Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

Schritte in die richtige Richtung

,,Als ob er das sogar entwickeln lassen hat!"

Verwundert betrachtete Taddl das Foto, das ihm in die Hände gefallen war, als er im kreativen Durcheinander von Simons WG-Zimmer nach der kleinen Schaufel mit den Löchern im Boden gesucht hatte, die man verwendete, um die Klumpen aus dem Streu in der Katzentoilette zu sieben. Das Bild war zwar nicht gerahmt, sondern hatte einfach nur lose in einer Schublade gelegen, aber die Oberfläche fühlte sich glatt an und glänzte im herbstlich-weichen Tageslicht, das diffus durch Simons große, knapp zur Hälfte mit einer durchscheinenden Gardine verhängte Fenstertür fiel. Tatsächlich handelte es sich also um echtes, wertiges Fotopapier; Taddls getreuer Freund hatte das Bild offensichtlich nicht nur einfach so, spaßeshalber, oder aus einer spontanen Laune heraus ausgedruckt, er hatte diesen äußerst intimen und doch auch gleichzeitig so publiken Moment zwischen ihnen beiden nicht nur in digitaler Form oder auf einem gewöhnlichem Blatt Papier besitzen wollen, sondern er war im wichtig genug gewesen, um einen richtigen Abzug davon machen lassen. Einen Abzug, der Teil des materiellen Eigentums war, den man in die Hand nehmen und in aller Ruhe betrachten konnte und auf den man immer wieder zufällig stoßen würde, wenn man aufräumte, etwas suchte oder einfach aus Langeweile in seinen Schubladen kramte.

Die Tatsache, dass dieses entwickelte Foto in Simons Schlafraum existierte, löste in Taddl ein eigenartiges Gefühl aus. Er erinnerte sich noch sehr gut an den Augenblick, der auf dem Bild festgehalten wurde: Es war auf der Shock Wave Tour gewesen, in Berlin, ganz am Ende der Vorstellung. Simon war wie aus dem Nichts auf ihn losgestürmt, hatte seinen Hinterkopf mit beiden Händen gepackt, ihm einen sehr intensiven Kuss auf den Mund gedrückt und seinen Freund mit dieser Aktion völlig überrumpelt, ganz ähnlich wie vorgestern, als Taddl ihn im Gefängnis besucht hatte. Genau wie in der Justizvollzugsanstalt hatte Simon auch damals auf der Tour schon nach vielleicht zwei Sekunden unvermittelt wieder von ihm abgelassen, die Lippen und seinen Griff abrupt gelöst und war eilig von der Bühne geflüchtet. Taddl war einfach nur verdattert gewesen, ebenso überrascht vom plötzlichen Ende des Kusses wie von der unerwarteten Handlung an sich. Verdutzt und leicht stolpernd war er mit dem Mikrofon in der Hand einige Schritte zurückgewichen, allerdings war dies lediglich seiner Überraschung geschuldet gewesen. Es hatte nicht an einer etwaigen Abneigung gegenüber körperlicher Nähe zu Wavvy gelegen oder dass es ihm besonders unangenehm gewesen wäre, dass sich diese innige, eigentlich doch eher private und dazu noch außerordentlich leicht fehlinterpretierbare Szene vor Publikum abgespielt hatte, ganz im Gegenteil: Unter Adrenalin stehend, berauscht und aufgewühlt von der hitzigen Auftrittsstimmung waren seine Emotionen ohnehin schon aufs Äußerste aufgepeitscht gewesen, sodass sich Wavvys ungestüme Bekundung seiner Zuneigung wahnsinnig aufregend und intensiv angefühlt hatte.

Gedankenverloren betrachtete der junge Mann das Foto, versunken in den Anblick der beiden einander küssenden Personen, von denen er selbst eine war. Das Bild - Taddl vermutete, dass es ein Screenshot aus dem vielgeteilten Video war, das ein Zuschauer damals aufgenommen und auf Twitter veröffentlicht hatte - wirkte zeitlos und spiegelte die Flüchtigkeit des Augenblicks, den es einfing, kaum wieder. Es sah aus, als ständen sie beide ganz alleine dort, genössen den engen Körperkontakt und hätten alle Zeit der Welt. Als ständen sie nicht vor Hunderten rufenden und kreischenden Menschen, deren Blicke wahrscheinlich sämtlich auf sie gerichtet waren und die kaum fassen konnten, was sich gerade vor ihren Augen auf der Bühne abspielte.

Im Nachhinein betrachtet war es ein wirklich denkwürdiges Erlebnis gewesen, das er nicht hätte missen mögen und an das er sich teilweise belustigt, aber manchmal auch mit einem positiv-flauen Gefühl in der Brust zurückerinnerte.

Taddl grinste. Der liebe Wavvy. Er war schon wirklich etwas ganz Besonderes.

Zwar war Simon in Taddls Freundeskreis keineswegs der einzige, der sehr offen mit körperlicher Nähe umging und für den Dinge wie Kuscheln überhaupt nicht im ausschließlich romantischen Kontext standen, aber er war, abgesehen von Beziehungspartnerinnen natürlich, wahrscheinlich schon die Person, mit der auf dieser Ebene bisher am meisten passiert war. Taddl fand Simons Sichtweise und seinen selbstverständlichen Zugang zu diesen Dingen wirklich schön und auch sehr erstrebenswert, denn er selbst hatte häufig Berührungsängste und empfand vieles als zu intim, was für Wavvy völlig unspektakulär und kaum erwähnenswert zu sein schien. Während Taddl es zuweilen schon als eigenartig empfand, wenn ihm jemand außerhalb einer Partnerschaft den Arm streichelte, hatte Simon beispielsweise schon nackt mit drei ebenfalls unbekleideten Freunden eng an eng im Whirlpool gesessen, anscheinend ohne dass dies irgendeine Art von Befangenheit oder Unbehaglichkeit in ihm hervorgerufen hatte.

Gerne hätte Taddl eine ebenso unverkrampfte Geisteshaltung gehabt, und er arbeitete auch daran, Gesten und Berührungen mehr einfach als das hinzunehmen was sie waren, ohne direkt viel in sie hineinzuinterpretieren. Denn auch wenn seine Wahrnehmung häufig mit ihnen übereinstimmte oder vielleicht von ihnen geprägt war, missfielen ihm diese ungeschriebenen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die ihm unterbewusst vorschrieben, welche Handlungen und welche Stufen der Intimität schon in einer freundschaftlichen und welche nur in einer romantischen Beziehung erlaubt waren.

Und solch eine Beziehung würde er in naher Zukunft ohnehin nicht mehr eingehen. Nicht nach Pauli.

Taddl seufzte und atmete hörbar aus. Pauli war seine letzte feste Freundin gewesen und seit sie sich von ihm getrennt hatte, hatte er keinen Sinn mehr darin gesehen, sich irgendjemand anderem auf dieser Ebene anzunähern. Die Beziehung zu ihr war einfach genau das gewesen, was er sich immer erträumt hatte, mehr noch sogar, alles mit ihr hatte sich absolut richtig angefühlt und war genauso gewesen, wie es sein sollte, sodass es vor allem in der ersten Zeit nach der Trennung absolut keinen Zweck gehabt hätte, Ausschau nach einer anderen Partnerin zu halten, die in seinen Augen verglichen mit Pauli doch immer nur ein zweitklassiger, unvollkommener Ersatz bleiben musste.

Man hörte oft, dass man an Beziehungen eben arbeiten musste, aber mit der richtigen Person war das so gut wie gar nicht nötig. Mit der richtigen Person war Liebe keine Arbeit. Mit der richtigen Person war alles ganz einfach.

Pauli war die richtige Person gewesen für Taddl. Eine richtige Person, wie er mittlerweile, nach einem Jahr Singleleben, sagte. Menschen waren nicht wie Schlüssel und Schloss, sodass nur ein einziger geeignet war, die Lücke zu füllen; die Analogie von Topf und Deckel traf es auf dieser Bedeutungsebene viel eher: Es gab mehrere Töpfe in der richtigen Größe und wenn der Deckel groß genug war, konnte das Kochen sogar auch mit einem nicht haargenau passenden Gegenstück funktionieren. Aber trotzdem musste man halt auch so eine Person erstmal finden, und wenn man schon einmal jemanden an seiner Seite gehabt hatte, mit dem in so vielerlei Hinsicht alles so gut gepasst hatte wie mit Pauli, war es schwer, sich mit weniger zufrieden zu geben oder sich auch nur probeweise auf jemanden einzulassen, der nun mal nicht sie war, so sehr Taddl sich hin und wieder auch nach Nähe und Zweisamkeit sehnte.

Und so kam es eben, dass der junge Mann seit nunmehr zwölf Monaten keinerlei ernsthaftes Interesse gezeigt hatte, seinem Liebesleben noch einmal eine neue Chance zu geben, und seiner Verflossenen noch immer ein wenig hinterher trauerte. Nicht, dass er sie nicht verstehen konnte. Er verstand sie sehr gut, schließlich hatte sie ihm diese auch für sie nicht leicht zu treffende Entscheidung ausführlich erklärt, auf ihre ehrliche und feinfühlige Art, die er so gern mochte und die ihm an diesem Tag trotzdem das Herz zerrissen hatte. Aber auch wenn er ihren Entschluss rational nachvollziehen konnte, hieß das noch lange nicht, dass sein anhängliches und stets nach Halt suchendes Gemüt ihn auch akzeptieren konnte.

Der Gedanke an sie rief in Taddl ein eigentümliches, zwiespältiges Gefühl hervor: Natürlich freute er sich, dass es ihr nun anscheinend gut ging; sie war noch immer einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben und er wollte natürlich, dass sie glücklich war, gleichzeitig fragte er sich jedoch in melancholischen Stunden immer noch, warum sie denn nicht einfach an seiner Seite glücklich sein konnte. Schließlich war sie das doch über zwei Jahre lang gewesen.

Ja, gewesen. Nicht auf Dauer. So sehr sie einander auch in vielen Punkten glichen, war Taddl leider jemand, der sein höchstes Glück und Lebensziel in einer erfüllenden Partnerschaft sah und deshalb auf der Suche nach der Richtigen schon unzählige Beziehungen geführt hatte, während Pauli vor ihm noch nie einen festen Freund im klassischen Sinne gehabt hatte und ein sehr freiheitsliebender, unabhängiger Mensch war. Sie hatte gerne Zeit mit Taddl verbracht und dies hatte sich auch seit der Trennung nicht drastisch geändert, aber langfristig hatte sie sich doch nicht wohl gefühlt dabei, fest an jemanden gebunden zu sein und die hollywoodmäßige Idee einer monogamen Liebesbeziehung zu leben. Sie war ein Vogel und einen Vogel durfte man nicht in einen Käfig sperren. Ein Vogel musste fliegen. Und das hatte er schließlich auch getan.

Taddl hatte Pauli nicht aufgehalten; im tiefsten Inneren war er so selbstlos, dass er ihr Glück über sein eigenes stellte, sodass das gute Gefühl, diesem wunderbaren Menschen nicht im Wege zu stehen, den verletzten Trennungsschmerz letzten Endes doch überwog.

Es war schön gewesen mit ihr und die Erinnerung an die gemeinsame Zeit konnte ihm niemand nehmen. Viele Menschen würden derartige Erinnerungen niemals haben. Er sollte sich glücklich schätzen und zufrieden sein. Und das war er ja eigentlich auch, er lernte immer mehr, dass dies auch ohne einen Partner möglich war. Nur Momente wie dieser, in denen er zu viel nachdachte und ihn die Schwermut wieder überkam, ließen ihn kurzfristig zurückfallen in den schmerzhaften Liebeskummer.

Simons Sichtweise auf Partnerschaften war seiner eigenen viel ähnlicher, dachte Taddl, während er langsam wieder aus seiner Gedankenwelt in die Realität zurückkehrte und das Foto von ihnen beiden in die Schublade zurücklegte, das er immer noch in der Hand gehalten hatte. Ihre Arten, Beziehungen einzugehen und zu führen, glichen einander doch sehr, und sie pflegten dabei auch ungefähr die selben Fehler zu begehen. Aus diesem Grund war Simon ein sehr guter Gesprächspartner, was dieses Thema anging, denn er konnte Taddl bisher immer voll und ganz verstehen, egal, was er ihm über sein Innenleben erzählt hatte.

Nachdenklich ließ der junge Mann seinen Blick über die gerahmten Bilder von Kurt Cobain und Lil Peep sowie das große Harmonielehre-Poster gleiten. Auch wenn Wavvy gerade nicht hier war, das Zimmer war regelrecht durchdrungen von seinem Wesen, seiner Energie, und strahlte diese auf eine Weise wieder aus, die den feinfühligen Mann mit den blauen Haaren fast meinen ließ, er stünde im Nebenraum und würde jeden Moment zur Tür hereinkommen. Natürlich saß Simon stattdessen einige Kilometer entfernt in einer kleinen Zelle, deren Tür er nicht einmal eigenmächtig öffnen konnte, geschweige denn, dass er im Stande gewesen wäre, durch sie hindurchzugehen und auf irgendeine Weise nach Hause zu gelangen, um seinen Freund zu überraschen.

Taddl vermisste den Jungen schon arg, das war ihm jetzt erst so richtig bewusst geworden, wo er keine Chance hatte, ihn auf irgendeine Weise zu kontaktieren. Sonst war Simon ja immer per Handy erreichbar gewesen, auch wenn er gerade seine Eltern in Liechtenstein besuchte oder Urlaub machte, er war nie ganz weg gewesen.

Augenblicklich war dies jedoch der Fall, Taddl hatte keinerlei Möglichkeit, sich nach dem Befinden seines Freundes zu erkundigen oder ihm eine aufmunternde Nachricht zukommen zu lassen; er musste sich damit wohl oder übel bis zum nächsten Besuchstermin am Dienstag gedulden.

Obwohl - Briefe müssten doch eigentlich erlaubt sein im Gefängnis, da war Taddl sich ziemlich sicher, wo er jetzt darüber nachdachte. Er wusste weder wie schnell die Post heutzutage war, noch wie lange Simon in Untersuchungshaft bleiben musste, aber eigentlich war es doch gar keine schlechte Idee, seinen Freund auf die altmodische Art wissen zu lassen, dass er an ihn dachte, und ihm damit hoffentlich eine kleine Freude zu machen.

Mit dem Vorsatz, auf dem Nachhauseweg Briefmarken und ein Kuvert zu besorgen, begab sich der junge Mann erneut auf die Suche nach der Streuschaufel, denn das laut Verpackung geruchbindende Klumpstreu hatte sein Versprechen nicht ganz gehalten und John sollte keine unangenehm riechende Wohnung vorfinden, wenn er morgen aus Lörrach zurückkehrte.


Während Taddl ganz gemächlich die kleine, aktuell ausschließlich nichtmenschliche Lebewesen beherbergende Wohnung seiner Freunde durchstöberte und dabei zwanglos seinen Gedanken nachhing, nahm der Tag für einen anderen jungen Mann einen weitaus weniger entspannten Verlauf. Der 21-jährige, meist nur Johnny genannte Jonas Abels bot in diesem Moment wirklich einen bemitleidenswerten Anblick. Kalkweiß, mit unstetem Blick und in völlig verkrampfter Körperhaltung saß er in dem kleinen Vernehmungszimmer auf dem Kölner Polizeipräsidium, in dem auch Simon Vogt schon zweimal ausgesagt hatte, was Johnny natürlich nicht wissen konnte. Und trotzdem war es eben jener blonde Musiker, der dem jungen Mann nicht aus dem Kopf ging und ihn daran hinderte, den Worten der beiden Polizisten zu folgen, die mittlerweile allerdings aufgehört hatten, ihm Fragen zu stellen, weil er ohnehin nichts wahrzunehmen schien. Einem Kreislaufkollaps vorbeugend hatten sie das Fenster geöffnet und der Kriminalbeamte Fabian Chernikov kam gerade mit einem Glas Wasser an, während seine Vorgesetze Stefanie Berg ihrem kreidebleichen Zeugen beruhigend zuredete, dass dies doch nur eine ganz gewöhnliche Befragung wäre und er keine Angst zu haben brauchte.

Wenn Dinge nicht nach Plan laufen, ist es völlig normal, dass man ein wenig aus dem Konzept gerät, und Selbstsicherheit und Improvisationstalent zählten nun wirklich nicht zu Johnnys herausragendsten Eigenschaften, weshalb seine durch die Angst hervorgerufene, apathische Reaktion auf die unerwartete Wendung der Ereignisse eigentlich kaum verwunderlich war. Alles war heute ganz anders gekommen als er es sich auf dem Weg zur Polizeistation ausgemalt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich noch sehr heroisch gefühlt, war er doch im Begriff gewesen, seinem ehemaligen Rivalen mit seiner Aussage aus der Patsche zu helfen. Auf dem Revier hatte man ihn dann jedoch direkt mit der Ansage empfangen, dass man sein Erscheinen bereits erwartet hatte, dass er bereits am Dienstag eine Vorladung im Briefkasten hätte gehabt haben müssen.

Von besagter Vorladung, die tatsächlich bei ihm zuhause auf der Garderobe lag, wusste Johnny natürlich nichts. Post, besonders amtlich wirkende und sicherlich mit langen, schwierigen Wörtern gespickte Post, pflegte er selbst gar nicht mehr zu öffnen, war er doch ohnehin nicht in der Lage, sie wirklich zu verstehen. Caro, die auf Minijobbasis in der Blauen Auster kellnerte, las diese Dinge immer für ihn und erzählte ihm im Anschluss, was er wissen musste. Und Caro arbeitete zurzeit nur am Wochenende.

Mit beiden Händen an den Stuhl geklammert, versuchte Johnny seine Gedanken zu ordnen und einigermaßen mit der neuen Situation fertig zu werden, während er die beiden Polizisten unbewusst vollständig ausblendete. Warum hatte man ihm denn eine Vorladung geschickt? Was bedeutete das überhaupt? Musste er nun doch ins Gefängnis? Der Herr Pfarrer hatte doch gestern gemeint, dass seine schlimmen Gedanken außerhalb der weltlichen Gerichtsbarkeit standen, dass man ihn dafür auf keinen Fall zur Rechenschaft ziehen konnte!

Allein der Ausdruck ,,Vorladung" klang in Johnnys Ohren schon fürchterlich, und es war der reine Selbsterhaltungstrieb, gegen den seine ursprünglich guten Absichten nun einen harten Kampf auszufechten hatten. Vielleicht hatte der ehrwürdige Pfarrer, der doch sicherlich noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, Unrecht gehabt, vielleicht würde man ihn, Johnny, am Ende doch dabehalten. Vielleicht würde man ihm keinen Glauben schenken und ihn nach seiner Aussage an des blonden Musikers statt ins Gefängnis sperren. Im schlimmsten Fall würde dies dann auch noch in der Zeitung stehen! Was würden seine Eltern dann über ihn denken, was die Verwandten, die Nachbarn, die Leute aus seinem Heimatdorf? Johnny hatte keine Ahnung vom Rechtswesen und die Bedrohung fühlte sich für ihn in diesem Moment sehr real an. Er verspürte einen starken Drang wegzurennen, in letzter Sekunde umzukehren und die ganze Aktion einfach abzublasen, jedoch war dies zum jetzigen Zeitpunkt selbstverständlich keine Option mehr. Er konnte höchstens noch behaupten, von nichts zu wissen, nichts mit der ganzen Sache zu tun zu haben. Möglicherweise wäre dies sogar die richtige Entscheidung.

Die Angst, selbst verhaftet zu werden, ließen sämtliche verdrehten und eigentlich überwunden geglaubten Gedankengänge, Ausflüchte und Rechtfertigungsmuster aus der vergangenen Woche wieder zurückkehren, während das heilsame Gespräch mit Joachim Palutke dem jungen Mann kaum noch präsent war.

Ja, weshalb sollte Johnny denn eigentlich für diesen Wavvyboi aussagen? Der Kerl hatte ihm Rainer ausgespannt und lästerte Gott, wo er ging und stand! Außerdem waren des Allmächtigen Pläne für Menschen doch sowieso unergründlich. Vielleicht hatte Gott es ja genau so vorherbestimmt, vielleicht sollte dieser Wavvyboi aus irgendeinem Grund seine Freiheit verlieren. Wäre es dann nicht sogar anmaßend und falsch von Johnny, aktiv in die göttliche Vorsehung einzugreifen, die Wege des Herrn auf eigene Faust zu ändern, wenn der blonde Musiker sein Schicksal vielleicht doch irgendwie verdient hatte, möglicherweise weil er immer so viele umgedrehte Kreuze malte und die Zahl des Antichristen schrieb? Vielleicht wollte der Herr ja gar nicht, dass Johnny diesen heidnischen Depri-Sänger aus dem Knast holte!

Abwartend und auch ein wenig betreten beobachteten die beiden Kriminalbeamten ihren Zeugen, zu dem sie mit Worten nicht durchzudringen vermochten. Immerhin hatte er mechanisch einen Schluck getrunken und es sah nicht so aus, als ob er ihnen noch zusammenklappen würde.

Stefanie Berg hätte nur zu gerne gewusst, was gerade in dem jungen Mann vorging, der schon am Wochenende so verdächtig blass geworden war, als sie seinen Chef in der Kneipe zu dem Kassenzettel befragt hatten. Die Chancen, dass sich gleich mit einem Schlag alles aufklären würde, schätzte sie auf knappe 50 Prozent, sodass sie äußerlich ruhig, aber mit innerer Anspannung darauf wartete, dass sich der potentiell sehr wertvolle Zeuge wieder in der Lage sah, zusammenhängende Sätze zu formulieren.

Johnny fokussierte seinen Blick auf die beiden wirklich nicht unsympathisch wirkenden Polizisten auf der anderen Seite des Tisches, die gerade wahrscheinlich Gott weiß was über ihn denken mussten. Der Jüngere hatte wirklich schöne Augen. Johnny gab sich einen Ruck. Es musste geschehen.

,,Ich war es!", stieß er völlig zusammenhanglos hervor.

,,Was sagen Sie da?" Die Kriminalkommissarin glaubte ernstlich, sich verhört zu haben.

Mit hoher, aber klarer Stimme wiederholte Johnny seine Worte.


Fast alles, was der junge Kellner daraufhin schwitzend, stotternd und händeringend Kriminalkommissarin Stefanie Berg und ihrem Kollegen Fabian Chernikov gestand, hätte ein gewisser großgewachsener, weißblonder Mann den beiden Polizisten ebenso gut erzählen können.

Er war damals zum dritten Mal in diese komische Schwulenkneipe gegangen, in der sein zukünftiges Opfer Stammgast gewesen war. Damals. Eigentlich war es erst vor weniger als zwei Wochen gewesen, aber für ihn fühlte es sich an, als läge dieser Tag nun schon eine Ewigkeit zurück, als gehörte er zu einem früheren, nur noch schwach erinnerlichen Leben, das mit dem Ereignis abrupt sein Ende gefunden hatte. Als hätte seitdem von allen unbemerkt, nur für ihn alleine, ein neues Zeitalter begonnen, ein einsames Leben, das er, zusammen mit seinem dunklen Geheimnis, abgeschnitten vom Rest der Welt führen musste, da er niemandem genug Vertrauen entgegenbrachte, um sich ihm zu offenbaren.

Wie auch schon die Male davor war er auch an diesem Tag direkt zur Bar gegangen, hatte sich irgendein Getränk bestellt und dann erstmal in eine dunklere Ecke zurückgezogen. Nicht dass einer dieser Homos womöglich noch auf die Idee gekommen wäre ihn anzumachen. Aus seiner sicheren Beobachterposition heraus hatte er dann das Verhalten seines Zielobjektes so genau und gleichzeitig so unauffällig wie möglich ausgekundschaftet, hatte sich gemerkt, mit wem dieser abartige, antideutsche Volksverräter den Abend über Kontakt hatte, und gehofft, eine Schwachstelle oder zumindest ein wiederkehrendes Muster in seinen Handlungen ausmachen zu können, das er in der Folge auf irgendeine Art und Weise würde ausnutzen können.

Was das anging hatte der Mann mit dem ungewöhnlich hellen Haupthaar zwar keinen besonderen Erfolg verzeichnen können, jedoch hatte er dafür in anderer Hinsicht unverschämtes Glück gehabt: Der Hohlkopf von einem Kellner, von dem er einige Tage zuvor schon ohne sonderliche Anstrengung Clebsch' private Handynummer bekommen hatte, hatte sich an diesem Abend zusammen mit einer jungen Frau am Nachbartisch niedergelassen und sich bei ihr ausgeheult. Alles hatte der Weißblonde nicht verstehen können, so sehr er sich auch zurückgelehnt und die Ohren gespitzt hatte, aber er hatte doch genug von dem Gespräch mitbekommen, um sich den Rest einigermaßen zusammenreimen zu können. Offenbar war er nicht der einzige gewesen, der die Menschheit gerne von einem bestimmten Individuum befreien wollte, auch dieser dämliche Junge hatte gegen irgendjemanden eine abgrundtiefe Abneigung gehegt und aus irgendeinem Grund gedacht, er könnte ihn unbemerkt vergiften, indem er ihm Abflussreiniger zu trinken gab. Die junge Frau schien ein wenig mehr Grips in der Birne gehabt zu haben, denn sie hatte belustigt gemeint, dass niemand unwissentlich ein ganzes Glas davon trinken würde, dass man es jemandem schon spritzen müsste, um ihn damit umzubringen.

Der sogenannte ,,Plan" dieses zurückgebliebenen Hornochsen mochte ein absoluter Reinfall gewesen sein, aber er hatte dem heimlichen Zuhörer die perfekte Vorlage geliefert. Nicht nur hatte der Hellblonde die gefälschten Hinweise im weiteren Verlauf des Abends aus dem Mülleimer fischen können, mit denen der Kellner die Polizei von sich abzulenken gedacht hatte, derjenige, der dadurch belastet werden würde, stand idealerweise auch noch in engem Kontakt mit Clebsch, sodass er für die Polizei sicherlich als Täter in Frage kommen würde.

Und wenn der Mann mit den ungewöhnlich hellen Augenbrauen und Haaren die von dem Kellner geplante Vorgehensweise kopierte und ein wenig optimierte, würde seine Tat zweifach verschleiert und er somit doppelt vor einer Entdeckung geschützt sein: Sollten die zur Täuschung ausgelegten Indizien als Fälschung erkannt werden, würde niemand diesem minderbemittelten, sprachlich unbeholfenen Kellner glauben, dass er es nicht gewesen war, wo seine Freundin doch zusätzlich auch noch genau über dessen Absichten informiert gewesen war. Es würde, falls die falsche Spur nicht geschluckt werden würde, mit Sicherheit so aussehen, als habe die junge Frau dem Schwachkopf noch den entscheidenden Tipp mit der Spritze gegeben, den dieser dann in die Tat umgesetzt hatte.

In Wahrheit hatte der hirnlose Kellner selbstverständlich rein gar nichts mit dem Ableben dieses linksgrünen Gutmenschen-Politikers zu tun, er hätte niemals die Intelligenz oder auch nur den Mumm gehabt, den es brauchte, um ein derartiges Vorhaben in die Tat umzusetzen. Der Mann mit den hellen Haaren hatte beides gehabt, hatte das vollbracht, was sich viele insgeheim gewünscht hatten, wozu sie aber allesamt zu feige gewesen waren.

Gleich am nächsten Tag war er in den Supermarkt gegangen und hatte den erstbesten Rohrreiniger gekauft, er hatte eine Spritze sowie dazu passende Nadeln unter falschem Namen im Internet bestellt und am Abend sein ahnungsloses Opfer unter einem Vorwand angeschrieben. Über dessen Verhältnis zu diesem langhaarigen, überaus schwul aussehenden Gitarristen namens Simon Vogt wusste er durch seine gründliche Observation einigermaßen Bescheid, was er ausgenutzt hatte, um Clebsch in eine Falle zu locken. Angeblich wäre er ein Freund von Simon, der zusammen mit ein paar anderen Leuten eine Überraschung für den jungen Musiker geplant hätte. Clebsch war offensichtlich im Stress gewesen, hatte keinerlei Verdacht geschöpft und sich augenblicklich mit einer kurzen Antwort bereiterklärt, am Sonntagabend zum dem Musikstudio zu kommen, in dem sein Freund Simon ,,arbeitete". Natürlich hatte ein bisschen Gitarrespielen in den Augen des Hellblonden nichts mit richtiger Arbeit zu tun, aber er hatte sich mit derartigen Aussagen selbstverständlich tunlichst zurückgehalten, um sein Opfer nicht misstrauisch zu machen.

Und der Plan war aufgegangen, wie er sich das vorgestellt hatte.

Der grobschlächtige, flachsblonde Mann wähnte sich in vollkommener Sicherheit. Selbst wenn sie die Fingerabdrücke, die dieser idiotische Kellner vermutlich überall hinterlassen hatte, zuordnen konnten, so würden sie dennoch niemals auf ihn kommen. Er hatte alle Spuren verwischt, auch Clebsch' Handy einkassiert, auf dem man seine Nachricht hätte finden können. In diesem Moment befand es sich an einem sicheren, praktisch unerreichbaren Ort, lag irgendwo am Grund des Rheins, begraben unter Tonnen Wassermassen.

Die selbstgefällige Ruhe wäre dem Mann mit den außergewöhnlich hellen Haaren wahrscheinlich schnell vergangen, hätte er gewusst, dass der kleine Reporter, den er auf der Beerdigung bedroht hatte, sich in diesem Moment weniger als 100 Meter von ihm entfernt aufhielt und angeregt mit dem Sekretär der inzwischen fünften Kfz-Werkstatt unterhielt.

,,Da meinen Sie sicher den Frank", meinte dieser gerade, ,,der hat echt irgendwie komische Ohren, jetzt wo sie es sagen, und der ist auch sehr, sehr hellblond, das könnte man wirklich schon fast weiß nennen."

,,Frank? Ach wie schade, dann ist er es doch nicht, mein ehemaliger Schulfreund hieß Fridolin."

Äußerlich war Joshua Repp rein gar nichts anzumerken, er bewahrte eine ziemlich stoische Miene, die höchstens eine leichte Enttäuschung darüber ausdrückte, dass der Mann, den er angeblich am vorigen Tag in der Nähe gesehen hatte, nun wohl doch nicht sein guter, alter Kumpel von der Berufsschule gewesen war. Im Inneren sah die Sache jedoch ganz anders aus, innerlich tobte der kleine Mann mit der abgetragenen, blauen Kappe geradezu vor Freude. Die lange Suche hatte sich doch noch gelohnt, der Triumph war ihm sicher, der Artikel würde definitiv Welle machen. Die seriöse Konkurrenz würde der kleine, freiberufliche Lokalreporter von der BILD damit meilenweit hinter sich zurücklassen, und vielleicht war ja mit etwas Glück sogar wirklich die Titelseite für ihn drin. Er durfte jetzt nur keinen Fehler machen, dann würde er in wenigen Sekunden wissen, wer der Typ überhaupt war, den er seit einer Woche so hartnäckig suchte.

,,Dieser Frank, wie Sie sagen, sah meinem Fridolin aber schon wirklich sehr ähnlich, wie heißt er denn mit Nachnamen?" Joshua kreuzte die Finger in der rechten Jackentasche und gab sich Mühe, seine Stimme beiläufig klingen zu lassen. ,,Vielleicht ist er ja mit ihm verwandt?"

,,Tharmann heißt der", antwortete der freundliche Sekretär bereitwillig, ,,Frank Tharmann mit vollem Namen."

,,Frank Tharmann also", wiederholte Joshua leise und mit Nachdruck, nach außen hin weiterhin Gelassenheit zur Schau stellend, während er innerlich frohlockte. In seinen Augen lag ein gefährliches Glitzern. Dieser Frank Tharmann würde sich schon sehr bald wünschen, ihm nie begegnet zu sein.


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro