Reporter bei der BILD-Zeitung
Joshua Repp saß zufrieden grinsend vor seinem PC. Gerade hatte er seinen neuesten Text übers Online-Redaktionssystem an Rico Tilmann, seinen Redakteur, weitergeleitet. Wenn dieser zufrieden war, würde der Artikel schon morgen in der Zeitung erscheinen, mit etwas Glück sogar nicht nur im Lokalteil. Und Tilmann war fast immer zufrieden mit Joshuas Artikeln. Auch wenn er sich oft beschwerte, dass der eigenwillige Reporter zu wenig beziehungsweise zu langsam schrieb und hin und wieder ein paar Kommata zu viel setzte, so wusste er doch, was er an ihm hatte, und schätzte ihn und seine Arbeit insgeheim sehr. Dies wusste wiederum Joshua, weshalb er die gelegentlichen Tiraden und Vorhaltungen seines Vorgesetzten ruhig über sich ergehen ließ und hinterher geflissentlich ignorierte.
Joshua Repp war ein quirliger, ein wenig kurz geratener Mensch, den das Leben über einige Umwege in die Lokalredaktion der BILD-Regionalausgabe für Köln/Aachen geführt hatte, wo er nunmehr seit zwölf Jahren als freier Mitarbeiter angestellt war. Obgleich er nicht einmal vierzig war, war sein Haaransatz schon ziemlich weit nach oben gewandert und am Hinterkopf konnte man deutlich den Anfang einer Glatze erkennen, den Joshua aus Eitelkeit jedoch stets unter einer Kappe versteckte, selbst wenn er sich in geschlossenen Räumen aufhielt. Er arbeitete im Ressort ,Lokales', oder wie er es nannte ,Menschlicher Wahnsinn'.
Die Leute glaubten immer, dass die Artikel in der BILD kaum recherchiert, maßlos übertrieben und teilweise ausgedacht wären, aber das stimmte in Joshuas Augen nicht, jedenfalls was seine eigenen Berichte anging. Klar, auch er übertrieb zuweilen ein wenig, köderte mit überspitzten Titeln oder dichtete Kleinigkeiten hinzu, um seine Geschichten spannender zu gestalten. Aber wirklich, richtig gelogen hatte er selten, denn Joshua war der festen Überzeugung, dass sich in der Realität andauernd Dinge ereigneten, die sich kein Autor dieser Welt mit all seiner Phantasie je hätte ausdenken können, weil sie dermaßen unwahrscheinlich klangen.
,,Es passieren Dinge zwischen Himmel und Erde, die kein Mensch jemals zu träumen gewagt hätte", pflegte er regelmäßig zu philosophieren, wenn Tilmann seine hohen Spesen für Recherchezwecke kritisierte, was mindestens einmal im Monat vorkam. ,,Man muss sie nur finden, und das kostet eben!" Besagte ominöse Ereignisse aufzuspüren, dazu hatte sich Joshua mit Leib und Seele verschrieben. Und da er eine Eigentumswohnung besaß und ansonsten recht sparsam lebte, genügte ihm das Gehalt seines eigentlichen Halbzeitjobs, den er praktisch in Vollzeit ausübte. Joshua war stolz darauf, dass niemand Köln besser kannte als er, und man konnte ihn tödlich kränken, indem man dies in Frage stellte.
Der Artikel, den er soeben fertiggestellt hatte, trug den Titel Dieser Rockstar ist ein Mörder?, wobei er das Fragezeichen so eng zusammengeschoben hatte, dass es einem Ausrufezeichen glich, wenn man nur einen flüchtigen Blick darauf warf. Darunter prangte ein großes Foto des in Köln lebenden Künstlers ,Wavvyboi', auf dem er mit starrem Blick, stark geschminkten Augen und wirrem Haar in die Kamera starrte. Das Bild war natürlich nur ein Vorschlag; Joshua hatte nicht das Recht, über die Illustration seiner Texte zu entscheiden, aber er war sich ziemlich sicher, dass Tilmann es mögen würde. Es wirkte bedrohlich und ein wenig psychopathisch, das würde in Verbindung mit der Überschrift sicher die Aufmerksamkeit der sensationsgeilen Leserschaft wecken.
Der Artikel war selbstverständlich voller Spekulationen, immerhin stand noch gar nicht fest, ob es sich wirklich um einen Mord handelte und erst recht nicht ob der aus Liechtenstein stammende Musiker überhaupt etwas damit zu tun hatte, aber Joshua hatte nicht umsonst den halben Nachmittag damit verbracht, auf dem Polizeirevier herumzulungern und allen in greifbarer Nähe befindlichen Personen mit seinen Fragen auf die Nerven zu gehen. Dabei war ihm nicht entgangen, dass die Vernehmung des unter dem Künstlernamen Wavvyboi bekannten Musikers sehr viel Zeit in Anspruch genommen hatte und dass er vollkommen verstört ausgesehen hatte, als er das Gebäude wieder verließ.
Joshua war sehr zufrieden mit sich und seinem Werk, auch wenn er sich ein wenig ärgerte, dass er es nicht geschafft hatte, mit einem der Musiker persönlich zu sprechen. Selbst wenn er keine Antwort erhalten hätte, hätte er das Schweigen in einen zusätzlichen Absatz verwandeln können, aber dazu war es leider nicht gekommen. Stattdessen war er aber bei der Online-Recherche auf etwas viel Besseres gestoßen: Vor sechs Tagen, also nur vier Tage vor dem Mord, hatte Wavvyboi seine Follower auf Twitter wissen lassen:
ich will peep hoeren ein messer nehmen & dir den hals aufschneiden & dann weine ich waehrend du verblutest
Zugegeben, dies war nicht der einzige derartige Tweet des Musikers, der in Joshuas Augen wenig Sinn ergab, aber es kamen darin die Ausdrücke ,Messer', ,Hals aufschneiden' und ,verbluten' vor. Das reichte allemal für einen saftigen Artikel.
Von der Titelseite träumend packte Joshua seine Tasche, fuhr den Rechner herunter und trat auf die von Laternen erleuchtete Straße hinaus. Zu dieser Jahreszeit war es um acht Uhr schon vollständig finster, aber der kleine Mann mit der dunkelblauen Kappe liebte seine Stadt zu jeder Tageszeit.
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