Kapitel 21
Verstohlen huschte sie durch die Tür ins Büro ihres Chefs, lehnte selbige vorsichtig an, um kein verdächtiges Geräusch zu verursachen.
Mit ihren Gedanken war sie trotzdem woanders.
Ihr wollte einfach nicht in den Kopf, weshalb Jongin sie laufen gelassen hatte. Wo es doch ein Leichtes gewesen wäre, sie einfach festzunehmen. Hockte sie buchstäblich wie auf dem Präsentierteller direkt vor ihm.
In Gedanken versunken betrat sie den winzigen Balkon, der über eine schmale Treppe zum Dach verfügte. Umsichtig stieg Danbi die gusseisernen Stufen empor, darauf bedacht, mit ihren hohen Schuhen nicht den Halt zu verlieren.
Wer wollte schon ungern fünfzehn Meter in die Tiefe stürzen?
"Du bist da!"
Unerwartet stellte sich ihr ein Schatten in den Weg.
Erschrocken machte sie einen Satz zurück, merkte, wie einer ihrer Absätze von der obersten Stufe rutschte, sie das Gleichgewicht verlor.
Wie in Zeitlupe kippte sie nach hinten, sah sich in Gedanken bereits rückwärts die Treppe herunter rutschen, im schlimmsten Fall über das niedrige Geländer fliegen.
Ängstlich kniff sie die Lider zusammen, wartete auf den Schmerz.
Im letzten Moment wurde ihr Handgelenk gepackt, sie unvermittelt zurückgezogen.
In der nächsten Sekunde befand sie sich in einer Umarmung, die ihr verrückterweise schon vertraut war.
"Du bist gekommen.", seufzte Christopher beruhigt, drückte sie noch enger an sich.
Danbi war viel zu verwirrt, murmelte lediglich: "Hab ich doch gesagt."
Ihre Wange ruhte an seiner Brust. Nicht nur, dass sie gefühlt in seinem Duft versank. Die Nähe zu ihm ließ sie erst jetzt merken, welche Wärme sein Körper ausstrahlte und wie kalt ihr eigentlich war. Bisher hatte sie die niedrige Außentemperatur vollkommen ausgeblendet.
"Du zitterst.", stellte Christopher just in dem Moment fest, schob sie ein Stück von sich, betrachtete sie besorgt von unten bis oben. "Kein Wunder. Du hast ja quasi nichts an."
Er griff nach der Lederjacke, welche sich noch immer um Danbis Hüfte befand.
Wie in Trance beobachtete sie die feingliedrigen Finger, bemerkte die leicht hervorragenden Adern an den Unterarmen des Sängers, als er den Knoten löste.
Perplex hob Danbi just in dem Moment den Blick, als Christopher die Jacke um ihre Schultern legte, dabei milde, geradezu tröstend lächelte.
"Das ist doch blöde. Dann sind wir wieder am Anfang.", entgegnete sie, unbewusst etwas schroffer als gewollt. "Es ist deine sauteure Jacke."
Christopher blinzelte verwirrt.
"Dann geb ich dir mein T-Shirt.", sagte er schnell, griff nach seinem Oberteil und begann, es auszuziehen.
Automatisch fiel Danbis Blick auf den zum Vorschein gekommenen nackte Bauch, der wider erwarten durchaus trainiert und muskulös ausfiel.
Warte, was?
"Bist du bescheuert?", herrschte sie ihn an, zerrte das Shirt wieder runter.
Was stimmte nicht mit diesem Kerl?
"Du lässt deine Klamotten an, nimmst deine Jacke und verschwindest einfach.", fügte Danbi schnell hinzu.
"Aber du hast doch gesagt, ich soll hier hoch und...", er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
Unvermittelt presste Danbi ihm die Hand auf den Mund, ging gleichzeitig in die Hocke und zog ihn mit sich runter.
Den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, bedeutete sie dem Sänger, ruhig zu sein, winkte mit dem Kopf gleichzeitig zur Seite.
Direkt unter ihnen befand sich die Gasse, in der sich noch immer gefühlt ein halbes Polizeirevier aufhielten.
Alle plapperten aufgeregt durcheinander, aber diese eine Stimme würde sie unter hunderten wiedererkennen.
Das tiefe gleichmütige Brummen, das ihr schon beim ersten Mal eine Gänsehaut beschert hatte.
Dort unten stand Jongin.
Direkt unter ihr und Christopher, den sie gegen die kleine Mauer vor dem Sims des Daches gedrückt hielt. In der Hoffnung, er verstand, in Deckung zu bleiben.
Noch immer befand sich Danbis Hand auf seinem Mund, was ihr erst jetzt auffiel und sie diese deshalb reflexartigartig zurück zog, zumindest einen entschuldigenden Gesichtsausdruck auflegte.
Gleich darauf widmete sie ihre Aufmerksamkeit jedoch wieder dem Polizisten direkt unter ihnen.
Er schien im Gespräch mit irgendeinem Kollegen, dessen Stimme Danbi noch nie zuvor gehört hatte, die jedoch eine ganze Oktave höher klang.
"Wir haben die Personalien aller Angestellten aufgenommen. Angeblich hat keiner was gesehen.", sprach der Unbekannte.
"Der Besitzer meinte, er hat das letzte Mal gegen acht mit ihr geredet und sie zum Rauchen vor die Tür geschickt.", berichtete Jongin von seiner Befragung.
Danbi rechnete damit, jeden Moment ihren Namen zu hören. Ravi hatte mit Sicherheit erwähnt, dass sie zu dem genannten Zeitpunkt ebenfalls anwesend war.
" Was ist mit der Kleinen vom letzten Tatort?", erkundigte sich der Andere. "Arbeitet die nicht auch hier?"
Bingo.
Ihre Eingeweide krampften sich schmerzhaft zusammen, schienen mit jeder Sekunde, die verstrich, während Jongins Antwort auf sich warten ließ, mehr miteinander zu verknoten.
"Sie war nicht unter den Mädchen. Vielleicht ist sie noch zu Hause. Kein Wunder nach der Sache mit ihrer Freundin.", entgegnete er ruhig.
Danbi riss die Augen auf.
Nun war es an der Zeit, dass sie sich selbst die Hand vor den Mund pressen musste. Ansonsten hätte sie nicht garantieren können, vor Schock aufzuschreien.
Wieso log er?
Er hatte sie doch ganz eindeutig gesehen.
Das machte überhaupt keinen Sinn.
"Heißt aber nicht, dass sie nicht trotzdem hier war.", schnaubte der andere Polizist geradezu belustigt. "Sie ist immer noch die Hauptverdächtige."
Bitte?
Fassungslos hörte Danbi die Worte, glaubte aber im ersten Moment, sich verhört zu haben.
"Ich weiß. Ich lasse nachher einen Wagen zur Überprüfung zu ihr schicken.", antwortete Jongin, noch immer vollkommen gelassen.
Danbi hingegen war kaum in der Lage, ihre Gefühle zu kontrollieren. Geschweige denn ihren Körper.
Unmittelbar nachdem das Gespräch leiser wurde, schließlich komplett verebbte, weil die beiden Beamten sich augenscheinlich wieder nach innen begeben hatten, spürte Danbi, wie sie zu zittern begann.
Nicht wegen der Kälte. Die hatte sie förmlich ausgeblendet.
Ihr Herz raste, als müsse es jede Sekunde aus ihrer Brust springen. Sie hatte gleichzeitig das Gefühl, als schnüre sich ihre Kehle zu und sie müsse ersticken.
Und dann dieses unkontrollierte Zittern. Die Hand vor ihrem Mund bebte derart stark, dass sie sich immer wieder selbst schlug.
Nur im Augenwinkel bekam sie mit, wie Christopher den Arm ausstreckte.
Er griff erst nach ihrem Handgelenk und zog es von ihrem Gesicht weg.
Nur einen Atemzug später überbrückte er die eh schon geringe Distanz zwischen ihnen beiden.
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