatischer Leser zu sein, oder sie sammelte die Bücher nur und las sie gar nicht. Pflanzen hatte sie keine, ein paar vertrocknete Kakteen auf dem Fenstersims mal ausgenommen. Wie schaffte man es denn, Wüstenpflanzen zu selten zu wässern?
Ich trat an das Fenster und warf einen Blick auf die Straße. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, wäre ich davon ausgegangen, dass Alles normal war. Die wenigsten Anwohner hier waren in ihren Häusern geblieben und so hatte niemand die Spiegel entsorgen können. Natürlich wäre es ungewöhnlich, dass sämtliche Autos verschwunden waren, aber an einem normalen Arbeitstag hätte man es rechtfertigen können. Es gab nur wenige Details, die verrieten, dass die Menschen Angst hatten. Von hier oben konnte ich abgebrochene Seitenspiegel sehen, die auf einem schmalen Grünstreifen lagen. Da hatte jemand wirklich aufgepasst und die Gefahr erkannt, die selbst von den kleinsten Spiegeln ausging. Ich wandte mich ab und machte mich auf die Suche nach Juvia. Es sah danach aus, als wären die verstopften Straßen inzwischen einigermaßen frei. Wir könnten die Stadt verlassen, die Frage war nur, ob es eine gute Idee wäre, sich zu Fuß auf den Weg zu machen.
Ich fand sie im Wohnzimmer vor, wo sie in einer verdrehten Position halb vom Sofa hing. Da die Fenster hier Richtung Norden zeigten, war das Licht hier nicht so unerträglich hell. Ich konnte nicht abschätzen, wie lange sie schon schlief, weshalb ich beschloss ihr noch einige Stunden Ruhe zu gönnen. Nur zu gerne wüsste ich, wie die Situation weltweit inzwischen war. Mit ziemlicher Sicherheit befassten sich Experten mit den ungewöhnlichen Erscheinungen, aber ich bezweifelte, dass sie eine Lösung finden würden. Man konnte nicht vom einen Moment auf den anderen mit einer Gefahr klarkommen, über die man nichts wusste. Ich ging in die Küche, wo ich an einem trockenen Knäckebrot knabberte, bis mir der Appetit verging.
Der Kühlschrank war mit dem Strom zusammen ausgefallen. Zwar war es noch kühl darin, aber jedes Mal, wenn ihn jemand unnötigerweise öffnen würde, stiege das Risiko darauf, dass auch die letzten Lebensmittel verdarben. Zusammen mit Rocky hatte ich genügend Horrorfilme gesehen, in denen Zombies über die Menschheit hergefallen waren. Man lernte daraus, wenn die Menschen dort Fehler machten, auch wenn es natürlich nur Filme gewesen waren. Ich wünschte mein Handy würde noch ein Netz empfangen, damit ich mit meinen Geschwistern reden könnte.
Aber ich hatte es in den letzten Minuten schon mehrmals gecheckt und war jedes Mal enttäuscht worden. Es war schon seltsam; die Welt ging unter und ich machte mir Gedanken um den Handyempfang. Andererseits war es eine Verbindung zur Außenwelt, die man auf jeden Fall nutzen sollte. Wenn sie denn ginge. Ich suchte gerade nach einer Beschäftigung, mit der ich die nächsten Stunden todschlagen konnte, als Juvia im Türrahmen auftauchte.
Ihre sonst schon sehr widerspenstigen Haare standen ihr vom Kopf ab, als hätte sie in eine Steckdose gefasst. Mit beiden Händen versuchte sie, sie unter Kontrolle zu bringen. „Kann ich dir vielleicht helfen?“, bot ich ihr lachend an. Sie schüttelte den Kopf und gab es auf. „Du siehst aus wie ein Löwe. Mit deiner Mähne.“ Ich streckte einen Arm aus und nahm eine ihrer Strähnen zwischen die Finger. Obwohl sie unbändig waren, fühlten sie sich weich an. Ich hatte sie mir borstig vorgestellt, doch das waren sie nicht. Juvia zog eine Augenbraue hoch: „Sollte das etwa ein Kompliment sein? Falls ja, solltest du das lieber nochmal üben. Und wenn, dann wäre ich ja wohl eine Löwin.“
Sie setzte sich auf einen Stuhl und kaute lustlos auf einem der Knäckebrote herum. „Warum hab ich das eigentlich gekauft? Das schmeckt doch überhaupt nicht“, sagte sie nach einer Weile und legte es weg. Ich zuckte nur mit den Schultern: „Sind wir lieber froh, dass wir es haben. Das verdirbt mit Sicherheit nicht so schnell, wie das Gemüse, das du noch im Kühlschrank hast.“ Als wir uns gestern etwas gekocht hatten, war der Strom noch gegangen und ich hatte einen Blick auf unsere Vorräte werfen können. Je nachdem wie lange wir hier bleiben mussten, wollte ich mir sicher sein, dass wir nicht verhungern würden. „Getränke hab ich zum Glück auch noch einige gelagert. Zum ersten Mal erweist es sich als nützlich, dass ich gerne Dinge horte.“
„Ja“, bestätigte ich trocken, „ich hab deine Traumfängersammlung gesehen. Wofür brauchst du so viele davon?“ „Ich find sie schön. Außerdem hatte ich früher oft Alpträume und sie sollten dagegen helfen. Hadiya hat einige für mich gemacht, die anderen waren Geschenke von meinen Eltern und Freunden. Ich hab keinen einzigen davon selbst gekauft.“ Gedankenverloren lächelte sie: „Es ist eine Tradition. Jedes neue Stück in meiner Sammlung ist etwas Besonderes. Und es gibt auch keine Traumfänger, die gleich aussehen. Bei den meisten weiß ich nicht mehr, von wem sie kommen, aber einige wenige sind auch Erinnerungsstücke für mich.“
Sie seufzte traurig: „Wenn wir die Wohnung verlassen, werde ich sie vermutlich nie wieder sehen. Es geht mir nicht darum, mein zu Hause zu verlieren, sondern darum, dass ich mich nicht von den Dingen trennen will, die hier sind.“ „Du kannst ja einige mitnehmen. Nicht alle, das tut mir leid, aber du musst auch nicht alle zurücklassen“, schlug ich ihr vor. Wenn ich könnte, würde ich selbst ebenfalls noch einmal nach Hause, um ein paar Dinge zu holen, die mir wichtig waren. Aber das war ein großes Risiko und das konnte ich nicht eingehen. Vor allem wenn ich Juvia mitnehmen wollte. „Wenn wir hier raus sind, was möchtest du dann tun?“, fragte ich unvermittelt.
Sie machte einen ratlosen Eindruck auf mich: „Ich weiß nicht. Zuerst will ich meine Familie finden, und danach Nicole. Was hast du vor?“ „In etwa dasselbe. Es wäre gut zu wissen, dass sie in Sicherheit sind.“ „Und wie willst du das bewerkstelligen? Ist man denn überhaupt noch irgendwo sicher?“, fragte sie ernst. Noch vor wenigen Tagen hätte mich niemand ernstgenommen, wenn ich jemandem von dem Spiegelmädchen erzählt hatte und jetzt fürchteten sich die Menschen vor ihr. War das Ironie des Schicksals?
„Dann werde ich sie eben an den sichersten Ort bringen, den ich finden kann. Sie hatten damit nie etwas zu tun. Ich war der Spinner mit der Fremden im Spiegel.“ Meine Kiefermuskeln spannten sich wie automatisch an, als ich auf die Ringe an meinen Fingern starrte. „Kann ich dich um etwas bitten?“ Ich sah auf, in ihre braunen Augen, die nach wie vor keine Reflektion zurückwarfen. Es war, als würden die natürlichen Lichtreflexe von ihren Augen einfach aufgesaugt werden. Langsam nickte ich. „Kannst du meine Familie mitnehmen?“
Bevor ich antworten konnte, sprach sie schnell weiter: „Ich weiß, es ist ein sehr großer Gefallen, um den ich dich bitte, aber ich muss wissen, dass es ihnen gut geht. Und ich selbst kann dafür nicht sorgen.“ „Warum nicht?“, hakte ich nach, gespannt auf ihre Antwort. Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster. „Es gibt für alles eine Erklärung und ich will sie finden. Für das alles hier.“ Sie deutete auf die verlassene Straße. „Was willst du damit bezwecken?“, fragte ich verständnislos.
Ich konnte nicht nachvollziehen, weshalb sie sich auf die Suche nach einer Lösung machen wollte, obwohl sie doch wissen musste, dass sie nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg hatte. „Wenn wir wissen, woher sie kommen, können wir sie vielleicht dorthin zurückschicken.“ „Wie willst du das anstellen?“ Ich hielt es für bloßen Größenwahn, sich selbst eine solche Aufgabe zuzutrauen. Ein einzelner Mensch, der bis gestern nicht einmal von der Existenz dieser Wesen gewusst hatte, wollte sie vertreiben?
„Ich hab nicht die leiseste Ahnung“, gab sie zu. Ich stand auf: „Nichts gegen dich, aber das ist eine verdammt dumme Idee.“ Juvia lächelte: „Hatte ich je eine gute Idee?“ Das fragte ich mich gerade auch.
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