christlicher Zionismus
Im Jahr 1904 bat Theodor Herzl um ein Treffen mit Papst Pius X., um herauszufinden, ob dieser einer Gründung eines jüdischen Staates in Palästina zustimmen würde. Die Antwort des Papstes darauf lautete: "non possumus" (= "können wir nicht"). Erst im Jahre 1993 wurden offizielle diplomatische Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Staat Israel etabliert. In Artikel 11 ihres Vertrages heißt es:
„Der Heilige Stuhl [...] hält es für angebracht, sein feierliches Engagement zu bekräftigen, sich von allen rein zeitlichen Konflikten fernzuhalten, ein Prinzip, das insbesondere auf territoriale Konflikte und umstrittene Grenzen anwendbar ist."
- Artikel des Grundlagenvertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel von 1993
Die offizielle Position der Katholische Kirche besagt, dass jüdische Menschen, die sich an diesem Ort niedergelassen haben, nun das Recht haben, unter einem rechtsstaatlichen Regime weiterzuleben. Dabei wird nicht auf ihr ursprüngliches Recht, dort anzusiedeln, eingegangen. Es wird betont, dass Palästinenser*innen ebenso wie jüdische Menschen das Recht haben, in einem Staat zu leben, der ihre Sicherheit gewährleistet.
Jedoch bezieht sich der Begriff „christlicher Zionismus" üblicherweise nicht auf Katholik*innen, sondern auf Protestant*innen.
Quelle: Evangelical Attitudes Towards Israel and the Peace Process
(„Evangelikal" ist nicht das gleiche wie „evangelisch"!)
Der christliche Zionismus findet vor allem bei nordamerikanischen Protestant*innen Anklag. In den USA glauben weiße Evangelikale doppelt so häufig wie jüdische Menschen daran, dass das Land Israel dem jüdischen Volk zusteht (82% im Vergleich zu 40%). Selbst religiöse jüdische Menschen sind davon weniger überzeugt als sie (47% im Vergleich zu 82%).
Christliche Zionist*innen unterstützen die Politik Israels im Namen der Bibel. Sie behaupten, dass Gott dem jüdischen Volk das Recht verliehen hat, das Land Israel aufgrund des einst mit Abraham geschlossenen Bundes zu besitzen.
Jährlich werden von unabhängigen Organisationen mehr als 200 Millionen Dollar gesammelt, um Israel zu unterstützen. Ein Teil fließt in die illegale Besatzung von Gebieten. Dabei bleibt die Solidarität mit christlichen Palästinenser*innen auf der Strecke.
Palästinensische Christ*innen waren unter den ersten und vehementesten Gegner*innen der britischen Kolonialherrschaft in Palästina und gehörten zu den frühen Führungspersönlichkeiten im Kampf gegen die Vertreibung der Palästinenser, um Platz für einen jüdischen Staat zu schaffen. Wie können US-amerikanische Christ*innen also einen Staat unterstützen, der Mitglieder ihres eigenen Glaubens direkten Schaden zufügt?
„It is a big misconception that this is a conflict between Jews and Muslims, as if we're caught in the middle. Because not only we're part of the Palestinian people, but we are part of the Palestinian movement for liberation. [...] You have my sisters and brothers who are supposed to be my support, actually doing all their best to support the ones who are oppressing us. And it makes me angry. [...] We read the same bible but then they are using the Bibel as a weapon against me. [...] They see in it an image of God [...] who favors a nation over everyone else based on a promise that's thousands of years old."
- Dr. Munther Isaac (christlicher palästinensischer Priester), Why Are Christians Leaving Jesus' Birthplace?
Ja, in der Bibel existiert ein Versprechen Gottes an Abraham, jedoch war dieses Versprechen keineswegs bedingungslos. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, den Kontext zu beachten.
1. Diese Versprechen wurde gegeben, da das jüdische Volk unter allen Völkern das kleinste war.
2. Wenn sie sich schlecht verhalten, kann Gott andere Völker beschützen.
3. Gott kann sie dazu auffordern, in fremde Länder Zuflucht zu suchen.
4. Das Exil kann von langer Dauer sein.
Das Versprechen Gottes an Abraham in der Bibel hat nichts mit Zionismus zu tun. Woher rührt dann die Interpretation, auf die sich US-amerikanische Evangelikale berufen und die zur Entstehung des christlichen Zionismus geführt hat?
1. Segnungen erhalten
"Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dir fluchen; und durch dich sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden!"
1. Mose 12,3 SCH1951
Im Jahr 1585 veröffentlichte der englische Geistliche Thomas Brightman sein Buch A revelation of the Apocalyps. Darin überträgt er die Verheißung aus Genesis 12,3 auf einen jüdischen Staat. Er argumentierte, dass dieser in Palästina gegründet werde sollte und dass seine Gründung gefördert werden müsse, um gesegnet zu werden. Er macht jedoch zwei Fehler:
- Das Versprechen wird nicht mehr in der Person des Messias erfüllt (was das grundlegende Prinzip des Christentums ist), sondern wird vom Judentum abhängig.
- Das Versprechen wird nicht mehr auf eine Einzelperson, sondern auf das gesamte Volk angewendet (wodurch es den religiösen Bereich verlässt und die politische Sphäre eindringt).
2. wörtliche Interpretation der Apokalypse
„Nun sah ich mehrere Trohnsessel. Auf ihnen nahmen diejenigen Platz, die den Auftrag bekamen, über andere Gericht zu halten. Es waren die Seelen der menschen, die man enthauptet hatte, weil sie sich treu zu Jesus und zu Gottes Botschaft bekannt hatten. Sie hatten das Tier und seine Statue nicht angebetet, hatten sein Zeichen nicht auf ihrer Stirn oder Hand getragen. Jetzt wurden sie wieder lebendig und herrschten mit Christus tausend Jahre."
- Offenbarung 20,4 HFA
Eine kleine fundamentalistische christliche Gruppe, bekannt als die Brüderbewegung (auf Englisch sagt man Plymouth Brethen dazu), interpretiert das Buch A revelation of the Apocalyps auf wörtliche Weise, insbesondere die Prophezeiung in Offenbarung 20,4, in der von einer Herrschaft von 1000 Jahren die Rede ist. Die Brüderbewegung ist fest davon überzeugt, dass es sich um eine tatsächliche Herrschaft handelt, bei der der Christ dem jüdischen Volk in Palästina anvertraut wird. Während dieser Zeit wird Christus wie einen König auf Erden herrschen.
3. Dispensationalismus
Der Intellektuelle John Nelson Darby schloss sich der Brüderbewegung an und stattete sie mit einem umfassenderen System aus, das als „dispensationalistische Theologie" bezeichnet wird. Dem nach ist die Heilsgeschichte in mehrere Epochen oder Haushaltungen (auf Englisch: dispensations) aufgeteilt, in denen Gott jedes Mal die Welt auf unterschiedliche Weise regiert haben soll. Laut Darby gibt es:
- die Zeit des Gewissens -> Adam
- die Zeit der Patriarchen (= der menschlichen Regierung) -> Noah bis Babel
- die Zeit der Verheißung -> Abraham bis Mose
- die Zeit des Gesetzes -> Moses bis Jesus
- die Zeit der Gemeinde -> Zeitalter der Kirche
- das Millennium
- die Ewigkeit (keine Dispensation)
Gerade befinden wir uns laut dieser Theorie im Zeitalter der Kirche, das seinem Ende entgegensteuert und vom tausendjährigen Zeitalter, dem Millennium, abgelöst wird. Während das passiert, würde Gott die Heiden verlassen und zum jüdischen Volk zurücktreten, um sie als Nation zu begünstigen. Die Christ*innen würden entrückt werden, um für tausend Jahre im Himmel uz herrschen, während der Messias mit dem jüdischen Volk die Herrschaft über die Erde regiert.
4. die Scofield-Bibel
Cyrus Scofield, ein amerikanischer Theologe des späten 19. Jahrhunderts, wurde von Darbys Ideen beeinflusst. So veröffentlichte er eine neue Version der Bibel, bekannt als die Scofield-Bibel. Diese übernahm den kanonischen Text der King James Version, fügte jedoch prämillenaristische und dispensationalistische Kommentare hinzu. Sie wurde zum Bestseller in den USA und trug maßgeblich zur Verbreitung des christlichen Zionismus. So sehr, dass in fundamentalistischen Kreisen die US-Armee mit der Armee der Heiden verglichen wurde, die in Vorbereitung auf die Apokalypse und Harmagedon die jüdische Armee dabei helfen soll, ein tausendjähriges Königreich auf Erden zu etablieren und somit die zweite Wiederkehr Christi zu beschleunigen.
So fand der Zionismus Eingang in das US-amerikanische protestantische Denken und erklärt zum Teil die amerikanische Politik der USA, sowie die aktive Unterstützung einiger Christen für die Besatzung Israels in Palästina, mitunter auf Kosten der dort bereits ansässigen Palästinenser*innen.
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