Baji Keisuke ~ Unforgiven
Keisuke Baji war tot. Keisuke, der immer schon ein Teil deines Lebens gewesen zu sein schien. Mit dem du dir mitten in der Nacht eine Packung Soba geteilt hattest. Dem du problemlos von all dein Gedanken und Gefühlen erzählen konntest, weil er ohnehin nur die Hälfte der Zeit zuhörte. Der dir immer das Gefühl gegeben hatte, lebendig zu sein. Aus deinem Leben gerissen, ohne sich wirklich verabschiedet zu haben. Als wäre er niemals wirklich ein Teil davon gewesen.
Baji, der dich angesehen hatte, als ob du seine Welt gewesen wärst. Der dich immer beschützt hatte auch wenn es eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre.
In dessen lebendige Augen du nun nie wieder blicken konntest.
Du strichst vorsichtig über sein blasses Gesicht. Jegliche Wärme war aus seinem Körper gewichen. Vielleicht wären Tränen angebracht gewesen. Vielleicht hättest du in rasender Wut auf Kazutora, Mikey, Kisaki und all die anderen, die ihn nicht gerettet hatten, einschlagen sollen. Doch alles, was du fühlen konntest war dumpfe Leere, als wäre dein Herz aus Stein, während du langsam realisiertest, das er nicht nach Hause kommen würde.
„Warum sagst du nichts?", fragtest du ihn, obwohl du wusstest, dass du keine Antwort mehr bekommen würdest. „Du kannst mich nicht für immer hier allein lassen."
Du erhieltest keine Antwort, außer dem Lied eines einsamen Vogels und Sirenen in der Ferne. Graue Wolken bedeckten den Himmel und ließen deine gesamte Welt in tristen Grau erscheinen.
Kazutora stand etwas abseits und beobachtete dich mit traurigen Augen. Er hatte darauf bestanden, zu bleiben und du hättest ihn dafür verfluchen können. Auch wenn es am Ende Keisuke selbst gewesen war, der sich das Messer in den Bauch rammte, du würdest Kazutora immer als schuldig betrachten, dass Baji nun leblos in deinen Armen lag.
„Du hast mir doch versprochen, bei mir zu sein. Zu bleiben, bis wir nichts als Erinnerung in den Herzen unserer Freunde sind", flüstertest du tonlos. „Du kannst doch nicht einfach ohne mich gehen. Ohne ein Wort zum Abschied."
Der Regen vermischte sich mit deinen Tränen, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Kazutora kam auf dich zu. Du ignoriertest seine Hand, die er auf deine Schulter legte und die Worte die er murmelte.
Es war bedeutungslos. Alles, was dir je wichtig gewesen war, hatte mit einem Mal jeglichen Sinn verloren.
Du warst nie ein sonderlich trauriger Mensch gewesen, auch wenn du nie wirklich glücklich sein konntest. Dann hattest du Keisuke kennengelernt und irgendwie hatte er es geschafft, dass dein kleines hilfloses Herz in seiner Nähe immer schneller schlug. Irgendwie hatte er es geschafft, dich dazu zu bringen, ihn bedingungslos zu lieben. Du hattest ihm dein Herz geschenkt. Du hättest dein Leben für ihn gegeben, aber er hätte niemals zugelassen, dass du dich für ihn opfertest. Er hätte niemals zugelassen, dass irgendjemand seinetwegen starb. Das war der Grund warum alles, was er zurückgelassen hatte, nur mehr Erinnerung war.
Erinnerung, an all das, was dein Leben reich gemacht hatte. An einen Jungen der dich fast so sehr liebte, wie nächtliche Ausflüge mit seinem Bike. Der dich nächtelang wachhielt, indem der von belanglosen Dingen redete, die ihm gerade durch den Kopf schossen. Der dich immer nach der richtigen Schreibweise der Kanji-Zeichen fragte und der dich stets anlächelte, wenn ihr zusammen wart.
Keisuke Baji, der dein Herz in Flammen gesetzt und grinsend dabei zugeschaut hatte, wie du dich daran verbranntest.
„Wieso musst du ausgerechnet dort hin gehen, wohin ich dir nicht folgen kann?"
„Y/N." Kazutora klang so ruhig, wie du ihn noch nie erlebt hattest. „Wenn du jetzt nicht gehst, wirst du als mitschuldig erklärt werden. Man wird denken, du hättest zu seinem Tod beigetragen."
„Habe ich das nicht?", wolltest du von ihm wissen, ohne ihn anzusehen. „Hätte ich ihn nicht davon abhalten müssen, hierher zu kommen?"
Er schüttelte den Kopf. „Du konntest nichts tun, das ihn aufgehalten hätte. Das wissen wir beide."
Du machtest keine Anstalten aufzustehen. „Ich kann ihm nicht vergeben. Ich kann mir selbst nicht vergeben."
„Geh jetzt, Y/N. So lange noch Zeit bleibt."
Er packte deinen Arm zerrte dich hoch. Du beobachtetest wie Keisuke's Kopf auf den schwarzen Asphalt aufschlug und dein Herz brach ein weiteres Mal. Zersplitterte immer weiter, während Kazutora dich von Baji weg zog.
Um dich in Sicherheit zu bringen. Wie lächerlich es dir vorkam. Vor wenigen Minuten hätte er dir noch lachend sein Messer ins Herz gerammt.
„Warum tust du das?", fragtest du leise. „Du hast mich noch nie gemocht. Warum versuchst du jetzt, mich zu beschützen?" Er schubste dich auf die verlassene Straße. Seine Augen waren ausdruckslos als er es endlich wagte dich wirklich anzusehen. „Ich fand dich immer schon ein wenig merkwürdig, aber Keisuke hat dich geliebt." Er zögerte einen Moment und fast glaubtest du, dass Tränen in seinen Augen glitzerten. „Aber am Ende war niemand gut genug, um ihn zum Bleiben zu überzeugen. Nicht einmal du, Y/N."
Deine Wut kochte erneut in dir hoch und du verspürtest den Drang, dich auf den Jungen zu stürzen und ihm die Zähne aus dem Mund zu schlagen. Wie gern du ihm gesagt hättest, dass doch alles seine Schuld war. Dass er Baji dazu getrieben hatte, sich in diesem dummen Zwist zu opfern. Aber du konntest nicht. Weil es nicht die ganze Wahrheit war. Keisuke war tot, weil er Kazutora hatte beschützen wollen. Und Mikey. Chifuyu. Den Rest der Gang. Er war tot, weil sie ihm wichtig gewesen waren, und er hatte nicht zusehen können, wie sie sich gegenseitig abschlachteten. Stattdessen hatte er sich selbst ein Messer in die Brust gerammt.
„Am Ende war keiner von uns jemals gut genug für ihn. Wir haben alle versagt."
Am Ende hat er uns alles so sehr geliebt, dass er sein Leben für uns weggeworfen hat.
Irgendjemand hatte dir vor langer Zeit einmal gesagt, dass die Wahrheit manchmal mehr schmerzte, als Lügen es jemals könnten. Du presstest die Lippen zusammen und blinzeltest deine Tränen fort. Zum ersten Mal in deinem Leben sahst du Kazutora lächeln. Auf eine so traurige, verlorene Art, dass er dir beinahe leid getan hätte. „Lebewohl, Y/N."
Mit diesen Worten wandte er sich um und ließ dich alleine zurück. Es kam dir irgendwie falsch vor, Kazutora gehen zu lassen. Es fühlte sich nicht richtig an, hier zu stehen, während Keisuke am Boden lag und blicklos in einen Himmel starrte, den er nie wieder sehen würde. Das war der Moment, in dem du in die Knie gingst, den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet und Tränen, die auf deinen Wangen brannten.
Ganz plötzlich wurde dir bewusst, was eigentlich heute geschehen war. Dass du morgen aufwachen würdest und Keisuke wäre nicht da, um dich anzumeckern. Er würde niemals wieder da sein. Du würdest niemals wieder sein Lachen hören oder dieses schalkhafte Funkeln in seinen Augen sehen, wann immer er darüber nachdachte, wie er dich als nächstes ärgern konnte. Er hatte dich verlassen und nun warst du allein. Du blicktest in den Himmel und der Regen wusch deine Tränen fort. In diesem Moment fragtest du dich, ob man an einem gebrochenen Herzen sterben konnte.
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