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Ich zog mir etwas schickeres an als diese Set-Kleidung, die ich davor trug. Keinen Anzug, denn ich hasste Anzüge, nur eine Jeans und Pulli mit einem Jackett darüber.
Ich war schon fünf Minuten vor 7 da und wartete, was ein Weltwunder für mich war, da ich ein chronischer zu-spät-kommer war.
Alle zehn Sekunden sah ich auf die Uhr und endlich - um zwei Minuten vor 7 kam sie. Sie sah so wundervoll aus.
"Hi, James. Schickes Auto." begrüßte sie mich.
"Hi. Und ja, das ist es wirklich." erwiderte ich.
"Bist du immer so selbstsicher?" fragte sie. Machte sie Witze? Ich war gerade alles andere als selbstsicher.
Doch dann verstand ich, was sie meinte.
"Ach, das. Das ist nicht mein Auto, ich habe es mir von Paul geliehen."
"Du hast kein Auto? Ist es nicht nervig, immer mit dem Bus zu fahren?"
Ich grinste.
"Ich kann mir ein Auto noch nicht leisten. Aber ich habe ein Motorrad. Nur darf ich es nicht fahren, weil es dem Regisseur zu riskant ist. Steht hier irgendwo rum und verstaubt."
"Wir könnten doch mit dem Motorrad zum Essen fahren, nicht?"
"Ja, ...aber dein Kleid ist zu hübsch dafür. Aber ich könnte dich mal wann anders darauf mitnehmen." bot ich an.
"Das wäre schön. Klingt aufregend. Dann also jetzt das Auto."
Ich nickte, öffnete die Tür und stieg ein. Pier stand immer noch da. Und kicherte. Dann ging sie schließlich zur Beifahrerseite und stieg ebenfalls ein.
Ich ließ meinen Kopf aufs Lenkrad fallen. Ich bin so ein Idiot.
"Es tut mir wahnsinnig leid, ich habe nur mit so etwas überhaupt keine Erfahrung. Sei nicht böse, ja?"
Sie lachte.
"Keineswegs. Ich finde es toll, dass du nicht so bist wie die anderen, die einem in den Arsch kriechen, entschuldige die Ausdrucksweise."
Sie faszinierte mich jede Minute mehr.
"Glaub mir, jetzt ist es vielleicht noch was neues, aber bald wird es dich stören."
"Das werden wir ja sehen."
~~~
Wir hatten soeben die Getränke bestellt, da kam schon die Speisekarte.
Es war ein eher durchschnittliches Restaurant. Nichts besonderes, aber um einiges schicker als die New Yorker Bars und Kneipen, in denen ich Stammgast war.
Obwohl Pier von ihrer Erscheinung sehr vornehm wirkte und es so unter ihrer Würde sein müsste, hatte ich das Gefühl, dass es ihr hier sehr gefiel. Zumindest ließ sie sich nichts gegenteiliges anmerken.
"Jetzt weiß ich, wo ich dich schon mal gesehen habe." meinte sie plötzlich und ich schaute erstaunt von der Karte auf.
"Äh...ja. Ich sitze hier schon die ganze Zeit." sagte ich mit einem Lächeln.
Pier schüttelte lachend den Kopf.
"So schlecht ist mein Gedächtnis nicht. Nein, ich meinte, ich habe dich mal gesehen am Set von Jenseits von Eden. Aber so weit ich mich erinnern kann, hattest du da keine Brille auf. Brauchst du sie oder ist das ein Accessoire?" fragte sie interessiert.
Ich musste schmunzelt, legte die Speisekarte beiseite und nahm meine Brille ab.
Ich blickte nach links und nach rechts, ganz so als würde ich etwas suchen.
"Pier? Pier? Bist du das?" fragte ich und Pier lachte.
"So blind also?" Sie kicherte immer noch.
"So blind wie ein Maulwurf." Ich setzte meine Brille wieder auf.
"Nein, ich bin extrem kurzsichtig, aber notfalls geht es auch ohne. Wenn du willst, kann ich sie gerne abnehmen, ich brauche sie nur noch schnell um die Karte lesen zu können."
"Nein, das ist doch Unsinn. Du sollst ja auch was sehen können. Außerdem steht dir die Brille. Und wieso würdest du nahezu blind herum laufen, nur weil einer Frau deine Brille nicht gefällt?"
Tja, das fragte ich mich jetzt allerdings auch. Hatte ich nicht noch heute Nachmittag gemeint, ich würde mich für niemanden verstellen? Für Pier würde ich es tun. Liebend gerne. Aber das wollte sie gar nicht.
"Mit meiner Brille bin ich ziemlich eigen. Ich habe das Gefühl, ohne Brille werde ich berühmter." erklärte ich und das war sogar die Wahrheit. Nur war das nicht die Erklärung.
"Nun ja, durch diesen Film wirst du berühmt sein, aber das wärst du auch mit Brille. Zwar habe ich dich noch nicht wirklich spielen sehen, aber alle halten große Stücke auf dich, du wirst also berühmt deines Talentes wegen nicht wegen deinem Aussehen."
"Danke, das ist sehr nett. Aber reden wir heute nicht über Filme und die Arbeit. Dafür will ich viel zu viel von dir erfahren." meinte ich.
"So aufregend ist mein Leben gar nicht."
"Das ist werden wir ja sehen." wiederholte ich ihre Worte von vorhin.
"Na gut, aber nicht dass du einschläfst. Ich bin 22 und lebe noch bei meinen Eltern. Meine Mutter macht mich verrückt aber in Italien ist das eben so, sie würde einen Herzinfarkt bekommen, wenn ich ausziehen würde ohne jemanden zu heiraten. Sie ist noch so altmodisch."
"Ich wünschte, ich könnte sagen, das könnte ich nachvollziehen, aber meine Eltern sind nicht mehr da, also kenne ich das Problem nicht."
"Oh, das tut mir leid. Wieso das? Was ist passiert?"
"Meine Mutter ist schon vor Jahren gestorben. Brustkrebs. Und mein Dad lebt noch aber wir haben so wenig Kontakt, als wäre er es."
"Ach deshalb wirkst du so, als könntest du tun und lassen was du willst." stellte sie fest.
"Naja, ich kann tun und lassen was ich will. Und wenn diese vielen Verbote wären von wegen nicht Motorrad fahren, keine Rennen und so weiter, würde ich das auch."
"Ich beneide dich. Ich bin wie eingeschnürt. Wie eine Marionette. Ich will einerseits raus und unabhängig sein, aber andererseits will ich auch nicht dass meine Mama sauer wird. Ich weiß, das klingt extrem kindisch, aber vielleicht ist das so, wenn man es nicht anders kennt."
"Das muss schrecklich sein." murmelte ich entsetzt.
"Ja, naja. Wenigstens habe ich noch meine Eltern. Vermisst du deine oft?" Sie war die erste, dich mich das fragte. Sonst kamen bei diesem Thema immer die selben Fragen, aber so war sie nicht. Sie war wahrhaftig einzigartig.
"Manchmal. Ich gewöhne mich langsam daran, dass ich alleine bin, aber...es verletzt mich, dass mein Vater nicht einmal anruft. Fast so, als wäre er froh, mich los zu sein. Aber ich bin sicher, wenn er mehr anrufen würde, würden wir uns nur noch streiten, also sollte ich mich nicht beschweren."
"Es ist doch immer so. Wie man es macht ist es falsch. Ich bin sicher, alle Eltern lieben ihre Kinder, aber ich habe noch keinen gesehen, der keine Probleme mit seinen Eltern hatte." meinte Pier nachdenklich.
"Verrückte Welt, nicht wahr?" grinste ich.
"Ja, sehr verrückt." stimmte sie mir zu.
"Zu verrückt, um das zu verstehen."
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