escape from the city ☼
Ich schrecke schlagartig hoch, stoße mit dem Kopf so schwungvoll unter die Motorhaube, dass ich kurz Sternchen sehe und nicht sicher bin, ob ich nicht doch lieber umkippen will.
Mit einer Hand an der Schläfe blicke ich durch den Spalt zwischen offener Motorhaube und Frontflügel hindurch. Ich blinzle gegen die hellen Sonnenstrahlen, die die Silhouette eines wuscheligen Lockenkopfes umranden.
Kurz frage ich mich, wie doll ich mir wohl den Kopf gestoßen haben muss, dass mich schon ein gelockter Himmelsbote holen will, doch die Tatsache, dass dieser sich schockiert die Hand vor den Mund hält und ca. 80 mal entschuldigt, spricht dann doch dagegen.
"Es tut mir so Leid, ich wollte Sie nicht erschrecken!" Eine große Hand legt sich vorsichtig auf meine Schulter, streicht zaghaft auf und ab, als sich das Gesicht zu besagter Lockenpracht vor meines schiebt.
"Hey, ich bin Harry... Geht's?" fragt er leise und legt besorgt die Stirn in Falten. Langsam richte ich mich ächzend auf und murmle "Ja... ja, geht schon..." Ohne zu zögern fährt er mit seinen langen Fingern in meine Haare, legt sie zur Seite und begutachtet meine Kopfhaut, vermutlich auf der Suche nach Blut. Ich lasse das einfach über mich ergehen, denn ich bin zu überfordert von der Tatsache, dass er offensichtlich so etwas wie Berührungsängste und den persönlichen Bereich einer fremden Person nicht kennt.
Außerdem halte ich die Luft an, weil es mir irgendwie unangenehm ist, vor seine nackte Brust, die nur von einer weiten Jeans-Latzhose bedeckt wird, zu atmen.
"Sieht gut aus, wird vermutlich nur eine ordentliche Beule geben, aber keine Platzwunde." Er ordnet meine Frisur, die diesen Namen eigentlich seit Stunden nicht mehr verdient hat, bevor er sich wieder einen Meter entfernt und mich sanft anlächelt. "Oh, das sieht hingegen aber gar nicht gut aus." stellt er mit kritischem Blick auf meine spannende, verbrannte Brust fest. "Warten Sie..." Er joggt los, hinter mein Auto, um irgendwas zu holen. Ich blicke ihm nach und staune nicht schlecht, als ich seinen fahrbaren Untersatz erblicke. Ich muss schmunzeln.
Ja, es passt definitiv zu seinem Outfit aus besagter Latzhose, ausgeblichenen, rosanen Vans und den fluffigen, braunen Locken, der blau-weißen Perlenkette um seinen Hals und seiner nahezu perfekt braunen Haut mit zahlreichen Tattoos, dass er einen sonnengelben VW T1 Bulli fährt.
Nach wenigen Sekunden kommt er mit einem Cool-Pack zurück, dass er in ein geblümtes Küchentuch wickelt und mir auf die Brust drückt, meine Hand nimmt und sie darauf legt. "Festhalten. Wenn's zu kalt wird, alternativ die wachsende Beule kühlen." weist er mich an.
Auf meinen überforderten Gesichtsausdruck hin muss er etwas kichern, zeigt dann auf meine Schrottkarre und fragt "Macht es Ihnen was aus, wenn ich mal schaue...?" Ich lache auf. "Das Einzige, was mir was ausmacht, ist das 'Sie'. Bitte, ich bin Louis, ich komme mir vor, wie auf der Arbeit, wenn jemand so förmlich mit mir redet..."
Er grinst breit. "Alles klar, Lou." lacht er.
Uhm, okay? Er gibt mir direkt einen Spitznamen? Soll mir egal sein, solange er Ahnung von Motoren hat...
"Und gerne darfst Du dir das angucken, am liebsten direkt wissen, was zu tun ist und es dann auch noch selbst können." Er legt kurz salutierend seine Hand an die Schläfe, bevor er, erneut mit Lächeln im Gesicht, seinen Kopf unter die Haube steckt.
Generell habe ich selten einen Menschen so strahlen sehen, wie ihn. Es wirkt, als wäre er die Sonne höchstpersönlich, so losgelöst und fröhlich ist sein Auftreten. Ob er wohl im Urlaub ist? Die Tatsache, dass er offensichtlich ein Eisfach in seinem Bulli hat, spricht dafür, dass er damit nicht bloß zur Arbeit fährt. Außerdem hat er einen britischen Akzent, also ist er definitiv kein Franzose.
"Machst du irgendwie Urlaub mit dem Ding, oder...?" frage ich daher, weshalb er sich wieder zu mir umdreht. Erneut bohren die niedlichen Grübchen sich in seine Wangen und ich kann nicht verhindern, dass auch ich - vermutlich zum ersten Mal heute - ein ehrliches Lächeln aufsetze.
Freudig nickt er, wiegt dann allerdings den Kopf etwas hin und her. "Naja, Urlaub ist eigentlich was anderes... ich glaube die Leute nennen es eher 'Gap-Year' oder so..." erklärt er. "Oh, echt? Wie cool, wie lange bist du denn schon unterwegs?" Er legt die Stirn in Falten. "Uhm... was haben wir denn für einen Monat?" Lachend kläre ich ihn darüber auf, dass wir Mitte August haben. "Dann... 4 1/2 Monate." Ich nicke nachdenklich.
"Wie finanzierst du das denn? Mama und Papa?" Nun ist er derjenige, der lacht. "Nein, ich hatte vorher einiges gespart, den Bulli hab' ich selbst wieder fertig gemacht und ich helfe ab und an dort aus, wo ich gerade bin. Die Leute wollen mir oft viel zu viel geben, doch ich nehme immer nur an, was ich brauche. Was soll ich mit dem Rest? Das lockt nur Diebe an." Wieder nicke ich nur.
Selten habe ich einen Mann in seinem Alter gesehen - ich würde ihn auf Anfang 20 schätzen - der so bescheiden und bodenständig wirkt.
Die kurze Stille unterbricht er, indem er sich rückwärts gegen mein Auto lehnt und mit dem Daumen in Richtung des Motors zeigt. "Deine Zylinderkopfdichtung ist übrigens im Arsch." Ich sehe hoch und blinzle ihn an. "Deshalb ist auch der Motor abgeraucht, deine Kühlflüssigkeit ist voll Öl und dein Öl voll Kühlflüssigkeit..." Ich presse die Lippen aufeinander. "Kriegt man das irgendwie behoben?" Er muss schmunzeln. "Indem man sie austauscht, ja." Schnaufend lege ich den Kopf in den Nacken. "Du weißt vermutlich auch nicht, wo die nächste Werkstatt ist oder?" brumme ich entnervt.
"Doch." Ich lasse den Kopf nach vorn kippen und sehe ihn mit großen Augen an. "Ich würde deinen begeistertem Gesicht gern was anderes sagen, aber... so 30km entfernt ungefähr?" Meine Schultern sacken gefühlt in den Boden. "Und lass mich raten, es dauert ewig und ist teuer?" Er reibt sich den Nacken. "Kommt drauf an, wie du das definierst..."
"Tut mir leid..." sagt er dann leise, als ich das Cool-Pack auf meinen Kopf lege und diesen seufzend in meine Hände fallen lasse. "Ich habe ein paar Tage bei Eddie gearbeitet, ich kann ihn gerne fragen, ob er dir preislich entgegen kommt..." bietet er an, weshalb ich ihn lächelnd ansehe. "Das ist wirklich total lieb, danke, aber... ganz ehrlich?"
Ich blicke auf meine Uhr. Die Fähre bekomme ich jetzt eh nicht mehr.
"Weißt du, diese Dreckspanne hier ist echt das Tüpfelchen auf dem i, ich hab so die Schnauze voll von allem, ich-..." Mein Blick wandert in Richtung Bauernhof und ich atme genervt aus.
"Soll ich ehrlich sein? Am liebsten würde ich 'nen Fick auf alles geben, diesen Schrotthaufen eines Autos einfach hier am Straßenrand stehen lassen, zu dir in den Bus steigen und egal wohin fahren." Ich fange das Cool-Pack auf, das von meinem Kopf rutscht und schnaufe erneut leise auf. "Einfach weg, nur weg."
"Und... was genau hält dich jetzt davon ab?"
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