
Kapitel 38
Hinter ihr lagen die wohl längsten dreißig Minuten ihres Lebens.
Dank Jeongins Redeschwall wusste sie nun gefühlt alles über die Boygroup, welcher er und Chris angehörten.
Und noch ein gefühltes Dutzend anderer Typen, deren Namen Danbi bereits wieder vergessen hatte.
Dafür hatte sie nun gelernt, wann ihr Debüt war, welche Länder sie bereits besucht hatten. Und ja, sie wohnten alle zusammen.
Zumindest konnte sie sich nun vorstellen, weshalb Chris lieber irgendwo durch Seoul irrte als seine Freizeit zu Hause zu verbringen. Wenn die alle so anstrengend waren.
"Wir sind da.", unterbrach sie den Jungen aufatmend, zeigte über die Straße zu dem altbekannten Flachbau mit dem bröckelnden Wandputz.
"Willst du nicht mit rein kommen? Ich weiß doch gar nicht, wo ich hin muss. Und glaubst du wirklich, ausgerechnet ich werde da einfach so rein gelassen?", plapperte er aufgeregt, deutete an sich herunter.
"Ach ja, die Gucci-Klamotten.", merkte Danbi seufzend an. "Wer hat euch eigentlich gesagt, es wäre eine gute Idee, in so einem Aufzug nach Itaewon zu kommen?"
Jeongin blinzelte ihr verblüfft entgegen, schaute noch verwirrter an sich selbst herunter.
"Was ist so schlimm an den Sachen?", fragte er vorsichtig, worauf Danbi gelassen mit den Schultern zuckte: "Nichts weiter. Im besten Fall werdet ihr nur nackig gemacht und in eine Gasse geworfen."
Die Augen weit aufgerissen jammerte er: "Aber ich hab nichts anderes."
"Genau das wollte ich hören.", entgegnete sie zynisch, verkniff sich einen Blick auf ihre eigenen gefühlt steinalten Shorts, die sie irgendwann mal günstig in einem Discounter ergattert hatte.
Stattdessen wollte sie sich auch nicht länger über irgendwelche sauteure Bekleidung mit extra großen Labels ärgern, sondern das alles hier schnell hinter sich bringen.
Den Jungen abliefern und im selben Atemzug den Rückweg antreten. Gar nicht lange aufhalten. Oder am besten noch in Gespräche verwickeln lassen.
Davon hatte sie in der letzten Minuten auch eindeutig zu viele. Ihr Pensum war quasi aufgefüllt für den Rest der Woche.
Obwohl der Kleine jetzt, mit Betreten des Hotels, überraschend wortkarg wurde.
Außer gelegentlichen staunenden Äußerungen verbrachte er den Weg zum Zimmer vollkommen stumm.
Was womöglich auch daran lag, dass Danbi mit Absicht nicht den eigentlich Fahrstuhl nutzte, der vollkommen in Ordnung war. Sondern das weitaus weniger frequentierte und dadurch nicht in Stand gehaltene Treppenhaus.
Mit Stufen, die unter dem Gewicht bereits gefährlich nachgaben, einem Geländer, das nicht nur klebrig, sondern auch äußerst wackelig war. Und natürlich einer klischeehaft flackernden Neonröhre.
Mehr unbehaglische Atmosphäre war kaum noch möglich.
Sollte Jeongin ruhig ein bisschen Angst bekommen und im Glauben gelassen werden, dass diese Gegend so gar nichts für angebliche Superstars war.
Mit Sicherheit würde er Chris beim Aufeinandertreffen direkt anflehen, schnellstmöglich von hier zu verschwinden.
"Ist es das?", fragte der Junge zögerlich, als sie endlich vor einer Tür zum Stehen kamen.
"Ist eine 16 drauf, oder?", kam die fast schnippische Gegenfrage von Danbi.
Ein bisschen tat es ihr auch leid. Sie wollte gar nicht so biestig zu ihm sein.
Er war bestimmt ein netter Kerl. Immerhin hatte er extra den weiten Weg aufgenommen, nur um seinen Freund zu suchen.
Jeongin nickte zaghaft, straffe schließlich die Schultern und hob den Arm, um gegen die Tür zu klopfen.
Sekunden vergingen. Es passierte nichts.
Er klopfte nochmal, dieses Mal stärker.
Wieder keine Reaktion.
"Vielleicht ist er duschen.", mutmaßte Jeongin.
Eher unwahrscheinlich, dachte Danbi, sagte aber nichts. Ihr war selbst unverständlich, weshalb Chris nicht öffnete.
War er abgehauen? Ihr womöglich gefolgt und hatte sich verlaufen.
Oder vielleicht lag er auch in einem Frittierfett-Koma, sollte er allen Ernstes noch die restlichen Tüten geleert haben.
"Hast du den Schlüssel?", unterbrach Jeongin plötzlich ihre gedanklichen Mutmaßungen, was dazu führte, dass sie kurzzeitig komplett aus dem Konzert war, ihn nur verständnislos anstarrte.
Erst, als er mit fragendem Blick auf die Tür zeigte, verstand sie, schüttelte aber direkt den Kopf.
"Warum nicht?", hakte er erstaunt nach.
Danbi murrte erst, hatte eigentlich wenig Lust, sich zu rechtfertigen.
"Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit.", gab sie zähneknirschend zu.
"Kann ich verstehen.", merkte Jeongin an, sah sie geradezu verurteilend an.
Für einen Moment war sie viel zu perplex, fing sich jedoch schnell wieder und zischte ihm beleidigt entgegen: "Als ob ein Kind wie du Ahnung hätte."
"Ich bin kein...", wollte er direkt erwidern, schien sich dann aber doch anders zu entscheiden und meinte stattdessen: "Sag mir lieber, wie wir die Tür auf bekommen."
Erstaunt musterte Danbi den Jüngeren: "Du erwartest jetzt aber nicht, dass wir einbrechen. Vielleicht ist er schon nach Hause gegangen. Ruf ihn halt an."
"Gute Idee.", stimmte er zu, angelte sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, tippte eifrig darauf herum und hielt es sich schließlich ans Ohr. "Geht nicht ran."
Zeitgleich lehnte Danbi den Kopf gegen die geschlossenen Tür.
"Was wohl daran liegt, dass es da drin ist.", stellte sie ernüchtert fest, als sie ein leises Vibrieren vernahm.
Genervt richtete sie sich wieder auf, holte unvermittelt mit der Hand aus und schlug mehrfach gegen die Tür. "Mach schon auf, Superstar. Ich hab deinen kleinen Nervzwerg dabei.", sprach sie nicht unbedingt laut, aber genug, um es im Zimmer hören zu können, ignorierte dabei den beleidigten Blick von Jeongin.
Einen kurzen Moment warteten beide, die Ohren gespitzt. Aber außer dem Rauschen der Klimaanlage war nichts zu hören.
Allmählich keimte in Danbi nun doch ein wenig Sorge auf.
Eventuell lag er ja wirklich bewusstlos dort drinnen. Sie mochte gelegentlich egoistisch handeln, aber jemanden im Stich lassen, der womöglich Hilfe benötigte war ganz bestimmt nicht ihr Stil.
"Gib mir deine Kreditkarte.", bat sie, hielt Jeongin die geöffnete Hand hin.
"Was willst du kaufen?", fragte er verwirrt, reichte ihr das schwarze Stück Plastik jedoch ohne Zögern.
Frustriert starrte Danbi auf die matt glänzende Karte. Selbst dieser kleine Kerl hatte mehr Geld zur Verfügung als sie jemals verdienen würde. Das Leben war einfach nicht fair.
Sie beließ es bei einem kaum hörbaren Seufzer, ehe sie die Karte vorsichtig in den dünnen Spalt zwischen Tür und Rahmen schob. Mit äußerster Präzision versuchte sie, den Riegel des Schlosses zur Seite zu drücken.
"Das ist verboten.", flüsterte Jeongin hinter ihr stehend.
Danbi versuchte, seine Nähe zu ignorieren, konzentrierte sich weiter auf ihr Tun, bis sie endlich das erlösende Klicken hörte.
"Aber sehr effektiv.", entgegnete sie, gab ihm die nun leicht verbogene Karte zurück, schob gleichzeitig die Tür auf.
Das Licht brannte noch, ein Geruch von Frittierfett schlug ihr entgegen.
"Er war gestresst, oder?", erkundigte sich der Jüngere naserümpfend, trat direkt hinter ihr ins Zimmer.
Ein schnell verschaffter Überblick gab Danbi allerdings die Gewissheit, dass alles noch so aussah wie zu dem Zeitpunkt ihres Abgangs. Trotzdem war Chris nicht da.
Auch ein kurzer Blick in das angrenzende Badezimmer führte zu keinem Erfolg.
"Was habt ihr hier gemacht?", fragte Jeongin entsetzt, wusste nicht, ob er zuerst auf das zerwühlte Bett oder die am Boden liegenden Klamotten starren sollte.
"Nicht, was du denkst.", tat Danbi mit einem angedeuteten Kopfschütteln ab, während sie zum Fenster ging, misstrauisch die Straße beobachtete.
Dieser merkwürdige Geländewagen war verschwunden.
Wurde Chris verhaftet?
Aber hätte dann nicht die Tür entsprechend versiegelt werden müssen?
"Was ist ein 'chained up'?", erkundigte sich Jeongin mit einem Mal, in seinen Händen eine kleine silbern glänzende Visitenkarte.
Alarmiert trat Danbi mit wenigen schnellen Schritten neben ihn, klaubte das Kärtchen aus seinen Fingern, um es selbst genauer in Augenschein nehmen zu können.
Es war schlicht gehalten.
Ein metallisch glänzendes Rechteck mit verschnörkelten westlichen Buchstaben auf der Vorderseite.
Automatisch drehte sie die Karte um, vermutete nichts außergewöhnliches.
Wider Erwarten hatte jemand etwas auf koreanisch darauf geschrieben.
Etwas, dass Danbi erstarren ließ.
'Danke für das Geschenk.', las sie gedanklich vor.
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